Wider den Mythos Technik

Rezension von Daniela Döring

Anna Döpfner:

Frauen im Technikmuseum.

Ursachen und Lösungen für gendergerechtes Sammeln und Ausstellen.

Bielefeld: transcript Verlag 2016.

222 Seiten, ISBN 978-3-8376-3432-7, € 24,99

Abstract: Anna Döpfner liefert erstmalig eine Analyse von Geschlechterverhältnissen in technischen Museen. Sie verbindet eine langjährige Innensicht aus dem Deutschen Technikmuseum Berlin mit breitgefächerten Beispielen aus der internationalen Museumslandschaft sowie einer profunden Kenntnis der Frauen- und Geschlechterforschung. Die Autorin zeigt nicht nur die Dominanz eines männlich geprägten engen und affirmativen Technikbegriffs, der Frauen ausschließt, sondern arbeitet auch historische Ursachen dieser strukturellen Ungleichheit sowie kurz- und langfristige Ansätze für eine Veränderung der Museumspraxis heraus. Dabei plädiert sie für eine kritische Kulturgeschichte der Technik, die soziale und geschlechterspezifische Bedingungen, Nutzen, Folgen, Ökonomien und Fortschrittsglaube zur Diskussion stellt.

DOI: https://doi.org/10.14766/1208

Die Geschichte technischer Museen ist stark mit einer männlich-dominierten Fachkultur aus Ingenieuren, Wissenschaftlern, Experten, Pionieren und Genies verbunden. Seit Anbeginn zielten technikhistorische Sammlungen darauf ab, die Funktionen, Meilensteine, Entwicklungen und Leistungen von Technologien zu dokumentieren, und waren so einem linearen Fortschritts- und Innovationsglauben verpflichtet, der bis heute in den Museen – wenngleich auf unterschiedliche Weise – als Verkörperung von Männlichkeit zu sehen ist. Trotz zahlreicher Studien der feministischen Technikforschung sowie bildungspolitischer Programme und Maßnahmen für Inklusion und Chancengleichheit hat sich dieser Befund gegenwärtig kaum verändert. So wie Frauen in technischen Studienfächern, Berufen und Führungspositionen immer noch eine Minderheit bilden, hat sich auch die Repräsentation der Geschlechter im Technikmuseum nur marginal gewandelt. Das Museum ist indessen nicht nur ein Ort der (Re-)Produktion von Geschlechterverhältnissen, sondern kann diese kritisch zur Disposition stellen. Anna Döpfner geht in ihrer Studie Frauen im Technikmuseum den Ursachen und Erscheinungsformen der geschlechtsspezifischen Ungleichheit in der musealen Technikgeschichte auf den Grund und blickt aus ihrer langjährigen Museumserfahrung heraus – von 1988 bis 2014 leitete sie die Abteilung ‚Textiltechnik‘ und von 2004 bis 2012 zusätzlich die Abteilung ‚Bildung‘ im Deutschen Technikmuseum Berlin – auf die Institution nebst umliegender Museumslandschaft und akademischer Forschung. Sie liefert damit erstmalig eine systematische Auseinandersetzung mit der Repräsentanz von Frauen in technikhistorischen Museen.

Genderforschung und Museumspraxis

Die Autorin stellt ihrer Untersuchung zunächst ein umfangreiches Vorwort voran, um deren Gegenstand in der Geschichte der Frauen- und Geschlechterforschung zu verorten. Von den frühen feministischen Kämpfen um soziale Gleichberechtigung von Männern und Frauen und der Anerkennung der Geschlechterdifferenz über den Paradigmenwechsel von der Frauen- zur Genderforschung, die Konzepte von Weiblichkeit und Männlichkeit in die Analyse einbezieht, bis hin zu Dekonstruktion, Durchque(e)ren und Öffnen vergeschlechtlichter Identitäten zeichnet Döpfner die Theoriebildung nach und pointiert damit gleich mehrere Herausforderungen. Zum einen verweist sie auf das Nebeneinander von höchst unterschiedlichen Begriffen und Konzepten der Kategorie Geschlecht, die (nicht nur in der Museumspraxis) kontrovers diskutiert und verwendet werden. Zum zweiten tritt eine Diskrepanz zwischen akademischem Feld und musealem Alltag, aber auch zwischen unterschiedlichen Wissenskulturen, wie die der Natur- und Geisteswissenschaften, zutage. Und schließlich markiert sie zum dritten die untrennbare Verwobenheit der Geschlechterdebatte mit ökonomischen und wirtschaftspolitischen Zielen.

