Sarah K. Hackfort:
Klimawandel und Geschlecht.
Zur politischen Ökologie der Anpassung in Mexiko.
Baden-Baden: Nomos Verlag 2015.
282 Seiten, ISBN 978-3-8487-2102-3, € 54,00
Abstract: In der Veröffentlichung ihrer politikwissenschaftlichen Doktorarbeit, welche im Forschungsfeld der Feministischen Politischen Ökologie verortet ist, analysiert Sarah Hackfort aus intersektionaler Perspektive Dynamiken von Geschlecht und Ungleichheit im Kontext des Klimawandels. Ihre Arbeit wird empirisch durch qualitative Feldforschungen im mexikanischen Chiapas unterfüttert und bietet aufgrund ihrer Vielschichtigkeit und Aktualität einen wichtigen Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Klimaforschung. Das zentrale Anliegen der Autorin, Tendenzen der Homogenisierung sowie der Viktimisierung von Frauen in Debatten der Klimaforschung um Verwundbarkeit und Anpassung mit Hilfe intersektionaler und kontextbezogener Analysen entgegenzuwirken, ist hierbei besonders hervorzuheben.
In der Veröffentlichung ihrer Dissertation Klimawandel und Geschlecht, die sie im Jahre 2014 an der Universität Kassel abgeschlossen hat, geht die Politik- und Sozialwissenschaftlerin Sarah Hackfort der Frage nach, wie sich Geschlechterverhältnisse konstituieren und welche Rolle diese für die Anpassung im Umgang mit dem Klimawandel spielen. Ganz im Sinne der Intersektionalitätsforschung untersucht sie darüber hinaus, welche konstitutive Rolle hierbei andere strukturelle Ungleichheitsverhältnisse, symbolische Repräsentationen, Subjektivierungsprozesse und Identitätskonstruktionen spielen. Als theoretischer Rahmen dient hierbei ein komplexes Geflecht aus feministischen Ansätzen, politischer Ökologie und theoretischen Debatten zu gesellschaftlichen Naturverhältnissen, durch welches die Arbeit im Forschungsfeld der Feministischen Politischen Ökologie verortet ist. Empirisch unterfüttert wird Klimawandel und Geschlecht durch eine qualitative Fallstudie im mexikanischen Chiapas, die in direktem Dialog mit aktuellen Debatten rund um Verwundbarkeit und Anpassung innerhalb der Klimaforschung steht. Unter Bezugnahme auf Ungleichheitsforschung, postkoloniale Kritik und Theorien des situierten Wissens unterstreicht die Autorin hierbei die Notwendigkeit, Homogenisierungen mit Hilfe kontextbezogener empirischer Untersuchungen entgegenzuwirken und der Viktimisierung von Frauen entgegenzuarbeiten. Hackforts in der Reihe „Studien zur Lateinamerikaforschung“ erschienenes Werk stellt somit einen hochaktuellen, kritischen und vielschichtigen feministischen Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Klimaforschung dar.
Die Gliederung des aus acht Kapiteln bestehenden Buches ist stark am klassischen Aufbau einer empirischen Doktorarbeit orientiert, nämlich Einleitung, Forschungsstand, Theoretische Zugänge, Methodologie, Fallstudie und Schlussfolgerungen. Der Aufbau und die Argumentation sind ebenso kohärent wie der theoretisch-methodologische Zugang, wobei sich aufgrund der abschlussarbeitsmäßigen Struktur jedoch während der Lektüre kein so rechtes ‚Buchgefühl‘ einzustellen vermag. Der theoretische Rahmen überzeugt durch die Verknüpfung feministischer und postkolonialer Perspektiven mit Ansätzen aus der politischen Ökologie, wobei nicht selten Impulse aus der mexikanischen Theoriebildung hinzugezogen werden. Dabei wird der qualitative methodische Zugang immer wieder an Debatten um situiertes Wissen und postkoloniale Kritik rückgekoppelt. Die konkreten durch die Autorin angewandten Methoden umfassen problemzentrierte Leitfadeninterviews und Expert_inneninterviews, die mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse interpretiert und durch ausgewählte Sekundärdaten wie etwa Statistiken und Zeitungsartikel ergänzt werden. Für die Analyse intersektionaler Prozesse und struktureller Ungleichheiten greift die Autorin hierbei auf die relationale Mehrebenenanalyse zurück. Sarah Hackfort unterstreicht, dass Fragestellung und Forschungsdesign des Projektes zwar deduktiv entwickelt wurden, ab Beginn der explorativen Feldforschungsphase jedoch verstärkt induktiv gearbeitet wurde. Für eine sozialwissenschaftliche Arbeit ist dieses methodische Vorgehen durchaus angemessen, wobei jedoch gerade aus postkolonialer und feministischer Perspektive zwei Leerstellen der Arbeit kritisch hervorzuheben sind: Zum einen macht die Autorin zwar auf die subjektive Verortung ihrer Forschungsarbeit aufmerksam, geht allerdings nicht konkret auf ihre eigene Positionalität im Rahmen des Forschungsprojektes ein. Zum anderen bleiben die Forschungssubjekte, ihre Lebenssituation und ihr Umgang mit klimatischen Veränderungen in den ersten Kapiteln der Arbeit leider weitgehend unsichtbar.
