Die Männlichkeit des Militärs als Dominanzkultur in Israel

Rezension von Ellen Krause

Uta Klein:

Militär und Geschlecht in Israel.

Frankfurt a.M./New York: Campus 2001.

353 Seiten, ISBN 3–593–36724–6, € 37,90

Abstract: Uta Klein legt eine sehr informierte, lehrreiche und gut lesbare Studie über den komplexen Zusammenhang von Militär und Geschlecht in Israel vor – einem Land, das seit seiner Entstehung von Krieg begleitet ist, dessen Politik vom militärischen Sicherheitsdenken dominiert wird und dessen Bevölkerung, männliche wie weibliche, weitgehend zum Militärdienst herangezogen wird.

Uta Klein präsentiert zunächst den Forschungsstand zum Thema – allerdings kann sie dabei nur auf begrenzte Ressourcen zurückgreifen, denn die konstitutive Rolle des Militärs in der israelischen Gesellschaft und Politik zur Herausbildung von Geschlechtsidentitäten ist bislang noch nicht in der von Klein formulierten Fragestellung untersucht worden : Es "muss gefragt werden, wie sich erstens das militärische Anliegen als dominierendes Anliegen durchsetzt und zweitens, welche gesellschaftliche Auswirkungen die Dominanz des militärischen Anliegens hat." (S. 31) Da das Militär von Männern dominiert ist, fragt Klein außerdem nach der Rolle von Geschlechterbilder in der Institution und nach dem Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Ordnung und dem Herrschaftsinstrument Militär. (S. 43 f.)

Theoretischer Zugang

Kleins Ansatz ist also zunächst dadurch charakterisiert, dass sie das Militär nicht als eine Institution neben anderen versteht, sondern als konstitutives Element der gesellschaftlichen Organisation und der individuellen Identität. Geschlecht bearbeitet sie nicht als eine Frage der Biologie, sondern als ein Sozialisationsprojekt, das freilich nicht nur Rollen vorgibt, sondern auch Identitäten formt und Wert- und Handlungsorientierungen hervorbringt. Des weiteren arbeitet Klein mit einer Vielzahl von Theoremen wie dem Konzept der 'hegemonialen Männlichkeit' von Robert Connell und dem Habitus- und Kapitalkonzept von Pierre Bourdieu. Klein nutzt Forschungsergebnisse wie den von Rosemarie Kantner beschriebenen Token-Effekt, der eintritt, wenn Frauen in geringer Zahl in bislang rein von Männern besetzten Institutionen auftreten oder den von Ruth Seifert und anderen beschriebenen Beschützermythos, der unter Soldaten gepflegt wird und der sowohl für den einzelnen als auch für die Institution Militär eine wichtige Legitimationsfunktion hat. Bei der Vielfalt der von Klein einbezogenen theoretischen Überlegungen und Analyseergebnisse überrascht, dass sie nicht – wie beispielsweise Dafna N. Israeli – den von Robert W. Connell eingeführten Begriff des 'Genderregimes' benutzt, zumal Klein vielfach auf Connell Bezug nimmt. Klein selbst stellt die methodische Anlage ihrer Untersuchung nur vage dar. Aufgrund der Auflistung des bearbeiteten Materials (vgl. S. 53) wird jedoch deutlich, dass Klein vor allem Methoden der Text- und Diskursanalyse anwendet. Moshe Zuckermann schreibt im Vorwort vom "auf poststrukturalistischen Konzepten basierendem feministischen Forschungsansatz" (S.14). Eine Bezeichnung, die Klein selbst für ihre Arbeit nicht explizit vornimmt und die sich bei der Lektüre des Textes auch nicht stets bestätigt. Klein weist nur in Klammern auf die Gleichzeitigkeit des politisch-militärischen Ausschlussmechanismus gegenüber Frauen und dem nicht-jüdischen Kollektiv hin (vgl. S. 31, Fußnote 2, S. 149 und auch S. 251). Mit Derridas poststrukturalistischem différance-Begriff hätte man diese Effekte und Mechanismen von Konstruktion und Exklusion der 'Anderen' (der Palästinenser, des femininen Ghetto-Juden usw.) sicher weitergehend analysieren können.

Was Diskursanalyse in Kleins Studie meint, wird in den Kapiteln über unterschiedliche historische Epochen deutlich. Denn es geht der Autorin nicht darum, historische Ereignisse nachzuzeichnen, sondern vielmehr Selbstverständnisse, Interpretationen, Rollenzuweisungen usw. zu erfassen, die sich in den Dokumenten der jeweiligen historischen Phase ausdrücken.

Ergebnisse

Auf diese Weise kann Klein überzeugend nachzeichnen, dass sich schon in der vorstaatlichen Phase das Bild eines neuen Juden durchsetzen konnte, der im Gegensatz zum Diasporajuden wehrhaft war und harte körperliche Arbeit leistete. Der bewaffnete Landarbeiter wurde zum Ideal des Pioniers (vgl. S. 57). An dieser vorstaatlichen Ideologie sind gleich mehrere Beobachtungen zu machen: Das Bild des neuen Juden war auf Männer zugeschnitten und wurde auch fast ausschließlich von Männern in die Realität umgesetzt. Der "neue Jude" war von Anfang mit Bewaffnung und Körperlichkeit (z. B. Nordaus Konzept des Muskeljudentums) verbunden. Obwohl Frauenfiguren Symbole der zionistischen Bewegung waren (vgl. S. 68), blieben die Bemühungen einzelner Frauen und einzelner Gruppen zur Schaffung eines Bildes der "neuen Jüdin" erfolglos (vgl. S. 88).

