Affront (Hg.):
Darum Feminismus!
Diskussionen und Praxen.
Münster: Unrast Verlag 2011.
287 Seiten, ISBN 978-3-89771-303-1, € 18,00
Abstract: Feministische Kämpfe stehen im Fokus des Buches, das die Herausgeberinnen als Intervention in die Linke hinein verstehen. Es behandelt zum einen Transformationen feministischer Theorie aufgrund neuer Herausforderungen durch Dekonstruktivismus und postkoloniale Kritik. Zum anderen werden ausführlich diverse Handlungsfelder feministischer Politik dargestellt und diskutiert: von Antimilitarimus, Antifaschismus, Antikapitalismus, Freiraumpolitik und Rassismuskritik bis zu Stadt und Sexarbeit, und nicht zuletzt auch die Forderung nach körperlicher/sexueller Selbstbestimmung. Die Herausgeberinnen betonen dabei, dass feministische Kritik immer zwischen Positionierung und Selbstreflexion ausbalanciert werden muss, wenn man sie als Teil grundsätzlicher Gesellschaftskritik begreift.
Mitte der 1990er Jahre stellte Ute Gerhard, die Geschichte der Frauenbewegung resümierend, fest, dass die Anliegen dieser Bewegung noch lange nicht erledigt seien (vgl.: Die ‚langen Wellen‘ der Frauenbewegung – Traditionslinien und unerledigte Anliegen. In: Regina Becker-Schmidt/Gudrun-Axeli Knapp (Hg.): Das Geschlechterverhältnis als Gegenstand der Sozialwissenschaften. Frankfurt/Main: Campus Verlag 1995, S. 247–278). Gemessen an der Zahl der Neuerscheinungen der letzten Jahre, die mehr oder weniger trotzig ein „Feminismus!“ im Titel tragen, ließe sich vermuten, dass Feminismus angesagter denn je ist. Die meisten Titel eint jedoch, dass ihr Erscheinen damit begründet wird, dass das Feld des Feminismus negativ besetzt sei oder gar abgeräumt zu werden drohe und dass es dagegen anzuschreiben gelte. Die profeministischen Interventionen sind jedoch in ihrer Argumentation sehr heterogen. Während in Wir Alphamädchen (Meredith Haaf/Susanne Klingner/Barbara Streidl. Hamburg: Hoffmann & Campe 2008) einer potentiell nicht feministischen Leser/-innenschaft erklärt werden sollte, warum Feminismus das Leben schöner macht (so der Untertitel), titelt das vorliegende Buch so schlicht wie programmatisch Darum Feminismus! Fast könnte diese charmante Geste im Titel als indirekte Antwort auf ersteren Versuch der ‚Neuformulierung‘ gelesen werden, obgleich genau solche Bezüge zu den verschiedenen aktuellen (Pop-)Feminismen gar nicht auftauchen.
Konzipiert und herausgegeben ist der Band von zwei feministischen Aktivistinnen, die sich Affront nennen und sich gleich zu Beginn als „weiß, sozial privilegiert, in Europa aufgewachsen“ (S. 9) positionieren. Mit ihrem Buch richten sie sich an „breite linke Zusammenhänge“. Sie erklären: „Unser Anliegen ist es, Feminismus innerhalb der (radikalen) Linken sichtbarer zu machen und damit auch selbstverständlicher innerhalb politischer Praxis“ (S. 10). Diese Zielbestimmung ist Stärke und Schwäche des Buches zugleich, denn als Beitrag zu einer innerlinken Debatte erfüllt es durchaus die selbstgesetzten Ziele; wie weit es über diese auszustrahlen vermag, bleibt nach der Lektüre jedoch offen. Auch wenn der Fokus auf feministischer Praxis liegt, werden hier ebenso Entwicklungen feministischer und Queer-Theorie aufgenommen und diskutiert. Nicht zuletzt zeigt das Buch damit einmal mehr, wie eng feministische Theorie und Praxis verzahnt sind. Doch zunächst zum Inhalt des Buches selbst.
