Annamarie Jagose:
Queer Theory.
Eine Einführung.
Berlin: Querverlag 2001.
220 Seiten, ISBN 3–89656–062–X, € 15,24
Abstract: Jagoses Einführung in die Queer Theory ist in erster Linie eine Genealogie des Begriffs queer. Über den historischen Kontext von Homophilenbewegung, Homobefreiungsbewegung und lesbischem Feminismus in den USA fragt sie nach den Entstehungsbedingungen, die Queer Theory hervorgebracht haben und zeichnet die Kontinuitäten und Brüche in der Bedeutungsgeschichte von queer nach. Sie setzt sich mit den poststrukturalistischen Wurzeln von Queer Theory auseinander und diskutiert das emanzipatorische Potential ihrer theoretischen und politischen Aspekte. Die deutsche Ausgabe ergänzt das Werk um ein umfangreiches Nachwort, in dem u. a. auf die Rezeption von Queer Theory in der BRD eingegangen wird.
Gegenstand der Queer Theory sei, so die Herausgeber/-innen, „die Analyse und Destabilisierung gesellschaftlicher Normen von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit.“ (S. 11) Innerhalb der Queer Theory wird somit mit queer all das umschrieben, was sich subversiv gegen das herrschende heterosexuelle Geschlechterregime wendet, seine Struktur hinterfragt und mit ihm bricht. Das zentrale Anliegen sei, „Sexualität ihrer vermeintlichen Natürlichkeit zu berauben und sie als ganz und gar von Machtverhältnissen durchsetztes, kulturelles Produkt sichtbar zu machen.“ (S. 11) Der Begriff queer hat aber auch in Bereichen Karriere gemacht, die kaum als subversiv im Sinne der Queer Theory bezeichnet werden können. Queer scheint die moderne Zusammenfassung der Identitätskategorien lesbisch und schwul zu sein, queer taucht auf als Etikett einer lesbischwulen Spaßkultur oder als Selbstbezeichnung jener Bürgerrechtsbewegungen, die Repräsentation und Partizipation im bestehenden Rechtssystem fordern. Die vielfältige Verwendung von queer erfordert daher eine genaue Analyse dessen, was queer meint, welchen Wandlungen der Begriff unterworfen und wie er innerhalb der Queer Theory zu verstehen ist. Jagoses Einführung ist als gelungen zu werten, weil sie im Spannungsfeld zwischen queer als subversivem Phänomen einerseits und seiner Institutionalisierung (und damit tendenziellen Normierung) in universitären Diskursen andererseits eine sorgfältige Genealogie des Begriffs vornimmt, ohne seine Bedeutung festzuschreiben.
Damit wird Jagose durchaus ihrem eigenen Anspruch gerecht: „Das vorliegende Buch (unternimmt) nicht den Versuch, die veränderlichen Grenzen von queer festzulegen. Stattdessen arbeitet es gerade die ständige Veränderung heraus […].“ (S. 13)
Das Buch gliedert sich in vier Themenkomplexe. Im ersten Teil (Kapitel 1–2) werden grundlegende Inhalte der Queer Theory diskutiert und Konzepte gleichgeschlechtlichen Begehrens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts vorgestellt. Im Anschluss daran geht Jagose ausführlich auf die theoretischen und politischen Ansätze von Homophilenbewegung, Homo-Befreiungsbewegung und lesbischem Feminismus ein und umreißt die Grenzen der Identitätsentwürfe innerhalb dieser Bewegungen (Kapitel 3–6). Im dritten Abschnitt betrachtet Jagose queer in seinem poststrukturalistischen Kontext und erläutert die verschiedenen theoretischen und politischen Auseinandersetzungen um queer (Kapitel 7–8). Es folgt die Ergänzung der deutschen Ausgabe, in der versucht wird, auf die Bedeutung von Queer Theory in unterschiedlichen wissenschaftlichen und politischen Feldern einzugehen sowie deren Rezeption in der BRD mit einzubeziehen.
