Gertrud Pfister, Mari Kristin Sisjord (Eds.):
Gender and Sport.
Changes and Challenges.
Münster u.a.: Waxmann Verlag 2013.
276 Seiten, ISBN 978-3-8309-2873-7, € 38,00
Abstract: Im vorliegenden Band werden gegenwärtige Fragen, Vorreiterdebatten und neue Erkenntnisse einer genderkritischen Sportwissenschaft gebündelt und ein aktueller Einblick in die zentralen Diskussionen des Fachs gegeben. So ist die Auswahl der Autor/-innen aus älteren und jüngeren Generationen breit gefächert. Ebenso vielfältig sind die den einzelnen Beiträgen übergeordneten Themenbereiche. Vermag der Sammelband in dieser Hinsicht zu überzeugen, so ist er mit Blick auf aktuelle Theorie- und Methodendiskurse streckenweise nicht auf dem Stand der Dinge. Es besteht ein Nachholbedarf u.a. in Sachen performativ-dekonstruktivistischer, intersektioneller oder kritisch-materialistischer Ansätze. Insofern werden die zukünftigen Herausforderungen an eine genderkritische Sportwissenschaft deutlich.
Teilen wir die sportsoziologische Annahme, dass sich Gesellschaften mittels Sport ihrer Realität versichern und dass in einem konstruktivistisch-performativen Sinn durch die repetitive (Wieder-)Aufführung sportlicher Wettkämpfe gesellschaftliche Werte aktualisiert werden, was schließlich zur Festigung sozialer Identität(-en) führt, so ermöglicht die kritische Analyse des Sports tiefe Einsichten in soziale Ordnungen. Es verwundert daher nicht, dass sich patriarchale Gesellschaftsstrukturen auch in den Strukturen des Sports fortschreiben. So zeigt sich auch für den Sport die Notwendigkeit, im Sinne kritisch-emanzipatorischer Analyse eine genderspezifische Perspektive auf dieses Feld einzunehmen.
Dieser Notwendigkeit stellen sich die Herausgeberinnen des Sammelbands Gender and Sport. Changes and Challenges. Sie möchten gegenwärtige Fragen, Vorreiterdebatten und neue Erkenntnisse mit dem Ziel vereinen, einen Einblick in die zentralen Diskussionen des Fachs zu geben. Dabei soll der Schwerpunkt des Bandes vor allem auf den Veränderungen im Feld von Gender und Sport liegen. Die Herausgeberinnen setzen sich hohe Ziele, wenn sie bereits in der Einleitung die herausragende Stellung ihrer Veröffentlichung behaupten: „This volume is outstanding because it covers topics that have not been addressed together in a publication“ (S. 7). Auch die Auswahl der Autorinnen und Autoren soll dem in nichts nachstehen, vereint sie doch die ältere sowie die jüngere Generation führender Wissenschaftler/-innen und Aktivist/-innen. Es sind also große Ambitionen mit der vorliegenden Veröffentlichung verbunden, die sich auch daraus speisen, dass der Band eine Festschrift zu Ehren des 70. Geburtstages von Kari Fasting ist. Fasting ist Professorin an der Norwegischen Schule für Sportwissenschaften (Norwegian School of Sport Sciences) und den Herausgeberinnen zufolge eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im Kampf um Geschlechtergleichheit im Sport.
Vor diesem Hintergrund ist das Thema im Band in sechs unterschiedliche Bereiche gegliedert. Zu Gender und Sport in historischer Perspektive reflektiert M. Ann Hall ihre Forschungsarbeiten zur Geschichtsschreibung des Themas und gibt kurze Einschätzungen zu zukünftigen Entwicklungen. So stellt die Autorin eine immer noch vorhandene dominante männliche Perspektive in der Sportgeschichtsschreibung fest und schlägt vor, dieser zukünftig verstärkt mit durch Intersektionalität inspirierten Methoden zu begegnen.
Zur Thematik der Implikationen von Gender, Sport und Macht auf weiblich besetzte Führungspositionen im Sport schreiben Jorid Hovden, Johanna A. Adriaanse und Gertrud Pfister. Aufgrund der immer noch herrschenden männlichen Dominanz im Sport kommt Hovden zu dem Schluss, dass Frauen, die sich in ihrer Führungsposition ausschließlich von Männern umgeben sehen, nur äußerst selten in der Lage sind, die vorhandene Marginalisierung von Frauen zu neutralisieren. Diesen Punkt sieht auch Adriaanse ähnlich, die in ihrem Beitrag vor allem Männern die Macht zuschreibt, Frauen in Führungspositionen zu unterstützen, indem sie mit dazu beitragen, vorhandene Geschlechterordnungen zu verschieben, also ein undoing gender zu betreiben. Pfister befasst sich mit der Stellung von Trainerinnen im Leistungssport, die immer noch eine Ausnahmeerscheinung sind und daher oft als Außenseiterinnen oder ‚Eindringlinge‘ marginalisiert werden.
