Christina Mundlos:
Mütterterror.
Angst, Neid und Aggressionen unter Müttern.
Marburg: Tectum Wissenschaftsverlag 2012.
190 Seiten, ISBN 978-3-8288-2968-8, € 19,90
Abstract: Das gesellschaftliche Mutterbild und die politische Regulierung von Mutterschaft, so die Kernthese von Christina Mundlos, isolieren Mütter voneinander, fördern Konkurrenz unter ihnen und verhindern somit Solidarität und gemeinsame befreiende Aktionen. Das Sachbuch kann als eine Art Ratgeber gelesen werden, der zum Widerstand gegen etablierte Vorstellungen der ‚guten Mutter‘ ermuntert. Dies ist begrüßenswert und überfällig. Mundlos reproduziert jedoch bestimmte Verkürzungen, die in der politischen und medialen Diskussion über Mutterschaft vorgenommen werden, so etwa die fast ausschließliche Fokussierung auf Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier zeigen sich Problemstellungen, die einer feministischen Bearbeitung bedürfen.
Der Ratgeber-Markt zum Thema Mutterschaft ist groß, und neuerdings mehren sich Bücher darüber, wie Mütter trotz der Vielzahl an Herausforderungen, die an sie gestellt werden, noch Spaß am Leben behalten können. In diesen Büchern wird das gesellschaftliche Mutterbild analysiert, problematisiert und in unterschiedlichem Ausmaß zurückgewiesen. Diesem neuen Genre der ‚Widerstands-Ratgeber‘ kann auch das Buch von Christina Mundlos zugeordnet werden, das in der Sachbuch-Reihe des Wissenschaftsverlags Tectum erschienen ist. Die Soziologin befasst sich darin mit den individuellen und gesellschaftspolitischen Auswirkungen des Mutterbilds. Sozialpsychologisch, soziologisch, politikwissenschaftlich und durchaus auch feministisch inspiriert, analysiert sie ein Phänomen, das sie als gesellschaftlich dominant darstellt und das ihrer Meinung nach politischen und gesellschaftlichen Veränderungen im Weg steht: den sogenannten ‚Mütterterror‘.
Mundlos’ Analyse folgend hat das aktuelle Mutterbild seinen Ursprung in den 50er Jahren. Damals wie heute werde von Müttern vor allem erwartet, dass ihre Mutterschaft und die damit einhergehenden Aufgaben sie fröhlich und zufrieden machten. Da Mütter aber gleichzeitig kaum gesellschaftliche Anerkennung oder Unterstützung erführen, um diesen hohen Erwartungen zu entsprechen, erlebten sie individuell das Gefühl des Scheiterns. Das daraus resultierende angeschlagene Selbstwertgefühl versuchten Mütter zu heilen, indem sie andere Mütter schlecht machten und darum konkurrierten, wer die ‚bessere Mutter‘ sei. Diese Verhaltensweise nennt die Autorin markant und etwas grell „Mütterterror“ und beschreibt in ihrem Buch seine „Schauplätze“ (S. 29) – nämlich alle Orte, an denen Mütter aufeinandertreffen: Spielplätze, Mutter-Kind-Gruppen, Internet-Foren –, den Modus, in dem er geführt werde (nicht in Form offener Kritik, sondern mit unlauteren Mitteln wie vermeintlich gut gemeinten Ratschlägen, versteckten Vorwürfen, falschem Lob), und seine Inhalte – sogenannte „Reizthemen“ (S. 63) wie etwa Stillen und Kinderbetreuung, die ‚Do-it-yourself‘-Kultur unter Müttern (der zufolge nur das etwas wert ist, was Zeit kostet: selbstgebackener Kuchen, selbstgenähte Kleidung etc.), der Schönheitsterror und die Professionalisierung von Mutterschaft (also die Tatsache, dass heutzutage ein großes Wissen um Pädagogik, Medizin, Psychologie, Schadstoffe etc. notwendig sei, um dem Bild der guten Mutter entsprechen zu können).