Wenn Jagose die verschiedenen Entstehungsbedingungen und Konzepte von Homophilenbewegung, Homo-Befreiungsbewegung und lesbischem Feminismus erläutert, so wird deutlich, dass queer einerseits in Kontinuität zu diesen Bewegungen steht, andererseits aber auch einen Bruch herbeiführt. Die Homo-Befreiungsbewegung entwickelte sich Ende der 60er als radikalere Alternative zur Anpassungspolitik der Homophilen-Bewegung; der lesbische Feminismus entstand als Folge frauenfeindlicher Tendenzen innerhalb der Homo-Befreiungsbewegung und mangelnder Repräsentation und Interessenwahrnehmung durch die Frauenbewegung. Queer, als jüngstes Phänomen dieser Bewegungsgeschichte, „[…] ist Ergebnis spezifischer kultureller und theoretischer Schwierigkeiten, die zunehmend die Debatten über Fragen lesbischer und schwuler Identität […] bestimmten.“ (S. 99) Der entscheidende Bruch mit vorgängigen Konzepten besteht in der radikalen Kritik an normativen Identitätskategorien, seien es nun die Lesbe als Subjekt des lesbischen Feminismus, die Homosexuellen als Subjekte der Homobefreiungsbewegung oder die heterosexuelle Frau und der heterosexuelle Mann. Die Entwicklung der Queer Theory liegt aber nicht nur in den Schwierigkeiten begründet, die sich durch normierte Kollektividentitätsvorstellungen innerhalb der lesbisch-schwulen community ergaben, sondern sie wäre nicht denkbar ohne jene wissenschaftlichen und philosophischen Theorien des 20. Jahrhunderts, die im Allgemeinen unter dem Label „postmodern“ zusammengefasst werden. Jagose bezeichnet diese als „[.] den Hintergrund, vor dem queer ein nachvollziehbares, fast möchte man sagen: ein unvermeidliches Phänomen wird.“ (S. 94)
Diesen Hintergrund gilt es zu bedenken, wenn Jagose die Queer Theory in ihren poststrukturalistischen Kontext stellt. Der Poststrukturalismus bietet mit seiner Grundannahme, dass Strukturen veränderlich sind, keine „natürlichen“ Formen und Inhalte besitzen und somit auch „[…] Identität als provisorisch und kontingent verstanden wird […]“ (S. 101), wichtige Anknüpfungspunkte für die Queer Theory. In diesem Abschnitt von Jagoses Einführung liegen jedoch die Schwächen des Buches, zumindest dann, wenn das Kriterium „einführender Charakter“ ausschlaggebend ist. Auf 20 Seiten bietet Jagose sowohl eine Zusammenfassung unterschiedlicher Identitätskritiken und Konzepte von Subjekt, Macht und Sexualität von Louis Althusser, Sigmund Freud, Ferdinand de Saussure, Jaques Lacan und Michel Foucault als auch einen Einblick in die zentralen Aspekte der Theorie von Judith Butler. Dies liest sich als gute Zusammenfassung nur dann, wenn Vorwissen vorhanden ist, zumal Begriffe wie „cartesianisches Subjekt“ oder der Unterschied zwischen Strukturalismus und Poststrukturalismus ungeklärt bleiben.
Insgesamt kann Jagoses Einführung in Queer Theory jedoch als bereichernde Lektüre empfohlen werden. Sie macht deutlich, dass für queer keine feste Definition existiert, dass queer vielmehr „[…] eine Beziehung [aufrechterhält] zum Widerstand gegen alles, was das Normale auszeichnet.“ (S. 128) Queer liefert Anstöße für eine Politik jenseits der gängigen Repräsentationspolitik, die ein Subjekt voraussetzt und setzt sich damit der heftigen Kritik jener aus, die ihre kollektive Identität doch gerade erst geschaffen haben. Mit Queer Theory ist nun endlich in deutscher Sprache eine Einführung in ein Thema erschienen, das seit Mitte der 90er Jahre auch an deutschen Universitäten Einzug gehalten hat.
An essay on Queer Theory by Annemarie Jagose you find on Australian Humanities Review: http://www.lib.latrobe.edu.au/AHR/archive/Issue-Dec-1996/jagose.html
URN urn:nbn:de:0114-qn031145
Birgit Müller
Fachbereich 3 / Frauen- und Geschlechterstudien, Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg
E-Mail: Quarkauflauf@hotmail.com
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