Pornographie reloaded

Rezension von Carina Rosa Klugbauer

Lisa Andergassen, Till Claassen, Katja Grawinkel, Anika Meier (Hg.):

Explizit!

Neue Perspektiven zu Pornographie und Gesellschaft.

Berlin: Bertz + Fischer 2014.

172 Seiten, ISBN 978-3-86505-232-2 , € 16,90

Abstract: Die aktuelle Debatte um Pornographie stellt sich andere Fragen als in den kämpferischen 70er Jahren. In den interdisziplinären Beiträgen des Sammelbandes wird Pornographie als kulturelles Artefakt behandelt, als Begriff, der in Diskurse über Sexualität und Moderne, über Identität und Jugend verwoben ist. Die Autor_innen arbeiten mit empirisch-sozialwissenschaftlichen Methoden Fragen nach dem Nutzer_innenverhalten von Onlinepornographie und jugendlichem Pornokonsum auf, bieten theoriegeleitete Zugänge zur Unbestimmbarkeit von Pornographie, zu ihrer notwendigen Einbettung in andere gesellschaftliche Kontexte sowie künstlerische Interventionen zu ihrem emanzipatorischen Potential. Die Beiträge bieten einen gelungenen Einblick in den aktuellen Stand der Debatte dieses noch jungen Feldes.

DOI: http://doi.org/10.14766/1155

„Porno ist überall“ (S. 7) ─ mit dieser alten Diagnose wird der Sammelband Explizit! Neue Perspektiven zu Pornographie und Gesellschaft eingeleitet. Gemeint ist hier nicht nur die von verschiedenen Seiten immer wieder herbeizitierte Allgegenwärtigkeit von Pornographie, sondern ─ als neuer Gedanke ─ ein veränderter Zugang zu Pornographie, der sich langsam auch in den Wissenschaften etabliert. Die Beiträge, die auf Vorträgen auf der 2013 in Potsdam ausgerichteten Konferenz „Explizit! Coming to Terms with Pornographie“ basieren, haben das Ziel, das omnipräsente Phänomen Pornographie sowohl aus sozial-, medien- und filmwissenschaftlicher Sicht zu beleuchten als auch künstlerisch einzuholen. Herausgekommen ist dabei eine gelungene Mischung interdisziplinärer Beiträge, in denen Pornographie nicht nur als Filmgenre begriffen, sondern der Topos Porno auch in gesellschaftliche Zusammenhänge eingebettet wird.

Pornographie sei einerseits aus seiner „Schmuddelecke“ (S. 10) herausgetreten, immer stärker in der Öffentlichkeit angekommen und habe als popkulturelles Motiv seine Anrüchigkeit verloren. Andererseits führe diese vermehrte Öffnung gerade nicht zu einer Verständigung der Positionen im Diskurs über Pornographie. Die Debatten sind immer noch seltsam verkürzt, von moralischer Panik überlagert und einer Pauschalisierung unterworfen, so lässt sich der Status der Pornographie dem Band Explizit! zufolge zusammenfassen. Ausgehend von dieser Beobachtung haben es sich die Autor_innen zur Aufgabe gemacht, eben jenen Kurzschluss zu vermeiden, einen Schritt zurückzutreten und zu fragen, was genau Pornographie denn eigentlich ist. Diesem Duktus folgend beschäftigen sie sich mithilfe von Methoden der quantitativen und qualitativen Sozialforschung mit dem User-Verhalten von Porno-Nutzer_innen und deren Motivationen, dem rechtlichen Status von Pornographie und mit einer theoriegeleiteten Aufarbeitung, in welche gesellschaftliche Diskurse über Sexualität und die moderne Pornographie eingebettet sind. Daneben wird das Verhältnis von Kunst und Pornographie beleuchtet. Die Autor_innen eint hierbei die Grundhaltung, dass Pornographie ein Feld ist, mit dem sich zu beschäftigen nicht zu umgehen ist. „Die Frage ist nicht, ob Pornographie verhandelt werden muss, sondern wer daran beteiligt sein und die Diskurse bestimmen wird“ (S. 14, Hervorh. im Original).

