Zunfthandwerkerinnen in der Frühen Neuzeit

Rezension von Christiane Leidinger

Muriel González Athenas:

Kölner Zunfthandwerkerinnen 1650-1750.

Arbeit und Geschlecht.

Kassel: Kassel University Press 2014.

225 Seiten, ISBN 978-3-86219-740-8, € 39,00

Abstract: Die Studie von Muriel González Athenas über die stadtkölnische Wirtschaft zielt darauf, die Verdrängungsthese von Frauen im Handwerk in der Frühen Neuzeit von 1650 bis 1750 zu überprüfen. Aus ihren Tiefenbohrungen in reichhaltigem Quellenmaterial am Beispiel der Goldschmiede-, Wollweber-, Leinenweber- und Schneidergaffel mit insgesamt zehn Zünften fördert sie eine neue Sicht zu Tage: Von einer statischen Benachteiligung oder Verdrängung kann keine Rede sein; die Handlungsmöglichkeiten und Spielräume von Frauen im Handwerk waren in dieser Zeit deutlich größer als das gemeinhin angenommen wird. Vor dem Hintergrund ihrer Perspektive von doing-gender folgert González Athenas, dass sich von einem dekodierbaren und akzeptierten being-Zunfthandwerkerin als angemessener Existenzweise sprechen lässt.

DOI: http://doi.org/10.14766/1172

Ikonografie

Eine (blonde und blauäugige) Frau steht lächelnd in einer Bäckerei. Sie hält einen großen Korb mit goldbraun gebackenen Brötchen in die Kamera. Bei diesem Foto aus dem 21. Jahrhundert handelt es sich um die erste und zudem großformatige bildliche Darstellung auf der Internet-Seite für Auszubildende der Handwerkskammer für die Region Stuttgart.[1] Das – nicht untertitelte – Bild bezieht sich zwar auf das Bäckerei-Handwerk. Gezeigt und mit einer Frau repräsentiert werden aber nicht Bäcker*innen in der Backstube, sondern eine Bäckerei-Fachverkäuferin, also eine Vertreterin eines völlig anderen Ausbildungszweiges. Frauen im Handwerk werden immer noch sehr klassisch entlang geschlechtsspezifischer und -hierarchischer Erwerbsarbeitsteilung oder als gar nicht zusammengehörig dargestellt: Eine ausgebildete Frau in einer Bäckerei ist eine Verkäuferin. Wenn eine Frau Handwerkerin ist, dann arbeitet sie als Friseurin, Kosmetikerin, Maskenbildnerin, vielleicht noch als Graveurin oder Feinoptikerin. In feministischen Kreisen fällt einer sofort die Tischlerin ein; auch dieser Typus Handwerkerin ist (inzwischen) naheliegend, aber: Bäckerin, Hochbaufacharbeiterin, Zimmerin oder Straßenbauerin? Hierbei verbinden sich nicht nur sexistische und bisweilen heterosexistische, sondern durchaus auch klassistische und vermutlich ebenso rassistische Sichtweisen, die wissenschaftlich noch viel zu wenig ausgelotet sind. Dabei ist das Foto auf dem Internetportal der regionalen Handwerkskammer bei weitem kein Einzelfall dafür, wie Tätigkeitsbereiche im oder rund um Handwerke stereotyp gegendert sind, sondern erstes Suchergebnis bei einer kurzen Recherche mit wenigen Klicks.

Wider das Modernisierungsparadigma und die Verdrängungsthese

Ein ganz anderes Bild von Frauen im Handwerk wird in der geschichtswissenschaftlichen Dissertation von Muriel González Athenas über Zunfthandwerkerinnen in Köln 1650 bis 1750 präsentiert. Ein besonders bedeutsamer Unterschied ergibt sich aus heutigen Sichtweisen auf die Geschichte, die oft von einem Modernisierungsparadigma geprägt sind: Der Fakt, dass Frauen heute beispielsweise als Tischlerinnen arbeiten und arbeiten dürfen, wird im Alltagsverständnis als Ergebnis eines Modernisierungsprozesses gesehen, der entweder unreflektiert als Teil einer mehr oder weniger naturwüchsigen Entwicklung oder – nicht selten von Feminist*innen – als Erfolg der Neuen Frauen- und Lesbenbewegung seit den 1970er Jahren im Kampf gegen geschlechter-hierarchisch segregierte und kapitalistische Arbeitsmärkte begriffen wird. Jedenfalls erscheint heute gleichsam alles besser als im vielzitierten sogenannten ‚finsteren‘ Mittelalter. Dabei lohnt ein Blick in diese Zeitperiode genauso wie in die Frühe Neuzeit, was die vorliegende Studie über die stadtkölnische Wirtschaft zeigt.

