Es gibt sie doch: Männerliteratur

Rezension von Sandra Folie

Anna Katharina Knaup:

Der Männerroman.

Ein neues Genre der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.

Bielefeld: transcript Verlag 2015.

378 Seiten, ISBN 978-3-8376-3309-2, € 37,99

Abstract: Anna Katharina Knaup legt eine erste Genrekonfiguration für den deutschsprachigen Männerroman vor und leistet damit Grundlagenforschung im Bereich der Gattungstheorie. Darüber hinaus wird jene Tradition, in der männliche Autorschaft als ‚Norm‘ galt und daher nicht – wie die ‚Frauenliteratur‘ – gesondert deklariert werden musste, zumindest für den Bereich der zeitgenössischen Unterhaltungsliteratur, in Frage gestellt. Während die komparativ verfahrende Untersuchung von ihrem literaturwissenschaftlichen Anspruch her überzeugt, wäre aus gendertheoretischer Perspektive ein etwas reflektierterer Umgang mit Sprache und Genderkonzepten wünschenswert.

DOI: http://doi.org/10.14766/1203

Der Männerroman als Forschungslücke

Der Terminus Männerroman wird auf einen Artikel Wolfgang Höbels im Spiegel zurückgeführt, in welchem er feststellte: „Der Autor Tommy Jaud hat mit den Bestsellern ‚Vollidiot‘ und ‚Resturlaub‘ ein brachliegendes Genre neu belebt – den deutschen Männerroman“ (Höbel 2006, S. 138). Knaup zweifelt diese Revitalisierung zurecht an, da es sich beim Männerroman keineswegs um ein in der Forschung etabliertes Genre handelt. Die Germanistin Ruth Römer stellte 1956 fest:

„Seltsam, Männerliteratur, den Männerroman, gibt es nicht. Weder wurde Literatur, die von Männern hervorgebracht ist, noch solche, die Männer darstellt, je so genannt. Männer werden auch nie mit besonderen Werbemethoden zur Lektüre eingeladen und als Lesepublikum vorherbestimmt.“ (Römer 2011, S. 15)

Diese Aussage, die in der gesamten zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht an Gültigkeit eingebüßt hatte, bedurfte offenbar einer Revision. Knaup macht es sich in ihrem ambitionierten Dissertationsprojekt zur Aufgabe, die Forschungslücke ‚Männerroman‘ für den deutschsprachigen Raum zu schließen.

Sie führt im Kapitel zum literaturtheoretischen Hintergrund aus, dass es sich beim Männerroman zwar nicht um ‚hohe Literatur‘, aber um ein „kulturelles Archiv unserer Zeit“ handle, in dem „bedeutende Diskurse der Gegenwart geführt und weitergeführt“ (S. 26) werden. Die Untersuchung stützt sich auf die Konzepte der Diskursanalyse bzw. der Kulturpoetik (New Historicism), die als „literaturwissenschaftliche Konkretion der Diskursanalyse“ (S. 32) verstanden wird. Der Fokus liegt dabei auf kulturellen Kontexten der Gegenwart. Um aufzeigen zu können, was für Diskurse im Männerroman geführt werden, bedient sich Knaup der komparativen Methode, mit der sie mindestens zwei Textstellen in Bezug auf ein Tertium Comparationis miteinander vergleicht. Aus den sich ergebenden Gemeinsamkeiten und Differenzen werden Folgerungen für das Genre Männerroman gezogen.

Die neue Jedermännlichkeit

Der Vergleich mit ähnlichen, aber bereits etablierten Genres zeitgenössischer Unterhaltungsliteratur steht am Beginn der komparativen Analysen.

Pop- und Männerroman, die beide häufig auf Objekte aus der Populärkultur verweisen, unterscheiden sich Knaup zufolge primär durch ihren Grad an Konformität. Nach einer Analyse von (Pop-)Musik und kulturellen Archiven in ausgewählten Romanen beider Genres, kommt sie zu folgendem Schluss: Im Poproman erfüllen die „Insignien des Mainstreams“ (S. 78) – seien es angesagte Musikgruppen, Fernsehserien oder Marken – vorrangig die Funktion, eine exzentrische, bewundernswerte Ingroup auszuweisen, wohingegen sie im Männerroman eingesetzt werden, um eine Identifikationsfläche für möglichst viele Leser_innen zu erzeugen. Um die Unterschiede auf ein Bild herunterzubrechen: Popromane kreisen um postmoderne Dandys, Männerromane um zeitgenössische Jedermanns: „weder außergewöhnlich modisch noch [...] dekadent“, „weder homosexuell noch homophob“ (S. 100).

