Menschenrechte im Spannungsfeld – zwischen normativen Ansprüchen und intersektionalen Machtverhältnissen

Rezension von Heike Mauer

Imke Leicht:

Wer findet Gehör?

Kritische Reformulierungen des menschenrechtlichen Universalismus.

Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich 2016.

211 Seiten, ISBN 978-3-8474-0597-9, € 28,00

Abstract: Imke Leicht gelingen kritische Reformulierungen des menschenrechtlichen Universalismus, an deren Ausgangspunkt die moralphilosophische Theorie Seyla Benhabibs steht. Zugleich unterzieht sie Benhabibs Theorie einer Kritik: Benhabibs auf Verständigung orientierter Universalismus erfasse die real existierenden rechtlichen Ausschlüsse nicht, die verhindern, dass Menschenrechte faktisch gelten. Hierzu nutzt Leicht die Kritik an gesellschaftlichen Normen von Judith Butler sowie die postkoloniale Kritik von Gayatri Spivak. Für die kritische Reformulierung des menschenrechtlichen Universalismus ist nach Leicht allerdings entscheidend – der Normativitätskritik von Butler und Spivak zum Trotz –, am Universalismus sowie einer normativen Unterscheidung zwischen exkludierenden und emanzipatorischen Normen festzuhalten.

DOI: https://doi.org/10.14766/1225

Angesichts der massiven gesellschaftlichen Verwerfungen – (Bürger-)Kriege, Terrorismus und zerfallende Staaten, aber auch ein größer werdendes Wohlstandsgefälle zwischen ‚Zentrum‘ und ‚Peripherie‘ –, die gegenwärtig zu massiven Fluchtbewegungen führen, spricht die Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo von einer ‚Menschenrechtskrise‘, die sich nicht zuletzt in den Abschottungsbemühungen der EU, aber auch Deutschlands zeigen: Zu nennen sind in diesem Zusammenhang etwa das EU-Türkei-Abkommen, der Zusammenbruch des Dublin-Verfahrens, die Verschärfungen des Asylrechtes, das immer mehr Staaten zu vermeintlich ‚sicheren Drittstaaten‘ erklärt, die Versuche, Abschiebungen selbst in instabile, durch Bürgerkrieg gekennzeichnete Staaten wie Afghanistan durchzuführen…

Dies zeigt: Bei den Menschenrechten handelt es sich in vielfacher Hinsicht um prekäre Rechte: An vielen Orten der Welt werden Menschenrechte nicht geachtet und verletzt. Darüber hinaus zeigen die oben angeführten Beispiele, dass das Flüchtlingsrecht oder die Asylgesetzgebung selbst oftmals zu einer Verletzung von Menschenrechten beitragen. Aktuell zeigt sich eine solche kritische Haltung gegenüber menschenrechtlichen und humanitären Diskursen auch in der Politischen Theorie sowie der Politischen Philosophie – etwa in „Kritik der humanitären Vernunft“ von Didier Fassin (2011), in Giorgio Agambens Überlegungen zum „Lager als biopolitischem Paradigma der Moderne“ (2002, S. 127) oder auch in Jacques Rancières Frage nach dem „Subjekt der Menschenrechte“ (2011). In all diesen Theorien und Gegenwartsbefunden scheinen die Arendt’sche (1955) Kritik der Menschenrechte sowie ihre Überlegungen zur ‚Totalen Herrschaft‘ auf, die sich gesellschaftlich durch den Verlust der öffentlichen Sphäre sowie der Zerstörung des Politischen und individuell durch Prozesse auszeichnet, die Menschen gezielt rechtlos und ‚überflüssig‘ machen und sie ihrer Handlungsfähigkeit berauben. Historisch reicht eine politiktheoretische Kritik der Menschenrechte jedoch über Karl Marx (1843), der die Menschen- und Bürgerrechte als ideologischen Ausdruck der kapitalistischen Verhältnisse entlarvt, die die Rechte des egoistischen bourgeois zu Lasten der Bedürfnisse des homme, des Menschen als Gattungswesen, schützen, bis hin zu Olympe de Gouge (1791), die – angesichts eines patriarchalen ‚Geschlechtervertrags‘ (Pateman 1988) – eine Reformulierung der Menschenrechte vornahm und den droits de l’homme die ‚‚Rechte der Frau und Bürgerin“ entgegenstellte. De Gouges Kritik zielte dabei nicht auf eine Ablehnung der Menschenrechte, sondern auf deren inklusive Erweiterung, indem sie den Androzentrismus und damit eine zentrale Leerstelle des menschenrechtlichen Universalismus anprangerte. Eine solche Reflexion und Kritik der Menschenrechte stellt somit einen zentralen Gegenstand der normativen Politischen Theorie dar.