Technikmuseen befinden sich nicht nur – wie alle anderen Museen auch – in einem Ökonomisierungsprozess, in dem Erfolg zunehmend quantifiziert wird, vielmehr sind sie als Motor von Fortschritt und Innovation seit jeher eng mit der nationalen Ökonomie verwoben. Vor diesem Hintergrund wird das zähe und widerständige Ringen um Geschlechtergerechtigkeit in technischen Museen beleuchtet. Anna Döpfner widmet sich in ihrem Buch darauf aufbauend einer Sichtung der Geschlechterverhältnisse in den Ausstellungen technischer Museen, ergründet historische Ursachen der umfassenden Exklusion von Frauen und erarbeitet kurzfristige und langfristige Ansatzpunkte für die Veränderung der sozialen Ungleichheiten.

Sichtbarkeit von Frauen im Technikmuseum

Die Bestandsaufnahme beginnt mit einem Blick auf die Besucher_innenstatistik des Deutschen Technikmuseums Berlin: Nur 30% der Besucher_innen sind Frauen, sie kommen zudem zusammen mit ihren Partnern, Kindern und Verwandten und interessieren sich nicht für Fachspezifika, sondern für Nutzen, Effekte und Folgen der Technikentwicklung. Döpfner setzt dieses Evaluationsergebnis kausal in Relation zu dem strukturellen Ausschluss von Frauen aus den Sammlungen und Displays des Berliner Technikmuseums sowie ihrer Berücksichtigung in anderen technischen Museen. Ihre historische und museale Analyse reicht dabei von Dauer- und Sonderausstellungen über Frauenecken und -museen bis hin zum integrativen Einschluss der Kategorie Geschlecht in die Museumsarbeit (etwa am Museum der Arbeit, Hamburg). Ihr Befund ist frappierend: Die Repräsentanz von Frauen ist verschwindend gering und beschränkt sich auf namenlose, passive, allegorische, symbolische oder begleitende (Hintergrund-)Figuren. Nur selten gelingt es – wie etwa bei der im Berliner Technikmuseum ausgestellten Binnenschifffahrt – Frauen als gleichberechtigte, aktive Akteurinnen und Arbeiterinnen in der Technikgeschichte darzustellen. Besucherinnen und Besucher von technikgeschichtlichen Ausstellungen finden so höchst ungleiche Vorbilder und Möglichkeiten der Identifikation vor, neben der Dominanz männlicher Erfinder, Entdecker und Genies verschwinden Erzählungen von weiblichen Verdiensten zu marginalen Randerscheinungen.

Zudem gerät das punktuelle Einfügen von weiblichen Zeugnissen schnell zur Darstellung einer Abweichung von der männlichen Norm. Im Verhältnis zur Haupterzählung erscheinen so etwa Fliegerinnen in der Geschichte der Luftfahrt ebenso als Ausnahme, wie die lila markierten Frauenecken einen Nebenstrang in der Geschichte der Eisenbahntechnik darlegen. „Das Genderdilemma“, konstatiert Döpfner, „ist allerdings noch nicht gelöst, wenn die Realität […] korrekt abgebildet ist. Im Gegenteil kann das Sichtbarmachen von Frauen die männlich dominierte Grundstruktur der Ausstellung bestätigen, solange die weibliche Ergänzung die übergeordnete männliche Perspektive nicht in Frage stellt“ (S. 31). Mit ihrer Kritik stellt die Autorin jedoch keineswegs die langjährigen Bemühungen und Kämpfe um Sichtbarmachung von Frauen in der Geschichte technischer Museen in Frage. Im Gegenteil: Angesichts des großen, individuellen Engagements von Kuratorinnen, Volontärinnen und zuweilen auch der Unterstützung auf Leitungsebene zeigt sich die Repräsentanz der Geschlechter als strukturelles Problem.

Gender als strukturelle Kategorie

Dieser strukturellen Ungleichheit geht die Autorin im folgenden Kapitel nach und beschäftigt sich mit dem für das technische Museum grundlegenden Zusammenhang von Natur, Technik und Erkenntnis. Aus der Geschichte der neuzeitlichen Naturwissenschaft und ihrer ideologischen Verankerung in der Aufklärung destilliert sie ein Technikverständnis, das bis heute im Museum virulent ist. Technik ist demnach die Fähigkeit, sich die Natur zu unterwerfen und gefügig zu machen. Diese Herrschaft legitimiert sich über die Macht des faktischen, mathematisierten und verobjektivierten Wissens, aus dem alles Subjektive und vermeintlich Irrationale ausgeschlossen wird. Diese methodische Trennung von (männlichem) Erkenntnissubjekt und (weiblichem) Untersuchungsobjekt, so führt Döpfner weiter aus, korreliert mit dem historischen Ausschluss der Frauen aus Wissenschaft und Öffentlichkeit sowie dem Verständnis dieser Geschlechterordnung als scheinbar natürliche, hierarchische und objektive Differenz. Die Höherbewertung der Kultur als Siegeszug der Technik, als teleologischer Fortschritt und Herrschaftsstrategie ist allerdings nur um den Preis der Entfremdung, Zerstörung und Ausblendung der Machtverhältnisse zu haben. Dieses Dilemma wird bis heute in Technikmuseen weder ausreichend aufgegriffen, geschweige denn aufgelöst. Vielmehr setzt die Institution das Postulat der Aufklärung fort, indem es einerseits abstrakte Technologien durch Modelle zu erklären und erfahrbar zu machen sucht und diese andererseits als technische Daten, Fakten, neutrale Erzählung, Kanon und Wahrheit verobjektiviert.

