Über (Un-)Möglichkeiten im Umgang mit MINT aus Gender- und Queer-Perspektiven

Rezension von Sigrid Schmitz

Nadine Balzter, Florian Cristobal Klenk, Olga Zitzelsberger (Hg.):

Queering MINT.

Impulse für eine dekonstruktive Lehrer_innenbildung.

Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich 2016.

317 Seiten, ISBN 978-3-8474-0766-9, € 34,90

Abstract: Mit seinen fundierten Einführungen und besonders seinen fachspezifischen Beiträgen liefert dieser Band mit seinen 19 Aufsätzen eine Fülle von differenzierten Ansätzen und Praxen für eine queer-feministisch inspirierte Pädagogik in Mathematik, Naturwissenschaften, Informatik und Technik: eine sehr zu empfehlende und lesenswerte Sammlung für alle, die sich mit (un-)möglichen Dialog- und Lehrversuchen in MINT befassen.

DOI: https://doi.org/10.14766/1231

Für die Forderung Bringing Gender into Science – wie Linda Birke und Anne Fausto-Sterling 2003 den Aufruf nach Gendering MINT prägnant formulierten – liegen inzwischen eine Reihe von Grundlagenbüchern, Syllabi und auch didaktischen Materialien seitens der Feminist Science & Technology Studies vor. Den Herausgeber_innen Nadine Balzter, Florian Cristobal Klenk und Olga Zitzelsberger geht es mit Queering MINT um mehr: „Angesichts der heteronormativen Ordnungsstrukturen und den damit einhergehenden, zuweilen physisch und psychisch leidvollen, subjektiven Differenzerfahrungen in institutionalisierten Ungleichheitsverhältnissen, die eine Wertehierarchie zwischen vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen installieren, stellt die Kritik und Dekonstruktion heteronormativer Wissensbestände und Handlungsempfehlungen im pädagogischen und fachdidaktischen Geschlechterdiskurs ein zentrales Moment einer queeren Pädagogik dar.“ (S. 9)

Dieser Anspruch, über bestehende Analysen zur naturwissenschaftlich-technischen Wissensproduktion hinauszugehen, ist wichtig, um die nach wie vor bestehenden geschlechterdifferenztheoretischen Modelle in Mathematik, Naturwissenschaft und Technik aufzubrechen. Ich erlaube mir zu Beginn eine kleine Anmerkung: Die Feminist Science Studies haben seit ihren Anfängen vor mehr als 40 Jahren nicht nur Zuschreibungen an scheinbar binäre Geschlechterkategorien (Science of Gender) und daraus legitimierte In-/Exklusionen von Frauen in Naturwissenschaft und Technik (Women in Science) aufgezeichnet. Von Beginn an war die Dimension der machtvollen, intersektionalen gesellschaftlichen Verhältnisse und die epistemologische Kritik an der Verankerung binärer Kategorisierungen (Gender in Science) untrennbar mit den beiden anderen analytischen Perspektiven verwoben. Allerdings, auch wenn alles schon einmal gesagt wurde (eine Überzeugung der Rezensentin), ist es unabdingbar, diese Verwobenheit und ihre Implikationen auf individuellen, strukturellen und symbolischen Ebenen immer wieder zu diskutieren und neue Perspektiven und Strategien für die scheinbar unendlichen Anstrengungen zu Gendering und Queering MINT aufzuzeigen. Daher: Dieses Buch ist ein ‚Muss‘ für alle, die in und mit MINT eine antidiskriminatorische Politik (und Pädagogik ist genuin politisch) voranbringen wollen.

Grundlagen zu Gendering und Queering MINT

Um dieses voraussetzungsreiche Anliegen an die Interessiert_en zu bringen, haben die Herausgeber_innen den Band konsequent in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil zur „Bedeutung geschlechterwissenschaftlicher und queerer Theorien für Pädagogik und Bildung“ stellen pädagogische Expert_innen geschlechterperspektivische und queere Zugänge vor – teilweise mit, teilweise noch ohne Bezug zu MINT. Barbara Rendtorff spricht von der Notwendigkeit, Genderperspektiven für die Bildung zu verunsichern, und spannt dabei den Bogen von der individuellen Ebene (die meist in binären Zuschreibungen verhaftet bleibt) zur strukturellen Ebene der Geschlechterverhältnisse und zur symbolischen Ebene der Bedeutungszuschreibungen. Jutta Hartmann führt in die queer-theoretischen Herausforderungen einer Ausbildung für Pädagog_innen und Lehrer_innen ein. Denn auch wenn inzwischen sexuelle Vielfalt und antidiskriminatorische Ziele für die Bildungsarbeit angerufen werden, sind Grundlagen von Gender und Queer Theory bis hin zum Anti-Othering (oder, wie Hartmann es ausdrückt, einem Aufbrechen der „Wir-und-die-Anderen-Logik“) notwendig, denn nur so kann die Konstruktion und Dynamik von Identitätsbildung statt fest angenommener Subjektivität bearbeitet werden. Nicht zuletzt ist die Umsetzung heteronormativitätskritischer Perspektiven in Bildungskontexte noch wenig ausgearbeitet.

