Therese Frey Steffen (Hg.):
Körpergrenzen / Body Boundaries.
Köln u.a.: Böhlau Verlag 2011.
135 Seiten, ISBN 978-3-412-20677-2, € 19,90
Abstract: Auflösungen, Fixierungen und (Re-)Adressierungen verschiedenster den Körper betreffender Grenzen und deren Auswirkungen werden in den auch disziplinäre Abgrenzungen überwindenden Artikeln des Züricher Graduiertenkollegs „Körper, Selbsttechnologien: Entgrenzungen und Begrenzungen“ beleuchtet. Im Mittelpunkt dieses Schwerpunktheftes der Zeitschrift figurationen stehen politische sowie ethische Implikationen von Grenzgestaltungen – von der innerpsychischen bis zur geographischen Grenze. Als Quellenmaterial dienen den acht Autorinnen dabei größtenteils mediale Repräsentationen des Grenztopos.
Wer in Zusammenhang mit dem derzeit populären Diskurs zur Entgrenzung des Körpers Erläuterungen zu Neuro Enhancement, den Machbarkeiten mittels plastischer Chirurgie oder auch ein neuerliches Aufflammen der Debatte um die Körper-Geist-Dichotomie erwartet, wird bei dem vorliegenden Band der von Barbara Naumann herausgegebenen Zeitschrift figurationen mit dem Thema Körpergrenzen / Body Boundaries nicht fündig werden. Obwohl Therese Frey Steffen im Vorwort neben den bereits genannten philosophisch-ethischen, medizinischen und kulturellen Körper(optimierungs)praxen und Argumentationen auch Diäten, Kleidung, Tätowierungen sowie die in diesem Zusammenhang oft genannte Cyborg-Konzeption Donna Haraways anreißt, wird schon bei der einleitenden Synopse der Beiträge (S. 12 f.) deutlich, dass es den Autorinnen in erster Linie um künstlerische Aushandlungsprozesse und Interpretationen rund um die Grenzen des Körperlichen geht.
Es ist vor allem die Herstellung von Grenzen rund um und durch den menschlichen Körper, die in dem durch Mitglieder des interdisziplinären Graduiertenkollegs Gender Studies der Universität Zürich gestalteten Band thematisiert werden. In den ersten beiden Aufsätzen fokussieren dabei Birgit Christensen und Cécile Stephanie Stehrenberger als einzige mit wissenschaftlicher und juristisch-medizinischer Wissensproduktion gesellschaftspolitische Bereiche, ohne ihre Argumentation auf künstlerisch-ästhetischen Beispielen aufzubauen. Christensen legt mit historischen Rückbezügen das Austarieren der Grenze Mensch/Nichtmensch anhand von Kindestötung dar, wobei sie die „Aspekte der Exklusion durch Recht“ (S. 15) ebenso beleuchtet wie den beständigen Widerspruch zwischen Medizin und Recht. Stehrenberger nimmt „Wissenschaftliche Formierungen von Körpergrenzen“ zur Zeit Francos in den Blick und analysiert die biopolitische Herstellung von Körperkollektiven entlang der rassifizierenden Unterscheidung von negro und blanco (S. 32 f.) in der spanischen Kolonie Guinea.