Muriel González Athenas hat sich darin zum Ziel gesetzt, die Verdrängungsthese bzw. die der Benachteiligung von Frauen im Handwerk zu überprüfen. Als theoretischen Rahmen verwendet die Historikerin das Konzept der Handlungsspielräume. Es ermöglicht, die erforschten Personen als handelnde Subjekte zu konturieren und sie in einem Netzwerk von Traditionen, Kenntnissen, Erfahrungen, Handlungen und Aussagen zu verorten. Die Autorin legt Wert auf eine Subjektkonzeption, die die historischen Personen einerseits als aktiv Handelnde sieht und andererseits als sozial und kulturell geprägt versteht: „Die Frage nach den möglichen Handlungsalternativen der Betreffenden in einer Konfliktsituation öffnet den Zugang zu einer Perspektive über den Einzelfall hinaus. Gesellschaftliche Strukturen, Funktionsweisen und Praktiken können so genutzt werden, um das Handlungsrepertoire von Handwerkerinnen zu ermitteln.“ (S. 28)

Das von der Autorin neu untersuchte breite Quellenkorpus aus der Kölner Stadtgeschichte speist sich zum einen aus einer Neuinterpretation der Zunftordnungen, aus Suppliken der Handwerkerinnen, also Bittgesuchen, und aus Material, das sich auf verschiedene Konflikte zwischen Handwerkerinnen mit der Zunft und deren Gerichtsbarkeit und vor dem Rat bezieht. Bei der Auswahl des Materials lässt sich Muriel González Athenas von einem Begriff von Konflikt leiten, der nicht nur Streit, sondern weitergehend alle Verhandlungsprozesse einschließt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass die Kölner Zunfthandwerkerinnen als Bürgerinnen auch Gerichtsprozesse anstrengen durften. Ausgewählt hat die Historikerin aus den 22 Kölner Gaffeln mit rund 50 Zünften die Goldschmiede-, Wollweber-, Leinenweber- und Schneidergaffel mit insgesamt zehn Zünften. Eine Gaffel in Köln war eine Art Berufsverband. Zur Goldschmiedegaffel gehörten beispielsweise „die Zünfte der Goldschmiede, der Goldschläger und der Goldspinnerinnen, deren Arbeitsfelder sich teilweise überschnitten“ (S. 99). González Athenas legt ihrer Auswahl vier überzeugende Kriterien zugrunde: Erstens betrachtet sie ‚alte‘ und ‚neue‘ Handwerke, zweitens solche mit hohem bzw. niedrigem Kapitalaufwand und langen bzw. kurzen Lehrzeiten, also entlang der Frage der Voraussetzungen, um das Handwerk auszuüben. Drittens fokussiert sie durch ihre Gaffel-Auswahl gleichermaßen eher als ‚weiblich‘ (Stricken, Nähen, Spinnen) und eher als ‚männlich‘ (Schlagen, Schmieden, Weben) geltende Handwerke. Viertens hat die Autorin Gewerke mit steigenden wie auch mit sinkenden Mitgliederzahlen ausgewählt. Dieses „Kriterium zielt auf die Frage ab, ob sich das Geschlechterverhältnis bei Expansion oder steigendem Konkurrenzdruck veränderte“ (S. 19).

Den Abschnitten zur theoretischen Rahmung und der zu Handlungsbedingungen wie politische Ordnung sowie zum Verhältnis von Wirtschaft und zünftigem Handwerk folgen Kapitel, die sich den vier ausgewählten Gaffeln widmen, wobei diese Textteile systematisch-analytisch angelegt sind: Mit Fragen zu Überbesetzung, Konkurrenz und Strategien setzt sich Muriel González Athenas am Beispiel der Schneidergaffel auseinander, mit Ausbildungsfragen beschäftigt sie sich mit Blick auf die Wollwebergaffel, mit der Ehre von Handwerkerinnen in Auseinandersetzung mit der Goldschmiedegaffel sowie mit Nahrung und Gemeinnutz am Beispiel der Gaffel der Leineweber. Daran schließt sich vor dem Resümee und Ergebnisteil ein übergeordnetes Kapitel über Wirtschaftshandeln in der Zunft an.