Die Herausgeberinnen bestimmen Feminismus als „vielfältige Kämpfe“ (S. 19) und betten diesen in ein weites Spektrum sozialer Kämpfe ein: „Wir denken, dass feministische Theorie und Praxis sich insgesamt gegen Herrschafts-, Ausschließungs- und Unterdrückungsverhältnisse richten sollte.“ (S. 9) Diese Ausrichtung wird auch in der Breite der von unterschiedlichen Autor/-innen verfassten Beiträge deutlich, in denen diverse Felder und Fragen linker feministischer Politik präsentiert werden. Dabei folgen die Texte einem systematischen Aufbau: Zunächst werden in Kapitel I („Warum Feminismus?“) einige Grundlagen feministischer Theorie (und Praxis) vorgestellt, bevor es in Kapitel II („Interventionen“) um verschiedene Praxisfelder geht. Unter dem Titel „Auseinandersetzung um Selbstbestimmung“ wird in Kapitel III das Praxisfeld Körper gesondert behandelt. In Kapitel IV schließt der Band mit möglichen „Perspektiven“.
Im ersten Kapitel wird zuerst anhand von zentralen Themen ein guter und sehr umfassend einführender Überblick in die Geschichte der Frauenbewegungen geboten, aber vor allem auch in die internen Kontroversen, die sich um eigene Ausschlüsse, Biologie oder Konstruktion, Differenz oder Gleichheit, Fragen der Opferposition und Subjektivität drehten. Der Fokus auf die internen Differenzen, die den Feminismus – und seine Theorie! – geprägt, verändert, erweitert und differenziert haben, wird im anschließenden Text vertieft, in dem wiederum der Schwerpunkt auf den internen Ausschließungsmechanismen liegt, deren Kritik in den Stichworten Dekonstruktivismus, postkoloniale Kritiken und Intersektionalität verhandelt wird. Das Feld der Interventionen, um das es in Kapitel II geht, reicht von „Freiraumpolitik“ bis „Sexarbeit“ und umfasst insgesamt recht unterschiedliche Zugangsweisen zu den Thematiken, was nicht nur an den Autor/-innen, sondern eben auch an den Themenfeldern liegt. So werden in den Abschnitten zur Freiraumpolitik und insbesondere in denen zu Rassismuskritik und Sexarbeit mehr oder weniger deutlich auch die Grenzen oder zumindest Ambivalenzen eines Feminismus aufgezeigt, der entsprechend seiner Akteurinnen selbst gesellschaftlich situiert ist und in dem dies, so die Forderungen, auch entsprechend reflektiert werden muss, sollen nicht weitere Ausschlüsse produziert bzw. Bündnisse verunmöglicht werden. Die Beiträge zu Antimilitarismus, Antifaschismus, Stadt und Antikapitalismus weisen zwar auch auf die Notwendigkeit hin, den feministischen Blick um besagte Themen und mit diesen verbundene Verschränkungen von Gender mit anderen Differenz- und Ungleichheitskategorien zu weiten, in ihnen wird aber vor allem deutlich, dass und wie diese Felder mit feministischen issues verknüpft sind. Sehr plausibel wird gezeigt, dass beispielsweise Militarismus ohne eine feministische Perspektive nicht zu begreifen ist, allzumal in Zeiten, in denen offizielle Kriegseinsätze mit der Wahrung der Frauenrechte legitimiert werden.
Die Beiträge im dritten Kapitel widmen sich einem besonderen, gleichzeitig einem ‚klassischen‘ Praxisfeld feministischer Politik: dem der körperlichen und sexuellen Selbstbestimmung. Hier geht es um Sexismus und Definitionsmacht, um weibliche Sozialisation, Beziehungsformen, um ‚Abtreibung‘ und Körpernormierungen. Die Qualität dieser Texte ist sehr unterschiedlich, einige sind vornehmlich beschreibend, in anderen sind die Autor/-innen mehr um analytische Tiefenschärfe oder den linken Kontext bemüht. Das Buch schließt mit Fragen nach Utopien und Perspektiven, die in Form eines Interviews mit einer männlichen Sichtweise auf feministische Politik und einer Darstellung der ‚Slutwalks‘ als aktueller feministische Strategie diskutiert werden.
Im Band wird auf eine eindrückliche Weise deutlich, dass es jede Menge ‚alter‘ unerledigter Anliegen gibt, und auch, dass neue dazugekommen sind und ‚alte‘ Positionen sich verändert haben. Eine stärkere Systematisierung und Einschätzung neuer Themen, Fragen und Positionen wäre darüber hinaus jedoch sehr aufschlussreich gewesen. Insgesamt lässt sich kritisch anmerken, dass es gewinnbringend gewesen wäre, hätten sich die Autor/-innen des Buches stärker und expliziter im aktuellen Feld des sich stark diversifizierenden Feminismus positioniert und dabei deutlicher auch die Notwendigkeit und Ambivalenz feministischer Positionen reflektiert, gerade wenn, wie im vorliegenden Buch, unter Feminismus mehr verstanden wird als ein Plädoyer für eine Frauen-Quote in Führungsetagen.
