Auslandskorrespondentinnen

Rezension von Gabriele Kammerer

Katharina von Kellenbach, Susanne Scholz (Hg.):

Zwischen-Räume.

Deutsche feministische Theologinnen im Ausland.

Münster: LIT Verlag 2000.

176 Seiten, ISBN 3–8258–4289–4, € 20,90

Abstract: Zwölf feministische Theologinnen reflektieren ihr Leben und Arbeiten als Deutsche im Ausland. Zwölf Auswanderungsgeschichten eröffnen neue Perspektiven auf theologische Traditionen, auf kulturelle, allgemein- und familiengeschichtliche Prägungen und auf den Wissenschaftsbetrieb in Deutschland. Eine einmütige Antwort auf die Frage, wie sich nationale Identität und wissenschaftliches Selbstverständnis zueinander verhalten, liefert der Band nicht – wohl aber die Aufforderung, dieses Verhältnis je einzeln und im Gespräch in den Blick zu nehmen.

Haben Sie einmal versucht, den englischen Begriff „gender justice“ ins Deutsche zu übersetzen? Das korrekte Pendant „Geschlechtergerechtigkeit“ jedenfalls empfindet die Theologin Teresa Berger als unschönen Zungenbrecher – die Freude an der Alliteration drohe genauso verloren zu gehen wie die Lust an der Sache. Ihre Kollegin Elisabeth Gössmann wurde Wochen, nachdem sie eine Vorlesung über Simone Weil an einer japanischen Universität begonnen hatte, schüchtern von ihren Studierenden gefragt, ob es etwa die ganze Zeit schon um „Shimon Bäju“ gehe.

Von solchen und anderen Mühen der Mehrsprachigkeit berichten zwölf Frauen, die als Theologinnen für eine längere Zeit oder für immer Deutschland verlassen haben, um im Ausland zu leben und zu arbeiten. Die privaten oder beruflichen Gründe für die Auswanderung in die USA, nach Lateinamerika, nach England, auf die Philippinen oder nach Japan sind ebenso divers wie die in diesem Sammelband vertretenen Generationen: Zwischen den Geburtstagen von Nestorin Gössmann und Nesthäkchen Tania Oldenhage liegen volle vierzig Jahre. So lebendig die zwölf Berichte sind, gehen sie doch weit über das Anekdotische hinaus. „Mehrsprachigkeit“, das meint mehr als Sprachspiele und lexikalische Herausforderungen. Übersetzt werden müssen nämlich nicht nur Texte, sondern auch kulturelle und wissenschaftliche Kontexte.

„Zwischen-Räume“ erschließen

Der Aufbruch in ein anderes Land bedeutet für alle Autorinnen die Erweiterung ihrer Perspektiven. Von „Wanderungen durch den theologischen Weltenraum“ erzählt die Katholikin Ursula King, die im Indien der 60er-Jahre kritische Neuansätze entdeckt hat, „die heute große akademische ‚Mode‘ geworden sind, darunter Themen wie Pluralismus, Globalisierung, strukturelle Dominanz, Standpunkttheorien, postkoloniale Kritik und Anderssein“ (S. 87). Renate Papke-Rose beschreibt ihren langen Weg durch europäische Länder, an die amerikanische Ostküste und schließlich nach Hawaii und auf die Philippinen als den mühsamen Prozess, aus den eigenen Borniertheiten zu gelebter Solidarität zu finden. Und Ursula Riedel-Pfäfflin hat ihre theologische und spirituelle Heimat im Reisen gefunden: „Der Blick von innen und außen, der Blick aus der Mitte wie auch von oben ermöglicht ein Verweilen und ein Reisen, das Lebendigkeit schafft. Meine Theologie verstehe ich als ein interdisziplinär, interkulturell, intergender und interreligiös orientiertes Handeln auf dieser Reise“ (S. 159).

Vom Weltbürgertum zur nationalen Verortung

In der bunten Verschiedenheit der Positionierungen lässt sich eine interessante Tendenz doch festmachen, auf die auch die Herausgeberinnen in ihrer Einleitung hinweisen. Im Laufe der Generationen verschiebt sich im Selbstverständnis als „Ausländerin“ der Tenor: Die älteren Theologinnen definieren sich als Weltbürgerinnen und wollen damit die Grenzen ihrer deutschen Nationalität überwinden. Am prononciertesten vertritt Elisabeth Schüssler Fiorenza diese Haltung; für sie ist die Tatsache, dass die Neue Rechte die Themen Deutschsein und nationale Identität besetzt hat, eine Aufforderung zur Distanzierung: „’Deutsche’ feministische Theologie zu treiben, würde nicht nur heißen, eine hegemoniale nationale Identität fest- und fortzuschreiben, sondern auch den komplexen Mischlingscharakter aller sozialen Identität zu leugnen“ (S. 79). Dagegen bietet für Schüssler Fiorenza die Selbstdefinition als „resident alien“, als „fremde Einheimische“, den Ausgangspunkt für eine inter-nationale Theologie.

