Hilary Brown, Gillian Dow (Eds.):
Readers, Writers, Salonnières.
Female Networks in Europe, 1700–1900.
Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang 2011.
283 Seiten, ISBN 978-3-03911-972-1, € 47,50
Abstract: Im Sammelband von Hilary Brown und Gillian Dow werden die Kommunikationsnetze und der kulturelle Austausch zwischen den intellektuellen und schreibenden Frauen im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts untersucht. Insbesondere wird auf die Analyse der verzweigten Verbindungen gelehrter Frauen verschiedener Länder eingegangen, unter Berücksichtigung ihrer Briefwechsel, ihrer gegenseitigen Besuche und ihrer in literarischen Salons entstandenen Kontakte. Durch die Analyse von veröffentlichten und unveröffentlichten Quellen unterschiedlichster Gattungen (vom Roman über Poesie, Reisetagebücher und Märchen bis hin zur Autobiographie) bietet der Band neue Einblicke in die literarischen Praxis und die Entwicklung der europäischen Tradition des weiblichen Schreibens.
Vom 18. Jahrhundert an, in einer Epoche, die durch ihren kosmopolitischen Charakter geprägt war, waren auch die Frauen immer mehr in das kulturelle Leben eingebunden. Dies geschah zum Teil durch die Verbesserung der ihnen gewährten Bildung, vor allem jedoch durch die zunehmende Bedeutung der Institution des literarischen Salons, der vornehmlich von Frauen geführt wurde. Die Kommunikationsnetze zwischen den Protagonistinnen dieser Salons stehen im Mittelpunkt des Sammelbandes Readers, Writers, Salonnières: Female Networks in Europe, 1700–1900, herausgegeben von Hilary Brown und Gillian Dow. Damit wird die Entwicklung der europäischen Tradition der écriture féminine unter einem neuen Blickwinkel betrachtet. Die Autorinnen der 13 Beiträge, die im Mai 2008 auf einer Tagung in der Chawton House Library, einer Institution, die das Studium und die Forschung im Bereich des weiblichen Schreibens fördert, präsentiert wurden, befassen sich mit der Analyse des kulturellen Austausches der künstlerischen, intellektuellen und literarischen Frauen aus England, Frankreich, Deutschland, Italien, Holland und Dänemark.
Der literarische Salon ermöglichte es intellektuellen Frauen, Gäste aus verschiedenen Teilen Europas zu empfangen, Kontakte mit Herausgebern aufzunehmen und ihre Position als schreibende Frauen zu behaupten. Im Eröffnungsaufsatz konzentriert sich Marianna D’Ezio auf die bedeutendsten Salons Italiens im 18. Jahrhundert, die als ideale Orte der Begegnung zwischen den italienischen und den englischen Literatinnen dienten, welche an der Grand Tour teilnahmen. Anhand der Analyse der Zeugnisse englischer Reisender und von Artikeln in zeitgenössischen Frauenzeitschriften zeigt D’Ezio deren Unterschiedlichkeit auf. Die Turiner Salons wurden durch ihre multikulturelle Atmosphäre charakterisiert, in den genuesischen Salons genossen die Frauen mehr Freiheiten, während das Prestige der römischen Salons an die Verbindung zur Accademia dell’Arcadia geknüpft war, in welcher die weibliche Intelligenz in den humanistischen Fächern auftreten konnte. Was die venezianischen Salons betrifft, stellt die Autorin vor allem die Figur von Elisabetta Caminer Turra in den Vordergrund, die bedeutend an der Diskussion über die Frauenbildung mitwirkte. Die Journalistin und Übersetzerin, die normalerweise, im Bereich der Italianistik, im Zusammenhang mit der Polemik zu Carlo Gozzi oder als Übersetzerin des französischen Theaters erwähnt wird, wird hier in Verbindung mit der Ähnlichkeit ihrer Ideen zu denen von Maria Wollstonecraft gebracht.
