Barbara Holland-Cunz:
Gefährdete Freiheit.
Über Hannah Arendt und Simone de Beauvoir.
Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich 2012.
149 Seiten, ISBN 978-3-86649-457-2, € 19,90
Abstract: Von Barbara Holland-Cunz, die sich mit Simone de Beauvoir und Hannah Arendt bereits einzeln beschäftigt hat, liegt nun ein Band vor, in dem sie sich diesen herausragenden Denkerinnen des 20. Jahrhunderts gemeinsam widmet. In einer beinahe synoptisch anmutenden Herangehensweise fokussiert sie dabei auf den Begriff der Freiheit, der bei beiden von eminenter Bedeutung für das jeweilige Theoriegebäude ist. Holland-Cunz zufolge verstehen beide, bei einigen Unterschieden, Freiheit so, dass sie sich vor allem durch eine in sich eingeschriebene Gefährdung auszeichnet: Diese resultiert aus einem heroisch-emphatischen Gestus, der in paradoxer Weise gepaart wird mit einem abgeklärten Realismus. Über weite Strecken liest sich der Weg zu dieser Deutung, v. a. auch wegen einer teilweise sympathisch unkonventionellen und originellen Herangehensweise, sehr anregend und überzeugend.
In einer spontanen Reaktion mag sich der/die Leser/-in des vorliegenden Bandes zunächst fragen, wieso Barbara Holland-Cunz ausgerechnet auf die Idee kommt, Hannah Arendt und Simone de Beauvoir zusammen zu lesen und zu interpretieren. Warum diese beiden Philosophinnen, die zwar beide von existenzialistischem Gedankengut beeinflusst waren und dieses selbst weiterentwickelten, darüber hinaus aber nicht allzu viel, zumal sicher nicht im eigenen politischen Verständnis ihrer Überlegungen gemeinsam hatten? Man mag sich nicht gerne zufrieden geben mit der Erklärung, dass nun einmal Beauvoir und Arendt die einzigen weiblichen Denker in der Ideengeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren, die es mehr oder weniger in den Kanon der abendländischen Philosophiegeschichte ,geschafft‘ haben. Rechtfertigt diese Minderheiten-Position schon eine derart vergleichend angelegte Lesart beider Denkerinnen, über die Holland-Cunz selbst direkt zum Einstieg festhält: „Sie kannten sich nicht gut und mochten sich offenbar nicht besonders“ (S. 9)?
Die Autorin tritt diesem Vorbehalt entgegen, indem sie in der Einleitung offensiv ihr inhaltlich-theoretisches Interesse an den beiden Philosophinnen formuliert: „Es geht um das Verhältnis von Freiheit und Bindung, […] um die Konzeption gesellschaftlicher Naturverhältnisse in klassischen Politischen Theorien der Moderne; und um demokratietheoretische Fragen, die vor allem die Relation von Freiheit und Gleichheit betreffen“ (S. 15).
Diesem multiplen Interesse folgend, entwickelt Holland-Cunz zunächst bei einem Durchgang durch die „Ideengeschichte der Freiheit“ (S. 25) ein Tableau des Freiheitsbegriffs, auf dem prominente Vertreter der Freiheitsidee auf der einen Achse einem eher eindimensionalen bzw. im Gegenteil dazu komplexen sowie auf der anderen Achse einem „positiven“ bzw. „negativen“ Verständnis von Freiheit zugeordnet werden (S. 29). Hintergrund ist der Anspruch der Autorin, die philosophischen Äußerungen von Beauvoir und Arendt zur Idee der Freiheit in einen komplexen historischen Kontext dieses Begriffs einzuordnen. Insofern ist das Anliegen der Autorin auch ein ideengeschichtliches und theorie-systematisches: Im Resultat tragen ihre Erörterungen dazu bei, bisher übersehene spezifische Konnotationen im Freiheitsverständnis von Beauvoir und Arendt als ideengeschichtliche Innovationen zu würdigen. Originell ist Holland-Cunz zufolge bei beiden Denkerinnen vor allem die paradoxe Ambivalenz der Vorstellung von Freiheit als „heroisch-emphatischem“ und gleichzeitig „realistisch-geerdetem“ Entwurf des Subjektes „in die Welt“.
In Zusammenhang mit diesem zentralen existenzialistischen Topos des sich selbst entwerfenden Subjektes richtet die Autorin folgerichtig das Augenmerk auf eine detailliertere Klärung des Verhältnisses von Beauvoir und Arendt zu deren jeweiligen existenzialistischen Einflüssen; im Falle von Arendt zu Heidegger, vor allem aber Jaspers, im Falle von Beauvoir zu Sartre. Die Hypothese, die Holland-Cunz hier leitet, ist originell und spannend: Ist es möglicherweise kein Zufall, dass die einzigen beiden weiblichen allgemein anerkannten Denker einen existenzialistischen Denkansatz bevorzugen? Kann der Existenzialismus möglicherweise als die (emanzipatorische) Theorie ,weiblicher‘ Erfahrungs- und Lebenszusammenhänge verstanden werden? Über das von Holland-Cunz bearbeitete Motiv der Freiheit hinaus scheint mir dies eine Frage zu sein, die Lust auf weitere philosophiegeschichtliche Forschung und feministisch motivierte Theorieentwicklung in diesem Feld macht.
