Martina Schattkowsky (Hg.):
Frauen und Reformation.
Handlungsfelder – Rollenmuster – Engagement.
Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2016.
354 Seiten, ISBN 978-3-86583-927-5, € 66,00
Abstract: Der Sammelband, der Teil eines Großprojektes aus Anlass des Jubiläumsjahres der Reformation ist, enthält zwölf Einzelbeiträge, die in drei thematische Kategorien eingeordnet sind. Die Forschungsfrage lautet, ob die Reformation den Frauen neue Handlungsspielräume eröffnete und damit auch neue Handlungsfähigkeiten für sie schuf. Die Einzelbeiträge werden im Hinblick auf diese Forschungsperspektive kritisch erörtert. Ganz besonders hervorzuheben ist der programmatische Aufsatz von Ute Gause, die die Reformationsgeschichtsschreibung und die Genderforschung engführt und eine Neukonzeptionierung der Reformations- und evangelischen Kirchengeschichtsschreibung unter Einschluss der Geschlechterforschung fordert.
Der von Martina Schattkowsky herausgegebene Sammelband Frauen und Reformation ist der abschließende Teil eines Großprojektes bestehend aus wissenschaftlicher Tagung, Sonderausstellung und Publikation aus Anlass des Jubiläumsjahrs 2017 zum fünfhundertjährigen Gedenken an die Protestantische Reformation.
Die Herausgeberin hat die geschlechterspezifische, historische Perspektive gewählt und mit der Forschungsfrage verknüpft, ob die Reformation ein Mehr an Handlungsspielräumen und damit auch ein Mehr an Handlungsfähigkeit für Frauen „in Sachen Religion“ (S. 16) bedeutete und noch stets bedeutet. Dass diese Perspektive vorrangig eine sozialhistorische ist, machen die einleitenden Ausführungen der Herausgeberin wie auch die nachfolgenden Beiträge deutlich, die im Folgenden unter den durch den Band vorgegebenen Überschriften besprochen werden sollen.
Den Ausführungen der Herausgeberin zur Seite gestellt, sind ein Aufsatz mit dezidiert programmatischem Charakter von Ute Gause und ein weiterer von Anne Conrad, in dem der Nexus von Frauen und Reformation unter dem Aspekt der Bildungsmöglichkeiten untersucht wird. Der Aufsatz von Gause lässt unzweifelhaft deutlich werden, dass die Reformations- und damit die evangelische Kirchengeschichtsforschung sich bis heute als eine sich der Geschlechterperspektive verbarrikadierende Wissenschaft darstellt. In ihrer diesbezüglichen exzellenten Standortbestimmung, in der die Autorin auch nicht davor zurückschreckt, Fehlentwicklungen zu benennen, plädiert sie daher folgerichtig für eine „gendersensible Neukonzeption der Reformationsgeschichte“ (S. 37). Konkret bedeute dies eine Einbindung der Kategorie Geschlecht, wodurch letzteres als „ein historisch wandelbares Phänomen“ (S. 22) verstanden werde. Damit einher geht die Forderung nach einer „gegenderte[n] Reformationsgeschichte“ (S. 24), die eine historische (wie auch aktuelle, vgl. S. 21 f.) Differenzgrammatik selbstverständlich reflektiert, aber ihrerseits nicht produziert. Diese Perspektive ist zwar nicht brandneu (siehe Buikema/Thiele 2017 und ebenso Schattkowsky in der Einführung, S. 15), hat jedoch im Fachgebiet der Autorin wohl noch nicht wirklich Fuß gefasst. Der Aufsatz verweist diesbezüglich verschiedentlich auf Forschungen mit radikaleren Fragestellungen aus dem anglo-amerikanischen Bereich, die als Referenzgrößen herangezogen werden, die eigenständige Ausweitung auf andere Formen sexueller Orientierung wird jedoch gescheut. Dies ist möglicherweise durch den Fokus des Aufsatzes auf die Priesterehe zu erklären, fällt jedoch bei den theoretisch-methodischen Überlegungen als eine Unzulänglichkeit auf.
