Editorial zu querelles-net 6 (2002)

Constanze Jaiser

Zur sechsten Ausgabe von Querelles-Net

Die Gender-Debatten rund um die Themenbereiche Film, Theater, Musik und Kunst drehen sich in den letzten Jahren – wie in vielen anderen Bereichen auch – um die Frage nach dem Nutzen des Internet und um die Frage nach dem Körper (der Stimme, der Performance) und seiner Repräsentation in der virtuellen Welt. Insgesamt geht es in den neueren Positionen immer auch um die Folgen der Erkenntnis, dass die Identität von zwei Geschlechtern als sozial konstruiert begriffen wird und damit auch, ohne Rücksicht auf eine körperliche Anatomie, performiert wird.

Entstehen an der Schnittstelle von Kunst und Internet neue künstlerische Subjekte? Wird mit Hilfe der Verfügung über technische Apparaturen ein Prozess der Subjektivierung initiiert? Oder werden vielmehr neue Hierarchien und Ausschlussmechanismen produziert in einem Raum, der nur scheinbar „global“, „(geschlechts-)neutral“ oder „egalitär“ ist?

Was bedeutet es für die Musik beispielsweise, wenn Körperlichkeit, Stimme und ‚Performance‘ zunehmend verschwinden? Wie steht es um das Verhältnis von Naturalisierung und Künstlichkeit, wenn computeranimierte Körper im Film kreiert werden, die ihren Vorbildern aus der „analogen Welt“ in nichts nachzustehen scheinen und die eine geradezu unheimliche „Echtheit“ suggerieren?

Sind in der Theaterpraxis mit der Infragestellung der zweigeschlechtlichen Identitäten auch die geschlechterspezifisch geprägten Wahrnehmungen hinfällig geworden? Und werden Sprache, kanonisierte Hierarchien und soziales Rollenverhalten sowie die Frage nach Chancengleichheit von Frauen in Institutionen wie Orchestern oder Theaterbetrieben tatsächlich diskussionsunwürdig?

Die Rezensionen stellen nur eine kleine Auswahl aus dem breiten Spektrum an Publikationen dar. Unsere Auswahlbibliographie zum Schwerpunkt informiert Sie über weitere Titel, die neu erschienen sind. Und schließlich halten wir wieder interessante und nützliche Linkempfehlungen für Sie bereit. Die Liste basiert auf einer ausführlichen Netzrecherche, die Viola Beckmann und Sabine Buchheim im vergangenen Jahr im Rahmen ihrer Weiterbildung am FrauenComputerCenter in Berlin für uns gemacht haben. Ein herzliches Dankeschön nochmals an die beiden sowie an Iris Homann, unsere derzeitige Praktikantin, die die Fülle an Informationen im Sinne der Userfreundlichkeit sorgfältig ausgewählt, netztauglich aufbereitet und aktualisiert hat.

Das Verhältnis von Medien und Geschlecht

Das Verhältnis von Medien/Kunst und Geschlecht wird diskutiert vor dem Hintergrund und mit Hilfe der diskurstheoretischen, philosophischen und soziologischen Ansätze des „doing gender“. Das Erkenntnisinteresse richtet sich auf die Frage, wie die Subjekte am Prozess der Konstruktionen von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ beteiligt sind. Eine Hermeneutik des Verdachts (Elisabeth Schüssler-Fiorenza) ist angebracht, da allein schon die Frage nach einer weiblichen (bzw. männlichen) Identitätsbildung festhält an einer traditionellen Identitätslogik. Aber auch die Suche danach, wo und wie Eindeutigkeiten überwunden werden bzw. werden können, wird erforscht – was die Kategorien „weiblich“ und „männlich“ mindestens im Kontext weiterer Differenzierungen verortet, zum Beispiel nach Kultur, Milieu oder Abweichung von sexuellen Normen (vgl. z.B. die Einführung in die Queer Theory).