Menschenrechte zwischen Utopie und Kritik

Auch Imke Leicht verfolgt mit ihrer Untersuchung Wer findet Gehör? das Ziel, „kritische Reformulierungen des menschenrechtlichen Universalismus“ vorzunehmen, und leistet damit einen Beitrag zu einer normativen Politischen Theorie. Dazu widmet sich die gleichermaßen in der Politischen Theorie wie der feministischen Theorie verankerte Studie drei äußerst prominenten Politischen Theoretikerinnen und Kritikerinnen der Gegenwart: Seyla Benhabib, Judith Butler und Gayatri Chakravorty Spivak. Sofern deren Arbeiten nicht sowieso die Bedingungen des menschenrechtlichen Universalismus ins Zentrum ihrer jeweiligen Forschungsinteressen stellen, so kreisen deren wissenschaftliche Suchbewegungen doch um die für den Menschenrechtsdiskurs zentralen Begriffe wie Autonomie, Norm, Subjekt und Macht.

Im ersten Teil der Studie steht die Rekonstruktion der Konzeption des menschenrechtlichen Universalismus von Seyla Benhabib im Zentrum. In einem zweiten Teil unterzieht Leicht diese Konzeption einer machtkritischen Überprüfung und Kritik. Dazu nutzt sie die Auseinandersetzung Judith Butlers zu Normen und Normativität sowie die postkoloniale Kritik von Gayatri Chakravorty Spivak. In einem abschließenden Teil führt Leicht ihre Überlegungen zu den kritischen Reformulierungen des menschenrechtlichen Universalismus zusammen und diskutiert deren Relevanz anhand ausgewählter praktischer Felder der Menschenrechtspolitik. Die Entscheidung, auf feministische politische Theorie für die Reformulierungen des menschenrechtlichen Universalismus zurückzugreifen, ergibt sich Leicht zufolge aus dem Spannungsverhältnis zwischen einer Theorie der Menschenrechte und deren feministischer Kritik, welches sich als produktiv erweise, sowohl „bestehende Ausschlüsse in Menschenrechtsinterpretationen ausfindig, als auch gesellschaftliche Ausschlüsse mithilfe der Menschenrechte anfechtbar zu machen“ (S. 19).

Ausgangspunkt von Leichts Überlegungen stellt die Überzeugung dar, „dass es für gesellschaftliche Emanzipationsprozesse notwendig ist, am normativen Anspruch des menschenrechtlichen Universalismus festzuhalten“ (S. 14 f.). Menschenrechten sei ein emanzipatorisches Potential inhärent, welches sich gerade durch ihre universalen Geltungsansprüche begründe: „Sie [die Menschenrechte, H.M.] formulieren den Anspruch, dass jedem Menschen aufgrund seines Menschseins gleichermaßen grundlegende Rechte zustehen, unabhängig – aber nicht ungeachtet – von spezifischen Merkmalen, Identitäten, Lebensweisen oder Zugehörigkeiten“ (S. 12 f.). Jedoch seien Menschenrechte durch eine Ambivalenz gekennzeichnet, da sie ihr emanzipatorisches Potential nicht immer realisieren und verwirklichen konnten und sich auch das den Menschenrechten zu Grunde gelegte Subjektverständnis nicht als universales, sondern als ein partikulares (z. B. als männlich, heterosexuell, bürgerlich und westlich) entpuppt habe. Auf diese Weise drohe der menschenrechtliche Universalismus selbst auf ungleich verteilten Machtverhältnissen und exkludierenden Subjektvorstellungen fundiert zu werden (vgl. S. 13 f.). Deshalb seien beständige, machtkritische Reformulierungen des menschenrechtlichen Universalismus notwendig, die eine Unterscheidung von repressiven und emanzipatorischen Normen ermöglichen. Für den gegenwärtigen, transnationalen Menschenrechtsdiskurs bedeutet dies, Normansprüche beständig „auf ihre Verallgemeinerbarkeit, andererseits auf Ausschlüsse hin zu befragen“ (S. 166).