Der Aufsatz von Jens Klinger ist in seinem ersten Teil ein Forschungsbericht über das Editionsprojekt der Korrespondenz Elisabeths von Sachsen (1502-1557), einer Herzogin, die Mitglied im Schmalkaldischen Bund war. Im zweiten Teil liefert der Autor eine Interpretation dieser Korrespondenz in Bezug auf das Leben Elisabeths. Insgesamt macht der sehr sorgfältig verfasste Aufsatz deutlich, dass die ‚Spielräume‘ Elisabeths als Frau eher dynastisch-politischen Gründen zu verdanken waren als spezifisch reformatorischen Einflüssen, obwohl sie insgesamt diesen Einflüssen gegenüber sicherlich offen war und hier innerhalb der Spielräume, die jedem Amtsinhaber zur Verfügung gestanden hätten, gestaltend tätig war. Wenn daher Klinger in seinem ersten Satz proklamatorisch Elisabeth zu den ‚wichtigsten‘ Protagonistinnen des Reformationszeitalter zählt, dann kann sich das nur auf ihren Status als Fürstin beziehen. Dieser Status eröffnete reformationsbedingt zwar ‚neue‘ Spielräume, diese lassen sich aber nicht auf eine Veränderung ihres Status als weibliche Fürstin zurückführen. Insofern handelt es sich vorliegend um Fürstinnenforschung, eingebettet in die Zeit der Reformation. Dieser Befund schmälert jedoch nicht die Relevanz des Aufsatzes, insbesondere wenn der Autor die aktuelle historische Geschlechterforschung zu vergleichbaren Editionsprojekte auffordert und hier konkret die Korrespondenzen wettinischer Fürstinnen nennt.
Ebenfalls unter dieser Überschrift ist der Aufsatz von Gabriele Jancke eingeordnet, der Katharina von Bora, ihrer Biographie und deren Rezeption gewidmet ist. Obwohl die durch die Reformation begründeten neuen Verhältnisse in der Lebensgeschichte der Katharina von Bora greifbar seien, so argumentiert die Autorin, sei ihre Lebensgeschichte vorrangig die Geschichte ihrer Rezeption. Diese These wird überzeugend anhand von insgesamt neun schriftlichen Quellenanalysen belegt, die den rezeptionsgeschichtlichen Auftrag deutlich erkennen lassen. Der Aufsatz von Jancke ist überzeugend und auf eine gewisse Art auch befreiend, da die eingenommene Perspektive dem Aufbau von (‚wissenschaftlichen‘) Mythen entgegenwirkt. Er schließt sowohl an die jüngste Forschung zu Katharina von Bora an als auch an Forschung zur Pfarrhausliteratur, für die die Konstruktion ihrer Person in Richtung eines bestimmten Frauentypus wesentlich war.
Mit Frauengestalten im Bauernkrieg, der als mit der Reformation zusammenstehend betrachtet werden muss, beschäftigt sich Franziska Neumann in ihrer quellenkritischen Untersuchung. Neumann geht methodisch wie Gause vor und wendet auch deren Geschlechterbegriff an, um historische Frauengestalten im Bauernkrieg greifbar zu machen. Die Autorin verdeutlicht, dass die Protagonistinnen des Bauernkrieges als soziologische Gruppe erst noch ‚aufgedeckt‘ werden müssen. Insofern ist der vorliegende Aufsatz ‚work in progress‘, aber darum nicht weniger interessant, denn einerseits schließt Neumann an die grundlegende Bauernkriegsforschung von Peter Blickle an, zeigt jedoch andererseits eigenständig auch die Wege auf, die die von ihr (und Gause) angewandte Methode eröffnen kann.