Der Band markiert damit eine veränderte Haltung zur Pornographie, die sich nicht mehr an der Frage nach einer Befürwortung oder einem Verbot von Pornographie abarbeitet. Die Zeiten der Porn Wars der 70er und 80er Jahre scheinen vorbei zu sein. Spaltete sich die feministische Bewegung damals an der Frage, ob Pornographie inhärent frauenverachtend und gewaltförmig ist oder ob sie das Potential zur emanzipatorischen sexuellen Befreiung in sich trägt, ist für die Autor_innen von Explizit! zumindest entschieden, dass es Pornographie gibt und sich eine Analyse lohnt.

Es verwundert auch nicht weiter, dass in diesem Band die gängige funktionalistische Beschreibung von Pornographie „als bloße ‚Masturbationsvorlage‘“ (S. 9) nicht gelten gelassen wird. Vielmehr wird sein Gegenstand einer vielschichtigen Betrachtung unterzogen, finden sich unter den Autor_innen auch Attwood und Smith, die beiden Herausgeberinnen des Journals Porn Studies, die mit diesem Pornographie als ernstzunehmendes Thema wissenschaftlicher Auseinandersetzung im akademischen Kontext verankern möchten.

Im Sammelband Explizit! soll das aufgearbeitet werden, was in den Debatten der letzten Jahrzehnte zu kurz kam ─ Fragen, wie Pornographie funktioniert, welche Bedeutung durch und von Pornographie produziert wird, wer die User_innen sind und welche Motivation beim Konsum eine Rolle spielt. Damit ist die Herangehensweise ähnlich der von Linda Williams, die mit ihrem 1989 erschienenen Buch Hard Core: Power, Pleasure, and the “Frenzy of the Visible” (Williams 1989) die Sackgasse der Porn Wars und die daraus resultierende Lagerbildung überwinden wollte. Williams zeigt in ihrer Analyse, dass Pornographie keine direkte Repräsentation von Sexualität ist, sondern ein fiktionales Genre, das in widersprüchlicher Weise ihren eigenen Mythos des natürlichen Sexes zu Tage fördert. Damit wird Pornographie als ein kulturelles Artefakt behandelt, an dem sich Geschichten über Sexualität, Begehren und Geschlecht ablesen lassen, die sich die Gesellschaft über sich und ihre Verhältnisse erzählt.

Obwohl die Autor_innen in Explizit! anders als Williams kaum Narrative und Szenen konkreter pornographischer Filme analysieren, verfahren sie in einem ähnlichen Modus. Es gilt ein akademisch weitgehend noch unerschlossenes Gebiet zu erkunden und sich nicht mehr auf die Kämpfe Zensur oder Liberalisierung einzulassen. „Denn bevor wir überhaupt fragen können, wie Pornographie uns beeinflusst, welche Machtverhältnisse sie generiert, welches Bild von Sexualität und Geschlecht sie produziert, welche Normen sie setzt, oder wie eine emanzipatorische Aneignung funktionieren könnte, müssen wir wissen, worüber wir sprechen, und uns eine Vorstellung davon machen, was Pornographie alles sein kann und wie sie rezipiert wird.“ (S. 17)

Die Pornographie, die wir verdienen

Ein Teil der Beiträge versucht sich dann auch erst einmal an einer Formbestimmung von Pornographie. Die Essenz von Pornographie werde sich nicht in einer positiven Bestimmung finden lassen, sondern man werde sie nur in ihrem historischen und gesellschaftlichen Kontext greifen können, weil Pornographie nur im Verhältnis zu gegenwärtigen moralischen Vorstellungen als solche erkennbar würde. (vgl. S. 9) Das erklärt auch die relative Offenheit und Veränderbarkeit von dem, was als Pornographie gilt, weil sie immer „das kulturell ‚Andere‘ [ist], das argwöhnisch beäugt wird“ (S. 9) und damit zum Indikator für geltende Normen und Regeln wird.