Wenn Frauen Bilder selbst produzieren (in der Malerei, im Film, in Photographie etc.), dann schafft der kreative Akt immer auch eine Gegenöffentlichkeit. Der Prozess ist begleitet von einer Reflexion und Interpretation von Lebenszusammenhängen. In ihm drückt sich Weiblichkeit aus nicht als das „Andere“ in einem ursprünglich-wesenhaften Sinn, sondern als eine Ortsbestimmung innerhalb einer bestimmten symbolischen Ordnung. Das Mittel, die symbolische Ordnung neu zu gestalten, ist die poetische Sprache (nach Kristeva) – oder allgemeiner: die ästhetische Produktion. Über sie können in der symbolischen Sprache eine Folge von Brücken, Lücken und Abwesenheiten geschaffen werden.

Der weibliche Körper in der symbolischen Ordnung

Die vielfach in der Kunsttheorie zum 20. Jahrhundert vorgebrachte feministische Einsicht, dass in den Bildern von Künstlerinnen die allgemein konstatierbaren, zum Ausdruck gebrachten Auflösungstendenzen des Subjektes verknüpft werden mit der Problematik, wie der weibliche Körper repräsentiert werden kann, hängt zusammen mit der männlich geprägten symbolischen Ordnung: Lacan folgend ergibt sich diese Problematik um den weiblichen Körper aus der gegebenen symbolischen Konstitution der Geschlechterdifferenz, nach der die Frau in Bezug auf den Mann negativ definiert ist. Sie steht für den Mangel, erhält aber gleichzeitig den Status des Bildes, das als Projektionsfläche für Unerfülltes oder Abzuwehrendes dient.

Für die weibliche Selbst-Inszenierung im Bild heißt dies, dass sie immer als Dialektik von „Reflexion und Revolte im Bildstatus der Frau“ (Eiblmayr 1993, S. 137) erfolgen muss. Denn ein von der phallozentrischen symbolischen Ordnung unabhängiges Bild lässt sich nicht etablieren: „Die Frau ist das Bild und begehrt gleichzeitig dagegen auf“ (Luca 199, S. 8). Die Problematisierung dieses Bildstatus’ der Frau geschieht häufig, so Luca in ihren Überlegungen zu „Medien und weiblicher Identitätsbildung“, über eine Ästhetik des Verkleidens, der Destruktivität und/oder des Theatralischen; Eindeutigkeiten werden ebenso aufgehoben wie mit Figuren von Anwesenheit und Abwesenheit gespielt wird.

Zwischen Reflexion und Subversion

Ob eine Zurückgewinnung des Körpers in Verbindung mit einer Rückgewinnung weiblicher Subjektivität gelingen (vgl. Benhabib et. al. 1993), oder aber eine Dissidenz zum symbolischen System gar nicht überwunden werden kann, da das Weibliche prinzipiell unrepräsentierbar ist, wird in den neueren Perspektiven auf Kunst und Medien unterschiedlich diskutiert. In der Selbst-Inszenierung, über die künstlerische Produktion ins Bild und zur Sprache gebracht, kann jedenfalls der „Akt des Blickens“ sichtbar gemacht werden. Der von Frauen im Bereich von Kunst und Medien stattfindende schöpferische Akt bewegt sich dabei immer zwischen einer Auseinandersetzung mit der Problematik der „Frau als Bild“ und der Suche nach einem eigenen psychischen Raum, der sich im (künstlerischen) Material manifestiert. Es ist eine Auseinandersetzung zwischen Verunsicherung und Versicherung, zwischen Reflexion und Subversion.

Das Verhältnis von Raum und Körper

Die Diskussion um den Raum, in dem sich neue Identitäten bilden sollen, in dem sich aber auch Geschlechter- und andere Machtverhältnisse etablieren, ist freilich keine neue. Der Raum ist zu betrachten als „soziale Kategorie“ (Henri Lefèbre); immer stellt er sich her über Subjektivität und Repräsentation, die über ihre Verbindung einen Ort materialisieren.