Die Autorin blickt, dem dezidiert eigenen Forschungsinteresse folgend, in einem dritten Schritt schließlich auf das theoretische Naturverhältnis, das sich jeweils in den Werken Beauvoirs und Arendts spiegelt. Was diese Fragestellung angeht, erbringt die Analyse erwartungsgemäß im Kern nichts Neues: Sowohl Arendts als auch Beauvoirs negativ konnotierte Naturbegrifflichkeit, kombiniert mit einem gewissen misogynen Bias, sind in der Literatur hinlänglich aufgezeigt und in den Werken der beiden Denkerinnen nicht besonders subtil verborgen. Holland-Cunz arbeitet allerdings, besonders bezogen auf Arendt, Feinheiten heraus, die durchaus zur Schärfung der Konturen von deren Naturverständnis beizutragen haben.
Die zentrale Gemeinsamkeit von ‚Freiheit‘ in ihrer von den Philosophinnen vorgenommenen Konstituierung als gefährdete, wird differenziert v. a. durch die Identifikation des Ortes, an dem ihre Bedrohung maßgeblich situiert wird: Während dies bei Arendt, theorieimmanent schlüssig, das „Außen“ ist, verweist Beauvoir in diesem Zusammenhang auf das „Innere“, konkret vor allem das „Innere“ des weiblichen Subjekts, als größtem Freiheitshemmnis. Da beide von Holland-Cunz durch den großen Rahmen der „Freiheitsemphase“ miteinander verbunden und außerdem unter dem Vorzeichen eines feministischen Theorieinteresses interpretiert werden, steht allerdings die Versuchung im Raum, beide Konzepte einfach gewissermaßen zu ,addieren‘, so dass sie einander ergänzen, – und fertig ist der feministische Freiheitsbegriff oder gleich die ganze Gesellschaftstheorie. Dies ist von Holland-Cunz ganz sicher nicht intendiert, zumal sie keinen Zweifel daran lässt, dass gerade die naturtheoretischen Aspekte in den Theorien von Arendt und Beauvoir feministischen Widerspruch geradezu herausfordern. Die den ganzen Band durchziehende, strikt und systematisch Übereinstimmung und Widerspruch kontrastierende Konstruktion des Paares Arendt/Beauvoir lässt jedoch gewissen Spielraum für solche Kurzschlüsse.
Holland-Cunz hat mit ihrer vergleichenden Auseinandersetzung mit Arendt und Beauvoir ein Buch geschrieben, das sich abhebt von sonstigen alltäglichen Neuerscheinungen im politikwissenschaftlichen Feld. Es ist ein Buch, dessen Lektüre Spaß macht. Dazu trägt vor allem die teilweise unkonventionelle Herangehensweise der Autorin bei, die die Interpretation der Arendt’schen und Beauvoir’schen Texte in einer mitunter geradezu literaturwissenschaftlich anmutenden Art und Weise betreibt, die Denkerinnen also, im wahrsten Sinne des Wortes, auslegt. Das ist in gewisser Weise natürlich angreifbar, zumal weil Holland-Cunz sich auch nicht scheut, biographische Fakten, vor allem in Bezug auf das Verhältnis der beiden Autorinnen zum Existenzialismus, aufzugreifen und in die Analyse einzubeziehen. Im Bewusstsein dieser Angreifbarkeit entscheidet sie sich dennoch dafür – und unter anderem das macht das Buch zu etwas Besonderem.
So treten dann auch kleinere Mängel dahinter zurück: Vor allem wohl im Bemühen, sich gegen allerlei mögliche Einwände abzusichern, betreibt die Autorin teilweise eine etwas zu ausufernde und kleinliche Begriffsscholastik, die nicht so recht zur Verve passen will, die den Band ansonsten durchzieht. So wird, als Beispiel, nicht ganz klar, worauf die detaillierte Klärung des Begriffs ,Furcht‘ im Unterschied zum Begriff der ,Angst‘ zielt, die Holland-Cunz im Zusammenhang mit der Gefährdungs-Hypothese bei Arendt und Beauvoir vornimmt.
Zuletzt: Ein meines Erachtens zentrales Motiv ihrer Abhandlung platziert Holland-Cunz beinahe irritierend zurückhaltend, obwohl dessen stärkere Pointierung durchaus wünschenswert gewesen wäre und dem Band noch einen besonderen Dreh gegeben hätte: Mit ihrem Essay bezieht die Autorin ganz eindeutig auch Position im Kontext aktueller feministischer Theoriebildung, die sie in der Sackgasse sieht wegen einer „unfruchtbaren Kontroverse zwischen Gleichheit und Konstruktion“ (S. 14). Ihre Beschäftigung mit dem Freiheitsbegriff bei Beauvoir und Arendt ist auch als Herausforderung an die Protagonistinnen feministischer Diskurse zu verstehen, sich wieder Inhalten und existenziellen gesellschaftlichen sowie politisch-anthropologischen Fragen zuzuwenden und, als Voraussetzung dafür, zunächst einmal theoretisch das Feld zu bestellen.
Mirjam Dierkes, M.A.
Philipps-Universität Marburg
GendA – Forschungs- und Kooperationsstelle Arbeit, Demokratie, Geschlecht; Interdisziplinäres Promotionskolleg „Geschlechterverhältnisse im Spannungsfeld von Arbeit, Organisation und Demokratie“
Homepage: http://www.uni-marburg.de/fb03/genderkolleg/stips/dierkes_kurzbio
E-Mail: dierkes@staff.uni-marburg.de
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