Martin Arnold schreibt über niederadlige (nicht ordensgebundene) Frauen im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Diese Frauen, für die „für die frühe Reformationszeit Fälle exponierter Positionierungen im Kampf der Konfessionen nachweisbar sind” (S. 101), scheinen sich gerade durch die Reformationsbewegung ermutigt gefühlt zu haben, Handlungsfähigkeit zu zeigen. Der Autor skizziert verschiedene Bereiche, in denen diese spezifische Frauenschicht tätig war. An erster Stelle ist hier ihre tatsächliche Arbeit in der Haus- und Gutswirtschaft zu nennen, neben sicher ebenso wichtigen gesellschaftlich-sozialen Tätigkeiten wie der Anbahnung und Aufrechterhaltung von Netzwerken familiärer und freundschaftlicher Art, sowie auch ihre Vorbildfunktion für die Umgebung durch eine gelebte und damit performative Frömmigkeit. Dabei scheint für diese soziologische Gruppe dasselbe zu gelten, was oben bereits für die Fürstinnen, die zur Zeit der Reformation lebten, festgestellt werden konnte: Dass gerade die Reformation für sie Handlungsspielräume vergrößert oder zumindest verändert haben soll, ist nicht ohne weiteres ersichtlich.
Anders könnte es sich mit Handlungsspielräumen von Frauen in Fällen von gemischtkonfessionellen Ehen verhalten haben: Da dieses Phänomen durch die Reformation angestoßen wurde, stellt sich die Frage, inwiefern Frauen in diesem Rahmen religiös selbstbestimmt handeln konnten. Der Autor bezieht sich hier auf seine eigenen Forschungsarbeiten (2013), wenn er ausführt, dass Eheverträge einen erkennbaren Zusammenhang zwischen Status und Finanzkraft einerseits und religiöser Selbstbestimmung andererseits erkennen lassen. Diese Aussage überrascht nicht, steht aber in einem gewissen Gegensatz zur referierten Aussage von Inken Schmidt-Voges (2011), wonach evangelische Frauen ihre Konfession aus Anlass einer Heirat „in der Regel“ (S. 93) nicht aufgaben. Hier hätte sicherlich noch ein Klärungsbedarf bestanden. Eindeutiger, nämlich durch die Reformation und die vorhergehende Medienrevolution angestoßen, verhält es sich mit den Frauen aus dieser Gruppe, die in der Frühen Reformation mit Flugschriften an die Öffentlichkeit traten. Hier wurde ein Handlungsspielraum geschaffen, der sich aus der Verschränkung einer verbreitungsbezogenen und zugänglichen Medienrevolution (erschwingliche Verbreitung von gedruckten Flugschriften) mit derjenigen einer religiösen Revolution (Priestertum aller Gläubigen) ergab. Das erste Moment hat die materiale Grundlage für diesen Handlungsspielraum geschaffen, das zweite das Bewusstsein, ‚so handeln zu dürfen‘. Hinzu kommt, dass diese Gruppe in diesem Moment bereits ein Bildungsniveau hatte, das es ihr erlaubte, diese geschichtlichen Kontingenzen für ihr individuelles Leben zu instrumentalisieren. Diesen Frauen widmet Arnold dann auch zu Recht einen längeren Abschnitt. In diesem Aufsatz wird die Forschung zur Adelsreformation (vor allem Volker Press 1979) referiert, die erst in jüngerer Zeit mit den Beiträgen von Anke Hufschmidt (2001) und Schattkowsky (2008) die Rolle der Frauen in dieser Gruppe als eigenständige wahrgenommen hat. In vorbildlicher Weise enthält der Aufsatz Querverweise zu den anderen Beiträgen, was den Wert des Sammelbandes insgesamt erhöht.