Obwohl oder gerade weil Pornographie als irgendwie schmutzig und obszön aus einer gesellschaftlichen Mitte ausgeschlossen bleibt, kann man an ihr ablesen, wie eine Gesellschaft ihre auch gewissermaßen anrüchige Sexualität thematisiert, ohne sie direkt ansprechen zu müssen. Pornographie hat dabei gar nicht den Anspruch, das Reale abzubilden, sondern bietet sich in einer funktional differenzierten Gesellschaft als ein Beschreibungsmuster von moderner Sexualität an, so Lewandowski in seinem Beitrag „Stiefgeschwister?“. Pornographie repräsentiere nicht direkt die Sexualität der Gesellschaft, sondern greife Vorstellungen über die zentralen Funktionen von Sexualität in der Moderne auf: die „Ausrichtung am Lustprinzip, die Selbstreferenz und Pluralität des Sexuellen sowie die Autonomie des modernen Sexualitätssystems“ (S. 41). In diesem Zusammenhang bietet sich ein Blick auf die Pornographie einer Gesellschaft an, nicht um etwas über reale Sexpraktiken zu erfahren, sondern darüber, wie eine Beschreibung und Reflexion von Sexualitäten stattfindet und sich verändert. Dass diese Bilder dann auch den Sexismus und die Misogynie der Gesellschaft widerspiegeln, verwundert nicht weiter.

Das Eingebettetsein von Pornographie in gesellschaftliche Normen wird auch am rechtlichen Umgang mit ihr deutlich, wie Castendyk in seinem Beitrag „Grob anreißerisch“ darlegt. Juristisch scheint sich Pornographie einer positiven Bestimmung zu entziehen: Sexuelle Handlungen in Filmen und auf Bildern werden erst dann zur Pornographie, wenn sie ohne Einbettung in menschliche Sozialbeziehungen und zum Zwecke der sexuellen Erregung der Zuschauer_innen gezeigt werden (vgl. S. 21 f.). Damit seien Kriterien gesetzt, die an gesellschaftliche Normen und Werte, unter denen legitime Sexualität (im Gegensatz zu Pornographie) stattfinden soll, anschließen. Begründet wird die Einschränkung von Pornos (wie etwa eine Altersbeschränkung, aber auch das Verbot von Gewaltpornographie) mit einer Schutzfunktion des Staates, die er in der Sexualerziehung der Heranwachsenden einnehmen muss, damit diese „keinen falschen Eindruck von Sexualität erhalten“ (S. 24). Auch hier wird Pornographie als Trope benutzt, um Aussagen über gesellschaftliche Vorstellungen von Sexualität und dem Verhältnis zu Liebe und Partnerschaft zu treffen.

Die Beiträge bieten interessante Analysen über die Funktion von Pornographie für eine moderne Gesellschaft, die nicht von ungefähr an Foucaults Analysen zu „Sexualität und Wahrheit“ erinnern. Betrachtete Foucault Sexualität als den Kulminationspunkt, über den sich moderne Individuen beschreiben und eine Bevölkerung reguliert wird (vgl. Foucault 1983), dann stellt Pornographie die darüber liegende Beschreibung der Sexualität dar, so muten zumindest die theoretischen Überlegungen von Lewandwoski, aber auch von Castendyk und weiteren an. Diese doch interessante Fortführung eines poststrukturalistischen Theoriegebäudes ist zwar wohldurchdacht und spannend, lässt aber oft die Frage zurück, was dann noch über Pornographie ausgesagt werden kann, wenn sie doch lediglich als Selbstbeschreibungssystem für Sexualität gilt. Wenn die Forschungseinstellung lautet, dass „[e]ine soziologische Analyse des Pornographischen […] von der sozialen Tatsache ausgehen [muss], dass es Pornographie gibt, und sich im Übrigen jeden Werturteils enthalten [soll]“ (S. 43), beraubt sich eine sozialwissenschaftliche Analyse auch der Möglichkeit, über das Bestehende hinauszudenken. Pornographie erscheint immer nur als Ausdruck von etwas anderem, nämlich der modernen Sexualität. Diese wird als Ergebnis eines Prozesses funktionaler Ausdifferenzierung gefasst, in dessen Zuge das Sexuelle für die Strukturierung von Gesellschaft keine signifikante Bedeutung mehr hat, weshalb es auch zu einer Liberalisierung und Pluralisierung kommen konnte.