Dieser ‚Mütterterror‘ stehe einem „mütterlichen Schulterschluss“ im Wege, der es Müttern erlauben würde, „für ein humanes Mutterbild zu plädieren und politische und private Forderungen zu stellen“ (S. 136). Um dahin zu gelangen, müsse der ‚Mütterterror‘ durch individuelle Verhaltensänderung durchbrochen werden: „Wer den Vorsatz fasst, sich besser fühlen zu wollen und dem Mütterterror entrinnen zu wollen, der hat den ersten Schritt dorthin bereits geschafft“ (S. 172). Diese vergleichsweise idealistische und etwas naiv wirkende Perspektive wird jedoch relativiert: Die „Möglichkeiten […], im Privaten gegen den Mütterterror vorzugehen“, seien „begrenzt“ (S. 178). Der Wille zur Verhaltensänderung finde seine Grenzen in gesellschaftlichen Umständen, die „der optimale Nährboden für den Mütterterror“ (S. 173) seien.
Deshalb müssten sich die politischen Rahmenbedingungen ändern. Hier sieht die Autorin vornehmlich die (mittlerweile ehemalige) Bundesministerin Kristina Schröder in der Verantwortung (vgl. S. 161 ff.), die jedoch den Mütterterror noch anheize, da sie die politische Verantwortung und den Einfluss struktureller Wirkungen auf die Lage von Müttern leugne. Im Gegensatz zur „unpolitischen Politikerin“ Schröder (S. 167), durch deren Strategien Mütter „in das traditionelle Geschlechterverhältnis, in die Abhängigkeit und Unmündigkeit“ (S. 165) gedrängt würden, entwickelt die Autorin selbst eine Reihe „politischer Forderungen von Frauen und Müttern, die erstens ihre eigene Zufriedenheit steigern, zweitens zu mehr Anerkennung und Wertschätzung führen und drittens für Gleichberechtigung sorgen würden“ (S. 182): von konkreten Vorschlägen zur Änderung in der Elterngeldgesetzgebung über Forderungen zum Anspruch auf Ganztagsbetreuung für alle Kinder bis zu 12 Jahren („im Idealfall kostenfrei“, S. 178) bis hin zu Mutterschutz für Väter, Mütterquoten für Führungspositionen und ein Mindestmaß an Körperfett für Werbemodels.
Ausgehend von einem sozialpsychologischen Phänomen – dem individuellen Gefühl des Scheiterns, das Mütter angesichts überhoher gesellschaftlicher Ansprüche erlebten, und dem hieraus entstehenden Klima von „Angst, Neid und Aggressionen unter Müttern“ (so der Untertitel des Buches) – kritisiert Mundlos gesellschaftliche Missstände, denen nach wie vor eine Aura von Natürlichkeit und die Macht der Tradition anhaften. Der Versuch, diese Aura zu durchbrechen, ist begrüßenswert, zumal Mundlos’ verständliche Sprache und das aufgelockerte Layout des Buches viele Leserinnen ansprechen dürften. Die Analyse der Autorin wirkt ‚wie aus dem Leben gegriffen‘, dies fördert die Identifikation mit dem Beschriebenen und dürfte der Sensibilisierung für die Problematik zuträglich sein. Positiv hervorzuheben ist auch die Multidimensionalität ihrer Analyse: Sie verknüpft – sowohl in der Problemdarstellung wie in den aufgezeigten Lösungsvorschlägen – individuelle bzw. subjektive Faktoren mit strukturellen, also politischen und ökonomischen Bedingungen, die sie als zusammenhängend und sich wechselseitig verstärkend begreift.
Problematisch erscheinen vor allem drei Aspekte. Zum einen bleibt die Verallgemeinerbarkeit der Analyse im Unklaren: Hat die Autorin treffsicher einen milieuübergreifenden Trend ausgemacht? Oder verallgemeinert sie womöglich ihre eigenen Erfahrungen, die sie als Mutter unter Müttern in einem bestimmten Milieu gemacht hat? Die Frauen in ihren Fallbeispielen verfolgen eine tendenziell elitäre Lebensweise: Sie haben anspruchsvolle Berufe, haben neben dem Beruf Zeit (und Geld), ihre Kinder in Babymassage-Gruppen zu fördern, und sind sich der Problematik von Schadstoffbelastung in Spielzeug bewusst. Bei der Lektüre des Buches entsteht das Unbehagen, dass hier ein schichtspezifisches Problem verallgemeinert wird.