In deutlichem Kontrast zu diesem Ansatz ist ihre deutsche Nationalität und Herkunft für viele der jüngeren Autorinnen ein Bezugspunkt – ambivalent zwar, aber präsent in der Auseinandersetzung. Tania Oldenhage beschreibt, wie erst der US-amerikanische Kontext sie zu einer offenen Auseinandersetzung mit dem Holocaust geführt hat. Ebenfalls in den USA ist Katharina von Kellenbach ihrer eigenen Familiengeschichte nachgegangen; ihre Folgerung präsentiert sie in gewagter Formulierung: Die feministische Theologie müsse sich „in der Nachfolge der TäterInnen“ verstehen.

Widersprüche bleiben stehen

Wer in dem Buch eine bündige Antwort auf die Frage sucht, wie feministische Theologinnen im Ausland ihr Deutschsein beschreiben, wird zwangsläufig frustriert. Denn der Band versammelt Erfahrungen, und die bleiben selbst in der Reflexion heterogen. Und noch wo die Erfahrungen ähnlich sind, können die Schlussfolgerungen konträr sein. So führte für Ulrike Wiethaus die Begegnung mit dem lebendigen Judentum in den USA zu einer (vorübergehenden) Abwendung vom christlich-jüdischen Dialog, dessen Wissenschaftlichkeit ihr „obszön und unethisch“ (S. 125) schien, zu dem sie aber zunächst keinen anderen Zugang fand. Charlotte Elisheva Fonrobert hingegen fand ihren Weg über die Teilnahme an jüdischer Kultur in die Konversion zum Judentum.

Die Existenz auf der Grenze ist nur je individuell zu beschreiben. Es ist eine Stärke des Buches, die Individualitäten nicht zu glätten. Der Versuch der Herausgeberinnen, die Beiträge in vier Themenkreisen („Als Deutsche im Ausland. Begegnungen mit dem Judentum“, „Kontrovers diskutiert. Eine deutsche feministische Theologie?“ „Kulturelle und theologische Mehrsprachigkeit. Über sprachliche Begrenztheiten“, „Wechselwirkungen. Umorientierungen in der Begegnung“) zu strukturieren, kann als Hilfestellung angenommen werden – oder auch nicht: Denkbar sind auch andere Muster.

Die Texte sind Geschichten, die das Leben schrieb. Angenehm ist der Verzicht auf eine Glorifizierung der Grenzexistenz. Aufregend ist in diesem Zusammenhang die Frage von Ute Seibert-Cuadra. Ist diese Situation nicht typisch weiblich? gibt sie zu bedenken, und sie berichtet aus eigener Erfahrung: „Statt einen eigenen Ort auf der Grenze zu finden und eine neue, begrenzte Identität zu bilden, besteht leicht die Gefahr, sich immer offen zu zeigen, zu versöhnen, die eine Seite der anderen zu erklären und sich aufzulösen“ (S. 108). Die Arbeit am Eigenen fordert auch Susanne Scholz ein, wenn sie die Begeisterung deutscher Theologinnen für „fremde“ Stimmen wie die der womanistischen Theologie kritisiert: „Wie können wir unsere Stimmen mit den anderen verbinden, wenn wir unsere eigene Stimme noch gar nicht gefunden haben?“ (S. 66 f.).

Zwölf Auslandskorrespondentinnen fordern ihre Inlandskolleginnen heraus. An diesen ist es jetzt, die Fragen nach Theologie und Biographie, nach Theologie und nationaler Identität aufzugreifen. Die Wichtigkeit dieser Diskussion wird auch dadurch belegt, dass der Band Aufnahme in die Reihe „Theologische Frauenforschung in Europa“ der Europäischen Gesellschaft für Forschung von Frauen gefunden hat.

URN urn:nbn:de:0114-qn031203

Gabriele Kammerer

Berlin

E-Mail: kammerer@dichtgedacht.de

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