Clarissa Rudolph:
Geschlechterverhältnisse in der Politik.
Eine genderorientierte Einführung in Grundfragen der Politikwissenschaft.
Opladen u. a.: Verlag Barbara Budrich 2015.
171 Seiten, ISBN 978-3-8252-4301-2, € 15,99
Abstract: Clarissa Rudolph legt eine extrem komprimierte Einführung in die politikwissenschaftliche Geschlechterforschung vor und gibt einen ersten Einblick in die empirische Forschung sowie in die theoretischen Debatten des Forschungszweiges. Mit ihrem Buch richtet sie sich an Studierende, die sich einen groben Überblick über das Forschungsfeld verschaffen wollen. Die knappe Darstellung bedingt es, dass Generalisierungen und Verkürzungen nicht ausbleiben. Zum weiterführenden Selbststudium ist das Buch deshalb nur bedingt geeignet. Hierzu sollten unbedingt die jedes Kapitel abschließenden Literaturempfehlungen sowie zusätzliche weiterführende Literatur herangezogen werden.
Einführungen und Lehrbücher erleben derzeit fächerübergreifend einen Boom. Dies zeigt bereits ein oberflächlicher Blick in die Liste der Neuerscheinungen der einschlägigen (sozial-)wissenschaftlichen Fachverlage. Dabei scheint es schwer abschätzbar, ob dies einen ─ im Zuge der verstärkten Modularisierung und der damit verbundenen Verschulung des Studiums im Kontext der Einführung des Bachelor- und Mastersystems im Bologna-Prozess ─ tatsächlich gestiegenen Bedarf an einer strukturierenden Aufbereitung von Lehrinhalten sowie an einer stärkeren Verzahnung von Forschung und Praxis anzeigt. Ebenso wäre es möglich, dass die Explosion von Einführungsliteratur und Basiswissensvermittlung auf eine gewandelte Publikationsstrategie der Verlage selbst zurückzuführen ist.
Clarissa Rudolph legt mit ihrem 2015 erschienenen Lehrbuch Geschlechterverhältnisse in der Politik eine „genderorientierte Einführung in Grundfragen der Politikwissenschaft“ vor.
Im Vergleich zu älteren einführenden Überblickswerken (vgl. etwa Krause 2003, Sauer/Rosenberger 2004) zeichnet sich die hier besprochene Neuerscheinung durch ihre äußerst knappe Darstellung aus: Auf lediglich 170 Seiten unternimmt Rudolph einen Parforceritt durch Geschlechterforschung und Politikwissenschaft. Dabei erläutert sie Grundgedanken beider Forschungsperspektiven und zeigt auf, wie Geschlechterverhältnisse in der Politik theoretisch, diskursiv und strukturell wirksam werden. Zunächst wird in Begrifflichkeiten wie Sex, Gender, Frauenbewegung und feministische (Politik-)Wissenschaft eingeführt. In den folgenden Kapiteln werden grundlegende politikwissenschaftliche Konzepte sowie der Zusammenhang von Politikwissenschaft und Geschlecht, Machtverhältnisse, Staatstheorien, Demokratie, Ökonomisierung, das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit, Menschenrechtspolitik sowie Theorien von Differenz und Intersektionalität erläutert.
Anders als in anderen, themenzentrierten Formaten wie etwa der neuen Reihe „Politik und Geschlecht kompakt“ des Arbeitskreises Politik und Geschlecht der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, in der spezifische Themen wie etwa ‚Staat‘ oder ‚Naturverhältnisse‘ einführend behandelt werden (vgl. Holland-Cunz 2014, Ludwig 2014), liefert Rudolph also eine das gesamte Gebiet der politikwissenschaftlichen Geschlechterforschung umspannende Darstellung. Jedes Kapitel schließt mit einem thematisch verwandten „Beispiel aus der Forschungspraxis“ sowie kommentierten weiterführenden Literaturhinweisen ab. Auch bei diesen Literaturempfehlungen wird der einführende Charakter des Buches nochmals unterstrichen, indem zumeist auf einführende und zusammenführende Werke und Sammelbände, nicht jedoch auf klassische Texte der politikwissenschaftlichen Geschlechterforschung und kaum auf eigenständige Monographien verwiesen wird.
