Embedded feminism – und weitere Herausforderungen für die feministische Friedens- und Konfliktforschung

Rezension von Heinz-Jürgen Voß

Bettina Engels, Corinna Gayer (Hg.):

Geschlechterverhältnisse, Frieden und Konflikt.

Feministische Denkanstöße für die Friedens- und Konfliktforschung.

Baden-Baden: Nomos Verlag 2011.

152 Seiten, ISBN 978-3-8329-6672-0, € 26,00

Abstract: Die feministische Friedens- und Konfliktforschung steht vor neuen Herausforderungen, u. a. dadurch, dass Kriege aktuell insbesondere durch Verweis auf Frauen- und Homosexuellenrechte gerechtfertigt werden. Die Autor/-innen in dem von Bettina Engels und Corinna Gayer herausgegebenen Band wenden sich diesen Herausforderungen zu. Neben einer klaren Analyse bieten die Beiträge auch Anregungen für feministische Antworten gegen die ‚feindliche Übernahme‘.

Noch in den 1980er Jahren war es nahezu eine Selbstverständlichkeit, dass sich feministische Frauen für Frieden einsetzten. Diese Selbstverständlichkeit ist einem diskursiven Gewirr gewichen, in dem die aktuellen militärischen Auseinandersetzungen und ein Eingreifen der ‚demokratischen‘ Länder des Westens dominant über Frauen- und Homosexuellenrechte gerechtfertigt werden. Emanzipatorische Bewegungen zeigen sich gespalten – gegen den Krieg zu sein ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Der vorliegende Band nimmt hier seinen Ausgangspunkt und wendet sich neuen Anforderungen an die feministische Friedens- und Konfliktforschung zu. In exzellenten Beiträgen werden innovative, weiterführende Forschungsansätze aufgeworfen.

Feminismus – Notwendigkeit einer klaren Positionierung

„Der ‚Krieg gegen den Terror‘, die Indienstnahme ursprünglich feministischer Forderungen für die Legitimierung der Kriege in Irak und Afghanistan sowie die Art, wie die Folterungen von Abu Ghraib unter Rückgriff auf Geschlechterkonstruktionen in Szene gesetzt wurden, stellten die feministische Forschung in den vergangenen Jahren vor neue Herausforderungen.“ (S. 18) Im Anschluss an eine klare Bestimmung der Entwicklung feministischer Ansätze zur Friedens- und Konfliktforschung geben Corinna Gayer und Bettina Engels in dem den Band eröffnenden Beitrag einen ersten Eindruck der sich abzeichnenden Veränderungen, die es aus feministischer Perspektive zu reflektieren und zu beantworten gelte. ‚Feminismus‘ sei auch zu einem Mittel der Herrschenden geworden. Gegenüber den patriarchats- und herrschaftskritischen Forderungen des Feminismus unehrlich argumentierten aktuell selbst konservative Politiker/-innen für Frauenrechte und sogar für Homosexuellenrechte, zumindest wenn es um die Rechtfertigung militärischen Eingreifens gehe. Krieg werde über Frauen- und Homosexuellenrechte gerechtfertigt, während die Konservativen im eigenen Land weiterhin emanzipatorische Veränderungen bekämpften.

Vor dem Hintergrund der „Indienstnahme“ des ‚Feminismus‘ durch herrschende, zudem männerdominierte Politik ist eine genauere Bestimmung erforderlich, was etwa in diesem Buch unter ‚feministisch‘ verstanden werden soll. Die Autorinnen formulieren und positionieren sich klar gegen die feindliche Übernahme durch die Herrschenden: „Als feministisch erachten wir nur solche Ansätze, welche die Kritik von gesellschaftlichen und politischen Macht- und Herrschaftsverhältnissen in ihre Analyse einbeziehen.“ (S. 13) Die Tür zu Kriegstreiberinnen und Kriegstreibern sollte damit zu sein.

Paradox ist die „Indienstnahme“ noch aus einer weiteren Perspektive: Noch immer ist das Militär in den westlichen Ländern männlich dominiert, und die Öffnung für Frauen erfolgte nicht freiwillig: Erst nach „dem Ende der Blockkonfrontation wurden die meisten Streitkräfte in der OECD durch Gerichtsurteile und Gesetzesänderungen gezwungen, sich für zuvor ausgeschlossene Gruppen zu öffnen“ (S. 15). In der BRD war das erst in der Folge des Gerichtsurteils des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 2000 der Fall. Die Veränderungen erfolgten somit im Nachgang politischer emanzipatorischer Kämpfe – der Herrschaftskritik entledigt, lassen sich die Erfolge der politischen Kämpfe nun gut in die herrschenden Verhältnisse integrieren.