Aus ihren Tiefenbohrungen in den Quellen der Kölner Stadtgeschichte fördert die Historikerin eine völlig andere Sicht auf die Handwerkerinnen in der Frühen Neuzeit zu Tage: Von einer statischen Benachteiligung oder Verdrängung kann keine Rede sein; die Handlungsmöglichkeiten und Spielräume von Frauen im Handwerk waren in dieser Zeit deutlich größer als das gemeinhin angenommen wird. Die von Muriel González Athenas analysierten Suppliken zeigen Frauen, die als Akteurinnen auftreten, um ihre Interessen zu vertreten, und gerade auch in den Gerichtsakten werden Handwerkerinnen als „Expertinnen ihrer Arbeitskompetenz sichtbar“ (S. 173).

Ein zentrales Ergebnis ihrer wichtigen Untersuchung, die auch für nicht auf die Frühe Neuzeit spezialisierte Wissenschaftler*innen spannend ist, besteht darin, die in der Forschung bislang vorherrschende Verdrängungsthese gleichsam verdrängen zu können: Muriel González Athenas kann anhand ihres reichhaltigen Quellenmaterials widerlegen, dass Frauen spätestens zur Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert verdrängt worden seien und stärker in den Haushalten arbeiten würden. Als Hintergrund dieser Verdrängungsthese wurden vor allem die Professionalisierung des Handwerks sowie der Ausschluss der Frauen aus den Zünften genannt.

Größere Gestaltungsspielräume von Frauen

Demgegenüber kann Muriel González Athenas nachweisen, dass der Stand der Handwerkerin und ihre rechtlichen und sozialen Handlungsbedingungen in der frühneuzeitlichen Stadt „nicht notwendiger Weise durch Geschlecht bestimmt“ gewesen sind (S. 180). Als konkretes Beispiel führt die Autorin an, dass der Stand einer zünftigen Witwe höher war als der eines Nicht-Kölner Gesellen. Gleichwohl war der Geselle, sofern er den Aufstieg zum Bürger vollziehen konnte, berechtigt an Ratswahlen teilzunehmen, was der Witwe nicht zustand. Der Stand der „Zunftwitwe“ jedoch, „garantierte“, so González Athenas, der „Handwerkerin Rechte, die ihr primär wegen ihrer sozialen Position in der Zunft zukamen“ (S. 180). Das von González Athenas zu Tage geförderte Beispiel der Witwe Friesheim zeigt, dass eine Frau nach dem Tod ihres Mannes zusammen mit ihrem Gesellen und ihrer Tochter 40 Jahre lang eine Goldschmiedewerkstatt führen konnte, ohne dass in diesem Zusammenhang gegenderte Fragen von ‚Sittlichkeit‘ und ‚Anstand‘ aufgeworfen worden wären. Hier zeigt sich auch, dass ein „anderes Arbeitskonzept“ funktionieren konnte: in Form eines „Arbeitspaar[es]“, das in diesem Fall nicht verheiratet war (S. 109; 178).

Konzepte von Handwerksehre

In González Athenas’ Auseinandersetzung mit der Goldschmiedestaffel kommt der Analyse der Handwerksehre ein besonderer Stellenwert zu. Gerade in Bezug auf das Bild von Ehre, das für Frauen normativ mit ‚Sittlichkeit‘, ‚Reinheit‘ und Sexualmoral und für Männer (z. B. im Begriff des ‚Helden‘) stark mit Krieg und Militarismus verknüpft ist, eröffnen sich im Hinblick auf die Frühe Neuzeit und darüber hinausgehend neue Denkhorizonte. So schreibt auch González Athenas, dass sich hier die Frage stelle, ob die Genderung ebenfalls in einem Handwerk gelte, dem „ein spezifisch ausgeprägtes Ehrkonzept“ innewohnte. Denn: „Die Prinzipien der Ehre verbanden in der Goldschmiedezunft das Verhalten der Mitglieder wie in keiner anderen. Der in den Ordnungen formulierte Ehrbegriff wurde über die Ehrbarkeit der einzelnen Mitglieder definiert. Die Ehre der Zunft oder des Amtes konstituierte sich aus der Summe der individuellen Ehre.“ (S. 99) Entsprechend haftete die Zunft als Ganzes für den Betrug einer einzelnen Person. Die Fälle, die die Autorin vorstellt, verdeutlichen dabei, wie „viele Dimensionen“ der Ehrbegriff innerhalb der Goldschmiedezunft aufwies: Die Handwerksehre setzte sich aus Elementen zusammen, die sich auf die „Arbeit in der Werkstatt, auf das Verhalten auf Märkten, in Kaufhäusern und bei Auftraggebern“ bezogen (S. 131). Überzeugend stellt die Historikerin dar, dass bei der Verhandlung von Konflikten mit Meisterinnen und Gesellinnen oder Meistertöchtern „weder der Körper der Frau noch ihre Rolle als Frau in den Mittelpunkt gestellt“ wurde, auch erfolgte keine Beurteilung nach einem geschlechtsspezifischen Ehrkonzept (S. 131).