Dies scheint insofern problematisch, als es kein Denken mehr zulässt, das hinter dieses System Sexualität/Pornographie blickt und das fragen könnte, welche anderen gesellschaftlichen Verhältnisse an spezifischen Ausformungen von Sexualitäten und Pornographie mitgewirkt haben. Kurz, die soziologische Neutralität schlägt sich in einer Deskription nieder, die einfach hinnehmen muss, dass es Stabilität oder Wandel der normativen Vorstellung von legitimer und nicht legitimer Sexualität (und Pornographie) gibt, ohne Gründe dafür anführen zu können. Strukturelle Umstände oder das Individuum fallen als Protagonisten heraus im Kampf gegen die Deutungshoheit um den Sex und den Porno.

Empirische Pornographieforschung

Vielleicht ist die Pornographieforschung aber auch an einem Punkt, in dem kleinteiligere Fragen gestellt werden müssen, um die Debatte nicht wie in den 70er Jahren an die großen Fragen nach der gesamten gesellschaftlichen Verfasstheit zurückzubinden und die Pornographie damit wieder einer Analyse zu entziehen.

So stellen Smith, Barker und Attwood in ihrem Beitrag „Teenage Kicks: Die Auseinandersetzung junger Menschen mit Pornografie“ fest, dass wir fernab der Stereotypen über Pornokonsument_innen wenig darüber wissen, wie Pornographie rezipiert wird. Deshalb ist es umso interessanter, dass die Forscher_innen in einer sozialwissenschaftlichen Studie versucht haben, diese Lücke zu schließen und das Mysterium des Porno-Rezipienten zu entschleiern. Die Ergebnisse ihres pornresearch-Fragebogens bieten Einblicke in die Weise, wie Menschen selbst ihr Verhältnis zu Pornographie und Sexualität sehen. Interessant ist hierbei vor allem der kreative Umgang jugendlicher Pornokonsument_innen, die dem gängigen Narrativ, das von ihnen gezeichnet wird, widerspricht. Die Autor_innen können mit ihrer Studie zeigen, dass „[d]ie stereotypisierte Figur des Pornokonsumenten […] vielmehr dafür genutzt [wird], die Gefahren und das Unheil abzubilden, mit denen Pornographie in Verbindung steht“ (S. 46). Pornographie werde als schnell gefundene Ursache für eine Verwahrlosung der Gesellschaft herangezogen, in der Depression, Beziehungsunfähigkeit und Einsamkeit vorherrschen, um damit nicht nach den wirklichen Ursachen dieser gesellschaftlichen Verfasstheit fragen zu müssen. Vor allem jugendliche Pornonutzer_innen seien sich hingegen der Bilder bewusst, die von ihnen gezeichnet würden ─ das der tickenden Zeitbombe und des hormongesteuerten Teens ─, und konterkarierten diese in ihren Antworten ironisch. Vor allem konnten die Autor_innen aber herausarbeiten, dass es nicht den Pornokonsumenten gibt, sondern dass „Pornokonsum […] eng mit der Wahrnehmung der sexuellen Umstände eines Menschen verknüpft“ ist (S. 61, Hervorh. im Original) und damit keine objektive Wahrheit hat.