Das Versprechen des Universalismus: die feministische Reinterpretation der Menschenrechte bei Benhabib

Mit den feministischen, politiktheoretischen und sozialphilosophischen Überlegungen von Seyla Benhabib zu den normativen Grundsätzen des menschenrechtlichen Universalismus steckt Leicht zunächst das Diskussionsfeld ab. Sie rekonstruiert zunächst Benhabibs Ausgangspunkt, eine feministische Reinterpretation der Habermas’schen Diskursethik als inklusives Fundament einer universalistischen Moraltheorie. Dabei stelle Benhabibs Denken sowohl eine Erweiterung wie eine Kritik der klassischen Diskursethik dar, indem sie die im Moralgespräch hergestellte, universalisierbare, kommunikative Vernunft an die konkreten Lebenswelten der Menschen rückbinden will. Auf diese Weise lassen sich Benhabib zufolge zentrale feministische Kritikpunkte an der traditionellen Diskursethik – das Dilemma zwischen Gleichheit und Differenz, die geschlechtsspezifische Trennung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten, die Gegenüberstellung von Fragen der Gerechtigkeit und solchen des guten Lebens sowie die einseitige Betrachtung des Standpunkts des verallgemeinerten und des konkreten Anderen – in eine Theorie des menschenrechtlichen Universalismus integrieren, ohne einen universalistischen Anspruch sowie den Ansatz der kommunikativen Vernunft und Verständigung aufgeben zu müssen. Normativ fundiert ist die Diskursethik von Benhabib im Grundsatz der universalen moralischen Achtung sowie der egalitären Reziprozität. Explizit wolle diese – so Leicht – hierbei den Standpunkt des Anderen einbeziehen, wozu sie die Diskursethik gezielt um eine multikulturelle Dimension erweitert.

Benhabib erkennt an, dass bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen, damit sich die Diskursethik faktisch Geltung verschaffen kann. Hierzu seien Lernprozesse sowie das Menschenrecht auf politische Mitgliedschaft – und somit auf politische Teilhabe – erforderlich. In diesem Kontext prägt Benhabib den Begriff der demokratischen Iteration, womit sie wechselvolle Prozesse der Aneignung von (noch nicht oder nur unzureichend gewährten) Rechten ‚von unten‘ durch diejenigen, die vom Recht ausgeschlossen sind, sowie der (transnationalen) Verrechtlichung, an der Institutionen und Menschenrechtsakteur/-innen beteiligt sind, beschreibt. Leicht bezweifelt allerdings, ob diese Prozesse der demokratischen Iteration „tatsächlich zu einer grundlegenden und nachhaltigen Überwindung von unzulässigen Ausschlüssen oder zumindest zu ihrem Abbau beitragen“ können, da Benhabib das Scheitern solcher Prozesse unterbelichtet lasse (S. 77). Benhabib betone positive Tendenzen – die Entstehung transnationaler Rechtsräume sowie eine verstärkte menschenrechtliche Orientierung nationaler und transnationaler Akteur/-innen – gegenüber gegenläufigen realen Entwicklungen – verstärkte gesellschaftliche wie rechtliche Ausschlüsse –, die faktisch verhindern, dass viele Menschen ihren Rechten tatsächlich Geltung verschaffen können.

Machtanalytische Korrekturen als Bedingung einer kritischen Reformulierung des menschenrechtlichen Universalismus

Leicht zufolge müsse jedoch „gesellschaftlichen wie institutionellen Ausschlüssen und Machtasymmetrien eine […] grundlegendere Bedeutung und Wirkung zugemessen werden“ (S. 77), um zu einer adäquaten Reformulierung des menschenrechtlichen Universalismus zu gelangen. Deshalb wendet sich die Autorin der Butler’schen Kritik sprachlicher Normen und Normierungsprozessen zu. Im Zentrum der Reflexion von Judith Butler stehe die Frage nach den Bedingungen der Anerkennbarkeit von Subjekten. Als hierfür entscheidend erweise sich die Verletzlichkeit und das Gefährdetsein des Menschen als eine conditio humana im Sinne einer gemeinsamen sozialen Bedingtheit aller Menschen. Um unterscheiden zu können, dass zwar alle Menschen potentiell gefährdet und schutzbedürftig sind, es jedoch zugleich politisch bedingte Zustände gibt, durch die bestimmte Bevölkerungsgruppen einem besonderen Risiko „der Verletzung, der Gewalt und des Todes […] durch Krankheit, Armut, Hunger, Vertreibung und Gewalt“ ausgesetzt sind, führt Butler zugleich den Begriff der Prekarität bzw. des Prekärseins ein (zitiert nach S. 91). Anerkennung können Subjekte erst in ihren Beziehungen zu Anderen erfahren, so dass eine solche Anerkennung auf eine zweifache Weise gefährdet ist: Denn fehle Subjekten die Sichtbarkeit – oder in Butlers Worten die „Intelligibilität“ −, so wird ihnen der Eintritt in eine Anerkennungsbeziehung – und damit die Möglichkeit, als Individuum wahrgenommen zu werden – grundsätzlich verwehrt. Eine zweite Schwelle stellt dann die Anerkennungsbeziehung selbst dar, die keineswegs immer zu einer gegenseitigen Anerkennung führen muss, sondern auch scheitern kann, indem Subjekten die Anerkennung verweigert wird.