Dass der Luther’sche bzw. der von Bora’sche Haushalt bereits zeitgenössisch zum Prototyp eines protestantischen Haushalts stilisiert worden war und sich damit zur Nachahmung empfahl, bestätigen die Beiträge in diesem Band (Arnold, S. 88, Jancke, S. 137 f.). Diesem Typus und den in ihm wirkenden Frauen spürt Stefan Dornheim in seinem Aufsatz „Die ersten Frauen im Pfarrhaus. Die reformatorische Idee einer geistlichen Familienkultur und ihre Folgen“ nach. Darin wird diachron ein insgesamt eher positives Bild gezeichnet, wenn es um die Frage nach einem durch die Reformation verursachten Mehr an Handlungsfähigkeit für Frauen geht. Sinnvollerweise wird zwischen der ersten Generation der Pfarrhausehefrauen (1520er-Jahre) und den nachfolgenden Generationen differenziert. In diesen bedeutete die fortschreitende Etablierung und auch soziale Anerkennung eines evangelischen Pfarrerstandes, in dem die Ehefrau des Pfarrers institutionell verankert war, einen durch Quellen belegbaren, größeren Handlungsspielraum für diese. Zu nennen ist hier insbesondere die Übernahme von ehemals klösterlichen ‚Sozial- und Versorgungsdiensten‘, ein Verlagerungsprozess, der insgesamt zu einer Neustrukturierung in der Gesundheitssorge der protestantischen Gebiete geführt hat. Möglicherweise hätte man hier noch anfügen müssen, dass die institutionelle Etablierung und damit soziale Anerkennung der Pfarrhausehefrau mit der faktischen Rücknahme einer evangelischen Priesterschaft für Frauen einherging. In seinem sehr konzentriert geschriebenen Aufsatz knüpft Dornheim an die Analysen von Luise Schorn-Schütte (1991) und Christopher Spehr (2013) an und fordert des Weiteren einen breiteren Forschungsansatz ein, in dem nicht nur nach publizistischen und theoretischen Wirkungsfeldern gefragt wird, die im Allgemeinen männerdominiert sind, sondern auch nach der Erforschung und Bedeutung formeller wie informeller (weiblicher) Netzwerke und Kommunikationswege (vgl. S. 251). Damit macht er sich den methodischen Ansatz von Gause zu eigen.
Flugschriften waren ein Kennzeichen dafür, dass eine neue mediale Epoche angebrochen war. Wie haben sich speziell Frauen zu diesem Medium verhalten? Dieser Frage geht Dorothee Kommer in ihrem Aufsatz über reformatorische Flugschriftenautorinnen nach, die sie zwei Gruppen zuordnet: Zum einen diejenigen, die „mit der altgläubigen Seite ganz gebrochen haben, zum anderen jene, die aufgrund bestehender Abhängigkeitsverhältnisse auf die altgläubige Seite weiterhin angewiesen waren” (S. 199). Die zwei wesentlichen Befunde der Analyse sind, dass eine – wie auch immer motivierte – persönliche Betroffenheit der Autorinnen festzustellen ist und dass bewusst und zielgerichtet eine bezüglich ihres Anliegens meinungsbildende Öffentlichkeit durch das Medium der Flugschrift geschaffen und mobilisiert werden sollte. Der Aufsatz beruht im Wesentlichen auf der 2013 publizierten Dissertation der Autorin und berücksichtigt neuere Beiträge zu diesem Thema nicht.
Ein weiterer Aufsatz in der Kategorie der „Lebenswelten und Rollenbilder“ ist derjenige von Benjamin Müsegades, der sich in einem einleitenden Teil mit der Erforschung von Bibliotheken (und deren Rekonstruktion) beschäftigt, die reformatorisch gesinnten Fürstinnen im Reich zuzuordnen sind. Auf der Grundlage von Archivarbeit wird dann die Frage gestellt, welche Bedeutung diese Bibliotheken für die Lebenspraxis spätmittelalterlicher und reformationszeitlicher Fürstinnen hatten. Der Aufsatz gibt einen sehr nüchternen und bisweilen auch ernüchternden Überblick und Einblick in die Forschung nach dem Bücherbesitz, dem hiermit verbundenen Status und nach dem tatsächlichen Leseverhalten der Bücherbesitzerinnen, und damit selbstverständlich auch nach ihrer Bildung. In den ausführlichen Fußnotenapparat hätte man sicherlich als neuere Forschung auch den Aufsatz von Amalie Fößel (2010) aufnehmen können.