Der Vorteil von Rudolphs Vorgehensweise ist sicherlich, dass es gelingt, Studierenden mit einem relativ geringen Leseaufwand einen breiten Überblick über die politikwissenschaftliche Geschlechterforschung zu vermitteln: In dem nur 16 Seiten umfassenden Kapitel zu Geschlechterverhältnissen als Machtverhältnissen wird in politikwissenschaftliche Macht- und Herrschaftstheorientheorien eingeführt (u. a. Weber, Bourdieu, Foucault) und die feministische Kritik dieser Theorien vorgestellt. Im Anschluss daran geht Rudolph auf Carole Patemans Rekonstruktion des patriarchalen Geschlechtervertrags ein, eine klassische feministische Patriarchatstheorie, in der Pateman implizite männliche Herrschaft in modernen bürgerlichen Gesellschaften sichtbar macht und mit der sie Pionierarbeit bezüglich einer geschlechterkritischen Sichtweise der politischen Theorie und insbesondere der klassischen Vertragstheorien geleistet hat. Weitere Kapitelabschnitte widmen sich dem Verhältnis von Macht und sozialer Ungleichheit sowie dem von Macht und Widerstand.
Umgekehrt drohen wegen dieser Kürze der Darstellung und den damit zwangsläufig einhergehenden Generalisierungen und Auslassungen jedoch gerade bei Studierenden mit geringen Vorkenntnissen Verständnisschwierigkeiten. Beispielsweise beschränkt Rudolph ihre Foucault-Rezeption weitestgehend auf Überwachen und Strafen und bescheinigt diesem, Geschlechterverhältnisse zu ignorieren. Dabei bleiben nicht nur seine Überlegungen zu Sexualität und Biopolitik unsichtbar. Indem auch die viel differenzierte Rezeption Foucaults durch die politikwissenschaftliche Geschlechterforschung ausgeblendet wird, die derzeit vor allem das machtanalytische Konzept der Gouvernementalität in den Mittelpunkt stellt (vgl. Bargetz/Ludwig/Sauer 2015, Ludwig 2011), verliert die Einführung hier den Anschluss an aktuelle Forschungsentwicklungen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Intention der Autorin, eine „genderorientierte Einführung in Grundfragen der Politikwissenschaft“ zu liefern, es bedingt, dass sie in den einzelnen Kapiteln auch Raum für die Erklärung politikwissenschaftlicher Grundbegriffe lässt. Dies soll exemplarisch anhand des Kapitels zu „Demokratie und Geschlechterverhältnisse“ erläutert werden. Im ersten Teilabschnitt „Demokratie oder Androkratie?“ führt Rudolph zunächst auf drei Seiten in „Funktion, Formen und Konflikte der Demokratie“ (S. 80) ein und umreißt u. a. den Unterschied zwischen Konsens- und Konfliktdemokratien sowie die Bedeutung von Repräsentation und Partizipation für diverse Demokratiemodelle. Erst dann folgt ein Abschnitt, in dem der Frage nach dem Verhältnis zwischen Demokratie und männlicher Herrschaft nachgegangen wird und mit den Theorien von Anne Phillips und Iris Young zwei prominente Entwürfe normativer Demokratietheorie vorgestellt werden, in denen die Frage der politischen Repräsentation von Frauen zentral wird. Schließlich kommt Rudolph auf gegenwärtige Krisendiagnosen der Demokratie zu sprechen, wie sie derzeit in der Politischen Theorie diskutiert werden ─ eine Debatte, in der die Erkenntnisse der politikwissenschaftlichen Geschlechterforschung, insbesondere der feministischen Partizipations- und Repräsentationskritik, jedoch nur in geringen Maße rezipiert werden. Hier hätte die Darstellung einer exemplarischen Theorie bzw. Krisendiagnose, die bereits einen Bezug zu