Ein gänzlich anderer Zugang zum Diskurs wird in den übrigen Aufsätzen des Schwerpunktheftes gewählt. Der Beitrag von Seraina Renz bildet dabei mit der Fokussierung queer-feministischer Politiken in der jugoslawischen Kunstszene quasi den Übergang zu den verbleibenden fünf Texten, deren Verfasser/-innen sich alle mit der Darstellung von Grenzen anhand von literarischen bzw. audiovisuellen Repräsentationen beschäftigen, dabei allerdings dennoch eine überaus große thematische Spannbreite abdecken. Enit K. Steiner, die den einzigen englischsprachigen Artikel liefert, untersucht die Konstruktion weiblicher Körperlichkeit im Frühwerk Jane Austens. Nur in den frühen Arbeiten machte die Autorin den weiblichen Körper als Ort der Subordination und Gewalterfahrung explizit. Um innerpsychisches Trauma und Stigmatisierungserfahrungen aufgrund von körperlicher Andersartigkeit geht es Christa Schönfelder am Beispiel von Azzopardis Roman The Hiding Place, und eine letzte auf einer Literaturanalyse beruhende Differenzlinie zeigt Christina Rickli auf. Sie widmet sich dem (virtuellen) „Trauma der weißen Mittelschicht in amerikanischen 9/11 Romanen“ (S. 87), wobei der in ihrem Titel anklingende Aspekt der Critical Whiteness allerdings nur kurz gegen Ende des aufschlussreichen Aufsatzes Beachtung findet.
Mit einer lokal zu verortenden – im Sinne einer geographischen – Grenze befasst sich hingegen Seraina Rohrer in ihrer Filmanalyse des an der Grenze zwischen den USA und Mexico spielenden Films Machete. Neben dieser geographischen und politischen Grenze spricht die Autorin noch weitere Grenzdurchbrechungen an, indem sie auf das Verwischen von Genregrenzen hinweist sowie auf das entgrenzte Publikum, das Regisseur Robert Rodriguez damit erschaffe (S. 108 f.). Dass sich diese Verschiebungen u. a. in der für das Genre neuartigen Geschlechterkonstellation, wie sie Rodriguez gewählt hat, manifestieren, steht dabei weniger im Mittelpunkt als die diversen Grenzmarken, die der Film und der Regisseur als Person zu durchschreiten versuchen. Ebenfalls dem Publikum wendet sich Sarina Tschachtli in ihrer Analyse des entgrenzten Körpers im Rahmen der TV-Serie CSI: Crime Scene Investigation zu. Sie zieht Parallelen zwischen der medizinischen Praxis der Illustration im 18. Jahrhundert und den computeranimierten Bildern des Inneren einer Leiche bei CSI (S. 120). Dadurch würden die Zuschauenden, in Anlehnung an Foucault, zu machtvoll Sehenden, da sie quasi in die Körper eindrängen (S. 122 f.).
Wie bei dieser Synopse deutlich wird, werden die Aspekte ‚Körper‘, ‚Grenze‘ und ‚Politik‘ von allen Autorinnen zwar in der einen oder anderen Weise angesprochen, aber in keinem der Beiträge näher ausdifferenziert oder miteinander in Beziehung gesetzt. Was das Gros der Artikel zusammenhält, ist daher eher die Herangehensweise der Medienanalyse als ein gemeinsames Erkenntnisinteresse oder eine gemeinsame Fragerichtung. Neben dieser mangelnden inhaltlichen Konsistenz lässt der Band überdies eine kollektive Perspektive der Gendersensibilität vermissen.
Auffallend beim Leseprozess ist die durchgängige Durchmischung geschlechtlicher Bezeichnungen in den Texten. Obwohl manche Beiträge sich um eindeutige Bezeichnungspraxen bemühen, so z. B. die „Guineerinnen und Guineer“ bei Stehrenberger (S. 36), finden sich nur wenige Zeilen später „die Häuser der Siedler“ (S. 36). In ganz ähnlicher Weise spricht Tschachtli von Forensikerinnen (S. 119), aber dem Zuschauer (S. 121), obwohl sich die Differenzierung in dieser Form nicht aus der Argumentation ergibt. Auch wenn es auf den ersten Blick wenig mit dem Inhalt des Bandes zu tun haben mag und sich als Randnotiz behandeln ließe, möchte ich diesen Umstand hier genauer betrachten, nicht zuletzt, da die Zeitschrift den Namen gender, literatur, kultur trägt. Aus einer dekonstruktivistischen Perspektive im Sinne Judith Butlers betrachtet ist die Veruneindeutigung des Geschlechts eine durchaus subversive Praxis – in gewisser Weise also selbst eine Grenzverschiebung. So sehr sich den Lesenden darin aber auch die eigene Orientierungslosigkeit ohne geschlechtliche Zuordnungen spiegelt, so unscharf wird damit Geschlecht als wissenschaftliche Analysekategorie: Arbeiten in der pathologischen Abteilung bei CSI tatsächlich nur Forensikerinnen (das wäre angesichts realer Beschäftigungsstrukturen in diesem Sektor fast schon eine revolutionäre Darstellung)? Wird dieses Medienformat tatsächlich nur von männlichen Zuschauenden gesehen (wohl kaum)? Welche politischen Implikationen lassen sich daraus schließen, wenn die Häuser tatsächlich den Siedlern gehörten (wovon auszugehen ist)? Zwar ist es nicht so, dass dies die hauptsächlichen Fragen sind, denen die Beitragenden nachgehen oder nachzugehen bräuchten – aus gendersensibler Perspektive wären aber wenigstens erläuternde Fußnoten wünschenswert, da das generische Maskulinum sonst motivationslos wiederholt und damit verfestigt wird.