Die Pointe der Butler’schen Theorie, die sie für kritische Reformulierungen des menschenrechtlichen Universalismus gleichermaßen anschlussfähig wie kritikbedürftig macht, liegt Leicht zufolge in der herausragenden Bedeutung gesellschaftlicher und rechtlicher Normen, die das Entstehen sowie das Gelingen oder Scheitern solcher Anerkennungsbeziehungen bedingen. Insofern sind also bereits Prozesse der Subjektbildung in gesellschaftliche und politische Machtbeziehungen eingebunden, die nicht egalitär, sondern oftmals hierarchisch verlaufen. Damit entpuppen sich zugleich vermeintlich ‚universale‘ Normen als partikular. Diese Einsicht ermöglicht es Leicht, eine wichtige Korrektur der Theorie der Diskursethik von Benhabib vorzunehmen, indem deutlich wird, dass das Subjekt kein ‚autonomes‘ ist, sondern bereits in seinen Konstitutionsbedingungen als in Macht- und Normierungsverhältnisse eingebettetes verstanden werden muss. Insofern müssen bereits die ‚Startbedingungen‘, unter denen sich verschiedene Subjekte auf einen Diskurs des menschenrechtlichen Universalismus beziehen können, als vermachtet, potentiell exkludierend und normierend reflektiert werden. So könnten etwa die Interventionen intergeschlechtlicher Menschen durchaus im Sinne des Benhabib’schen Begriffs der Jurisgenerativität als Aneignung und Erweiterung menschenrechtlicher Normen der Geschlechtergleichheit verstanden werden, die in der BRD ein erstes Aufbrechen der Norm der Zweigeschlechtlichkeit in Bezug auf die Menschenrechtsverletzungen gegenüber intergeschlechtlichen Personen bewirkten. Allerdings handele es sich hierbei um einen Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist und der erneut auf die Bedeutung der sozialen Verankerung von rechtlichen Normen und der damit verbundenen Anerkennungsproblematik verweist. Allerdings kritisiert Leicht, dass Butler selbst die Frage einer Unterscheidung zwischen exkludierenden Normen und solchen, die ein emanzipatorisches (d. h. ein inkludierendes, partizipatorisches, demokratieerweiterndes) Ziel verfolgen, nicht stellt. Anhand der Debatte zwischen Benhabib und Butler zeigt sie auf, dass Butler insofern keine Vertreterin eines menschenrechtlichen Universalismus ist, wenngleich ihre Überlegungen zu einer kritischen Reflexion des menschenrechtlichen Universalismus eingesetzt werden können.

Menschenrechtlicher Universalismus und Postkolonialität

Schließlich stellt Leicht Spivaks Überlegungen zur Position der Subalternen ins Zentrum einer postkolonialen Kritik, die sie ebenfalls nutzt, um einen weiteren machtvollen Ausschluss herauszuarbeiten, dem eine kritische Reformulierung des menschenrechtlichen Universalismus begegnen muss. Bekanntlich analysiert Spivak die Position der Subalternen als eine unmögliche, die es ihr nicht erlaubt, sich selbst erfolgreich zu repräsentieren oder für sich selbst sprechen zu können, da ihre Position unhörbar zwischen einem hegemonial westlichen und seinem Gegendiskurs zerrieben wird. Es sind solche aus dem Kolonialismus fortwirkende, globale Konstellationen, die für die Reformulierung eines menschenrechtlichen Universalismus relevant bleiben. Leicht beleuchtet die Wirkung dieser postkolonialen Konstellation auf den Menschenrechtsdiskurs am Beispiel der deutschen Entwicklungshilfepraxis, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Menschenrechte von LSBTI im globalen Süden zu fördern. Dies erweise sich nicht zuletzt deshalb als Herausforderung, weil an diesen Prozessen unterschiedliche staatliche und nicht-staatliche Akteur/-innen in einem machtdurchzogenen und hierarchischen Kontext aufeinandertreffen, so dass die ‚Selbstrepräsentation‘ von Betroffenen kaum möglich ist, sondern ihre Position etwa durch NGOs vermittelt wird, die auf verschiedenen (internationalen und nationalen) Ebenen agieren müssen und dabei Ansprüche und Positionen gleichermaßen vermitteln, übersetzen und transformieren. Nicht zuletzt auf Grund der Tatsache, dass auch die Entwicklung antihomosexueller Gesetze in Ländern des globalen Südens eine Kolonialgeschichte hat, macht es erforderlich, die Position des menschenrechtlichen Universalismus für solche postkolonialen und transnationalen Verflechtungen zu sensibilisieren.