Astrid Messerschmidt ergänzt Ansätze zum reflektierten Umgang mit dem Differenzdilemma, also dem immerwährenden Problem, Differenzen und Diskriminierungen benennen zu müssen (und das gilt insbesondere auch für Jungen und Mädchen in der Bildung in MINT) und sie damit gleichzeitig zu reifizieren. Mit Bezug zu Migrationsanforderungen bringt sie die Critical Race Theory ein und fordert hinsichtlich des schon angesprochenen Othering, Intersektionalität in ihren machtvollen Zusammenhängen zu denken. Die macht- und gesellschaftskritische Reflexionsebene greift Heinz-Jürgen Voß auf und tut dies in dankenswerter Weise, indem er Diskriminierungsaspekte im modernen Kapitalismus über die Segmentierung des Bildungssystems im Hauptschulbereich sichtbar macht. Außerdem integriert er Analysen zu Klassenverhältnissen, Kolonialismus und Rassismus in seine Einführung zur machtvollen Verankerung einer hetero-normalisierten Sexualität für den kapitalistischen Arbeitsprozess. Ein wenig vereinfacht erscheint einzig seine Gleichsetzung von Ausbeutungsprozessen des globalen Südens mit der Bildungssegregation gegenüber Hauptschüler_innen im nord-westlichen Kapitalismus (beide sollen über begrenzte Bildung Menschen für Arbeiten im Niedriglohnsektor bereitstellen). Schließlich stellt Susanne Luhmann den Diskurs zu Safer Spaces aus dem US-Kontext vor und hinterfragt diese queere Perspektive hinsichtlich ihres Anspruchs auf Safeness und seiner Verwirklichung in einer Realität permanenter Unsafeness.

Diese Grundlegungen des ersten Teils sind überaus fundiert und lesenswert. Nur eine kleine Kritik, auf die die Herausgeber_innen in ihrer Einleitung auch selbstkritisch verweisen: die Verzerrung ihrer Beitragsauswahl auf „akademische Beiträge westlicher Autor_innen“ (S. 9). Ja, unter einem postkolonialen Anspruch wären Beiträge von nicht-weißen Vertreter_innen fruchtvoll gewesen, insbesondere um postkoloniale Ansätze nicht wie so oft als add on zu positionieren. The Postcolonial Science and Technology Studies Reader von Sandra Harding (2011) bietet hierzu einen reichhaltigen Fundus.

Fachspezifische Ansätze

Der zweite Teil von Queering MINT liefert disziplinspezifische Beiträge zur Vermittlung solcher „Gender- und queerinformierte[r] Ansätze in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik“. In diesem Teil liegt die besondere Stärke des Buches in einer Breite und Fülle von differenzierten Strategien für eine queere Bildungsarbeit in MINT. Ich kann hier nur einzelne Aspekte vertiefen und beginne mit dem Beitrag von Helene Götschel, den ich für zentral halte. Denn die Autorin setzt sich in ihrem Beitrag zu „Drehmomenten fallender Pinguine“ – dazu gleich mehr – in bewundernswerter Weise mit der (Un-)Möglichkeit der Integration einer queer-informierten Physikdidaktik in der eigenen Lehre auseinander. Sie baut auf der notwendigen Reflexion von Gendereinschreibungen in der Fachkultur ebenso wie im physikalischen Wissen auf, stellt vorhandene Ansätze zur Didaktik und Vermittlung von Gender im schulischen Physikunterricht vor – und zeigt konsequent deren Bedeutung, aber ebenso die Begrenzung einer differenztheoretischen Sichtweise auf, wenn beispielweise die Mädchen als generell unmotiviert gegenüber den Jungen konstruiert werden. Mit Bezug zu didaktischen Konzepten zur Aufdeckung und Sensibilisierung der Herstellung von Geschlechterasymmetrien von Ilse Bartosch und Anja Lembens fordert Götschel eine queer-feministische dekonstruktive Irritation der Lern- und Bildungsprozesse, um den Bruch mit bisherigen Selbstverständlichkeiten zu erreichen.