Eve-Marie Lampron lenkt die Aufmerksamkeit auf das franko-italienische Netzwerk von Frauen. Als Beispiel dafür betrachtet sie die drei berühmtesten venezianischen Salonnièren: Isabella Teotochi Albrizzi, Giustina Renier Michiel und Paolina Grismondi. Diese drei hatten in ihren Salons verschiedene französische literarische Persönlichkeiten als Gäste, unter diesen Germaine de Staël, Stéphanie-Félicité de Genlis und Anne-Marie Du Boccage, und sie besuchten auch selbst die Pariser Salons. Lampron legt dar, wie diese in den Salons entstandenen und über Briefwechsel kultivierten Kontakte es den italienischen Frauen erlaubten, ihre Rolle auf der literarischen Bühne zu behaupten. Andererseits zeigt sie auf, dass trotz des vorherrschenden Wunsches, ausländische Schriftstellerinnen kennenzulernen, die entstandenen Beziehungen doch auch ambivalente Züge hatten und einer hierarchischen Ordnung unterworfen waren, in der Rivalitäten zum Vorschein kamen.
Marjanne E. Goozé untersucht hingegen die Verbindungen zwischen den prominenten jüdischen Animateurinnen aus Berlin, Henriette Herz und Rahel Levin Varnhagen, und den französischen Gästen ihrer Salons, Genlis und Staël. Sie stellt dar, wie Herz und Levin Varnhagen von Genlis’ Ideen über die Rolle der weiblichen Autorin beeinflusst wurden und dagegen von ihrem Treffen mit Staël enttäuscht waren. Beide sprechen in ihren Memoiren davon, dass Staël Deutschland missverstanden habe, wenn sie in ihrem De l’Allemagne die Unterlegenheit der deutschen Salonnièren gegenüber den französischen betont und über den fehlenden esprit in den Berliner Salonkonversationen berichtet.
Im vierten Beitrag, der sich mit der gesellschaftlicher Funktion der Salons befasst, setzt sich Nicole Pohl mit den aristokratischen Salons, die von Dorothea Herzogin von Kurland um 1800 in Berlin, Löbichau, Karlsbad, Paris und Wien geführt wurden, auseinander. Pohl hebt deren einzigartige Rolle für die Schaffung eines europäischen Raums im späten 19. Jahrhundert, in dem die kosmopolitischen Ideen über die Welt und die Gesellschaft in Juxtaposition mit der Realpolitik der französischen Revolution und der napoleonischen Kriege standen.
Die Frage, wie die Werke französischer Verfasserinnen von anderen schreibenden Frauen Europas aufgenommen und verarbeitet wurden, wird in drei Aufsätzen beleuchtet. Laura Kirkley beschäftigt sich mit den Übersetzungen des Romans Paul et Virginie von Jacques-Henri Bernardin de Saint-Pierre durch Maria Williams (Paul and Virginia, 1795) und Maria Edgeworth (Belinda, 1801). Durch die aufmerksame Betrachtung dieser Ausführungen unter Berücksichtigung des historisch-literarischen Hintergrundes und des biographischen Profils der Übersetzerinnen wird offenkundig, wie die Übersetzungen zu einer echten und wahren Überarbeitung des Romans werden, welche sogar Rousseaus philosophische und pädagogische Ideale angreift, die in Bernardins Roman zu erkennen sind. Sowohl Williams als auch Edgeworth kritisieren Rousseaus frauenfeindliche Tendenzen, die sich in einer sentimentalen Sicht der Weiblichkeit manifestieren, und entwerfen ein neues Modell des weiblichen Charakters, in welchem sie auch die Geschlechterverhältnisse neu definieren.
Die Leiterin des pan-europäischen Projektes „New Approaches to European Women’s Writing“ (NEWW), in dessen Rahmen die Tagung stattfand, Suzan van Dijk, betrachtet in ihrem Beitrag „Sociability and Mentoring by Correspondence“ den Briefwechsel zwischen George Sand und angehenden Schriftstellerinnen aus England, Deutschland, Polen, Italien, Rumänien und Böhmen und stellt dabei Sands Haltung gegenüber anderen Autorinnen heraus. Während Sands literarische Aktivitäten oft nur in einem von Männern dominierten Kontext und in Bezug auf ihre skandalösen Liebesbeziehungen mit eben diesen präsentiert werden, liegt der Schwerpunkt dieses Beitrages darin, das breite weibliche Netzwerk zu rekonstruieren, das die Romanschriftstellerin verband. Auch wenn diese selbst immer wieder ihr Desinteresse am weiblichen Schreiben und ihre Antipathie gegenüber den ihr gewidmeten Lobbriefen beteuerte, zeigt van Dijk, dass sie durchaus ihre jungen Kolleginnen mit positiven Beurteilungen und auch bei der Kontaktaufnahme mit Herausgebern konkret unterstützte.