Im Schwerpunktheft der figurationen werden die Fragen nach Be- und Entgrenzung von Körper(lichkeiten) nicht zuletzt unter ästhetischen Gesichtspunkten, nämlich anhand von Erzählstrukturen etc. bearbeitet. Virtuell erzeugte (Tschachtli), filmisch sowie literarisch repräsentierte (Steiner, Schönfelder, Rickli, Rohrer) oder ethisch gar nicht als solche betrachtete Körper (Christensen) eignen sich, wie nach der Lektüre deutlich wird, ebenso für Überlegungen zum Grenztopos wie (vermeintlich) reale Körper (Stehrenberger) und sind nicht weniger geeignet, biopolitische Vorgänge zu durchleuchten. Dass am Ende des Bandes offen bleibt, wie die Schreibenden selbst Grenze definieren oder ob ihnen eine gemeinsame Definition überhaupt sinnvoll erscheint, mag zunächst inkonsistent wirken und ist sicherlich sowohl dem Format Sammelband geschuldet als auch den unterschiedlichen Forschungsprojekten im Rahmen des Graduiertenkollegs. Bei genauerer Überlegung handelt es sich darüber hinaus allerdings ebenso um eine durchaus nachvollziehbare Konsequenz des Versuchs, verschiedene Grenztopoi zu bedienen, ohne sich dabei selbst zu sehr einzuengen – allein eine begründende Artikulation dieser Vorgehensweise fehlt.
Das sich daraus ergebende Manko – abgesehen von den Ungereimtheiten in puncto des generischen Maskulinums – des sehr kurzweiligen Bandes ist somit trotzdem, dass er selbst schnell an seine Grenzen stößt. In dem nur 135 Seiten fassenden Heft werden sehr viele Gedankengänge zum Verständnis von Grenze(n) andiskutiert, eine darüber hinausreichende, tiefer greifende Analyse bleibt aber aus. Dass die teilweise philosophisch-abstrakte Einleitung nicht die Themen der Aufsätze widerspiegelt, kann dabei noch als willkommene Irritation betrachtet werden, da es in den einzelnen Beiträgen überraschenderweise gelingt, die angesprochenen Körpergrenzen auszuloten, ohne dabei, wie gewöhnlich üblich, dem materiellen Körper selbst verhaftet zu bleiben. Dennoch nutzen die Autorinnen dieses Alleinstellungsmerkmal nicht für weitere Argumentationen oder Selbstverortungen, so dass die überaus anregenden Perspektiven in einer Art Experimentierphase verharren – die Blickwinkel sind vielsprechend, Verknüpfungen mit anderen Ergebnissen der Körper- und/oder Grenzforschung müssen noch folgen.
Nina Schumacher
Philipps-Universität Marburg
Projektkoordinatorin im Büro der Frauenbeauftragten
E-Mail: nina.schumacher@gmx.net
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