Ann Taylor Allen:
Feminismus und Mütterlichkeit in Deutschland 1800–1914.
Weinheim: Deutscher Studien Verlag 2000.
350 Seiten, ISBN 3–89271–880–6, € 34,00
Abstract: Das Buch von Ann Taylor Allen bearbeitet ein Kapitel aus der deutschen Geschichte, das sowohl von der Historiographie der Frauenbewegung als auch der Sozialpädagogik bisher weitgehend ausgespart worden ist. In ihrer Darstellung des Zeitraums 1800 bis 1914 will sie die Erfolge würdigen, die gerade von den „Kämpferinnen für Mütterlichkeit“ erstritten worden sind, welche in Deutschland eher zu den Konservativen gerechnet werden. Dabei stehen die Wechselwirkungen zwischen Frauenbewegung und Fröbelpädagogik im Mittelpunkt.
Ann Taylor Allen lehrt Deutsche Geschichte an der University of Louisville in Kentucky, USA. Seit 1980 beschäftigt sie sich mit dem Thema „Feminismus und Mütterlichkeit in Deutschland“, viele Jahre hat sie geforscht, viele Jahre hat es dann noch gedauert, bis die nun vorliegende Arbeit auch einem deutschen Publikum vorgelegt werden konnte. Es ist eine umfassende und eine eindrucksvolle Arbeit – leicht zugänglich ist sie allerdings nicht. Allen macht es uns deutschen Leserinnen nicht leicht. Sie konfrontiert uns mit einer Geschichte, die wir so nicht kennen oder zumindest so nicht zu interpretieren gewöhnt sind. Bereits der Satz: „Der Glaube an die Bedeutung der mütterlichen Erziehung war für die geistigen und sozialen Ursprünge des Feminismus im neunzehnten Jahrhundert zentral“ (S. 37), lässt uns zusammenzucken. Feminismus? In Deutschland? Im 19. Jahrhundert? – und dann noch ein Feminismus, der sich aus der mütterlichen Erziehung ableitet? Wo gabs denn so was? Wir haben uns daran gewöhnt, den Begriff „Feminismus“ für die Frauenbewegung der 1980er Jahre zu reservieren und bestenfalls die Radikalen des Kaiserreichs wie Augspurg und Heymann als dessen Vorläuferinnen zu betrachten – auf jeden Fall aber alles für un- oder antifeministisch zu halten, was in irgendeiner Weise dem „Mütterlichkeitskult“ nahe zu stehen scheint.
Ann Allen sieht das alles ganz anders. Unbekümmert setzt sie zu einem Parforceritt durch die Geschichte der Mütterlichkeitsdiskurse zwischen 1800 und 1914 an und überspringt dabei mit Bravour alle Hürden, welche die frauenbewegte Historiographie in Deutschland im Laufe der vergangenen 20 Jahre zur Einhegung des ureigensten Terrains aufgebaut hat. Die Zeuginnen, auf welche Allen sich im Rahmen ihrer Darstellung der Ursprünge des „mütterlichen Feminismus“ bezieht, sind: Emilie Wüstenfeld, Charlotte Paulsen, Bertha von Mahrenholz-Bülow, Malwida von Meysenbug, Henriette Schrader-Breymann und Henriette Goldschmidt – Persönlichkeiten, die in den hiesigen Darstellungen der Geschichte der deutschen Frauenbewegung im Prinzip nur dann Berücksichtigung finden, wenn es um die Rekonstruktion der frühen sozialpädagogischen Ausbildungsmodelle geht. Sie aber versteht diese Frauen als Pionierinnen einer neuen zivilen Kultur, deren Ziel es war, die Familienreform und die Gesellschaftsreform miteinander zu verbinden (vgl. S. 90).