Sowohl Sabine Zinsmeyer als auch Jasmin Irmgard Hoven-Hacker analysieren die Lebensläufe von Frauen, die den Nonnenstatus entweder freiwillig oder gezwungenermaßen als Folge der Reformation aufgaben. Zinsmeyer versucht den Regelfall und nicht die Ausnahme zu erfassen und arbeitet hierbei auch mit Zahlenmaterial hinsichtlich der Fluchtzahlen sächsischer Nonnen während der Epoche der Reformation. Hierdurch wird erfreulicherweise die von Jancke bereits thematisierte Mikroebene (vgl. S. 119), die für das Leben einer Katharina von Bora nur marginal aufzuspüren ist, deutlicher und auch drastischer greifbar. Die von Zinsmeyer erhobenen Befunde und ihre Kontextualisierung mit der Reformation als Zäsur beleuchten den Statuswechsel vor allem von seiner finanziellen Seite her, die, wie zu erwarten war, in den meisten Fällen als außerordentlich prekär zu bezeichnen ist. Der insgesamt sehr informative Aufsatz wirkt etwas skizzenhaft, da die fünf abgehandelten Aspekte wohl Exzerpte aus einem größeren Werk sind (vgl. S. 290 Fußnote 9), die − in diesem Rahmen − sicherlich kompakter vermittelt hätten werden können. Dennoch fördern die Befunde dieser Untersuchung eine überaus interessante Sozialgeschichte ans Licht, die auch Ansätze sozialstaatlichen Handelns erfasst und damit einmal mehr den säkularisierenden Effekt der Reformation aufzeigt.
Hoven-Hacker konzentriert sich auf Nonnen fürstlichen Standes und arbeitet mit insgesamt zehn Fallstudien. Im ersten Fall wird die (vorreformatorische) Klosterflucht der Margarethe von Bayern-Landshut (1480-1531) erörtert, die in jeder Hinsicht von außergewöhnlich günstigen finanziellen Umständen begleitet war. Dieser Einstieg ist zu lang, auch deshalb, da deren Klosterflucht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Reformation stand, ihre Determinante vielmehr der Landshuter Erbfolgekrieg war. Die weiteren neun Fallstudien stehen in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Einführung der Reformation in unterschiedlichen politischen Territorien im Reich. In ihrem Fazit kommt Hoven-Hacker zu dem Schluss, dass eine Klosterflucht oder Klosterentfernung einer Nonne fürstlicher Abstammung eine familiendynastische Angelegenheit war, die je nach den Umständen des Einzelfalles im Sinne der ehemaligen Nonne war oder diesem entgegenstand, jedoch selten von ihr beeinflusst werden konnte.
Vergleicht man die Befunde von Zinsmeyer mit denen von Hoven-Hacker, dann lassen sich noch weitergehende Schlussfolgerungen dahingehend ziehen, dass sowohl für die Nonne fürstlichen Standes als auch für diejenige niedereren Standes der Entzug ihrer finanziellen Lebensgrundlage nachvollziehbarerweise die größte Bedrohung darstellte. Des Weiteren zeigt sich, dass für beide Gruppen eine Heirat geeignet war, diesen Statuswechsel einer gesellschaftlichen Akzeptanz zuzuführen, dass dies jedoch für beide Gruppen mit ähnlichen Vorbehalten verbunden war und manchmal eben gelang und manchmal eben nicht. Auf der Makroebene zeigt die Zusammenschau der jeweiligen Befunde, dass eine innerhalb einer fürstlichen Dynastie geregelte Nonnenflucht strukturell weitaus weniger zu einer Säkularisation beigetragen hat als das Nonnenfliehen niederrangigerer Nonnen. Es ist daher bedauerlich, dass Zinsmeyer und Hoven-Hacker ihre Forschungsergebnisse unzureichend aufeinander beziehen, denn erst wenn man diese nebeneinanderstellt, wird der spezifisch reformatorische Einfluss der von der Reformation geschaffenen institutionellen Mechanismen für Frauenleben deutlich. Eine derartige Bezugnahme hätte möglicherweise auch die Einschätzung der Handlungsspielräume für ehemalige Nonnen niedrigeren Status auf der Mikroebene, d. h. im Leben der einzelnen Frauen, im Aufsatz von Hoven-Hacker etwas weniger plakativ ausfallen lassen.
