Daniela Sobek:
Lexikon lesbischer Frauen im Film.
München: belleville 2000.
309 Seiten, ISBN 3–933510–19–8, € 24,00
Abstract: Das Lexikon stellt ein neues Basiswerk über lesbische Figuren im Film dar. Neben zahlreichen Artikeln von Anbeginn der Filmgeschichte bis heute gibt es Features über bekannte Schauspielerinnen und lesbische role models.
Während im angloamerikanischen Raum längst ergiebige Handbücher zum Lesben- und Homofilm vorliegen, beispielsweise Andrea Weiss‘ Vampires and Violets. Lesbians in the Cinema (London 1992) oder Raymond Murrays‘ Images in the Dark. An Encyclopedia of Gay and Lesbian Film and Video (Philadelphia 1994), stammt die letzte deutschsprachige lesbische Filmübersicht aus den 80ern: Stefanie Hetzes Happy End – für wen? Kino und lesbische Frauen (Frankfurt a.M., Dülmen 1986). Mit dem Lexikon lesbischer Frauen im Film hat Daniela Sobek nun ein umfangreiches Kompendium zum vorwiegend europäischen und us-amerikanischen Film vorgelegt, das diese Lücke schließt.
Sobek bespricht über 650 Unterhaltungsfilme, darunter auch TV-Produktionen, mit vielen Fotos, bis zum Jahre 2000. Die Lexikonbeiträge sind dabei nicht, wie der Buchtitel suggerieren mag, nach den Frauenfiguren sortiert, sondern alphabetisch nach Filmtiteln. In kurzen Inhaltsangaben werden sowohl Werke mit explizit lesbischer Thematik (z. B. Better than Chocolate oder The Children’s Hour, mit Hepburn und MacLaine) als auch jene, in denen „nur“ lesbisch konnotierte Figuren auftauchen (wie z. B. die vogelkundliche ältere Dame, in Jackett und Krawatte, rauchend, in Hitchcocks Die Vögel), aufgeführt.
Erfreulich ist es, an der Vielfalt der Beiträge zu sehen, dass sich jenen Filmklassikern, in denen die böse/kranke/geile Lesbe stirbt, um die heterosexuelle Hygiene wieder herzustellen, inzwischen eine Vielfalt an Werken mit differenzierterem Zugang hinzugesellt hat.
Lesben etablierten ohnehin immer schon ihre ganz eigene Seherfahrung und konnten selbst die krudesten Werke schau(d)e(r)nd-fantasierend nutzbringend verdrehen und in das lesbische Kollektiv eingemeinden. Insofern ist es schlüssig, dass beispielsweise Russ Meyers Faster, Pussycat! Kill! Kill!, jener trashige Streifen von 1966, der lustvoll die gewalttätige potente, auch lesbische Frau inszeniert (ebenso wie dort die stumpfsinnig vollbusiger Schönheit nachgeifernde Männlichkeit karikiert wird) berechtigte Erwähnung bei Sobek findet.
Erwähnenswert ist auch, dass ebenfalls Filme, die intensive Frauenfreundschaften thematisieren (z. B. Julia mit Jane Fonda und Vanessa Redgrave) mit von der Partie sind, was Sobeks Interesse dokumentiert, die Kategorien offen zu halten.
Wenn ein Lexikon oder Kompendium erscheint, also eine Sammlung bestimmter Spartenphänomene, kann man davon ausgehen, dass es bereits eine gewisse Etablierung des Themas gegeben hat. Sobeks Buch zeigt, dass und wie das Projekt „Lesbische Kulturgeschichte“ voranschreitet, und das trotz der derzeit miserablen Finanzbedingungen für homosexuelle und lesbische Forschung und Produktion. Beim Durchblättern des Lexikons lässt sich feststellen, dass die früheren eher tragischen Stories heute zunehmend durch solche Produktionen ergänzt werden, in denen auch einmal ganz schnöde die Identifikation mit positiven Selbstbildern erlaubt ist, zum lauten Lachen eingeladen wird, oder es eben doch wieder – nur unter offen lesbischer Flagge – dramatisch und herzzerreißend wird.
Besonders deutlich wird Sobeks Anliegen in den dem Lexikon vorangestellten Features zu den „Ikonen und Role Models“: Auch hier gilt, dass nicht die verbriefte lesbische Lebensweise Kriterium der Aufnahme ist (vgl. diverse amüsante Bücher, die auf der investigativen Spur fahren und im Nähkästchen wühlen), sondern der Charakter als role model oder Sehnsuchtsobjekt für die Lesbenwelt. Es werden beispielsweise Tallulah Bankhead, Louise Brooks, Marlene Dietrich oder Joan Crawford und Lauren Bacall aus der frühen Zeit vorgestellt; aber auch neuere Ikonen wie Sandra Bernhard, Jamie Lee Curtis oder Catherine Deneuve, Jodie Foster, Whoopi Goldberg, Sigourney Weaver, die selbstverständlich nicht alle lesbisch sind oder die „reine Lehre“ vertreten.
Mit den Features über die zeitgenössischen Frauen spiegelt Sobek neuere Ikonisierungen wider, die bislang noch eher als flüchtiger lesbischer Kollektivinhalt – nicht minderer Bindekraft – existieren. Es hätte sich in diesem Abschnitt angeboten, einen chronologischen statt alphabetischen Zugang zu wählen, da es ja um role models geht, nicht in erster Linie also um reale Frauen; dann hätte ansatzweise eine historische Entwicklung der Bildlichkeiten veranschaulicht werden können. Denn Jamie Lee Curtis direkt nach „B“ wie Louise Brooks ist sehr gewöhnungsbedürftig, da sie, historisch bedingt, zwei völlig verschiedene Konzepte von Weiblichkeit und Sexualität verkörpern.
Noch einige abschließende Worte zum „Drumherum“: Im Anhang des Lexikon finden sich Angaben darüber, ob und wie die Filme als Video vorliegen, nebst deutschen, britischen und amerikanischen Bezugsquellen für den Videokauf und für den Bezug von Soundtracks, was den Charakter des Buches als Nachschlagewerk für den Heimgebrauch betont.
Bedauerlich ist das Fehlen von Titel- und Namensindices, auch das Literaturverzeichnis ist etwas knapp geraten. Schade ist auch, dass die Ausstattung des Buches zweitklassig ist (Repros kontrastarm und verwischt, Papier mäßig), was der für ein Lexikon nötigen Haltbarkeitsdauer Abbruch tut. Diese wenigen Mankos stehen aber zurück hinter der Unersetzbarkeit eines solchen Kompendiums, das Daniela Sobek auf der Grundlage umfangreicher Recherche und mit sichtlichem Genuss vorgelegt hat.
URN urn:nbn:de:0114-qn031047
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