Alles Kapitalismus? Feminismus als Teil von Kapitalismuskritik und Kapitalismuskritik als Teil von Feminismus

Rezension von Regina Weber

Brigitte Aulenbacher, Birgit Riegraf, Susanne Völker:

Feministische Kapitalismuskritik.

Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot 2015.

179 Seiten, ISBN 978-3-89691-679-2, € 15,90

Abstract: In drei Teilbereichen ─ Kapitalismus als Herrschaftszusammenhang, Gerechtigkeitstheorien sowie kapitalismuskritische Praxis ─ fassen die drei Autorinnen in diesem Einstiegsband wesentliche Debatten aus der Schnittmenge von feministischer und kapitalismuskritischer Soziologie zusammen. Dabei richtet sich ihr Augenmerk nicht nur auf wissenschaftliche, theoretische Diskurse, sondern auch auf das praktische Handeln ─ im Sinne einer doppelten Rolle der Soziologie als Gesellschaftsanalyse und als Herstellerin und Reproduzentin gesellschaftlicher Verhältnisse. Das Buch wird durch ein Interview mit der ökofeministischen Aktivistin Ariel Salleh abgerundet. Es bietet als Einstiegsband eine gute Grundlage für die weitere Beschäftigung mit den Themensträngen.

DOI: http://doi.org/10.14766/1187

„Die Sklaverei des Fließbandes ist keine Befreiung von der Sklaverei des Spülbeckens. Wer das leugnet, leugnet auch die Sklaverei des Fließbandes und beweist damit noch einmal, dass man, wenn man die Ausbeutung der Frau nicht begreift, auch die Ausbeutung des Mannes nicht wirklich begreifen kann.“ (Dalla Costa/James 1973, S. 18)

Feminismus und Kapitalismuskritik stehen spätestens seit dem Aufkommen der zweiten Frauenbewegung in einem Spannungsverhältnis zueinander, in dem auf der einen Seite die Befreiung der Frau als ‚Nebenwiderspruch‘ abgetan wurde und andererseits die Umarmung des kapitalistischen Normalzustands den (oder einigen) Frauen zu ihrer Befreiung verhelfen sollte. Beide Herangehensweisen wurden von Anderen wiederum heftig kritisiert, wie das obige Zitat der italienischen feministischen Operaistin Dalla Costa zeigt. Die in den vergangenen Jahren aufgekommenen Diskussionen um Care/Sorgearbeit sowie das Aufblühen des ‚Staatsfeminismus‘ durch Elterngeld, Frauenquoten und Kinderbetreuungsausbau zeigen, dass die Frage des Verhältnisses zwischen Feminismus und (Anti-)Kapitalismus durchaus aktuell ist, eventuell aktueller denn je. Das Buch zum Einstieg in die feministische Kapitalismuskritik setzt genau an dieser Stelle an.

Die drei Autorinnen verbinden mit dem Buch den Anspruch, Interessierten einen Zugang in feministische und kapitalismuskritische Diskussionen sowie in deren Verbindungslinien zu geben und zentrale sozialwissenschaftliche Debatten aufzugreifen. Dabei wählen sie Themen aus, die den drei Teilen des Buches entsprechen. Aus Sicht der Autorinnen stehen diese im Zentrum der Debatte: 1. „Kapitalismus als Herrschaftszusammenhang“, 2. „Gerechtigkeit, Arbeit und soziale Ungleichheiten in den Gegenwartskapitalismen“ und 3. „Gesellschaft in Bewegung: Gelebter Kapitalismus und umkämpfter Wandel“. In diesen Bereichen sollen relevante Diskussionen dargelegt und diese gleichzeitig in einen größeren Kontext eingebunden werden. Mit dieser Auswahl werden die wesentlichen Großbereiche der feministischen Auseinandersetzung mit Kapitalismus abdeckt. Mehr als ein Einstieg kann in dem Umfang des Buches nicht erwartet werden, und dieser wird geboten. Eine Hilfe zur weiteren Lektüre zu geben, leistet das Buch allerdings nicht, was ein wenig dem genannten Ziel widerspricht, zu weiterer Beschäftigung anzuregen. Als Einführung in das Thema und zum Auffrischen vorhandenen Wissens eignet sich das Buch aber allemal.