Neu jedoch ist eine in vielen Studien begründete Tendenz, die hierarchisierenden Trennlinien zwischen einer high and low culture, zwischen hoher und angewandter Kunst, zwischen E-Musik und U-Musik nicht nur zu überschreiten, sondern auch völlig in Frage zu stellen (vgl. die hier besprochenen Untersuchungen zu angewandten Künsten und Design oder zur Technomusik). Immer weiter differenzieren sich in der Forschung auch die konkreten Räume der Inszenierung, der Repräsentation und Konstruktion von Identität aus, sei es eher verzweifelt im Hinblick auf die Musik in Konzentrationslagern oder auf Musikerinnen im Exil (Rezension mit freundlicher Genehmigung der Redaktion VivaVoce), sei es mit dem Blick für die Gefahr, die in einengenden Kategorisierungen/Ikonisierungen liegt (Lexikon lesbischer Frauen im Film), oder sei es unter der Geschlechterperspektive, die noch andere Kategorien der Etablierung von Identitäten und Hierarchien berücksichtigt (so am Beispiel von ethnographischen und kolonialen Filmen).

Im Gegenwartstheater dagegen kann eine immer breiter werdende Strömung beobachtet werden: Die Inszenierung rückt vom traditionellen literarischen Erzähltheater ab, den neueren Ansätzen der Abgrenzung zum konventionellen Theater ist „der Fokus auf den Körper und auf die sinnliche Gegenwärtigkeit der Bühnenhandlung“ gemeinsam (vgl. die beiden Bände von Erika Fischer-Lichte, Theater im Prozess der Zivilisation und Verkörperung). Nach Fischer-Lichte scheint das Konzept der Verkörperung oder der Leiblichkeit ganz allgemein zu einer kulturwissenschaftlichen Leitkartegorie zu avancieren. Wird der „Körper als sinnliche Natur“ einerseits mehr und mehr zurück gedrängt, so wird er andererseits in den Kulturwissenschaften systematisch aufgewertet. Dagegen lässt sich für die Medizin in demselben Zeitraum eine entgegen gesetzte Tendenz beschreiben, nämlich ein „auf die Bedürfnisse der Verpflanzungsmedizin neu zugeschnittenes Todesmodell“, wonach der Typ „tote Person mit noch überlebendem übrigen Restkörper“ eingeführt wurde (Fischer-Lichte, 2001, S. 144f.).

Die scheinbare Aufhebung der Grenzen des Raumes und des Körpers über Digitalisierung und virtuelle Vernetzung hat die Neuperspektivierung verschiedener Definitionen von Körper, Identität und eben auch der Geschlechterverhältnisse zur Folge. Dabei gehören die Cyberfeministinnen zu den wenigen, die immer wieder für diesen virtuellen Bilder- und Kommunkationsraum nachdrücklich hervorheben, was andernorts in der medialen und performativen Praxis längst als Einsicht akzeptiert und immer wieder neu kreativ entlarvt wird (vgl. z.B. die Filmregisseurin Sally Potter): Auch der virtuelle Raum, der durch den Anspruch pluralistischer Interaktion und ständig wechselnder Kommunkationsfelder geprägt ist, ist gesellschaftlich und ideologisch definiert. Die Cyberfeministinnen suchen nach Praktiken, die dominanten Codes des Datenraumes und damit auch die dort reproduzierten Geschlechterstereotypen subversiv zu unterwandern (vgl. das oldboy’s network, basic info here, homepage of obn here, members and projects see here)

Die Debatte um die Juniorprofessur

Aufgrund der Aktualität der Debatte zur Hochschulreform und den Juniorprofesuren möchten wir Ihnen hier wichtige Hintergrundinformationen zugänglich machen:

Cornelia Müller/Kerstin Schoor: Jahrhundertreform als Kahlschlagsanierung Die Reform des Hochschuldienstrechtes aus der Sicht des wissenschaftlichen Nachwuchses. Download/Preprint im rtf-Format mit freundlicher Genehmigung der Autorinnen.