Embedded feminism

In Anlehnung an Krista Hunt wird im Beitrag von Andrea Nachtigall und Torsten Bewernitz („Von ‚FrauenundKindern‘ zu ‚Embedded Feminism‘. Frauen(rechte) als Legitimation für militärische Intervention in den Medien – Variationen einer Legitimationsfigur zwischen Kosovo-, Afghanistan- und Irakkrieg“) an den Begriff des embedded feminism angeschlossen. Insbesondere für Journalist/-innen, die direkt in militärische Einheiten eingegliedert sind, ist der Begriff embedded gebräuchlich. Ist er dort Kennzeichen dafür, dass freie journalistische Berichterstattung gefährdet oder gar unmöglich ist, wird in Bezug auf Feminismus eine darüber hinausgehende problematische Verschiebung deutlich. Feministische Argumente werden ihrer Macht- und Herrschaftskritik entkleidet und zur Rechtfertigung kriegerischer Handlungen genutzt. Besonders augenfällig wurde dies in den Kriegen gegen den Irak und gegen Afghanistan (S. 29). Insbesondere die Ganzkörperverschleierung von Frauen wurde in der deutschen Berichterstattung als Merkmal für die grundlegende Unterdrückung der afghanischen Frau herausgearbeitet, wie Nachtigall und Bewernitz darstellen. Die Frauen selbst, ihre Kenntnisse und Lebenswünsche interessierten dabei hingegen nicht. Wichtig sei nur, dass sie sich westlich orientierten – das werde zugleich als Zeichen ihrer Emanzipation gewertet: „Das unter der Burka zum Vorschein kommende ‚wahre Ich‘ der afghanischen Frau wird zugleich entsprechend westlicher Weiblichkeitsvorstellungen vereinnahmt. Immer wieder werden westlich kodierte Schönheitsvorstellungen wie das Tragen von Make-up, hohen Absätzen, Jeans und modischer Kleidung hervorgehoben.“ (S. 37)

Der Verweis auf „FrauenundKinder“ zur Rechtfertigung militärischer Handlungen ist historisch nicht neu, sondern schon länger ein Mittel, um die Bevölkerung eines Landes hinter den Interessen der Regierenden zu versammeln. „FrauenundKinder“ werden dabei als besonders verletzlich und gefährdet, als Opfer, präsentiert. Deren Schicksale, unterlegt mit entsprechendem Bildmaterial beispielsweise von embedded Journalist/-innen, erfüllen dabei mehrere Funktionen: 1) Sie eignen sich, Aggressionen in der eigenen Bevölkerung anzufachen und das militärische Eingreifen zu rechtfertigen. 2) Die ‚gegnerischen‘ Männer erscheinen als Feinde, die nicht wie die eigenen ‚sauber‘ mit der Waffe kämpfen, sondern zügellos Zivilist/-innen, insbesondere „FrauenundKinder“, bedrohen. 3) Schließlich wird über die Kopplung von ihrem Opferstatus mit einer vermeintlichen besonderen Heimatliebe – im Sinne: ‚sie mussten vor angreifenden und vergewaltigenden Männern fliehen‘ – im Diskurs eine nur vorübergehende Offenheit für Flüchtlinge bei Zurückweisung längerfristiger Asylbegehren erreicht: „Die Ablehnung von vermeintlich drohenden ‚Flüchtlingsströmen‘ wird in den Printmedien durch die Betonung ihrer ‚Heimatliebe‘ und dem vermeintlichen Wunsch nach schneller Rückkehr der Flüchtlinge legitimiert.“ (S. 33)

Deutlich wird dabei auch die Entmündigung: Frauen und Kinder werden in der medialen Darstellung vorgeführt, aber auch in den politischen Diskussionen kommen sie stets als Opfer vor. Während über Frauenrechte (und Kinderrechte) gesprochen wird, tauchen aber als politische Akteure ausschließlich Männer auf, wie die Autor/-innen für die Afghanistan-Konferenz darlegen. Indem der Fokus auf „FrauenundKinder“ liegt, wird den Frauen und den Kindern damit nicht ermöglicht, selbst als Akteur/-innen in politische Entscheidungen einbezogen zu sein, sondern sie werden zusätzlich disqualifiziert. Als Opfer von Gewalt fehle ihnen die notwendige Durchsetzungskraft und -kompetenz für das politische Handeln.