Der Beitrag von Elisabeth Jay bezieht sich auf die Erfahrungen, die die englischen Literatinnen Frances Trollope, Elizabeth Barrett Browning, Elizabeth Gaskell, Charlotte Brontë und Margaret Oliphant in den französischen Salons machten, bemerkenswert auch in Anbetracht des Fehlens einer mit den Salons vergleichbaren kulturellen Einrichtung in England. Die Forscherin legt dar, wie die englischen Frauen von den neuen Frauen-Freundschaften und den Kontakten mit Herausgebern profitierten und ihre Pariser Aufenthalte zum Material für ihre Romane machten.
George Sand und Germaine de Staël stehen im Mittelpunkt dreier weiterer Aufsätze, in denen beleuchtet wird, wie diese von deutschen, spanischen und englischen weiblichen Autoren rezipiert wurden. Kerstin Wiedemann lenkt die Aufmerksamkeit auf den Einfluss, den Sands subversive Ideen über die Liebe und die Ehe auf die weiblichen deutschen Romanciers der 1730er und 1740er Jahre ausübten. Sie analysiert die verschiedenen Formen von Intertextualität (direkte Bezugnahme auf die französische Schriftstellerin, die Übernahme und Überarbeitung der Thematik, der Motive und der Charaktere von Sands Romanen), die man in Gräfin Faustine (1842) von Ida Gräfin Hahn-Hahn und in Alma (1848) von Therese von Bacheracht findet. Wiedemanns Untersuchung dieser intertextuellen Bezüge unterstreicht, wie wichtig Sands Rolle bei der Geburt des neuen Genres, des ‚Romans der Frauenemanzipation‘, war.
Ursula Jung durchleuchtet wiederum, in welchem Maß Sand und Staël Modelle für die weiblichen Schriftstellerinnen in Spanien um 1840 waren. Obwohl die Übersetzung der französischen Romane ins Spanische ein wahres Revival des Romangenres mit sich brachte, blieb, wie Jung zeigt, die Wahrnehmung der französischen Romancierinnen nicht einmütig. So hat Gertrudis Gómez Sands und Staëls progressive Ideen über die weibliche Selbstbestimmung und Selbstausdruck völlig in sich aufgenommen. Cecilia Böhl de Faber, die unter dem Pseudonym ‚Fernán Caballero‘ schrieb, andererseits hat die französische Literatur der Zeit völlig von sich gewiesen; sie definiert ihre eigene Position im Gegensatz zu Staël und Sand: In ihren Romanen, wie überhaupt in der spanischen Literatur in den Jahren 1850–1870, dominieren traditionelle Geschlechterrollen und Familienwerte.
Die Rezeption von Staël in England erforscht Gesa Stedman, die in ihrem Beitrag „Passion and Talent, Fulfilment or Death?“ die drei am wenigsten bekannten Bearbeitungen des Romans Corinne durchleuchtet: The Half-Sisters (1848) von Geraldine Jewsbury, Olive von Dinah Mulock Craik (1850) und die Erzählung „The Authoress“ von Grace Aguilar (1853). Stedmans Analyse dieser drei Versionen zeigt auf, wie der Kulturaustausch zwischen Großbritannien und Frankreich, der durch Staëls Corinne initiiert wurde, zur Entstehung einer weiblichen Gemeinschaft geführt hat, die sich auf die Thematik der Stellung der künstlerisch begabten Frau in der Gesellschaft konzentrierte. Außerdem betrachtet die Autorin die verschiedenen Anpassungsmodalitäten an den neuen kulturellen Kontext, die insbesondere in den Neufassungen des Endes der Romane deutlich seien.