Umso erstaunlicher ist es, dass gerade die Erkenntnisse einer feministischen Technikforschung, welche die patriarchale und hegemoniale Männlichkeit problematisieren, keinen Eingang in die Museumspraxis gefunden haben. Ebenso wenig sind Analysen mit weiteren Differenzkategorien wie etwa class oder race konzeptionelle Bestandteile der Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit, obgleich die Abgrenzung zum klassischen, bildungsbürgerlichen Museum und dessen Verwobenheit in Kolonial- und Migrationsgeschichte wie in regionalen und globalen Ordnungen zahlreiche Möglichkeiten böten. Döpfner fordert für die Objektauswahl und museale Konzeptarbeit eine strukturelle und intersektionale Berücksichtigung der Kategorien Geschlecht, Ethnizität und Klasse (S. 72).

Lösungsansätze

Die Unterrepräsentanz von Frauen im Technikmuseum ist nach Döpfner jenem Machtverhältnis und einem engen, affirmativem Technikkonzept geschuldet. Für die Umgestaltung dieser strukturellen Ungleichheit erarbeitet die Autorin nun kurzfristige und langfristige Ansätze und Empfehlungen. Gut zwei Drittel der Studie widmet sie Überlegungen, auf welche Art und Weise Veränderungen der Museumspraxis erzielt werden können. Zu den kurzfristigen Maßnahmen für Inklusion zählt die Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache, die sich trotz langjähriger Forderung bisher nicht flächendeckend durchsetzen konnte. Weiterhin führt sie eine kompensatorische Bildungs- und Vermittlungsarbeit an, in welcher auf die geschlechtsspezifische Sozialisation von Mädchen und Jungen eingegangen wird, sowie Interventionen, die Ausstellungen sukzessive nachbessern sollen. Hier wird bereits das Prinzip der Multiperspektivität eingeführt, durch das die vermeintlich objektive Geschichtsschreibung aufgebrochen und durch vielfältige Blickwinkel und Sprecher_innenpositionen aufgefächert werden kann.

Die langfristigen Ansätze reichen von einer gleichstellungspolitischen Personalstruktur über Veränderungen der Museumsarchitektur und -gestaltung, eine geschlechtersensible und kontextualisierende Sammlungspraxis, die multiperspektivische Erzählungen erlaubt, bis schließlich zur Forderung nach verstärkter interdisziplinärer Forschung. Döpfner plädiert für die „Festlegung eines Anteils von Genderthemen in den Ausstellungen“ (S. 113), der freilich eine Auseinandersetzung mit der Kategorie Geschlecht vorausgehen muss. Sei es als Untersuchung der ‚vergessenen‘ Frauen in Technik und Naturwissenschaft, der symbolischen Ein- und Zuschreibungen von Männlich- und Weiblichkeiten etwa in Objekten, Bildern und Materialien oder schließlich als Erweiterung der klassischen Techniknarrative hin zu Erwerbsbiographien, Reproduktions- und Hausarbeiten, dem geschlechtsspezifischen Wandel von Berufsfeldern und Industrien – die Palette der Möglichkeiten ist lang. Die Autorin arbeitet nun anhand von einigen zentralen Themen heraus, wie der „gender turn“ (S. 109) im Technikmuseum befördert werden kann. Ihre Strategien zielen darauf ab, Technik nicht mehr als Fetisch aus Zahlen, Fakten und Funktionen zu verstehen, sondern als Kultur- und Sozialgeschichte zu erzählen – ein Leitbild, das in vielen technischen Museen seit geraumer Zeit postuliert wird. So führt sie etwa die Werkzeug- und Sozialentwicklung auf, an der man eine Fortschrittsgeschichte als Gemeinschaftsarbeit von Frauen und Männern ausstellen könne. Oder den Topos des „Geschlechtergedächtnisses“ (S. 124), in dem sie nicht nur das Potential geschlechtsspezifisch unterschiedlicher Erinnerungen, Geschichten und Räume sieht, sondern auch die Möglichkeit, das Machtverhältnis auszuhebeln, durch das weibliche Leistungen systematisch aus dem kollektiven Gedächtnis ausgeschlossen und verdrängt worden sind.