Geschlechterverhältnissen herstellt (z. B. Fraser 2013), möglicherweise für mehr Übersicht und eine stringentere Darstellungsweise gesorgt. Dies hätte es der Autorin auch in den folgenden Teilabschnitten ermöglicht, die spezifischen thematischen Schwerpunktsetzungen, in die sie das riesige Oberthema des Kapitels ─ Demokratie und Geschlechterverhältnisse ─ jeweils herunterbricht, klarer zur Geltung kommen zu lassen: Im Abschnitt „Demokratie als Politik- und Lebensform“ werden zunächst Fragen der Staatsbürgerschaft sowie der Erwerbstätigkeit als gesellschaftliches Integrationsmedium geschlechterkritisch diskutiert; schließlich werden die Begriffe „Geschlechterdemokratie und Geschlechtergerechtigkeit“ diskutiert und hinterfragt sowie die „Geschlechterverhältnisse in der Demokratie“ am Beispiel der Diskussion um die Übernahme des Bundesverteidigungsministeriums durch Ursula von der Leyen bestimmt. Abgeschlossen wird das Kapitel mit dem forschungspraktischen Beispiel „Teilhabe und Geschlechterverhältnisse im Sozialstaat“.
Positiv fällt ins Gewicht, dass die Autorin im abschließenden Kapitel die Debatten um Differenzen, die feministische Theorie und politikwissenschaftliche Geschlechterforschung bereits seit Jahrzehnten prägen, in ihrem aktuellen Facettenreichtum (u. a. Queer Theory, Intersektionalität, feministische Postcolonial Studies) darzustellen und deren Relevanz für politikwissenschaftliche Fragestellungen gelungen aufzuzeigen vermag.
Abschließend kann konstatiert werden, dass der Anspruch, den Gegenstand möglichst umfassend und breit darzustellen, zur Folge hat, dass es bisweilen schwer ist, einen roten Faden in der Argumentation bzw. der Darstellungsweise zu identifizieren. Zudem wären zum besseren Verständnis bisweilen eine klarere analytische Trennung zwischen empirischen Forschungsergebnissen und politiktheoretischen Überlegungen sowie eine stärkere Leseführung wünschenswert gewesen. Geeignet ist die Einführung vor allem für Studierende, die sich schnell einen Überblick über die politikwissenschaftliche Geschlechterforschung verschaffen wollen, um sich im Anschluss vertiefender Lektüre zuzuwenden.
Bargetz, Brigitte/Ludwig, Gundula/Sauer, Birgit. (2015). Gouvernementalität und Geschlecht. Politische Theorie im Anschluss an Michel Foucault. Frankfurt am Main: Campus.
Fraser, Nancy. (2013). Fortunes of Feminism: From State-Managed Capitalism to Neoliberal Crisis. Brooklyn/New York: Verso.
Holland-Cunz, Barbara. (2014). Die Natur der Neuzeit. Eine feministische Einführung. Opladen u. a.: Verlag Barbara Budrich.
Krause, Ellen. (2003). Einführung in die politikwissenschaftliche Geschlechterforschung. Opladen: Leske und Budrich.
Ludwig, Gundula. (2014). Geschlecht, Macht, Staat. Feministische staatstheoretische Interventionen. Opladen u. a.: Verlag Barbara Budrich.
Ludwig, Gundula. (2011). Geschlecht regieren: Zum Verhältnis von Staat, Subjekt und heteronormativer Hegemonie. Frankfurt/New York: Campus.
Sauer, Birgit/Rosenberger, Sieglinde K. (Hg.). (2004). Politikwissenschaft und Geschlecht. Konzepte – Verknüpfungen – Perspektiven. Paderborn/Wien: UTB.
Heike Mauer
Lehrbeauftragte am Institut für Politikwissenschaft an den Universitäten Göttingen und Trier sowie bei GeStiK an der Universität zu Köln
Homepage: http://www.luxembourg.academia.edu/HeikeMauer
E-Mail: hmauer@uni-koeln.de
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