Aufschlussreich an dem Beitrag ist, dass die Studie mit der impliziten Hoffnung gestartet wurde, der Anti-Pornographie-Bewegung endlich auch harte Fakten zugunsten des Pornos entgegensetzen zu können, was als Ergebnis aber nicht auszumachen war. Pornographie ist weder ‚nicht schädlich‘, noch führt sie zur Verrohung der Jugend, sondern kann nur, so das Meta-Ergebnis der Studie, „im Verhältnis zu den Beziehungen verstanden werden […], in denen sich eine Person gerade befindet“ (S. 61, Hervorh. im Original). Damit wird die anfangs formulierte Grundhaltung, sich nicht mehr auf die Kämpfe für oder gegen Pornographie einlassen zu wollen, wieder eingelöst.

In ähnlicher Weise ─ weg von einer bewertenden Pro- oder Contra-Haltung ─ reihen sich die Beiträge von Distelmeyer („Objektwahl“) und Claassen („Navigieren durch’s Pornoland“) ein, die sich beide der Kategorisierung von Online-Pornographie und der Nutzer-Steuerung dieser Websites widmen. Distelmeyer kommt zu dem Schluss, dass in der scheinbaren Wahlfreiheit des Nutzers, welchen Porno er/sie sehen möchte, das „Versprechen von Ermächtigung, Kontrolle und Individualisierung“ (S. 101) liegt, dem aber alleine durch die Kategorisierung und damit durch das, was überhaupt als erotisches Unterscheidungskriterium herangezogen wird, Grenzen gesetzt sind. Dazu hat Claassen eine quantitative Studie erstellt, in der er die Kategorien von Online-Pornographie herausarbeitet und damit auch darauf verweist, dass es sich dabei um keine wahllose Aufzählung möglicher Fetische handelt, sondern dass die Bildung der Kategorien auf herrschende Geschlechter-, aber auch andere gesellschaftliche Verhältnisse Bezug nimmt.

Pornöse Kunst? Emanzipatorische Pornographie?

Nicht zuletzt beschäftigen sich einige Autor_innen mit dem emanzipatorischen Potential von Pornographie, das im Subtext in allen Beiträgen zumindest nicht ausgeschlossen wird. Murray-Wassink erzählt eine sehr subjektive Geschichte von schwuler Pornographie und Masturbation, die er sowohl zeichnerisch als auch als Performance verarbeitet hat. Die Künstlerin Llopis stellt hingegen fest, dass wir die Pornographie haben, „die wir verdienen“ (S. 141), so dass wir uns in einer sexistischen Gesellschaft nicht verwundern müssen, großteils eben genau dies Sexistische auch in Pornos widergespiegelt zu sehen. Dennoch könne „Pornographie sein, was es auch immer schon sein sollte: ein simples Spiel, das unsere Neugier ausdrückt, Sex zu entdecken“ (S. 141). Genauso wie sich soziale Beziehungen und Verhältnisse ändern könnten, stehe die Pornographie nicht still, sondern habe Potential, sich zu verändern. Ähnlich sieht es auch Pasquinelli, der einen „Masochismus der Warenform“ (S. 127) vorschlägt, um damit der „Pornographie als ultimative[r] Ware“ (S. 126) in einer kapitalistischen Gesellschaft zu begegnen. In dieser queeren Spielart soll Pornographie gerade nicht aus der Warenform überführt werden, sondern es soll paradoxer Widerstand geübt werden, um der paradoxen Realität, die dem Kapitalismus inhärent ist, mit den eigenen Mitteln zu begegnen. Im Porno sei nicht alles gut, aber er habe ebenso wie andere Formen gesellschaftlicher Bedeutungsproduktion subversives Potential für Veränderung. Wie genau das emanzipatorische Potential aber genutzt, das subversive Element eingeschleust werden soll, wird weniger deutlich gemacht. Schließlich gibt es bereits eine ganze Reihe alternativer, queerer Pornolabels, die versuchen, eine andere Darstellung von Körper und Begehren zu zeigen. Hier hätte man sich vielleicht noch einen Beitrag gewünscht, in dem abseits von der Mainstream-Pornographie die Frage behandelt wird, ob der Queer-Porn die Emanzipation beinhalten kann, die er verspricht, oder ob die Form der Pornographie nicht doch von den gesellschaftlichen Verhältnissen in seine Grenzen gewiesen wird.