Bei allen Differenzen und Differenzierungen wird im Buch implizit ein roter Faden feministischer Politik thematisiert, womit es sich in die Tradition der Zweiten (autonomen) Frauenbewegung einschreibt: die Forderung nach körperlicher und sexueller Selbstbestimmung als Konstituens feministischer Politik. Dass aber diese Forderung sich mittlerweile als auch zwiespältige entpuppt hat, wenn es beispielsweise darum geht, chirurgische Körpermodifikationen oder PID zu legitimieren, sollte in einer feministischen Perspektive reflektiert werden. Zugleich gibt es auch Unterschiede zur Zweiten Frauenbewegung: Vor allem am Stil der Beiträge und den in diesen zum Tragen kommenden diversen Spielarten geschlechtersensibler Sprache wird deutlich, dass es in einer linken feministischen Politik starke Bemühungen gibt, die ehemals einigende Zentralkategorie ‚Frau‘ zu dezentrieren. Große Vorsicht und Selbstreflexion gilt den tatsächlichen und möglichen Ausschlüssen feministischer Politik, was diese von den Ansätzen der 1970er Jahre in dieser Form zumindest unterscheidet, auch wenn man Selbstreflexion als beständige ‚Eigenschaft‘ feministischer Politik begreifen kann. Dass diese aber mitunter auch klare Positionierungen verhindert, ist den Herausgeberinnen durchaus bewusst. Nicht zufällig schreiben sie am Anfang, dass es ihnen um eine „Balance […] zwischen Selbstreflexion und Positionierung“ geht (S. 12), worin auch eine Neu-Bestimmung des Feminismus zu sehen ist. Andere ‚neue‘, den Feminismus erweiternde und verlagernde Phänomene wie neue Medien, feministische Blogs und Zeitschriften, Pop-Feminismen und Lady-Feste tauchen jedoch im vorliegenden Buch gar nicht auf.
Eine (Selbst-)Verortung im erwähnten Feld diversifizierter (Post-)Feminismen – vom konservativen über neoliberalen bis zu queeren, Pop- und EMMA-Feminismus – und die Diskussion der Frage, inwiefern diese Aufspaltungen feministischer Politik inhärent oder aber auch von dieser aus kritisiert werden könnten, wäre eine wünschenswerte Intervention in aktuelle – über die Linke hinausgehende – gesellschaftliche Diskussionen zum Thema Feminismus gewesen („Danke, emanzipiert sind wir selbst“ – um die neusten Ergüsse der aktuellen Frauenministerin an dieser Stelle nicht unerwähnt zu lassen.) – Darum Feminismus, diese starke Geste hätte man sich noch übergreifender gewünscht.
Sicher, gemessen an den selbsterklärten Zielen, der Intervention in die linke Szene hinein, bietet das Buch brauchbares Material. Es kann als Einführung oder Leitfaden für (nicht im biographischen Sinne) ‚junge‘ feministisch interessierte Menschen dienen, die feministische Kritik als Teil einer grundsätzlichen Kritik an gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen verstehen. Es ist in diesem Sinne auch als Bestandsaufnahme zu verstehen und liefert (im besten Fall) auch ausreichend Argumente für praktische Interventionen. Als ein Beitrag zu geschlechtertheoretischen Debatten, zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung um Feminismus ist das Buch nicht zu verstehen. Zwar werden Impulse aus diesen Debatten aufgenommen, aber in dieser Hinsicht keine neuen oder eigenen Akzente gesetzt. Sein Interventionsfeld ist die linke Praxis. Inwiefern es gelingt, feministische Positionen und Forderungen in der linken Szene stärker sichtbar zu machen, bleibt abzuwarten. Das Buch selbst macht zumindest Diskussionen und Notwendigkeiten sichtbar.
URN urn:nbn:de:0114-qn:1028:6
Dr. phil. Imke Schmincke
Ludwig-Maximilians-Universität München
Institut für Soziologie, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Soziologie/Gender-Studies
E-Mail: imke.schmincke@soziologie.uni-muenchen.de
(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)
Dieser Text steht unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz. Hinweise zur Nutzung dieses Textes finden Sie unter https://www.querelles-net.de/index.php/qn/pages/view/creativecommons