Männer- und Frauenroman – Knaup spricht von Genderromanen – scheinen mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen aufzuweisen. Die These, dass „der Männerroman den Frauenroman zu imitieren bzw. zu kompensieren scheint“ (S. 112), wird inhaltlich anhand der Singlethematik und formal anhand der Paratexte (mit Fokus auf den Peritexten) untersucht. Das Ergebnis der exemplarischen Analysen bestätigt, dass es sich beim Männerroman nicht um eine Gegenbewegung, sondern vielmehr um eine Ergänzung zum Frauenroman handelt. Es werden in beiden Genres Geschlechterstereotype reproduziert, die sich wechselseitig bestätigen, und die bereits durch anschauende Lektüre, insbesondere die Buchcovergestaltung (z.B. gendertypische Farbzuschreibungen, Abbildung von Füßen), erkennbar sind. Abgesehen von der Darstellung stereotyp weiblichen und männlichen Verhaltens werden Knaup zufolge „auch aktuelle Entwicklungen der Genderdebatte auf[gegriffen]“ (S. 189), wobei die Verunsicherung vieler Männer durch die zunehmende Emanzipation der Frauen im Fokus stehe.

‚Neue Männlichkeit(en)‘ werden im Männerroman häufig in Form eines Geschlechterrollentausches – Frau geht arbeiten, Mann bleibt zuhause – verhandelt. Knaup schreibt diesem Themenkomplex eine zweite Hochkonjunktur seit den 1970er Jahren zu. Damals handelte es sich zumeist um märchenhaft-phantastische Geschlechtertauschliteratur; die selteneren realistischen Beschreibungen eines Geschlechterrollentausches, wie beispielsweise in Gisela Elsners Die Zähmung (1984), fielen pessimistisch aus. Die Männerromane gehen zwar zuversichtlicher mit der Thematik um, eine Krise der Männlichkeit trete aber trotzdem ein.

Humor als konstitutive Zugabe

Knaup weist nach, dass der Männerroman nicht im luftleeren Raum entstanden ist, sondern an literarische Traditionen anknüpft, sowohl an die Liebeskonzeption in Goethes Sturm und Drang-Bestseller Die Leiden des jungen Werthers (1774) als auch an die Gattung Bildungsroman. Die Protagonisten der Männerromane ertragen ihre identitätsstiftenden Irrungen und Wirrungen jedoch meist mit deutlich mehr Humor. Selbstmord ist für sie keine Lösung: es gilt im Sinne von trial and error abermals neu anzufangen. Trotz zahlreicher Parallelen sieht Knaup den Männerroman nicht als eine „historische Modifikation des Bildungsromans“ (S. 239). Dafür würden ihm zu viele wichtige und für diesen konstitutive Elemente, z.B. die tragende Rolle von Eltern und/oder Mentoren, fehlen.

Die Ratschläge in Männerromanen stammen meist nicht primär von Vorbildern aus dem Familien- und Bekanntenkreis, sondern aus sogenannter Männer-Ratgeberliteratur ─ ein Genre, das nach Frauen nun auch Männer als vielversprechende Zielgruppe für sich entdeckt habe. Die „Appellfunktion des Männerromans [sei jedoch] weniger stark ausgeprägt als in Ratgebern“ (S. 258), da es primär um systemstabilisierende Unterhaltung gehe. Ähnlich verhält es sich mit der Nähe zur Comedy: der Männerroman komme zwar nicht ohne eine humorvolle Darstellung der Geschlechterthematik aus, biete darüber hinaus aber auch ernstere und differenziertere Betrachtungen an.

Humor übernimmt zudem eine wichtige Funktion beim Medienwechsel, bei dem „der Prätext oder das Textsubstrat in ein anderes Medium transformiert“ (S. 274) wird. Hörbücher, die aus marketingtechnischen Gründen in der Regel zeitgleich wie die Romanvorlage erscheinen, werden oft von Comedians gesprochen und bei den Männerroman-Verfilmungen handelt es sich in der Regel um Komödien. Das Genre Männerroman, auch wenn die Buchform seine „ursprüngliche Variante“ sei, wird von Knaup als „multimediales Phänomen“ (S. 322) definiert.