Die Rolle des ‚Eindringlings‘ wird Frauen vor allem in sogenannten ‚Männersportarten‘ zugeschrieben. Dies zeigen die Artikel von Bente Ovèdie Skogvang, Mari Kristin Sisjord und Gerd von der Lippe. Skogvang zeigt auf, dass Männer sowohl als Sportler als auch als Trainer das höhere Ansehen genießen, was sie folglich im medialen Diskurs und mit Blick auf ihr Einkommen besser positioniert. Bei gleicher Qualifikation müssen Frauen mehr Leistung erbringen als Männer, um ihr sportliches Kapital in soziales und ökonomisches Kapital umwandeln zu können, falls ihnen das überhaupt gelingt. Diese Ungerechtigkeiten stellt Sisjord auch für ein exemplarisch untersuchtes Frauensnowboardteam fest. Von der Lippe gelingt ein origineller Einblick in Bekleidungspraktiken im Sport, die der Tendenz nach versuchen, Geschlechterstereotype zu untermauern, was aber am individuellen Widerstand von Sportlerinnen scheitern kann.
Sexuelle Belästigung, Homophobie, aber auch individuelle Ermächtigung [empowerment] sind auch im Sport ein zentrales Thema. Heidi Eng zeigt in ihrer ethnografischen Studie auf, wie es einem offen schwulen Handballteam gelingt, die Geschlechterordnung der Norwegischen Handballliga zu queeren. Stiliani „Ani“ Chroni befasst sich mit alltäglicher sexueller Belästigung von Athletinnen, während Carole A. Oglesby aus ihrer praktischen Erfahrung als Sportpsychologin vom Umgang mit Diskriminierungserfahrungen berichtet.
Ein weiterer Themenkomplex ist die Konstruktion von Geschlechterordnungen durch den Sportunterricht. So fragt Sheila Scraton in Anlehnung an Judith Butler, ob Gender noch immer von Gewicht sei, und stellt den Sportunterricht entsprechend als umkämpftes Terrain dar, auf dem sowohl Diskriminierung als auch Emanzipation stattfindet. Von den Erfahrungen von Sportpädagoginnen auf diesem Gebiet berichtet Fiona Dowling, während Kristin Walseth die Erfahrungen muslimischer norwegisch-pakistanischer Mädchen mit dem Sportunterricht untersucht. Abgerundet wird der Band mit persönlichen Erinnerungen und Perspektiven. In kurzen Einlassungen zeigen Celia Brackenridge, Nadezda Knorre und Anita White einmal mehr die Relevanz der Arbeiten Kari Fastings auf.
Mit Blick auf die Themenvielfalt leistet der Band tatsächlich Beachtliches und wird dem Anspruch gerecht, Themen zu bündeln, die in dieser Weise noch nicht zusammengeführt wurden. Er eignet sich daher sehr gut, um beispielsweise in Seminarkontexten eine Einführung in das Thema Sport und Gender zu geben und mögliche thematische Vertiefungen vorzuzeichnen.
Mit Blick auf die Aktualität der in den einzelnen Beiträgen verwendeten Methoden und Theoriebezüge sind jedoch große Unterschiede festzustellen. So überwiegt ein eher traditioneller soziologischer Methoden- und Theoriekanon, der sich oft auf Pierre Bourdieus Konzept der Kapitalformen und des Habitus bezieht. Dabei fällt auf, dass die Kategorie ‚Frau‘ ebenso wie eine stillschweigend a priori gesetzte Geschlechterbinarität streckenweise unhinterfragt bleibt, wodurch bestimmte strukturelle Ordnungen und Ungleichheiten nicht bloß beschrieben, sondern auch fortgeschrieben werden. Vor diesem Hintergrund ragen insbesondere diejenigen Beiträge – u.a. von Eng und Scraton – wohltuend heraus, die sich anderer Konzepte bedienen wie beispielsweise queerer Theorie oder Intersektionalität. Scraton ist darüber hinaus die einzige, die die Aktualisierung neoliberaler Ideologien der Leistungsoptimierung und des Selbstmanagements durch Sport und deren Bedeutung für sexistische Strukturen und Praktiken ansatzweise thematisiert. Dass Geschlecht allein keine Garantie für emanzipatorische Politik ist, brachte unlängst Angela Davis in einem Interview folgendermaßen auf den Punkt: „Ich solidarisiere mich lieber mit einem geschlechterkritischen Mann of Color als mit einer neoliberalen Feministin“. Auch eine kritische Sportwissenschaft sollte Emanzipation als Politik ohne Garantien verstehen.
So lässt sich abschließend festhalten, dass es mit Blick auf die im Untertitel genannten „Changes and Challenges“ letztere sind, die überwiegen. Denn während die Beiträge hauptsächlich zeigen, dass sich im Geschlechtergefüge des Sports doch recht wenig geändert hat, so sind sich alle darin einig, dass weiterhin zahlreiche Herausforderungen an eine genderkritische Auseinandersetzung mit Sport bestehen. Sich diesen mithilfe aktueller Theorien und Methoden zu stellen, scheint vielversprechend.
Sebastian Nestler
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Lehrbeauftragter am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft sowie am Institut für Philosophie; weitere Lehraufträge an der Zeppelin Universität im Bereich Communication & Cultural Management.
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E-Mail: sebastian.nestler@aau.at
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