Klein zitiert dazu die Erinnerungen von Immigrantinnen. Demnach haben diese sich in den zionistischen Zirkeln der unterschiedlichen Herkunftsländer gleichberechtigt gefühlt mit ihren männlichen Mitstreitern. Nach der Ankunft in Palästina begann jedoch eine Ausdifferenzierung der Geschlechterrollen mit der herkömmlichen Ungleichwertigkeit (vgl. S. 83ff).

Die Tatsache, dass die Staatswerdung Israels mit Krieg verbunden war, dass weitere scheinbar alternativlose Kriege folgten und ein permanentes Bedrohungsgefühl vorherrscht, hat für den gesellschaftlichen Stellenwert des Militärs und für dessen Selbstverständnis entscheidende Bedeutung. Das Militär versteht sich als die Stütze des Staates sine qua non. Wehrpflicht ist selbstverständliche Bürgerpflicht, deren Verweigerung einem Landesverrat und einem Ausstieg aus dem nationalen Kollektiv gleichkommt. Entsprechend ist bis heute die Absolvierung des Militärdienstes Voraussetzung für eine berufliche Karriere. Klein zeigt an den bekanntesten Politikern Israels, dass auch einer politischen Laufbahn stets eine militärische vorausgeht. Klein verweist auch auf die Rolle der israelischen Armee als Schmelztiegel der aus unterschiedlichsten Nationen und Kulturen stammenden israelischen Bevölkerung (vgl. S. 127). Eine israelische Besonderheit ist außerdem, dass das Militär mit Schulveranstaltungen, Schülertrainingscamps, Reservediensten, Schulungen usw. beinahe lebenslänglich und auch in halbzivilen Formen Zugriff auf die Individuen hat. Israelische Frauen unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, sind also – so könnte man meinen – gleichermaßen in das israelische Kollektiv als Staatsbürgerinnen, als Erwerbstätige und als Politikerinnen eingebunden. Doch zeigt Klein sehr überzeugend, dass dieser Eindruck täuscht. Die Einbindung von Frauen in das Militär verläuft nach einem anderen Muster als die Einbindung der Männer. Die Wehrpflicht für Frauen ist kürzer und es bestehen legale und akzeptierte Möglichkeiten der Verweigerung: Heirat, Schwangerschaft oder religiöse Überzeugung. Während die militärischen Korps üblicherweise nach militärischen Aufgaben gebildet werden, gibt es ein Frauenkorps, dessen Kriterium das Geschlecht ist (vgl. S. 154). Frauen im Militär werden faktisch nicht als kampfestauglich angesehen und werden in vielen Fällen eher als Helferinnen oder gar als unterhaltsame Begleiterinnen derer eingesetzt, die die "richtige" Arbeit machen (vgl. S. 187, S. 155 ff). Das Identitätsangebot, welches das israelische Militär seinen Angehörigen bietet, ist deshalb nur für Männer attraktiv und erhöht ausschließlich deren Motivation (vgl. S. 177, S. 211 ff). Auch wenn Anfang des Jahres 2000 das Kampftruppenverbot für Frauen fiel, so ist die immer noch dominierende Sichtweise die, dass der staatstragende Dienst der Frauen in der Produktion und Pflege des israelisch-jüdischen Nachwuchses liege (vgl. u. a. S. 252–56). Militär und Politik bleiben indessen eine eng verzahnte Männerangelegenheit. Klein resümiert, dass in der Verflechtung von Militär, Politik und Wirtschaft trotz Frauenwehrpflicht vielfältige Ausschlussmechanismen für israelische Frauen wirksam sind. In jüngster Zeit sind in Israel neue Töne zu hören, sowohl von Wissenschaftlern, die vereinzelt wagen, die Selbstverständlichkeit des militärischen Diskurses und die Dominanz des Sicherheitsdenkens kritisch zu betrachten, als auch von Seiten zivilgesellschaftlicher Organisationen. Die Selbstverständlichkeit des Waffendienstes wird in Frage gestellt und das Tabu der Wehrdienstverweigerung aufgehoben. Nicht zuletzt wird in den Frauenfriedensgruppen zunehmend auf den Zusammenhang von Militär, Männlichkeit und Frauendiskriminierung hingewiesen. In solchen Veränderungen der Sichtweisen und der Selbstinterpretation sieht Klein die Chance, die israelische Gesellschaft zu entmilitarisieren, Männlichkeitsbilder zu pluralisieren und damit auch die Hierarchie zwischen den Geschlechtern aufzuweichen.

Literatur

Dafna N. Israeli: Paradoxes of Women’s Service in the Israel Defense Forces. In: D. Maman, E. Ben-Ari, Z. Rosenhek: Military, State, and Society in Israel. New Brunswick/ London: Transaction Publishers 2001, S.203–238.

URN urn:nbn:de:0114-qn031196

Dr. Ellen Krause

Universität Tübingen, Institut für Politikwissenschaft

E-Mail: ellen.krause@uni-tuebingen.de

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