Sarah Hackforts Fallstudie ist in der Gemeinde Motozintla im mexikanischen Bundesstaat Chiapas verortet. Ungleichheit und Verwundbarkeit manifestieren sich hier in vielfältiger Weise und drücken sich nicht zuletzt in ökonomischer Armut und in den Geschlechterverhältnissen aus: Nach Angaben der Autorin leben 71% der größtenteils im Kaffeeanbau tätigen mestizischen Bevölkerung in extremer Armut, 89% haben keinen Zugang zu Strom, rund 74% haben keinen Wasseranschluss und 67% sind dazu gezwungen, ihre Abwässer in nahegelegene Flüsse abzuleiten. Frauen sind in diesem Zusammenhang besonders benachteiligt, da sie häufig von Einkommen und Landbesitz ihrer Ehemänner abhängig sind, ihre Arbeit in den meisten Fällen nicht als solche anerkannt wird, sie einen extrem eingeschränkten Zugang zu Schulbildung haben und selten in politische Partizipationsprozesse eingebunden sind. Hackfort versteht in ihrer Arbeit Geschlecht folglich als relationale Strukturkategorie, die sie immer wieder zu anderen Differenzkategorien in Beziehung setzt, wobei die Kategorien ‚Klasse‘ und ‚Körper‘ von zentraler Bedeutung sind. Die Autorin zeigt in ihrer Studie erfolgreich, wie jene Differenzkategorien situationsspezifisch in individuelle wie kollektive Identifikationsprozesse eingebunden werden und wie sie auf Anpassungsstrategien und Handlungsspielräume im Umgang mit den Folgen klimatischer Veränderungen einwirken.
Wie die zuvor beschriebene ökonomische Situation der Bevölkerung Motozintlas bereits nahelegt, sind die Menschen in der Region stark von den Folgen des Klimawandels betroffen. Dies manifestiert sich zum einen in den drastischen Folgen der Hurrikans Mitch (1998), Stan (2005) und Bárbara (2013) und zum anderen in massiver Erosion sowie neu auftretenden Pflanzenkrankheiten, die insbesondere die Kaffeeernte stark beeinträchtigen. Sarah Hackfort zeigt, wie ihre Forschungssubjekte basierend auf lokalen Erfahrungen verschiedene Anpassungsstrategien entwickeln, welche etwa die Inanspruchnahme von sozialstaatlichen Unterstützungsleistungen, das Erschließen komplementärer Einkommensquellen, erweiterte Anstrengungen politischer Partizipation und den Rückgriff auf solidarische Unterstützung durch Freund_innen und Familie beinhalten. Hierbei handelt es sich um Überlebensstrategien, die, wie die Autorin überzeugend nachweisen kann, vergeschlechtlicht sind und zumeist hegemoniale Geschlechterverhältnisse reproduzieren. Gleichzeitig wird deutlich, dass staatlich implementierte Politiken, infrastrukturelle Veränderungen und Technologien wenig Sensibilität für strukturelle Ungleichheiten und Verwundbarkeiten aufweisen und somit massiv zu deren Reproduktion beitragen. Nichtsdestotrotz erschließen sich Frauen im Zusammenhang mit den Folgen des Klimawandels jedoch auch neue Handlungsspielräume, indem sie sich in politische Initiativen einbringen oder sich ökonomisch von ihren Männern unabhängig machen.
Sarah Hackfort gelingt mit ihrer Doktorarbeit ein ebenso relevanter wie aktueller Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Klimaforschung, der aufgrund seiner Vielschichtigkeit jedoch nicht immer leicht verständlich und somit als Seminarlektüre nur bedingt geeignet ist. Aus anthropologisch-ethnographischer Perspektive wäre es sehr wünschenswert gewesen, Forschungskontext wie Forschungssubjekte bereits in die ersten Kapitel der Arbeit miteinzubeziehen. Darüber hinaus vermittelt das Werk aufgrund seiner Struktur weniger den Eindruck eines Buches als den einer Abschlussarbeit, was sich als wenig leser_innenfreundlich erweist und den feinsinnigen Analysen sowie der Aktualität des Werks leider nicht gerecht wird. Alles in allem ist Klimawandel und Geschlecht jedoch absolut lesenswert für alle, die sich für soziale Dimensionen des Klimawandels interessieren und auf der Suche nach einer geschlechtersensiblen Herangehensweise an das Thema sind.
Tabea Huth
Lateinamerika Institut, Freie Universität Berlin
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