Die anderen Ausdrucksweisen: subtile Offensiven

Rezension von Ella Jasiowka

Malgorzata Radkiewicz:

W Poszukiwaniu Sposobu ekspresji.

O Filmach Jane Campion i Sally Potter.

Krakau: Verlag der Jagiellonen-Universität 2001.

184 Seiten, ISBN 83–233–1370–9, 25,00 PLN / € 6,50

Abstract: Was passiert, wenn der „Herrscher des filmischen Blickes“ eine Frau ist? Anhand zweier jeweils sehr unterschiedlicher Beispiele „weiblicher“ Filmkunst zeigt die Autorin, dass es nötig ist, herkömmliche Interpretationsmuster zu überwinden, um dem Filmschaffen einzelner Künstler und Künstlerinnen auf den Grund zu gehen. Da es nicht die „feministische Kunst“ an sich gibt, muß man für das Werk so unterschiedlicher Künstlerinnen wie Sally Potter und Jane Campion jeweils unterschiedliche Schlüssel suchen, um ihnen gerecht zu werden. Dies tut Radkiewicz in ihrem Werk – aus feministischer Perspektive. Sie holt jeweils verschieden weit aus, wenn es darum geht, künstlerische Herkunft, Biographie, Vorbilder und Ziele der Künstlerinnen zu deren Werk in Bezug zu setzten. Ohne zu bahnbrechend neuen Erkenntnissen zu kommen, gelingt es ihr doch, ein komplexes Bild der von ihr behandelten Filmemacherinnen und den Filmen zu entwerfen, das einen umfassenden Gesamteindruck vermittelt. Die Kürze des Buches bringt dabei eine Konzentration mit sich, die zu einer Weiterbeschäftigung und Vertiefung einlädt.

Eine kurze Geschichte feministischer Theorie

In der Einführung in ihr Buch holt die Autorin weit aus. Sie gibt eine Kurzfassung feministischer Theorieentwicklung ausgehend vom Künstlersubjekt auf der Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten. Dabei wird eine bestimmte Grundrichtung favorisiert: Künstlerinnen, welche sich bewusst der Problematik des „Frau-seins“ in ihrem Werk zuwenden, werden in eine Tradition von Avantgarde gestellt, die sich aufgrund historischer und kultureller Veränderungen in der Gesellschaft entwickelt hat und mit ganz neuen Fragen und Wahrnehmungsweisen neue Interpretationen der Wirklichkeit hervorbringt.

Der Überblick leistet so – über eine formale Exposition hinausgehend – eine eigenständige essayartige Einführung in die Entwicklung feministischer Kunsttheorie.

Jane Campion

Radkiewicz konzentriert sich in ihrer Analyse auf drei Werke der Regisseurin: An angel at my table (1990), The Piano (1993) und The Portrait of a Lady (1996). Die Filme werden unter bestimmten Aspekten gemeinsam abgehandelt, wobei dennoch auf jeden Film gründlich eingegangen wird. Die Untersuchung konzentriert sich auf Elemente, die man gemeinhin den „Frauenthemen“ zurechnet und reicht von biographischen Wechselfällen (im Zusammenhang mit dem Ausbrechen aus Konventionen) über das Spannungsfeld Natur – Kultur bis hin zu zur Rolle von Kleidung und Kostüm.

Die vielschichtige Anlage der Analysen im Zusammenspiel mit dem essayistischen Stil macht die Lektüre so unterhaltsam wie spannend. Übergreifende Betrachtungen – z. B. der Art, wie die Regisseurin ihre Heldinnen in Raum und Landschaft positioniert – werden geschickt mit Einzelbildanalysen – wie das Spiegelbild des Ehemannes im verglasten Portrait seiner Frau – verwoben.

Die Autorin macht nicht deutlich genug, dass Campion einen Weg gefunden hat, sich im kommerziellen und konventionellen Kino ihren Platz zu sichern, indem sie eine subtile Erzählweise entwickelt hat – ohne gegen die Konventionen Sturm laufen zu müssen. Dies beschreibt Radkiewicz zwar genau, jedoch stellt sie es nicht als eine mögliche (und durchaus gängige) Art der Arbeitsweise weiblicher Filmemacher heraus.

Sally Potter

Die künstlerische Herkunft der Filmemacherin Sally Potter aus dem Bereich der Performance einerseits und aus der britischen Frauenbewegung der 70er Jahre andererseits beeinflusst das Werk dieser Künstlerin erheblich. Potter geht es um die Infragestellung der von ihr verwendeten Medien sowie die Tiefenanalyse der Phänomene „Frau“ und „Geschlecht“. Da sie mit jedem Film neue Wege der Inszenierung beschreitet und jeweils ganz verschiedene Fragen stellt, wird Radkiewicz ihr gerecht, indem sie die Werke weitgehend einzeln betrachtet. Die untersuchten Filme sind hier The Gold Diggers (1983), Orlando (1992) sowie The Tango Lesson (1997).

Potter bricht mit den Konventionen des Kinos nicht nur im Hinblick auf verschiedene Formalia (z. B. Verzicht auf Drehbuch, ungewöhnliche Zeitsprünge sowie Distanzlosigkeit der Künstlerin zu ihrem Werk), sie erfindet für jede Geschichte eine jeweils adäquate, ganz andere Art der Inszenierung. Für sie steht die Kunst und deren Möglichkeiten, Fragen zu stellen und zu beantworten, im Vordergrund, wobei Potter sich selbst als Subjekt und Frau bewusst in ihre Werke einbringt. Impulsivität, zyklische Zeitstrukturen, Körper, Kommunikation – dies sind Motive, die Potter bewusst und sichtbar ausstellt und damit offenlegt. Sie will nicht unterhalten, sondern den Zuschauer verstören und die Manipulationsmechanismen filmischer Konstruktionen entlarven. Die Autorin geht in diesem Teil ausführlicher auf Produktionsbedingungen und persönliche Motive der Filmemacherin ein als bei Campion – sie schafft es auf diese Weise, das filmische Werk Potters in ihren Beschreibungen quasi widerzuspiegeln.

Eine abschließende Betrachtung und ein Anhang mit Filmographie und Kurzbiographie der Filmemacherinnen runden diesen schmalen Band ab. Man spürt an vielen Stellen die Begeisterung der Autorin für ihr Sujet; mitunter spricht aus den Zeilen eine Art Aufbruchstimmung, die packend ist, bei näherer Betrachtung jedoch beinahe übertrieben scheint. Im Hinblick auf die feministische „Diaspora“ Polen, Heimatland der Autorin; ist dies jedoch verzeihlich – und es ist lobend zu erwähnen, dass sich unter den Zitaten auch solche polnischer Autorinnen finden. Sehr treffend sind die Hinweise auf die Schwierigkeiten bei der Übersetzung ins Polnische, was weibliche Formen von Berufen angeht, sowie den Versuch, geschlechtsunspezifische Personenbezeichnung zu finden. W Poszukiwaniu Sposobu ekspresji („Auf der Suche nach Ausdrucksweisen“) ist ein gelungener Versuch, jenseits herkömmlicher Interpretationsmuster einen unverbrauchten Blick auf Film zu werfen, der dem Leser und der Leserin Lust machen, sich diese Filme nochmals neu anzusehen.

URN urn:nbn:de:0114-qn031021

Ella Jasiowka

Studentin am Osteuropa-Institut der FU-Berlin

E-Mail: e.j.@freiraumbureau.de

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