Fundierte Grundlagenforschung

Anna Katharina Knaup hat mit ihrer Untersuchung des Männerromans germanistisches Neuland betreten. Das Ausmachen und ansatzweise Schließen einer Forschungslücke – sei sie auch noch so unerklärlich, wie die Autorin selbst betont (vgl. S. 11) – ist bereits eine Leistung für sich, zumal im Bereich der Gattungstheorie.

Die Verortung des Forschungsgegenstandes im Umfeld von Diskursanalyse und Kulturpoetik überzeugt, ebenso wie die Wahl einer komparativen Methode, die sich für die Abgrenzung von anderen Gattungen (Pop-, Frauen- und Bildungsroman, Ratgeberliteratur und Comedy) bzw. für die Konfiguration eines eigenständigen Genres anbietet. Der auffallend knappe Rekurs auf die Gender Studies, die gleich wieder in den Hintergrund rücken, weil sie keine Methode, sondern allenfalls ein thematisches Interesse darstellen (vgl. S. 26), scheint mir auf eine Leerstelle zu verweisen: die mittlerweile gut etablierte Lektürestrategie des Queer Reading wird mit keinem Wort erwähnt.

Als weitere Leerstelle kann die Darlegung und Begründung des Analysekorpus ausgemacht werden. Knaup betont zwar, dass die bislang erschienenen Männerromane „zahlenmäßig noch zu überblicken sind“ und das Korpus daher „als nahezu vollständig angesehen werden“ (S. 16) kann; eine Liste inklusive Anmerkungen, inwiefern diese Liste als vollständig zu betrachten ist, findet sich jedoch nicht. Auch wenn sich das Korpus und die Gründe für die Auswahl im Laufe der Lektüre erschließen, wäre eine kompakte Zusammenstellung am Beginn der Untersuchung hilfreich.

Im Übrigen besticht die Arbeit sowohl durch ihre Nähe als auch durch ihre Distanz zum Text. Zuerst werden die Themenschwerpunkte ausführlich anhand von Zitaten aus Primär- und Sekundärliteratur analysiert. Dabei vergleicht Knaup immer mindestens zwei Textstellen in Bezug auf ein klar definiertes Tertium comparationis (Musik, kulturelle Artefakte, Single-Dasein, Paratexte...), wodurch sich Gemeinsamkeiten und Differenzen ergeben. Auf diese textnahen Vergleiche folgt am Ende jedes Unterkapitels eine Zusammenfassung, in der Folgerungen für das Genre des Männerromans im Allgemeinen gezogen werden. Diese sehr präzisen, auch optisch hervorgehobenen Abstracts ermöglichen auch Querleser_innen eine schnelle Orientierung.

Positiv hervorzuheben ist außerdem, dass die Autorin nicht vor Vergleichen mit sogenannter ‚kanonischer Literatur‘ zurückschreckt. Die Literaturwissenschaft hatte nie Berührungsängste, wenn es darum ging, Sophie von la Roche als ‚Mutter‘ des Frauenromans auszumachen. Wenn Feuilleton und Buchhandel nun ein Genre wie den Männerroman ausrufen, ist es nur konsequent Goethes Werther als potentiellen Vorläufer von Jauds Vollidiot in Erwägung zu ziehen. Knaup legt dar, in welchem begrenzten Rahmen, beispielsweise in Bezug auf die Liebeskonzeption, solche Vergleiche möglich und sinnvoll sein können.

Es zeugt von einem hohen Grad an Selbstreflexivität, dass eine Untersuchung, die sich mit Gattungstheorie (Männerroman) beschäftigt, auch die eigene Gattung (Dissertation) hinterfragt bzw. modifiziert. Die Kapitel erscheinen auf den ersten Blick etwas eigenwillig angeordnet, Verknüpfungspunkte ergeben sich jedoch bei der Lektüre (z.B. Neue Männlichkeit, Humor). Die innovative Studie wird folglich von einer nicht minder innovativen Struktur getragen, die punktuelle thematische Verbindungen einem starren akademischen Hochschulschriftenkorsett vorzieht. Am Ende steht kein herkömmliches Fazit, sondern ein fiktiver Lexikonartikel über den Männerroman.