Was wäre jetzt aber queer? Nach Götschel sind es Ansätze zur Sichtbarmachung intersektionaler Biographien, zur Dekonstruktion von Männlichkeitskonzepten in der Physik (bis hin zur Verwendung des generischen Maskulinums für Physiker, sic!) und im Physikwissen selbst. Besonders wichtig ist es dabei, die eigene Verwobenheit deutlich zu machen, denn nur so kann der Mythos einer gesellschaftsunabhängigen Physik aufgebrochen werden. Und hier fallen nun die Pinguine auf die Lehrbühne. Am Beispiel eines Seminars für Studierende der Ingenieurswissenschaften stellt die Autorin der landläufigen instruktionistischen Praxis ein partizipatives Lehr-Lernkonzept mit flachen Hierarchien entgegen. Mit Team Teaching und Einbezug der Studierenden als Expert_innen für gegenseitige Wissenslücken, mit Sprachunterstützung internationaler Studierender, mit einem Spektrum von Repräsentationen nichtweißer, nichtbinärer und eben auch nichtmenschlicher Vorbilder (der Pinguine) als Wissensakteure, mit persönlichen Geschichten hinter berühmten oder auch weniger berühmten Namen, mit der Hinterfragung von Klassen-abhängigen Zugängen zur Physik und mit der kritischen Bildanalyse von rassistischen und sexistischen Einschreibungen in Präsentationen physikalischer Phänomene liefert Götschel ein Portfolio dekonstruktivistischer Zugänge. Nur mit einer Zusammenbindung solcher Strategien – und das ist an diesem Beitrag so beeindruckend – kann die Einbindung von Physik in gesellschaftliche Verhältnisse und ihre Implikationen reflektierbar gemacht werden. Die Autorin beschreibt, wie sie in ihren Lehrveranstaltungen den Bogen noch weiter bis zu neueren epistemologischen Diskussionen des feministischen Materialismus spannt und wie sie versucht, Studierende handelnd und experimentierend in „materiellen Choreographien“ (vgl. S. 144-146) einzubinden. Dass dieses Vorgehen auch ein Zurückfallen in geschlechterhierarchische, sexualisierte und rassisierte Studienkontexte verursachen kann, stellt Götschel ebenfalls kritisch zur Diskussion. Ich halte diesen Beitrag für einen der zukunftsweisendsten des ganzen Buches und der derzeitigen Debatte, denn Götschel setzt in ihm – fußend auf Carol Taylors embodied practices of mattering – aktuelle Ansätze von Teaching with Feminist Materialism (Treusch/Hinton 2015) in die Lehrpraxis um.

In den weiteren fachspezifischen Beiträgen dieses Teils geht es – teils unter, teils noch ohne dezidiert queere Perspektive – um disziplinäre Zugänge in MINT-Fächern, wobei sich schon hier berechtigterweise die Frage stellt, was in den MINT-Fächern zur Integration von queeren, inter- und transdisziplinären Reflexionsperspektiven jeweils möglich ist und was eben (noch) nicht. Malin Ah-King setzt für die Biologie hierzu an der Konzeption einer objektiven Natur als Norm an, um über die Dekonstruktion dieser Norm das binäre Zwei-Geschlechter-Modell hinterfragbar zu machen. Das ist richtig und wichtig, allerdings (s. o.) schon vielfach in den Feminist Science Studies erfolgt. Des Weiteren erschien mir die Begründung der Dekonstruktion von Dualismen, nämlich, dass sie verhindern sollte, dass diese binäre Kategorisierung nicht-normpassende Jugendliche in den Selbstmord treibt, doch etwas zu simplifiziert. Unter queerer Perspektive wären zudem Praxisbeschreibungen hilfreich, ob und wie weit Beispiele wie die Intersex-Debatte um Duty Chand oder Einführungen von queeren Tiermodellen in der pädagogischen Ausbildung solche Dekonstruktionen unterstützen oder eben auch Dualismen reifizieren.