Die Verfasserinnen legten dem Bundesministerium und den politischen Fraktionen des Bundestages bereits Anfang 2001 eine 18seitige Stellungnahme des wissenschaftlichen Mittelbaus der FU Berlin zu dem Gesetzesentwurf vor, die ausführlich Kritikpunkte und Änderungsvorschläge diskutierte, einzusehen unter: http://www.germanistik.fu-berlin.de/~mbau/hochschulreform/stellungnahme.htm

Hochschulreform als Ressourcenverschwendung und Kampf der Generationen? Vorabveröffentlichung. Dieser Beitrag erscheint auch in der nächsten Printausgabe der femina politica von Sabine Berghahn (http://www.femina-politica.de/hrg.htm).

Die Rubrik Forum

Die Rubrik Forum, die für Hintergrundberichte zu verschiedenen aktuellen Themen dient, enthält in dieser Ausgabe einen umfassenden Bericht über die eben zu Ende gegangene 52. BERLINALE 2002 von unserer Berlinale-Korrespondentin Maria Marchetta (Die Rückkehr des Politischen und Frauen verändern die Welt). Das Forum ist eine Rubrik in Bewegung, d.h., es wird auch zwischen den drei Ausgaben im Jahr mit Interessantem gefüllt. Hinweise auf neu ins Netz Gestelltes werden Sie immer der Startseite von Querelles-Net entnehmen können.

Rezensionen für Querelles-Net Nr.7

Für den kommenden Schwerpunkt Aktuelle Perspektiven in den Literaturwissenschaften konnten wir bereits alle von uns geplanten Buchbesprechungen an Interessentinnen/-en vergeben. Sie können sich in der Vorschau ansehen, welche Bücher noch für den offenen Rezensionsteil zu vergeben sind. Redaktionschluss für diese Ausgabe ist der 2. April 2002.

Wenn Sie für Querelles-Net eine Neuerscheinung rezensieren möchten, so tragen Sie sich mit Ihrem Rezensionswunsch in das vorbereitete Formular ein. Beachten Sie auch die Hinweise (mit Stylesheet) zur Erstellung einer Rezension. Zur Zeit sind Rezensionen in Deutsch und in Englisch möglich.

Die Rubrik Fachinfos

Unter dieser Rubrik finden Sie eine Auswahl an Rezensionszeitschriften, Datenbanken, Institutionen/Einrichtungen, Volltext-Quellen, Email-Listen und elektronischen Zeitschriften.

Unser besonderer Service in den Fachinfos von Querelles-Net ist eine kontinuierlich aktualisierte Bibliographie der Print-Publikationen im Bereich Frauen- und Geschlechterforschung. Rubrizierungen, u.a. nach Disziplinen, erleichtern das Durchstöbern. Zukünftig werden wir die Liste im 2-Jahre-Rhythmus archivieren, d. h., Sie können inzwischen die 1998–2000 erschienenen Titel in unserem Archiv finden. Auf diese Weise bleibt die online-Version überschaubar, und die älteren Publikationen sind Ihnen trotzdem zugänglich. Die Bibliographie enthält derzeit Neuerscheinungen aus 2001–2002.

Die Rubrik Publikationen

Unter dieser Rubrik Publikationen finden Sie die von der Zentraleinrichtung mit herausgegebene Edition: Ergebnisse der Frauenforschung sowie die Reihe Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung.

Nach wie vor sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Freien Universität eingeladen, in Querelles-Net unter der Rubrik Publikationen ihre jüngsten Veröffentlichungen (2001 bis 2002) mit einer kleinen Inhaltsangabe anzukündigen, sofern diese mit Geschlechterforschung zu tun haben. Gerade Ihre Aufsätze könnten auf diese Weise einem großen Publikum zugänglich gemacht werden. Machen Sie bitte von diesem Angebot Gebrauch, indem Sie einfach das vorbereitete Formular ausfüllen.

Ihre Constanze Jaiser für die Redaktion

URN urn:nbn:de:0114-qn031019

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