Als zwei abschließende zentrale Schwerpunkte verfolgt Anna Döpfner die Themen Arbeit und Krieg. Beide werden anhand von ausführlich diskutierten Beispielen aus der internationalen Museumslandschaft als Schlüssel zu einer geschlechtergerechten Museumsarbeit entfaltet. Die bisher unsichtbar gemachte Reproduktionsarbeit, vergeschlechtlichte Arbeitsteilung, Alltags- und Konsumgeschichte, Globalisierung, Kolonialgeschichte sowie Kriegsgewalt sind Döpfner zufolge produktive Zugänge für die Diskussion und Verhandlung der sozialen, gesellschaftlichen und geschlechtsspezifischen Implikationen von Technologien. Insbesondere die Darstellung von Kriegstechnologie könne nicht ungebrochen als männliche Fortschrittsgeschichte inszeniert werden. Gerade hier wird deutlich, dass sich Geschlechtergerechtigkeit nicht in der Sichtbarmachung von Frauen in der (Technik-)Geschichte erschöpfen kann: Frauen sind nicht nur als Opfer, sondern auch als Täterinnen, Arbeiterinnen und Heldinnen an Kriegen beteiligt. Die „Ambivalenz der Sichtbarmachung“ – wie von Döpfner unter Rückgriff auf Johanna Schaffers gleichnamige Publikation herausgearbeitet – besteht vielmehr darin, dass mit dem Einschluss von minorisierten Gruppen immer auch das Machtverhältnis selbst zwischen Zentrum und Rand, Dominanz und Marginalisierung sowie Kanon und Ausnahme reproduziert wird. Einerseits wird durch die differenztheoretische Definition von Geschlecht jene Anordnung reproduziert, die zugleich kritisiert werden soll. Andererseits laufen neuere dekonstruktivistische Identitätskonzepte Gefahr, historische Kontexte auszublenden und durch aktuelle neokonservative Strukturen vereinnahmt zu werden.

Aktuelle Transformationen?

Um das dichotome, hierarchische Denken zu überwinden, untersucht die Autorin in einem abschließenden Kapitel das Ausstellungsprinzip der Kunst- und Wunderkammern und deren Versprechen einer Multiperspektivität. Die seit geraumer Zeit wieder populäre Repräsentationsstrategie besticht durch die Vision des gleichberechtigten Nebeneinanders vielfältiger Perspektiven, das Konglomerat unterschiedlicher Welterfahrungen und das Aufgeben eines objektiven Blicks, doch verweist Döpfner am Beispiel des geplanten Humboldt-Forums auf die Unsichtbarmachung von Machtverhältnissen und neuen Formen einer Ethnozentrik. Dem Scheitern dieses Konzeptes stellt Döpfner das des „wilden Museums“ entgegen, wie es von Angela Janelli aus der Analyse von Amateur- und Heimatmuseen herausdestilliert worden ist. Dieses offeriere ein „neues demokratisches und partizipatives Konzept auf dem Boden der Wunderkammer“, das in der Lage sei, hegemoniale Ansprüche aufzugeben und Wissen zu pluralisieren (S. 205).

Die radikale Absage an ein „unkritisches Staunen“ (S. 115) wird dem Museum als Institution – und insbesondere den Technikmuseen – zukünftig einiges abverlangen. Es rührt an dem Selbstverständnis und Grundlagen der Institution, die dem Mythos Technik immer noch stark verhaftet ist. Angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen Dominanz von Technologien und digitalen Medien könnte das Technikmuseum eine stärkere Relevanz – nicht nur als Ort der Vergewisserung von technischen Errungenschaften, sondern als Möglichkeit, diese zu debattieren – entwickeln. Für diesen Transformationsprozess liefert Anna Döpfner mit ihrer Studie einen wertvollen Beitrag. Ihr gelingt es, die langjährigen Erforschungen des Ausschlusses von Frauen aus der Technik in die spezifische Institution des Museums zu übertragen, historische Ursachen für den zähen Wandel zu entziffern und Vorschläge für die gegenwärtige Umgestaltung der Ausstellungs- und Sammlungspraxis zu generieren.

Daniela Döring

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam

Homepage: http://emw.fh-potsdam.de/personen_lehrende_portrait.php?tid=204

E-Mail: dadoerin@uni-potsdam.de

(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)

Creative Commons License
Dieser Text steht unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Hinweise zur Nutzung dieses Textes finden Sie unter https://www.querelles-net.de/index.php/qn/pages/view/creativecommons