Fazit

Die vorliegende – übersichtlich strukturierte und klar formulierte – Studie, die zu Recht in die vom Arbeitskreis Politik und Geschlecht der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) herausgegebenen Reihe ‚Politik und Geschlecht‘ aufgenommenen wurde, zeichnet sich gleichermaßen durch Detailkenntnis und eine sorgfältige, den Theorien wertschätzend gegenübertretende Herangehensweise aus. Kritikwürdige Elemente der Theorien sowie deren jeweilige analytische Leerstellen werden von der Autorin ebenso klar benannt wie ihre Stärken. Leitfaden für diese Beurteilung ist dabei stets die Funktionalität der diskutierten Theorien für eine Reformulierung des menschenrechtlichen Universalismus. Die Grenzen einer solchen Reformulierung liegen für Leicht letztlich in einem Urteil darüber begründet, ob eine Veränderung aus „partikularistischen, autoritären oder kulturrelativistischen“ Gründen angestrebt wird oder ob eine „Reformulierung zur Entfaltung seines [des menschenrechtlichen Universalismus, H.M.] emanzipatorischen Potentials“ erfolgt (S. 194). Wie Leicht anhand der Diskussionen im UN-Menschenrechtsrat über das Verhältnis „traditioneller Werte und Normen“ und Menschenrechten illustriert, steht zu vermuten, dass ein solches Urteil als ein konflikthaftes und ein politisches begriffen werden muss (vgl. S. 190−194).

Auch wenn die eigenen Ausführungen der Autorin zur Konzeption einer „differenzierten, intersektionalen Machttheorie“, die sie ihrer Auseinandersetzung mit Butler und Spivak voranstellt, eher kurz ausfallen (vgl. S. 84−88), so gelingt es Imke Leicht in vorzüglicher Weise, bei den Lesenden Lust auf eine Re-Lektüre dieser Klassikerinnen der feministischen und der Politischen Theorie zu erzeugen. Denn – so wird nach der Lektüre der vorliegenden Forschungsarbeit klar – das Verhältnis von menschenrechtlichem Universalismus und Machtverhältnissen kann nicht endgültig bestimmt werden, sondern muss vielmehr in immer neuen Lern-, Denk- und politischen Handlungsprozessen beständig neu bestimmt und kritisiert werden. Hierbei ist aus Leichts Perspektive allerdings entscheidend – entgegen der Normativitätskritik von Butler und Spivak –, am Universalismus sowie an einer normativen Unterscheidung zwischen exkludierenden und emanzipatorischen Normen festzuhalten.

Literatur

Agamben, Giorgio. (2002). Homo sacer: Die souveräne Macht und das nackte Leben. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

Arendt, Hannah. (1955). Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft: Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. 11. Auflage 2006. München: Piper Verlag.

de Gouges, Olympe. (1791). „Die Rechte der Frau und Bürgerin“. In Christoph Menke/Francesca Raimondi (Hg.) (2011). Die Revolution der Menschenrechte: Grundlegende Texte zu einem neuen Begriff des Politischen. (S. 54–58). Berlin: Suhrkamp Verlag.

Fassin, Didier. (2011). Humanitarian Reason: A Moral History of the Present. Berkeley: University of California Press.

Marx, Karl. (1843). „Zur Judenfrage“. In MEW 1. (S. 347–377). Berlin: Dietz Verlag.

Pateman, Carole. (1988). The Sexual Contract. Stanford, CA: Standford University Press.

Rancière, Jacques. (2011). „Wer ist das Subjekt der Menschenrechte?“ In Christoph Menke/Francesca Raimondi (Hg.). Die Revolution der Menschenrechte: Grundlegende Texte zu einem neuen Begriff des Politischen. (S. 474–490). Berlin: Suhrkamp Verlag.

Dr. Heike Mauer

Universität Duisburg-Essen

Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW

E-Mail: heike.mauer@uni-due.de

(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)

Creative Commons License
Dieser Text steht unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Hinweise zur Nutzung dieses Textes finden Sie unter https://www.querelles-net.de/index.php/qn/pages/view/creativecommons