Zum anderen ist Mundlos’ Kritik am Mutterbild stark erwerbsarbeitszentriert: Bei der Lektüre entsteht der Eindruck, als ob Erwerbsarbeit dasjenige sei, was Mütter eigentlich wollten, von der sie aber abgehalten würden, weil sie alle Kraft und Zeit darein investierten, dem Mutterbild zu entsprechen. Sie reduziert die Problematik von Mutterschaft auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und reproduziert damit die von Politik und Medien propagierte Annahme, dass die Vereinbarkeitsfrage das größte und eigentlich einzige Problem sei, das Mütter hätten. Darüber hinaus werden keine Fragen mehr gestellt – vielleicht noch nach der Arbeitsteilung in der Partnerschaft, aber z. B. nicht: Wie wollen wir wohnen? Wie müssen Städte beschaffen sein, dass Menschen mit Kindern darin gut leben können? Wie viele Stunden pro Woche wollen wir eigentlich arbeiten? Was macht Arbeitsplätze wirklich familienfreundlich? Wie wollen wir unsere Freizeit gestalten? Um das Mütterbild umfassend zu kritisieren, reicht es nicht, es in sozialpsychologische und arbeitsmarktpolitische Kontexte zu stellen.
Drittens wird es durch die Engführung der Problematik auf die Vereinbarkeitsfrage und Mundlos’ spezifische Darstellung des Mutterbilds erschwert, die Bedingungen von Mutterschaft heutzutage unter einer intersektionalen Perspektive zu analysieren. Haben auch ausländische, lesbische, behinderte, alleinerziehende, von Hartz IV lebende Mütter vornehmlich das Problem, den hohen Anforderungen des gesellschaftlichen Mutterbilds zu entsprechen? Verändert sich durch die Berücksichtigung solch unterschiedlicher Lebensformen nicht vielmehr die Analyse des Mutterbildes? Ähnlich wie Mundlos stellt auch Hays (1998) die These auf, dass Mutterschaft dann gesellschaftlich anerkannt werde, wenn sie kosten- und zeitintensiv sei – im Gegensatz zu Mundlos zeigt Hays jedoch, dass Mütter aus unterschiedlichen Kontexten sehr verschiedene Strategien wählen müssen, um diesem Mütterbild gerecht zu werden. Der Verweis auf selbstgebastelte Einladungskarten markiert die Strategie nur einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe von Müttern.
Das Verdienst von Christina Mundlos ist zweifelsohne, dass sie sich in ihrem Buch einem Thema widmet, das in der (gesellschaftlichen wie feministischen) Debatte (zu) wenig Aufmerksamkeit erfährt (zur randständigen Situation der motherhood studies innerhalb des feministischen Diskurses in den USA vgl. die sehr gute Überblicksdarstellung von Kawash, 2011). Die Interessen derjenigen, die über Mütter reden, sind gemeinhin entweder das Kindeswohl oder die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes, eher selten die Bedürfnisse und Interessen der Mütter selbst. Hier gibt es großen Forschungsbedarf – vor allem auch aus feministischer Perspektive. Auch das Genre der ‚Widerstands-Ratgeber‘, das in den letzten Jahren entstanden ist und aber anscheinend, wie im Fall des Buches von Christina Mundlos, einer wirklich emanzipatorischen Perspektive auf Mutterschaft mitunter im Wege steht, sollte zum Forschungsgegenstand werden und dabei allerdings nicht nur kritisch, sondern auch würdigend rezipiert werden: Abgesehen von einigen Internet-Blogs (vgl. etwa fuckermothers.wordpress.com oder dr.mutti.wordpress.com) gehört es derzeit zum Wenigen, was (im deutschsprachigen Raum) überhaupt unter feministischen Vorzeichen zum Thema Mutterschaft geschrieben wird.
Hays, Sharon. (1998). Die Identität der Mütter. Zwischen Selbstlosigkeit und Eigennutz. Stuttgart: Klett-Cotta.
Kawash, Samira. (2011). New Directions in Motherhood Studies. Signs, 36 (4), 969–1003.
Marie Reusch
Philipps-Universität Marburg
Institut für Politikwissenschaft
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