Fazit

Die Leser_innen haben nach der Lektüre des Bandes mehr als nur einer Idee davon, wie eine gesellschaftlich eingebettete Analyse zu Pornographie aussehen kann. Dies ist umso erfreulicher, als es vor allem in der deutschsprachigen Wissenschaft noch eher verhaltene Auseinandersetzungen zu Pornographie gibt. Es gelingt den Herausgeber_innen in diesem Sammelband, unterschiedliche theoretische und methodische Herangehensweisen nicht nur nebeneinander zu reihen, sondern eine Verbindung herzustellen, da alle Autor_innen Pornographie als gesellschaftliches Phänomen betrachten. Auch wenn sich der Band eine Positionierung für oder gegen Pornographie versagt, ist zu merken, dass die Zeiten der Porn Wars vorbei sind und sich die Frage nach einem Verbot eigentlich gar nicht mehr so richtig stellt. Dies lässt viel Raum, um sich fernab der Grabenkämpfe auf ein noch relativ unerforschtes Feld einzulassen.

Bei manchen Beiträgen hätte man sich dennoch gewünscht, die Autor_innen würden einen Schritt weiter gehen und sich den zum Teil angedeuteten weiteren Forschungsfragen auch stellen. So kommt zwar immer wieder die Frage nach Geschlechterverhältnissen oder nach der Rolle von race in der Pornographie auf, diese werden aber eher im Subtext verhandelt. Auch bleibt die Frage offen, wie eine alternative Pornographie aussehen kann. Es wird zwar auf die Notwendigkeit hingewiesen, andere Bilder zu produzieren als die schon vorhandenen oder paradoxen Widerstand zu üben, aber wie genau man sich das vorstellen kann, bleibt im Dunkeln.

Trotzdem liefert Explizit! eine facettenreiche Auseinandersetzung mit Pornographie, die über eine filmtheoretische Analyse des Genres hinausgeht. Der Band kann über den Gegenstand Pornographie andere Bereiche gesellschaftlichen Zusammenlebens, wie die Suche nach Authentizität des modernen Individuums und die Funktion von Sexualität in der Moderne erschließen, sodass deutlich wird, dass der Porno nicht lediglich ein anrüchiges Film-Genre ist. Nicht zuletzt wird sichtbar, wie gesellschaftliche Normen und Werte verhandelt werden, wie Jugendliche ironisch die von ihnen gezeichneten Stereotypen über ihre Sexualität subvertieren, wie das ausufernde Angebot an Online-Pornographie der Nutzer_in nur vermeintliche Handlungsmacht bietet und die Pornographie aber doch rückgekoppelt ist an eine sich verändernde Gesellschaft.

Der Porno ist eben mehr als eine Masturbationsvorlage, er ist eine Form, ein Genre, ein gesellschaftlicher Zusammenhang, durch dessen Prisma sich Fragen nach Sexualität, Lust, dem Verhältnis von Individuum und Struktur, von Norm und Differenz stellen lassen, die nicht nur für eine akademische, sondern auch eine gesellschaftliche Debatte bereichernd sein können. Wenn man sich der These von Andergassen anschließt, dass es nicht mehr darum geht, ob man sich mit Pornographie beschäftigt, „sondern wer daran beteiligt sein“ wird (S. 14), dann ist dieser Band auf jeden Fall ein Wegweiser in die richtige Richtung.

Literatur

Foucault, Michel. (1983). Der Wille zum Wissen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Williams, Linda. (1989). Hard Core: Power, Pleasure, and the “Frenzy of the Visible”. Berkeley/Los Angeles: University of California Press.

Carina Rosa Klugbauer

Johann-Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt

Masterstudium Politische Theorie; Leitung eines Autonomen Tutoriums zum Thema „Queer und Antikapitalismus“ und zu „Materialistischem Feminismus“

E-Mail: carina.klugbauer@gmx.de

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