Cordula Bischoff, Christina Threuter (Hg.):
Um-Ordnung.
Angewandte Künste und Geschlecht in der Moderne.
Marburg: Jonas Verlag 1999.
178 Seiten, ISBN 3–89445–248–X, € 20,00
Abstract: Der Sammelband, der die 6. Kunsthistorikerinnentagung 1995/1996 dokumentiert, beschäftigt sich mit dem Kunstgewerbe und dessen geschlechtlichen Codierungen in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Die Untersuchung von Angewandten Künsten und Design unter der Analysekategorie Geschlecht ist in der deutschsprachigen Forschung bisher nicht in diesem Ausmaß geleistet worden.
In erster Linie geht es den Herausgeberinnen des Sammelbandes Cordula Bischoff und Christina Threuter, wie sie in ihrem Vorwort schreiben, um die Schließung einer Lücke in der kunsthistorischen Forschung, die sich aus der Hierarchie von high and low, aus der Kategorisierung von hoher und angewandter Kunst ergibt. So sehen sie Kunsthandwerk, Kunstgewerbe und Design nicht in der universitären Lehre und Forschung der Kunstgeschichte verankert, sondern in Teilbereichen anderer Diszipline wie Volkskunde oder Soziologie (vgl. S. 9). Die Thematik des Buches verbindet mehrere Fragestellungen. Zum einen geht es um die binären Strukturen von autonomer und angewandter Kunst, die in den ersten dreißig Jahren des 20. Jahrhunderts im Zuge der sogenannten Moderne aufgebrochen und neu definiert wurden. So beziehen viele Architekten der Moderne wie Otto Wagner, Adolf Loos oder Bruno Taut die künstlerische Gestaltung der Innenräume in ihre Planung ein. Auf den ersten Blick sieht dies so aus, als würden damit die Zuständigkeitsbereiche der Geschlechterordnung aufgebrochen, da zuvor die Ausstattung der Innenräume und die Fertigung von Gebrauchsgegenständen im Kunsthandwerk eindeutig weiblich konnotiert waren. Bei näherem Hinsehen geht damit jedoch nicht eine Aufwertung der künstlerischen Tätigkeit von Frauen einher, sondern es wird nur die Zuständigkeit und das Selbstverständnis des männlichen Künstlers zum „kulturellen Sachverwalter“ (S. 10) erweitert. Zum anderen versuchen die Beiträge deutlich zu machen, wie sich die Verschränkung von geschlechtlichen Codierungen, den niederen, angewandten Künsten und der Debatte um die Frauenfrage auf sozio-kultureller und sozio-ökonomischer Ebene konstituierte.
In publizistischen Auseinandersetzungen um die Debatte der Frauenfrage Anfang des 20. Jahrhunderts wird das „Wesen der Frau“ verhandelt. Im Zuge der Professionalisierungstendenzen von Künstlerinnen wird dieses „Wesen der Frau“ anders definiert als in den gleichzeitigen Marginalisierungsstrategien der Rezeption.
Der Sammelband versucht also nicht nur die Unterscheidung von high and low culture zu hinterfragen sondern auch deren geschlechtliche Konnotationen. Die methodisch vielfältigen Beiträge des Bandes sind in vier Themenbereiche gegliedert. Im Folgenden soll in der Reihenfolge der Gruppierungen auf einige der darunter subsumierten Ausführungen eingegangen werden.
Der erste Themenkomplex, „Ordnung und Hierarchie“, behandelt die Frage des erleichterten Zugangs für Frauen zum Kunsthandwerk sowie die gleichzeitige Abwertung dieses Bereichs. Auf der Rezeptionsebene gehen damit Implikationen von Hierarchien wie künstlerische Schöpfung versus handwerkliche Reproduktion, Kunst versus Kunsthandwerk, Künstler versus Kunsthandwerkerin einher. Diese Hierarchien, die das Kunsthandwerk eindeutig dem Tätigkeitsfeld von Frauen zuordnen, werden von Cordula Bischoff anhand statistischer Erhebungen zur Berufssituation von Kunsthistorikerinnen von 1910 bis heute untersucht. Die Zuschreibung von Frau und Kunsthandwerk vollzieht sich demnach nicht nur auf der künstlerischen Ebene, sondern auch auf der wissenschaftlichen Ebene der Kunstgeschichte.
Im zweiten Themenbereich mit der Überschrift „Weiblichkeit und Interieur“ untersuchen die Autorinnen die geschlechtlichen Codierungen der Nutzung und Gestaltung des Innenraums. Zur Diskussion stehen Repräsentationsformen aus dem Bereich der Angewandten Kunst. In ihrem Beitrag „Die Frau auf der Corbusier Liege“ nimmt Christiane Keim eine Fotografie von 1929 – eine junge Frau mit kurzgeschnittenem Haar und mit einem kurzem Rock auf einer chaise-longue liegend –, zum Anlaß, die von Corbusier gezogene Verbindung zwischen der modernen Frau und dem avantgardistischen Möbelstück näher zu betrachten. Aus dem Bildtitel wird ersichtlich, daß es sich bei der dargestellten Frau um die Künstlerin Charlotte Perriand handelt, die in der Ateliergemeinschaft Corbusiers für den Entwurf von Einrichtungsobjekten zuständig war. Die moderne Frau, die in Vorträgen Corbusiers so dargestellt wird, daß sie die Grenzen des Häuslichen sprengt, verharrt hier statisch in einer ihr zugewiesenen Position. Die Liege ist an eine Wand geschoben, der Blick der Künstlerin ist gegen die Wand gerichtet, so daß sie ohne einen eigenen Blick dargestellt ist. Der Betrachterblick kann ungehindert über ihren Körper gleiten. Einerseits, so die Analyse der Autorin, gerät damit der hegemoniale männliche Betrachterblick nicht in Gefahr und andererseits wird so die „befreite“ Frau in ihre Schranken verwiesen.