In die Kategorie „Nonne vs. Ehefrau?“ ist auch der hervorragende Aufsatz von Ralf Frassek mit dem Titel „Konflikte und Konfliktlösungen im frühen evangelischen Eherecht“ eingeordnet. Basierend auf archivalischem Aktenmaterial erörtert der Autor auf knappstem Raum das rechtliche Gefüge des evangelischen Eherechts im ernestinischen und partiell auch albertinischen Sachsen. Da in den evangelischen Territorien das kanonische Eherecht durch die Reformation obsolet geworden war, entstand ein Vakuum, das, so der Ton des Aufsatzes, sachgemäß, pragmatisch und ohne Geschlechterpräferenz gefüllt wurde. Zwei kurze Absätze sind wegen ihrer bis in die aktuelle Gegenwart reichenden Relevanz hervorzuheben: Im Rückgriff auf die diesbezüglich jüngsten Untersuchungen (Manfred Wild 2003) kommt Frassek zur Schlussfolgerung, dass weder Verurteilungen in Zauberei- und Hexenprozessen noch Todesurteile in dem Maße stattfanden, wie es gegenwärtig bisweilen vermittelt wird.
In ihrem kunsthistorischen Aufsatz analysiert Anke Fröhlich-Schauseil unter der Perspektive des ‚frühhumanistischen Familienverständnisses‘ (vgl. S. 271) vorrangig die Caritas-Darstellungen von Lucas Cranach d. Ä. (1472-1553). Dessen beispielhaft abgedruckte Gemälde (siehe Abbildungen 4-9) zeichnen sich durch eine Wiedergabe von Nacktheit aus, die sicherlich nicht nur die religiös-moralische Bedeutung der Caritas als christliche Kardinaltugend darstellt, sondern auch den Blick des (männlichen) Beobachters bedient. Vergleicht man diese Personifikationen der Caritas mit der ikonenhaften Stilisierung einer Katharina von Bora, dann könnte das Aufeinandertreffen von Renaissance und Reformation in der darstellenden Kunst nicht deutlicher werden. Die Autorin streift diesen Aspekt des Aufeinandertreffens zweier geistiger Strömungen, wenn sie eingangs das gänzlich andere Bildkonzept von Pieter Breugel d. Ä. (um 1525-1569) einführt. Die entscheidende Wahrnehmung ist hier, dass die Breugel’sche Caritas bekleidet und tätig ist (nämlich auf dem Marktplatz), während die Cranach’sche Caritas mit dem Feigenblatt des Hochzeitschleiers bedeckt ist und in einem Szenario weilt, das den Garten Eden darstellt. Man hätte dem Aufsatz zum einen eine deutlichere Auseinandersetzung im Hinblick auf diese Wahrnehmung gewünscht, ebenso wie − im Rahmen des Gesamtthemas − eine knappere Darstellung des Cranach’schen Bildprogrammes und dafür eine deutlichere Analyse der Frage, ob derartige Frauenbildvermittlungen tatsächlich „der Propagierung einer neuen Familien- und damit vor allem eines neuen Frauenbildes im reformatorischen (Betonung Daiber) Sinne“ (S. 280) zugutekamen.
Der Sammelband überzeugt auf seiner formalen Seite durch einen übersichtlichen und einsichtigen Aufbau ebenso wie durch ein Personen- und Ortsregister. Mit Ausnahme der drei den Einzelbeiträgen vorangestellten Aufsätze sind alle Beiträge mit Abbildungen versehen, was dem Band sicherlich einen Mehrwert gibt und die Zugänglichkeit der Aufsätze sowohl für ein fachgebundenes als auch für ein nicht fachgebundenes Publikum erhöht.