Markus Prechtl bezieht sich auf Wagnisse und Mutproben und nimmt damit für den Chemieunterricht substanzbezogenes Risikoverhalten und disziplinspezifische Risikoabschätzung in der Chemikalienpolitik als Ausgangspunkt einer queeren Reflexionsebene. Beeindruckend ist dieser Ansatz, weil er ganz nah an Forschungs- und Arbeitsfeldern der Disziplin startet: Von Schlucken von Zimt, Baby-Food-Challenges, Butter-Challenges, Deo-Challenges, Waxing-Challenges (nur eine kleine Auswahl der heutigen Herausforderungen in der Schule, brrr!) stellt der Autor das Spektrum von Akteur_innen, ihren Praxen und von chemischen Wirkungen inklusive der Geschlechterdiffraktionen vor und macht daran deutlich, wie sozial konstruiert das Verhalten und die teilweise geschlechtlich geprägten Gründe sind. Und mit diesem für die Chemie relevanten Thema können dann Verkörperungen – über Bourdieus Auffassung, der „Habitus hinterlasse dauerhafte Spuren in sozialisierten Körpern“ (S. 161) − an poststrukturalistische queere und feministisch-materialistische Konzepte angebunden werden, wenn auch teilweise, wie Prechtl deutlich macht, die Vermittlung ins Fach eben (noch) schwierig ist. In jedem Fall geht dieser differenzierte Ansatz weit über die ständigen Versuche einer simplifizierten Rede gegen Biodeterminismen hinaus. Ich stimme der Aussage zu: Er „besitzt das Potenzial der Dekonstruktion des interpretatorischen Rahmens von Erkenntnistheorien, die mit Geschlecht befasst sind.“ (S. 153)

Anina Mischau und Sascha Martinović diskutieren (für mich erstmalig) genderperspektivische Konzepte für den mathematischen Unterricht, um mit dem Anspruch der Thematisierung und Dethematisierung von Geschlecht der Reifizierungsproblematik zu begegnen. An Schulbüchern skizzieren sie, wie Geschlechterstereotype in der Mathematik aufgezeigt werden können: in der Repräsentation von vergeschlechtlichten Personen und ihren Rollen (berufstätige Männer, Hausfrauen und Mütter), über die Aufgabenstellungen und ihre Sachkontexte (Jungen in der Freizeit und Mädchen in häuslicher Nähe) oder in Fähigkeitszuschreibungen (der „Superhirn-Michael“ (S. 95) und seine kleine Schwester). Darauf aufbauend entwickeln sie queere Ansätze zur Reflexion heteronormativer Familienmodelle, Lebensformen und Geschlechterordnungen und überführen diese in vorliegende feministische Analysen zur (Re-)Stereotypisierung gesellschaftlich geprägter Geschlechterbilder sowie zur (Re-)Produktion dichotomer Geschlechtermodelle. Mit queeren Blogs, z. B. zur Mathematikerin Sofja Kowalewskaja, stellen sie schließlich Möglichkeiten zur Integration vielfältiger Lebensweisen und Aufgabenkontexte zur Diskussion.

Florian Christobal Klenk macht mit seinen Reflexionen und Anregungen wirklich „Lust auf queere Informatik“. Ausgehend von einer kritischen Hinterfragung der Mädchen-Defizit-Modelle im Fach geht es ihm vor allem um die Lehrer_innenbildung. Für Studierende verfolgt er wie Mischau und Martinović einen Ansatz der Sichtbarmachung historischer wie aktueller Personenvielfalt in der Informatik, die Aufdeckung vergeschlechtlichter Artefakte, fachkultureller Normen und des Selbstverständnisses in der Informatik. Auch er überarbeitet fachspezifische Didaktiken zur Entdramatisierung von Geschlecht im Unterricht mit einem wunderbaren Spielbeispiel zur Algorithmenlehre.

Birgit Hofstätter und Anita Thaler durchdringen Gender und Technik mit ihrer queeren Dekonstruktion von „Normierungen und normierende[n] Systeme[n] in Wissenschaft und Technologieentwicklung“ (S. 184). Praktische Ansätze für die Technikbildung sehen sie dort, wo sich „Akteur*innen als ‚queer‘ bezeichnen“ (S. 185). Hier ist wieder die schon von Götschel angesprochene Eigenpositionierung hervorgehoben – gegen ein scheinbares Außen der Forschenden und Lehrenden gegenüber den Beforschten oder den Belehrten. Ich teile und unterstütze auch aus eigenen Lehrerfahrungen besonders die Einschätzung, dass eine eigene Positionierung konsequent zur Dekonstruktion nicht nur von Gender-Binaritäten, sondern auch zur Hinterfragung intersektionaler und machtpolitischer Zusammenhänge nötig und zielführend ist.