Der dritte Bereich behandelt den Themenkomplex „Material und Ornament“. Christina Threuter erörtert in ihrem Aufsatz „Ausgerechnet Bananen: Die Ornamentfrage bei Adolf Loos oder Die Evolution der Kultur“ den Entwurf des Josephine-Baker-Hauses von Adolf Loos aus dem Jahre 1927. Irritierend ist, dass Adolf Loos für das Haus die Verwendung von Ornament plante, da er in seinem Vortrag „Ornament und Verbrechen“ erklärte, daß die Evolution der Kultur parallel zum Verlust des Ornamentes verläuft. Das „Verbrechen des Ornaments“ besteht laut Loos darin, daß es den Menschen an der Gesundheit, am Nationalvermögen und also an seiner kulturellen Entwicklung hindert (vgl. S. 108).
Eine Ausnahme macht Loos, und genau hier setzt die Autorin an: in der Frage des Ornaments in Bezug auf die Frau sowie auf die „Primitiven“. Für Loos ist das Ornament ein triebhaftes Element und daher weiblich codiert sowie degeneriert und daher dem Bereich der „Primitiven“ zuzuordnen. Threuter führt die beiden Zuschreibungen mit der Figur der Amerikanerin Josephine Baker zusammen. Als schwarze Frau und Tänzerin stand sie außerhalb der bürgerlichen Norm des patriarchalen und kolonialen Systems, so daß sie zur Projektionsfläche von sexuellen Phantasien wurde. Sie entsprach nicht dem Bild der bürgerlichen weißen Frau, die von Loos mit dem Innenraum gleichgesetzt wurde, so dass der Architekt die Fassade ihres Hauses mit Ornament versehen plante. Die Autorin macht durch das Aufzeigen dieser Verwendung des Ornaments von Loos deutlich, wie sexistisch und rassistisch das Modell des Architekten ist.
Das vierte Gebiet umschließt mit dem Titel „Profession und Präsenz“ die sozio-ökonomischen Bedingungen der Professionalisierung von Künstlerinnen. Sally Schöne betrachtet die Bildungschancen für Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts anhand empirischer Daten von zugelassenen Frauen an Keramik-Fachschulen. Außerdem zeigt die Autorin an zeitgenössischen Kritiken, in welchem Umfang die Keramik in den 20er Jahren eine weibliche Konnotation erfuhr, indem primitive Formen der Gefäße und der Ton als natürlicher, organischer Rohstoff mit der Frau gleichgesetzt wurden. So heißt es in einem Katalogtext zu einer Werkbundausstellung 1924 zu den Arbeiten von Gertrud Kraut „.noch ein wenig konventionell, aber unter der Hülle doch warm und triebhaft.“ (vgl. S. 139) Mit dieser Gleichsetzung von Keramik und Frau ging eine Abwertung des künstlerischen Schaffens von Keramikerinnen einher. Die Kreativität wurde in der Rezeption als eine nur reproduzierende, als ein „weibliches Schaffen aus sich selbst heraus“ gelesen, die im Gegensatz zu der männlichen, intellektuellen und sachlichen Kreativität stand, die in der Lage war, einen neuen Stil zu schaffen.
Eine gründlich recherchierte Bibliographie zum Thema „Frauen und Angewandte Künste“ steht am Ende des Bandes. Die Beiträge des Sammelbandes decken ein weites Spektrum der Fragestellungen zum Themenkomplex von Geschlechterkonstruktionen und Kunsthandwerk ab. Durch die verschiedenen Methoden der Sozialforschung, Empirie, Diskurs- und Bildanalyse wird die Frage der geschlechtlichen Codierung von hoher und angewandter Kunst auf mehreren Ebenen betrachtet, was zu interessanten Überschneidungen und Verbindungen zwischen den Ergebnissen der Beiträge führt. Die Aufsätze versuchen nicht, dem Kanon der männlichen Meister der Moderne einen weiblichen entgegenzuhalten, was eine Fortschreibung des herrschenden Kanons der hohen Kunst bedeutet hätte. Statt dessen eröffnet der Tagungsband eine neue Perspektive auf die Hierarchie zwischen hoher und angewandter Kunst für den Zeitraum der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts und impliziert damit eine Kritik an der hohen, männlicher Kreativität zugeordneten, Kunst. Die Trennung zwischen high and low culture wird nicht nur aufgebrochen, sondern auch deren geschlechtliche Zuschreibungen in Augenschein genommen. Wie die Herausgeberinnen in ihrem Vorwort schon einräumen, fehlen jedoch Analysen zu Selbstinszenierungen der Künstlerinnen oder Untersuchungen zu Körperbildern in den Angewandten Künsten.
URN urn:nbn:de:0114-qn031107
Silke Förschler
Studium der Kunstgeschichte, Redakteurin bei Genderzine/Gendernet der UdK Berlin
E-Mail: sfoerschler@gmx.de
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