Abstriche im Bereich der Gender Studies

Bei der Untersuchung eines Genres, das mit Geschlechterstereotypen arbeitet, ergeben sich unwillkürlich Berührungspunkte mit den Gender Studies, und in diesem Bereich liegen einige Schwachstellen der Dissertation.

Knaup hat durchgängig auf geschlechtergerechte Sprache verzichtet: es finden sich weder Strategien, die das Sprachsystem zu verändern suchen (z.B. Binnen-I, Gap), noch solche, die geschlechtliche Markierungen in der Sprache vermeiden (z.B. geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen, Umformulierungen). Zudem begegnen oft Verallgemeinerungen (‚die Frauen‘, ‚die Männer‘). Ist beispielsweise von damaligen und heutigen Feminist_innen die Rede, suggeriert das eine Homogenität innerhalb der (post)feministischen Bewegung(en) und innerhalb der ‚(post)feministischen Literatur(en)‘, die so nie bestanden hat (vgl. S. 19).

Knaup stellt der Entwicklungskette Frauen-Männer-Genderforschung jene des Frauen-, Männer- und Genderromans entgegen; eine Parallelisierung, die nur begrenzt funktioniert. Genderforschung ist primär an der Hinterfragung von stereotypen Genderkonzepten interessiert, wohingegen jene Texte, die Knaup als Genderromane klassifiziert, diese Stereotype größtenteils unhinterfragt reproduzieren. Die Anwendung des Terminus Genderroman auf heteronormative Frauen- und Männerromane bei gleichzeitiger Nicht-Thematisierung von queerer bzw. LGB*T*I (Lesbian, Gay, Bisexual, Trans*, Inter*)-Literatur halte ich für schwierig, weil dadurch Ausschlüsse erzeugt werden. Auch die Aussage, dass sich die Differenzhypothese in der Populärkultur eindeutig gegenüber der Egalitätstheorie durchgesetzt habe, gälte es einerseits in Bezug auf ‚neue Frauenromane‘, z.B. von Charlotte Roche (vgl. Lindemann 2009) und andererseits in Bezug auf queere Literatur zu relativieren. Insgesamt wäre eine intensivere Auseinandersetzung mit der Problematik geschlechtsspezifischer Klassifizierungen von Literatur wünschenswert gewesen.

Diese Kritikpunkte sind dahingehend zu relativieren, dass es sich primär um eine germanistische Studie handelt, deren Ziel es war, eine Genrekonfiguration des deutschsprachigen Männerromans vorzulegen. Dieses Ziel wurde erreicht. Das Ergebnis, eine fundierte Grundlagenforschung, stellt der Chick lit-Untersuchung von Annette Peitz (2010) einen ‚männlichen‘ Genregegenpart an die Seite. Ein Vergleich mit der Entwicklung im anglo-amerikanischen Raum (Lad lit), wie ihn auch Peitz in Bezug auf die deutschsprachigen Frauenromane präsentiert hat, wäre eine von zahlreichen Anschlussmöglichkeiten, die Knaup der Literaturwissenschaft mit ihrem ambitionierten Forschungsprojekt eröffnet hat.

Literatur

Elsner, Gisela: Die Zähmung. Chronik einer Ehe. Berlin: Verbrecher 2002.

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998.

Höbel, Wolfgang: Mausbär auf großer Fahrt. In: Der Spiegel (2006), H. 30, S. 138.

Jaud, Tommy: Vollidiot. Der Roman. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer TB 2006.

Jaud, Tommy: Resturlaub. Das Zweitbuch. 3. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer TB 2007.

Lindemann, Thomas: Neue Frauen-Literatur: Sie schreiben, wollen Sex und sind wütend. In: Die Welt (22.01.2009), http://www.welt.de/kultur/article3064465/Sie-schreiben-wollen-Sex-und-sind-wuetend.html, Zugriff am 21.02.2016.

Peitz, Annette: Chick Lit. Genrekonstituierende Untersuchungen unter anglo-amerikanischem Einfluss. Frankfurt am Main: Peter Lang 2010.

Römer, Ruth: Was ist ein Frauenroman? In: Sprache, zur Sprache gebracht: Aufsätze zur Intentionalität sprachlichen Handelns. Bielefeld: Aisthesis 2011, S. 11–16.

Sandra Folie

Universität Wien, Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft

DOC-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften an der Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Wien

E-Mail: sandra.folie@univie.ac.at

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