Nomadinnen des Theaters

Rezension von Christel Weiler

Claudia Puschmann:

Fahrende Frauenzimmer.

Zur Geschichte der Frauen an deutschen Wanderbühnen (1670–1760).

Herbolzheim: Centaurus 2000.

172 Seiten, ISBN 3–8255–0272–4, € 25,46

Abstract: Die Dissertation untersucht die soziale und rechtliche Situation von Frauen an deutschen Wanderbühnen, ihre Gestaltungs- und Wirkungsmöglichkeiten und die damit einhergehenden Selbst- und Fremdwahrnehmungen. Dabei erhält das aktuelle Verständnis von Theater eine historische Perspektivierung. Der Blick auf die besondere Rolle und Funktion der Frauen an den deutschen Wanderbühnen liefert Grundlagenmaterial für weitergehende theaterhistorische Forschungen.

Grundlagen

In ihrer Dissertation Fahrende Frauenzimmer untersucht Claudia Puschmann die Situation von Frauen an den europäischen und insbesondere den deutschen Wanderbühnen im Zeitraum von 1670 bis 1760. Grundlage dieser historischen Untersuchung sind unterschiedliche Textsorten, die von Archivalien (Ratsprotokollen, Nachlässen, Theaterzetteln, Akten) über „gedruckte Quellen“ (Memoiren von Schauspielerinnen, Prosa, Reflexionen zum Theater) bis hin zur Sekundärliteratur neueren Datums reichen.

Für die Autorin bilden diese Texte insgesamt die dokumentarische Grundlage einer Bestandsaufnahme, die als „Beitrag zur Sozialgeschichte der Frauen an den deutschen Wanderbühnen“ verstanden werden will. Puschmann beschreibt die rechtliche und soziale Stellung von Frauen am Wandertheater, ihre Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten in diesem speziellen Lebensbereich und schließlich ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung, bzw. ihre Möglichkeiten, aktiv den herrschenden Diskurs über das Theater mitzugestalten. Dabei wird nicht nur die Aufmerksamkeit auf die Prinzipalinnen und Schauspielerinnen an den Wanderbühnen gelenkt, sondern auch die Tatsache mitbedacht, dass Frauen als Ammen, Mägde und Dienstmädchen dort ihr Auskommen suchten.

Gewissheiten und Aussichten

Das Verdienst dieser Forschungsarbeit ist in erster Linie darin zu sehen, dass heutige Gewissheiten oder Selbstverständlichkeiten zum einen auf ihre Historizität und damit Relativität hin befragt werden, zum anderen, dass mit den historischen Belegen fundiertes Ausgangsmaterial für weitere, speziell theaterwissenschaftliche historiographische Untersuchungen zur Verfügung steht.

Claudia Puschmann weist eingangs noch einmal darauf hin, dass die Mitarbeit von Frauen an deutschen Wanderbühnen im europäischen Vergleich mit einiger Verspätung zu verzeichnen ist, wie sich auch das erfolgreiche Aufkommen von Wandertheatern in Deutschland generell den Gastspielen der Commedia dell‘arte und englischer Wanderensembles verdankte. Während in Italien und Spanien schon Mitte des 16. Jahrhunderts Frauen auf den Wanderbühnen ihren Auftritt hatten oder sogar eine Schauspieltruppe als Prinzipalinnen leiteten, machten sie sich auf deutschen Wanderbühnen erst ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bemerkbar. Zudem sahen sie sich noch der Konkurrenz ihrer ausländischen, vor allem italienischen Kolleginnen ausgesetzt, die bereits über langjährige professionelle Erfahrung verfügten und besonders an den deutschen Höfen viel Anerkennung erhielten. Die häufig zitierte Einmaligkeit des deutschen Theaters mit seinen (noch) festen Spielstätten in nahezu allen größeren Städten ist somit nicht ausschließlich als Errungenschaft eines erstarkenden nationalen Bürgertums anzusehen, sondern verdankt sich auch der damaligen Europäisierung der Wandertruppen. Diese hatten keine Scheu, sich an fremden Höfen zu präsentieren oder sich mit deutschen Komödianten und Komödiantinnen zu vermischen, und machten sich sogar die Mühe, die fremde Sprache zu lernen, wie dies bei englischen Truppen der Fall war. Dieser Sachverhalt ist vor allem hinsichtlich der Bewertung der zeitgenössischen Festivalkultur von Bedeutung. Die heutigen Gastspiel- oder „Wanderbewegungen“ und die mit ihnen häufig gegebene Vielsprachigkeit erscheinen damit in einem anderen Licht.