Als Beispiel für die Bedeutung der politischen und sozialen Netzwerke von Frauen untersucht Máire Fedelma Cross in ihrem Beitrag „Salons sans Frontières“ die Rolle von Flora Tristan, einer Reisenden und französischen Schriftstellerin peruanischer Herkunft, die großes Interesse an den sozialen Situationen von Frauen verschiedener Länder hatte. Die leidenschaftliche Leserin von Staël und Roland war von den Ideen George Sands und Mary Wollstonecrafts stark beeinflusst und nahm aktiv Einfluss in der internationalen Politik. Für Tristan lag die Aufgabe der Schriftstellerin in der Bildung des weiblichen Geschlechts und in der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen.
Alison E. Martin rekonstruiert hingegen die Verbindung zwischen Mathilde Ørsted, Tochter des berühmten dänischen Physikers und Philosophen Hans Christian Ørsted, und den Schwestern Leonora und Joanna Horner, Töchter des englischen Wissenschaftlers Leonard Horner, die die Übersetzung von Ørsteds Aanden i Naturen (The Soul in Nature, 1852) veröffentlichten und sie Mathilde widmeten. In der Verbindung dieser Frauen sieht Martin ein gutes Beispiel dafür, wie die weiblichen Netzwerke den Frauen dabei halfen, ihre Position in der von Männern dominierten wissenschaftlichen Gemeinschaft zu festigen.
Der Band schließt mit der Studie „Marvel, Feminism and Reason“ von Daphne M. Hoogenboezem, die sich mit ‚virtueller‘ Frauensolidarität – auch über zwei Jahrhunderte hinweg – beschäftigt. Als Fallbeispiel dafür nimmt sie die Märchen von Marie-Catherine d’Aulnoy, die von der holländischen Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts Reinoudina de Goeje, die unter dem Pseudonym ‚Agatha‘ schrieb, überarbeitet wurden. Hoogenboezem merkt an, dass Agatha die proto-emanzipierte Botschaft, die schon in d’Aulnoys Märchen zu erkennen war, noch mehr in den Vordergrund stellt, um auf diese Weise die Bildung der Frauen und die weibliche Autonomie zu fördern.
Im ersten Ansatz des Sammelbandes hatte ich befürchtet, hinter dem gewinnenden Titel ein gewisses Fehlen von Kohärenz zwischen der Struktur der Beiträge und den auktorialen Stimmen zu finden, wie es oft bei Gemeinschaftsveröffentlichungen dieser Art der Fall ist, die sich darüber hinaus zwischen verschiedenen literarischen Gattungen bewegen. Die Lektüre dieses Bandes hinterlässt aber den Eindruck einer interdisziplinär angelegten und gleichzeitig stets organischen Untersuchung, in der die Verbindung zwischen den Literatinnen, Intellektuellen und Künstlerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts in ein neues Licht gerückt wird. Es handelt sich um eine ausgewogene Studie, in der die Wichtigkeit des Austausches und der reziproken Einflüsse der Frauen und ihre Rolle als Begründerinnen der Tradition des weiblichen Schreibens gezeigt, aber niemals die Ambivalenz und teilweise sogar die Feindschaft untereinander außer Acht gelassen wird. Der Schwerpunkt dieses Tagungsbandes liegt außerdem in der Analyse von unveröffentlichten Quellen und der Rekonstruktion von Beziehungen anhand von Briefwechseln oder Zeitzeugnissen. Aber auch in den Fällen, in denen es um berühmte Persönlichkeiten oder bereits veröffentlichtes Material geht, besteht die Neuheit der Beiträge darin, dass die genannten Personen in breite weibliche Netzwerke eingebettet werden.
Die Herausgeberinnen erfüllen damit ein langjähriges Desiderat, da die vorliegende Aufsatzsammlung einen wichtigen und bislang fehlenden Beitrag zur europäischen Geschlechtergeschichte und zur Entwicklung der literarischen Praxis von Frauen leistet. Der Band bietet den Forschenden in der Tradition der Frauenliteratur und Übersetzungswissenschaften sowie auch der Kulturgeschichte zahlreiche neue Erkenntnisse und Perspektiven. Bemerkenswert sind außerdem ein ausführlicher Namensindex und das breite bibliographische Material, das in den Fußnoten enthalten ist.
URN urn:nbn:de:0114-qn:1008:6
Tatiana Korneeva
Freie Universität Berlin
Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien
E-Mail: korneeva.t@gmail.com
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