Von der Theorie zur Praxis

Im ersten Teil werden verschiedene theoretische Strömungen verwoben, die Kapitalismus als Herrschaftszusammenhang analysieren. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Kapitalismus als Lebensform und Geschlechterhierarchien? Wie produzieren Kapitalismen (auch) geschlechtsspezifische Herrschaftszusammenhänge? Beispielhaft werden die Themen Finanzmarktkapitalismus und Männlichkeit sowie Care-Arbeit aufgegriffen. In diesen Beispielen wird deutlich, wie der kapitalistische ‚Normalzustand‘ sozial hergestellt wird und nur funktioniert, weil er (auch) auf Geschlechtervorstellungen und -hierarchien aufbaut und diese gleichzeitig (re-)produziert. Die Organisation von Care-Tätigkeit als Arbeitsverhältnis geschieht entlang bestehender ethnischer, Klassen- und Geschlechterhierarchien und stellt diese dadurch wieder her. Besonders deutlich wird das am typischen Beispiel von Altenpflege durch Migrantinnen, die völlig jenseits von bestehenden/ehemaligen Standards arbeiten. Am anderen Ende der Einkommensskala befindet sich der „Konnex von Herrschaft, Macht und Männlichkeit“ (S. 28) der Finanzökonomie. Hier wie auch in der Care-Arbeit findet die Segregation nicht auf der rhetorischen Ebene oder (in der Regel) nicht durch rechtliche Einschränkungen statt, sondern sie wird durch faktische Bedingungen und reale Lebensverhältnisse produziert. „‚Hegemoniale Männlichkeit‘ als Leitkultur“ (S. 30), die aber nicht ohne weiteres ersichtlich ist, gibt den Ton an und konstituiert Herrschaft im Gegenwartskapitalismus. Das wird im ersten Teil des Buches deutlich.

Der zweite Teil ist Theorien von Gerechtigkeit, Arbeit und Ungleichheit gewidmet. Der Einstieg zum Verhältnis von verschiedenen Gerechtigkeitsvorstellungen stellt unmittelbare Bezüge zu feministischen Fragen her: Ist Anerkennung unterschiedlicher Lebenslagen oder die materielle Umverteilung der zentrale Aspekt von Gerechtigkeit? Eine eindeutige Antwort dieser theoretischen Debatte um Umverteilung versus Anerkennung vermag natürlich auch der Einstiegsband nicht zu geben. Doch wird auf dieser Grundlage der Bogen zur Intersektionalitätsdiskussion geschlagen und die Verwobenheit von Klassenauseinandersetzungen, feministischen Fragen und ethnischer bzw. race-Diskriminierung analysiert. Damit lautet die Frage nicht mehr nach Umverteilung oder Anerkennung, sondern letztendlich kommt es auf die Verknüpfung beider Aspekte vor dem Hintergrund eines sich wandelnden Gerechtigkeitsbegriffes an. Dieser Teil leistet die wichtige Aufgabe, den vielerorts zum neuen Mainstream aufgewerteten ‚Staatsfeminismus‘ in seinem Beitrag zur Zementierung von Herrschaft kritisch zu hinterfragen und die Verschiebung des Gerechtigkeitsverständnisses hin zu ‚Chancengerechtigkeit‘ zu kritisieren. Ein Kapitel zur globalen Perspektive auf Gerechtigkeit und Geschlecht rundet den Teil ab.

Im dritten Teil wird der praktische Aspekt des Buchthemas fokussiert. Ausgehend von Bourdieus praxeologischem Ansatz werden prekäre Arbeitsverhältnisse und Unsicherheit als Ausgangspunkte genommen, um das ‚Alltägliche‘ von Gesellschaftskritik zu thematisieren. Wie kann Gesellschaft nicht nur strukturell (soziologisch) begriffen werden, sondern wie wird sie gemacht? Wie stellen wir ─ jede/r von uns ─ in unserem Alltag Gesellschaft her? Sozialwissenschaft muss dabei verstanden werden als Teil des Machens von Gesellschaft. Im Abschluss dieses Teils werden Perspektiven auf den Kapitalismus beschrieben, aus denen ‚Fluchtlinien‘ der alltäglichen Dissidenz entstehen können, die etwa die kapitalistische Logik kreuzen. Als Beispiel dienen die Madrider Aktivist/innen der ‚Precarias a la Deriva‘ in deren ‚Sorgestreik‘.