Die mit der 1848er Revolution einsetzende Kindergartenbewegung wird von Allen als erster Versuch gewertet, die Neuerungen in der Kindererziehung (im Kontrast zu den zwischen 1820 und 1848 entstandenen Kleinkindschulen) mit neuen Formen des gesellschaftlichen und politischen Lebens zu verknüpfen. (Vgl. S. 93) Die beabsichtigte Reform zielte dabei sowohl auf die bessere und fürsorglichere Betreuung der Kinder aus der Arbeiterklasse und damit auf einen Versuch zur „Versöhnung der Klassen“ ab als auch auf die Durchsetzung des Einflusses „geistiger Mütterlichkeit“ – als Ausdruck spezifisch weiblicher Kompetenzen – auf die gesamte Gesellschaft. Mit diesem Ansatz war eine Missionsaufgabe für die Frauen formuliert worden, welche sie dazu aufrief, „aus der Familie in die Welt“ aufzubrechen, um dort für eine Reform des „großen sozialen Haushalts“ (vgl. S. 118 ff.) zu wirken.
Dieses Grundmotiv der Übertragung mütterlicher Fürsorge von der Familie auf die Gesellschaft erläutert Ann Taylor Allen im Folgenden an verschiedenen Beiträgen – und sie zeigt auch, wie erfolgreich diese Einflussnahme zum Teil gewesen ist. Von der Gründung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses, über die Teilhabe von Frauen an den Sozialreformen der Jahre 1888 bis 1902, die Kampagnen des Bundes für Mutterschutz, die Wirksamkeit des von Hedwig Heyl und Anna von Gierke gegründeten Jugendheims Charlottenburg bis zur Tätigkeit Frieda Duensings in der Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge führt der Bogen, den Allen schlägt, um die Vielfalt der Wirkungsmöglichkeiten des Prinzips „Mütterlichkeit“ in Deutschland zu zeigen.
Dass dieses Prinzip der Mütterlichkeit im Laufe des Darstellungszeitraums mehrere Wandlungen durchlebte, hat seiner Schlagkraft – so die Auffassung von Allen – aufgrund der überwiegenden Kontinuitäten keinen Abbruch getan: „Lag in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die Betonung auf Geist und Sittlichkeit, so verschob sie sich in der zweiten Hälfte und wurde zumal in den beiden letzten Dekaden zu einer starken Ausrichtung an Biologie und Evolution. Dennoch weist die Herausbildung einer auf Mutterschaft gegründeten ethischen Perspektive starke Kontinuitäten auf.“ (S. 318)
Den Vorwurf, dass diese Kontinuitäten auch bis in den Nationalsozialismus hineingereicht und diesen sogar begünstigt hätten (vgl. Claudia Koonz: Mothers in the Fatherland. Woman, the Family and Nazi Politics. London 1987; Richard F. Evans: The Feminist Movement in Germany 1844–1933. London 1976), weist Allen vehement zurück: „Derartige Behauptungen einer Kontinuität zwischen dem Vorkriegsfeminismus und dem Nationalsozialismus müssen mit zwei grundsätzlichen Fragen konfrontiert werden. Stellte der nationalsozialistische Staat in irgendeiner wesentlichen Hinsicht die Verwirklichungen von Bestrebungen der Vorkriegsfeministinnen dar? Und lassen sich die Ideen deutscher Feministinnen deutlich genug von denen ihrer Zeitgenossinnen in anderen Ländern unterscheiden, um als Ursache für eine ausschließlich deutsche Entwicklung zum Nationalsozialismus bestimmt zu werden?“ (S. 321)
Ann Taylor Allen verneint beide Fragen sicherlich mit gutem Recht. Aber trotzdem wird es ihr vermutlich nicht gelingen, uns „unsere“ spezifisch deutschen Probleme mit der Mütterlichkeit zu nehmen. Sie hat es zwar mit Bravour geschafft, uns unser Geschichtsbild durcheinander zu wirbeln, da ihre Recherchen sorgfältig und ihre Argumentationslinien plausibel sind, aber das Gefühl des Vorbehalts gegenüber dieser Linie unserer frauenbewegten Traditionen ist vielleicht nicht durch Argumente auszuräumen.
URN urn:nbn:de:0114-qn031179
Prof. Dr. Sabine Hering
Universität Siegen, Sozialpädagogik und Frauenforschung, Zurzeit Gastprofessorin an der Freien Universität in Berlin
E-Mail: shering@zedat.fu-berlin.de
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