Relative Geschlechtergleichheit in der Frühen Neuzeit und überraschende Kontraste zum 21. Jahrhundert

Nicht nur am Beispiel der Goldschmiedinnen zeige sich eine „relative Geschlechtergleichheit“ (S. 132). Vor dem Hintergrund ihrer Perspektive von doing-gender, einer performativen Konzeption von Geschlecht, folgert die Autorin, dass sich für den Untersuchungszeitraum von einem „dekodierbaren und akzeptierten being-Zunfthandwerkerin als angemessene ‚Existenzweise‘ (A. Mayhofer) in der frühneuzeitlichen Stadtgeschichte“ sprechen lässt (S. 180).

Eine sich an die Lokalstudie von Muriel González Athenas über Zunfthandwerkerinnen anschließende Frage ist die nach der Spezifik von Köln im Vergleich zur Situation in anderen Städten der Frühen Neuzeit – nicht nur weil Köln Reichsstadt war, aber auch. Frauen konnten dort (anders als etwa in Augsburg) immerhin eingeschränkte Bürgerrechte erlangen, gleichwohl sie nicht politisch partizipieren durften; von der Ratswahl blieben sie ausgeschlossen.

Auf die Frage nach dem historischen Ende des von ihr herausgearbeiteten Phänomens der überraschend weitreichenden Geschlechteregalität der Kölner Zunfthandwerkerinnen, die ihr nach ihrem Vortrag während der Tagung „Kapitalismus und Geschlechterverhältnisse“ der Zentraleinrichtung Frauen- und Geschlechterforschung der Freien Universität Berlin in Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung im November 2014[2] gestellt wurde, antwortete Muriel González Athenas, dass die französische Besatzung Ende des 18. Jahrhunderts zu einem Arbeitsverbot für Frauen und zum Schließen von Zünften führte – es sei ganz klassisch mit der vermeintlichen Schwäche des weiblichen Geschlechts begründet worden. Und damit sind wir wieder bei alt-neuen Stereotypen und der Essentialisierung des ‚weiblichen‘ Körpers angelangt: Wenn man heute Bäckerinnen fragt, die in den wenigen verbliebenen tatsächlichen Handwerksbetrieben arbeiten, wie Geschlechterverhältnisse in der Backstube aussehen und wie Frauen als Bäckerinnen beurteilt werden, so erhält man beispielsweise die Antwort, dass Frauen das Tragen von Mehlsäcken in den Keller, was gerade in kleinen Betrieben mit entsprechenden baulichen Begebenheiten nötig ist, oft – intern und extern – nicht oder schlechter zugetraut werde. Bei den konkret ausgeführten Tätigkeiten in der Backstube zeige sich, dass Frauen sehr viel seltener am Ofen stehen und dort volle Bleche tragen und schieben dürfen, was eine körperlich anspruchsvolle, schwere und zudem schnell auszuführende Tätigkeit ist, die darüber hinaus aufgrund der Temperatur der Bleche eine hohe Konzentration erfordere, da dies mit einer hohen Verletzungsgefahr verbunden sei – von der Verantwortung für die Backzeit einmal ganz abgesehen. Beim Schaubacken auf Märkten kann man diese sich selbst reproduzierende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Bäckerei-Handwerk immer wieder beobachten: Männer am Ofen, Frauen im Verkauf, und da sind wir dann wieder beim Foto der Bäckerei-Fachverkäuferin auf dem Portal der Handwerkskammer der Region Stuttgart, die – ohne selbst Handwerkerin zu sein – Frauen im Handwerk des 21. Jahrhunderts repräsentieren soll.

Anmerkungen

[1]: http://www.hwk-stuttgart.de/ausbildung/fuer-auszubildende.html/ (Download 18.08.2015).

[2]: Vgl. http://blogs.fu-berlin.de/wp-includes/ms-files.php?path=/kapitalismusundgeschlechterverhaeltnisse/&file=2014/05/ZEFG_Tagung_Nov_2014_Flyer_Web_neu.pdf (Download 18.08.2015).

Christiane Leidinger

Freischaffende, promovierte Politikwissenschaftlerin

Homepage: http://www.christianeleidinger.de

E-Mail: kontakt@christianeleidinger.de

(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)

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