Ein weiteres Spezifikum der deutschen Wanderbühnen besteht darin, daß die Frauen ihre anfänglich benachteiligte Stellung recht schnell verbessern konnten. Vom ersten Auftritt einer Darstellerin 1654 dauerte es nur knapp zwanzig Jahre, bis mit Catharina Elisabeth Velten auch eine weibliche Prinzipalin einem Wanderensemble vorstand. Aus der Theatergeschichte nicht wegzudenken ist Friederike Caroline Neuber, deren außergewöhnliche Lebensgeschichte schon zahlreiche Bearbeitungen fand. Und gewiss mehr als nur einen Hinweis verdienen Sophie Charlotte Schröder, Margaretha Elenson und eine Reihe anderer Frauen, die als Witwen die Prinzipalsgeschäfte und -verantwortungen ihrer Männer weiterführten. Es sind nicht zuletzt auch die Geschäfte dieser Frauen, die von heutigen Intendantinnen unter anderen Vorzeichen fortgeführt werden.

Freiräume für Frauen

Überhaupt scheint das Wandertheater dieser Zeit einen Raum geboten zu haben, in dem sich Frauen – freilich innerhalb gewisser Grenzen – von historisch bedingten Beschränkungen ihres Wirkungs- und Geltungsbereiches befreien konnten: Sie erhielten die Möglichkeit, einen anerkannten Beruf auszuüben, auch wenn dieser wiederum vor allem bei Kirche und Bürgertum kein hohes Ansehen genoss; sie konnten in diesem Beruf erfolgreich aufsteigen, zum Liebling des Publikums und zu Prinzipalinnen werden, sich als Autorinnen betätigen oder vermittelt über das Theater an die Höfe gelangen. Auffallend ist dabei, dass ihre Randgruppenexistenz als Mitglieder in Wandertruppen geschlechtsspezifische Ungleichheiten relativierte, wenn nicht gar minderte. Ihre männlichen Kollegen waren der selben Mißachtung durch Kirche und Bürgertum ausgesetzt, man zieh sie der Lüge, des liederlichen, leichtsinnigen Lebenswandels und schätzte sie gering. Für viele männliche Mitglieder der wandernden Komödiantentruppen, unter ihnen auch zahlreiche Akademiker, waren Armut und wirtschaftliche Not treibende Kräfte, die sie zum Theater brachten.

Der von der Autorin in vielen Beispielen herausgearbeitete und akzentuierte „egalitäre Status“ der Frauen an den Wanderbühnen ist nicht nur fürdie Sozialgeschichte der Frauen relevant. Dieser Befund könnte auch für theaterwissenschaftliche Forschungsarbeiten zum interessanten Ausgangspunkt werden, und zwar bei Fragen nach dem Theater als Ort der Konstruktion von Identität. Damit hätte Claudia Puschmanns auf angenehme 160 Seiten begrenzte Dissertation etwas geleistet, was den wandernden Frauen des 16. und 17. Jahrhundert versagt blieb: den herrschenden Diskurs um das Theater mit einer weiblichen Schrift nachhaltig mitgestaltet zu haben.

URN urn:nbn:de:0114-qn031069

Dr. Christel Weiler

Institut für Theaterwissenschaft, Freie Universität Berlin

E-Mail: cweiler@zedat.fu-berlin.de

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