Frauen, Männer, Queers

Der Blick auf Geschlecht in Konflikten und Kriegen ermöglicht weitere Zugänge zu ansonsten verschlossenen Problembereichen. Am Beispiel der Konflikt- und Post-Konflikt-Situation in Kenia arbeitet Antje Daniel heraus, welche Verschiebungen sich in den Geschlechterverhältnissen ergaben: Mit dem aufkommenden Konflikt wurde auch für die in Frauenorganisationen aktiven Frauen die ethnische Zugehörigkeit zentral. Das gemeinsame Streiten als Frauen trat zurück – ethnische Differenzen gerieten in den Vordergrund und machten Zusammenarbeit unmöglich (S. 113). In der Post-Konflikt-Situation werden zudem, wie schon während des Konfliktes, traditionelle Normen und Werte bestärkt – hieran nehmen auch Frauen aktiv teil. Daniels führt aus: „Mit dem Ziel, Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten, wird auf bewährte Normen, Werte und nicht zuletzt Identitätszuschreibungen zurückgegriffen. Damit werden gleichzeitig traditionelle Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder belebt.“ (S. 115) Diese Feststellung ist interessant, macht sie doch gerade deutlich, dass kriegerische Auseinandersetzungen wohl nicht dazu führen, dass neue Geschlechter- und Sexualitätsverhältnisse aufkommen (wie diese auch immer aussehen könnten).

Von einer anderen Post-Konflikt-Situation geht Miriam Schroer-Hippel („Kriegsveteranen in der Friedensarbeit – militarisierte Männlichkeit als Friedenspotenzial?“) aus, die die Lage in Kroatien betrachtet und dabei in den Blick nimmt, ob und inwieweit militärische Männlichkeiten in die Friedensarbeit eingebunden werden können. Dabei macht sie zunächst klar, wie auch hier das „FrauenundKinder“-Motiv im Diskurs funktioniert, um insbesondere die eigenen kämpfenden Männer als ‚sauber‘ kämpfend darzustellen, während die gegnerische Seite auch Zivilist/-innen lynche oder Frauen vergewaltige. Sofern auch Männer etwa als Opfer von Kriegsvergewaltigungen erwähnt würden, erschienen in Medien keine entsprechenden Darstellungen von Schicksalen der eigenen Soldaten, sondern es würden für die Täter- und die Opferseite ausschließlich Männer anderer Staaten oder im eigenen Land ohnehin diskriminierter Ethnien angeführt (S. 99). Die eigenen Männer würden so in jeglicher Hinsicht als ‚sauber‘ erklärt, was eine sich an den Konflikt anschließende Friedensarbeit erschwere. Schroer-Hippel stellt im Weiteren ein Projekt vor, in dem versucht wurde und wird, Vertreter/-innen der Friedensinitiativen (die im Land vielfach als unmännlich und feindlich diskreditiert sind) und von Veteranenverbänden (darin auch einige Veteraninnen) zusammenzubringen.

Schließlich geben die übrigen Beiträge Einblicke in die Terrorismusforschung aus feministischer Perspektive – auch mit Blick auf „Homonationalismus“ und „Queer-Imperialismus“ – (Claudia Brunner), auf methodische Probleme der feministischen Friedens- und Konfliktforschung direkt in Konflikten (Ruth Streicher) und bei der Befragung von Bundeswehr-Soldat/-innen (Cordula Dittmer) sowie auf Geschlechterverhältnisse in Post-Konflikt-Situationen am Beispiel der Transitional Justice (Susanne Buckley-Zistel und Magdalena Zolkos).

Fazit

Die Autor/-innen des Bandes Geschlechterverhältnisse, Frieden und Konflikt wenden sich aus vielerlei Blickwinkeln und auf durchweg sehr gutem Niveau den aktuellen Fragen und Herausforderungen feministischer Friedens- und Konfliktforschung zu. Die partielle Aneignung von Forderungen emanzipatorischer Bewegungen wird problematisiert, Macht- und Herrschaftskritik werden als essentielle Elemente des Feminismus (und der Schwulenbewegung) kenntlich gemacht. Als produktiv erweist sich, dass Frauen und Männer als Akteur/-innen wahrgenommen und alte stereotype Identitätszuschreibungen befragt werden; so werden Frauen auch als aktiv Handelnde, Männer sowohl als Täter als auch als Opfer thematisiert. Auf Grund der thematischen Breite bietet sich der Band als einführende Lektüre in feministische Fragen der Friedens- und Konfliktforschung an.

Dr. Heinz-Jürgen Voß

Dipl. Biol., Dr. phil., forscht und publiziert zu Themen der Biologie- und Medizingeschichte und -ethik

Homepage: http://www.heinzjuergenvoss.de

E-Mail: voss_heinz@yahoo.de

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