Erwartungsgemäß behandeln die einzelnen Aufsätze sehr unterschiedliche Themen und nehmen die Autor/-innen unterschiedliche Perspektiven ein. Dennoch tritt der Band einem als Gesamtwerk entgegen; ein Eindruck, der in erster Linie durch die Querverbindungen innerhalb des Bandes zustande kommt. Nur, wenn dies nicht gelingt, so wie bei den Aufsätzen von Zinsmeyer und Hoven-Hacker, wirken die Aufsätze in ihrem Nebeneinander disparat. Die Ausrichtung auf die von der Herausgeberin vorangestellte Fragestellung nach den durch die Reformation angestoßenen Handlungsräumen für Frauen mit einem eventuellen Mehr an Handlungsfähigkeit erfüllen die meisten Aufsätze. Als ganz besonders gelungen ist hier der Aufsatz von Zinsmeyer zu bezeichnen, da auf der Basis von empirischem Material, das auf archivalischen Befunden beruht, gezeigt wird, wie prekär die Handlungsfähigkeit für die unmittelbar betroffenen Protagonistinnen war. Weitere besonders gewinnbringende Aufsätze sind derjenige von Neumann zur noch zu erforschenden Position von Frauen im Bauernkrieg, der Beitrag von Arnold zu den niederadligen Frauen und der eher untypische, sehr kompakt geschriebene Aufsatz von Frassek, der in den Bereich der Rechts- und Institutionsgeschichte einzuordnen ist. Als Rezipienten werden dann auch in erster Linie Historiker/-innen der unterschiedlichsten Fachrichtungen angesprochen. Dieser Gruppe bietet der Band eine leicht zugängliche Informationsquelle, nicht nur für die eigene Fachrichtung, sondern für interdisziplinär verbundene Fachrichtungen. An dieser Stelle zeigt sich leider auch ein Schwachpunkt der Publikation, nämlich der, dass es sich bei den meisten Aufsätzen wohl um Zweitpublikationen handelt, was der Aktualität einen gewissen Abbruch tut.
Arnold, Martin. (2013). Ehe und Familie. In Martina Schattkowsky (Hg.). Adlige Lebenswelten in Sachsen. (S. 70–77). Köln u.a.: Böhlau Verlag.
Buikema, Rosemarie/Thiele, Kathrin (Hg). (2017). Doing Gender in Medien-, Kunst- und Kulturwissenschaften. Berlin u.a.: LIT Verlag.
Fößel, Amalie. (2010). Bücher, Bildung und Herrschaft von Fürstinnen im Umkreis des Prager Hofes der Luxemburger. (S. 35–56). Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 40, (3).
Hufschmidt, Anke. (2001). Adlige Frauen im Weserraum zwischen 1570 und 1700. Status, Rollen, Lebenspraxis. Münster: Aschendorff.
Press, Volker. (1979). Adel, Reich und Reformation. In Wolfgang Justus Mommsen (Hg.). Stadtbürgertum und Adel in der Reformation. Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London (5). (S. 330–383). Stuttgart: Klett-Cotta.
Schattkowsky, Martina. (2008). Adel und Reformation. Grundherrschaftliches Engagement zur Konfessionsbildung im ländlichen Raum. In Winfried Müller (Hg.). Perspektiven der Reformationsforschung in Sachsen. (S. 125–133). Dresden: Thelem Verlag.
Schmidt-Voges, Inken. (2011). „Weil der Ehe-Stand ein ungestümmes Meer ist…“. Bestands- und Krisenphasen in ehelichen Beziehungen in der Frühen Neuzeit. In Siegrid Westphal/Inken Schmidt-Voges/Anette Baumann. Venus und Vulcanus. Ehen und Konflikte in der Frühen Neuzeit. (S. 89–162). München: Oldenbourg.
Schorn-Schütte, Luise. (1991). „Gefährtin“ und „Mitregentin“. Zur Sozialgeschichte der evangelischen Pfarrfrau in der Frühen Neuzeit. In Heide Wunder/Christiana Vanja (Hg.). Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit. (S. 109–153). Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft.
Spehr, Christopher. (2013). Priesterehe und Kindersegen. Die Anfänge des evangelischen Pfarrhauses in der Reformationszeit. In Thomas A. Seidel/Christopher Spehr (Hg.). Das evangelische Pfarrhaus. Mythos und Wirklichkeit. (S. 13–36). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.
Wilde, Manfred. (2003). Die Zauberei- und Hexenprozesse in Kursachsen. Köln u.a.: Böhlau Verlag.
Claudia Daiber
Universität von Amsterdam
Fakultätsmitglied Duitsland Studies
E-Mail: c.m.daiber@uva.nl
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