Einstieg und Orientierungshilfe

Zwei der stärksten Teile des Buches sind das Kapitel über Gerechtigkeit sowie das Kapitel über Kapitalismus als Lebensweise. In diesen Kapiteln werden klare Linien gezogen und feministische Ansätze, die sich nicht oder nur teilweise kritisch mit bestehenden kapitalistischen Machtstrukturen auseinandersetzen (wollen), abgegrenzt von denen, die Feminismus in eine generelle Kritik der materiellen Verhältnisse einbetten. Das Interview mit der feministischen Wissenschaftlerin und Aktivistin Ariel Salleh rundet das Buch für die Leser/innen, die über die wissenschaftliche Diskussion hinausgehen wollen, sehr gut ab. In diesem gut lesbaren Highlight des Buches werden (neben dem theoretischen Kapitel über praktisches Handeln) die Herstellung von Kapitalismus und der Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis fokussiert.

Ein Buch mit mehreren Autorinnen zu schreiben hat neben der notwendigen Koordination den oft unübersehbaren Nachteil, dass die sprachlichen Herangehensweisen jeweils andere sind. Sprache ist als individueller Ausdruck nur schwer vom Inhalt zu trennen, wobei jede Ausdrucksform ihre gewisse Berechtigung hat. Doch sind in diesem Fall die einzelnen Teile sprachlich sehr unterschiedlich und verschieden gut zugänglich. Besser lesbar wäre es gewesen, wenn die Wechsel der Autorinnen auf der sprachlichen Ebene nicht so deutlich zu bemerken wären.

Der begrenzte Platz in einem Einführungsbuch lässt nicht zu, ein Thema allumfassend zu bearbeiten. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Auswahl der Forschungsfelder von der Überzeugung der Autorinnen geleitet war, die zentralen Themenfelder zu diskutieren. In zwei Aspekten ist die inhaltliche Verkürzung jedoch augenscheinlich. Die theoretischen Debatten werden international aufgegriffen, verbleiben aber dennoch weitgehend in einem westlichen Diskursraum. Die Diskussion von Care-Arbeit und Finanzökonomie als Räume, in denen sich Geschlechterdifferenzen besonders sichtbar nachzeichnen lassen, orientiert sich an einem klassischen westlichen Arbeitsmarkt, in dem Andere letztlich nur als potentielle Arbeitskräfte auf dem Niedriglohnsektor der Care-Arbeit vorkommen. Gerade die Beschreibung des Wandels der Arbeitsverhältnisse vom Fordismus über den Postfordismus zum modernen Prekariat ist sehr stark auf einen westlichen Wohlfahrtsstaat bezogen. Das Kapitel zu globalen Aspekten entschärft diesen Eindruck etwas, wirkt aber auch wenig mit dem Rest des Buches verbunden. Die zweite Einschränkung bezieht sich auf das Feminismusverständnis. Ansätze, die über eine reine Frauen-Männer-Dualität hinausreichen, finden kaum Beachtung. Auch orientieren sich die Beschreibungen von Herrschaftsformen oft an stereotypen Bildern, gerade die Diskussion der Herstellung von Männlichkeit bleibt an der Oberfläche. Dass es für diese Männlichkeit gar keine Männer braucht, bzw. die Spannung zwischen biologischen Geschlechtszuschreibungen und sozialem Herstellen von Geschlecht bleibt weitgehend außen vor.

Das Buch eignet sich gut zum Einstieg in das Thema. Die Zielgruppe wird von den Autorinnen als „Interessierte“ angegeben, allerdings bleibt bis zum Ende offen, ob es solche aus dem Bereich der feministischen Politik sein sollen, die mehr über Kapitalismuskritik wissen wollen, oder um an feministischen Fragen interessierte Kapitalismuskritiker/innen. Beide potentiellen Gruppen können aus dem Buch sicherlich einiges mitnehmen, aber für beide ist manche Stelle voraussetzungsvoll. Insgesamt bietet das Buch aber eine lesenswerte Grundlage und eine Zusammenfassung von wesentlichen Debatten, die die Neugier an einer weiteren Auseinandersetzung weckt.

Literatur

Dalla Costa, Mariarosa/James, Selma. (1973). Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft. Berlin: Merve.

Regina Weber

Universität Duisburg-Essen

Doktorandin am Lehrstuhl für Empirische Politikwissenschaft, Institut für Politikwissenschaft

Homepage: http://www.reginaweber.de

E-Mail: regina.weber@uni-due.de

(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)

Creative Commons License
Dieser Text steht unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Hinweise zur Nutzung dieses Textes finden Sie unter https://www.querelles-net.de/index.php/qn/pages/view/creativecommons