Strategien zur Professionalisierung der Lehrenden

Der dritte Teil von Queering MINT widmet sich der Umsetzung von didaktischen Konzepten für „Dekonstruktive Impulse für die Lehrer_innenbildung“ und Fragen ihrer Professionalisierung. Sandra Winheller beschäftigt sich mit dem Spannungsfeld geschlechterdifferenter Praxen versus interdependenter Diversität. Problematisch ist sicherlich, dass wesentliche Punkte hierzu noch nicht einmal in die Standards der Kultusministerkonferenz aufgenommen sind. Wie – so fragt sie – sollen dann queere Perspektiven Eingang finden? Allerdings etwas simplifiziert in Bezug zu diesen Problemebenen bleibt Biographiearbeit als singulärer Ansatz stehen. Nadine Balzter, Florian Cristobal Klenk, Christine Winkler und Olga Zitzelsberger fordern für die queer-adäquate Professionalisierung von Bildungsarbeit eine „Reflexion der Verstrickung in Herrschaftslogik und Verwertungszusammenhänge in Bildung“ (S. 222). Das ist durchaus richtig, aber ich verstehe nicht ganz, wem hier die Verantwortung für veränderte Formen der Professionalisierung zugesprochen wird und wie präzise – wiederum einzig über Ansätze der eigenen Biographiearbeit – Verunsicherung und in der Folge Reflexionen von Theorie/Praxis angeregt werden könnten, dies insbesondere, da doch die vorangegangenen fachspezifischen Aufsätze ganze Portfolios von Ansätzen bereitstellen.

Insa Curic und Lisa Freieck ergänzen zur Professionalisierung der Lehrer_innenbildung einen Rassismus-kritischen Ansatz, Markus Hoffmann spricht das Thema Sexualerziehung über Selbstwahrnehmung an, Kathrin Schulz führt eigenbiographische Ansätze für den Sport ein und Renée DePalma fordert eine Sensibilisierung gegenüber transgressive bodies für Lehrende in MINT. Ich frage mich, sind diese Themen wirklich so neu im Bildungsbereich? Es gibt inzwischen eine ausdifferenzierte Diskussion feministischer Pädagogik, die ich in diesem Professionalisierungsteil vermisse. Diese Kritik widerspricht keinesfalls der Notwendigkeit zur queeren Bearbeitung von Professionalisierungsstrategien, aber die einzelnen Ansätze bleiben insbesondere bezogen auf spezifische Zielgruppen in MINT unausgearbeitet – und hierzu gibt es schon Sammlungen MINT-spezifischer Ansätze (u. a. Schmitz 2008). Dagegen ist Sylvia Weihrauchs ganz praktisch umgesetzte und schön beschriebene gender- und queer-sensibilisierende Analyse von Friseursalons wirklich erfrischend.

Insgesamt liefert dieser Band eine gute Einführung und sehr interessante Fachansätze für ein Gendering MINT, teilweise spannend vertieft zu einem Vorstoß in Queering MINT. Deren Inklusion in die Fächer ist langwierig und erfordert immer wieder neues Engagement, und insbesondere Strategien zur queeren Bildungsarbeit für die Lehrenden sind ausbaufähig. Eine über Geschlechtervielfalt hinausgehende Differenzierung auch postkolonialer Themen ist noch ausstehend. Es bleibt also nach wie vor einiges zu tun.

Literatur

Birke, Lynda. (2003). Shaping Biology: Feminism and the Idea of ‘the Biological’. In Simon J. Williams/Lynda Birke/Gillian A. Bendelow (Ed.). Debating Biology: Sociological Reflections on Health, Medicine and Society. (pp. 39–52). London: Routledge.

Fausto-Sterling, Anne. (2003). The Problem with Sex/Gender and Nature/Nurture. In Simon J. Williams/Lynda Birke/Gillian A. Bendelow (Ed.). Debating Biology: Sociological Reflections on Health, Medicine and Society. (pp. 123–132). London: Routledge.

Harding, Sandra (Ed.). (2011). The Postcolonial Science and Technology Studies Reader. Durham, NC: Duke University Press.

Schmitz, Sigrid (Hg.). (2008). Schwerpunkt: Gendergerechtes Lehren und Diversity Management. Zeitschrift für Hochschulentwicklung 3 (2).

Treusch, Pat/Hinton, Peta (Ed.). (2015). Teaching with Feminist Materialisms. Utrecht: AtGender.

Prof. Dr. Sigrid Schmitz

Humboldt-Universität zu Berlin

Institut für Geschichte, Philosophische Fakultät I

E-Mail: info@sigrid-schmitz.de

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