Faszinosum ‚Böse Frau‘

Rezension von Emma Louise Maier

Lynne Fallwell, Keira V. Williams (Hg.):

Gender and the Representation of Evil.

New York u.a.: Routledge 2017.

206 Seiten, ISBN 978-1-138-69289-3, £ 110,00

Abstract: Als Normenüberschreiterin wird ‚die böse Frau‘ im vorliegenden Sammelband aus interdisziplinärer Perspektive betrachtet. Die mediale Repräsentation der ‚bösen Frau‘ erweist sich dabei als zentrales Element gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse. Obwohl die Kategorie des ‚Bösen‘ sowie die Kategorie ‚Gender‘, die hier explizit in ihrer ‚weiblichen‘ Kodifikation Beachtung findet, als Konstrukte betrachtet werden, lässt es der Schwerpunkt der Beiträge auf dem 19. und 20. Jahrhundert nicht zu, die diachrone Perspektive um frühere Epochen zu erweitern. Diese hätten das in der Gesamtschau der Beiträge suggerierte, relativ statische Frauenbild perspektivieren können. Eindrücklich demonstriert der Band, dass Repräsentationen ‚des Bösen‘ geschlechtsspezifisch kodiert sind.

DOI: https://doi.org/10.14766/1233

Die ‚böse Frau‘ fasziniert seit jeher. Medea, Pandora und Eva sind nur wenige von vielen Frauenfiguren, die topisch für ‚das Böse‘ stehen. In ihrem programmatisch betitelten Sammelband Gender and the Representation of Evil beleuchten die Herausgeberinnen Lynne Fallwell und Keira V. Williams fiktionale und faktuale Repräsentationen der ‚bösen Frau‘. Statt ‚die Frau‘ in der Tradition der ‚Frauengeschichte‘ in passiven Opferrollen zu betrachten, tritt ‚die Frau‘ im vorliegenden Band als Aggressorin aktiv ins Handlungszentrum. Dem Anliegen der Geschlechtergeschichte entsprechend, die, wie Claudia Opitz-Belakhal formuliert hat, „Geschlechterbeziehungen in allen denkbaren historischen Gesellschaften, ‚geschlechtlich markierte‘ Herrschaftsverhältnisse und Hierarchien in jeder Epoche, an jedem denkbaren historischen Ort, in jedem historischen (Teil-)Gebiet“ (2010, S. 11) analysieren möchte, steht der Band unter der übergeordneten Leitfrage nach der medialen Repräsentation der ‚bösen Frau‘, um in diachroner Perspektive gesellschaftliche Machtstrukturen aufzudecken. Die Verschränkung von Fiktionalität und Faktualität wird dabei ebenso evident wie die Bedeutung medialer Repräsentation für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, im Sinne des New Historicism.

‚Böse Frauen‘ als Überschreiterinnen geschlechtsspezifischer Normen

Dass die machtanalytische Kategorie ‚Gender‘ sowie die relationale Kategorie des ‚Bösen‘ nicht essentialistisch zu verstehen sind, sondern Konstrukte darstellen, deren Definitionen sowohl räumlich als auch zeitlich kulturellen Aushandlungsprozessen unterworfen sind, betonen die Historikerinnen Fallwell und Williams bereits in der Einleitung. Gender, was in vorliegendem Band dezidiert nur als ‚weiblich‘ kodiertes soziales Geschlecht gefasst ist, wird in Verbindung mit dem Werturteil des ‚Bösen‘ untersucht. ‚Das Böse‘ wird einer “basic social definition” folgend verstanden als “that which violates contemporary norms and morals in a given society” (S. 2).

Normenüberschreitungen würden geschlechterspezifischen Logiken folgen, da Frauen – insbesondere aus diachroner Perspektive – oftmals eng definierte soziale Rollenmuster zugewiesen wurden. Die Transgression genderspezifischer Normen lasse ‚die Frau‘ damit zur ‚bösen Frau‘ werden. Neben ihrer Funktion als Spiegelungen moralischer sowie kultureller Normen verstehen die Herausgeberinnen geschlechtsspezifische Repräsentationen des Bösen jedoch vor allem als “political constructs that both denote the distribution of power in societies and entail very real consequences for offending women” (S. 2).

Das Forschungsfeld der ‚bösen Frau‘ ist nicht neu, man denke nur an die Studien Bram Dijkstras (1986, 1999). Für die mittelalterliche und frühneuzeitliche Forschung ist der Themenkomplex der ‚bösen Frau‘ längst etabliert (vgl. einschlägig etwa Brietzmann 1912, Gaebel 2001 oder rezent Roßbach 2009). Ähnliche Fragestellungen finden sich auch im theologischen Bereich (vgl. den Sammelband von Kuhlmann und Schäfer-Bossert, 2006). Das selbstgesteckte Ziel und proklamierte Novum des Bandes ist jedoch sein Selbstverständnis als “broad, interdisciplinary synthesis of the current case study approach, spanning historical and literary topics from ancient times to the present” (S. 3). Die Beiträge gelten weniger konkreten Strategien der Darstellung von ‚weiblichem Bösen‘ als vielmehr der Frage, “how representations of marginal, evil women reveal the inner workings of power in societies” (S. 7). Selbstkritisch reflektieren die Herausgeberinnen die Schwächen des Bandes, wie die Kodierung von ‚Gender‘ als ausschließlich ‚weiblich‘, die vornehmliche Fokussierung auf weiße heterosexuelle Frauen in Europa oder Nordamerika sowie den einschränkenden, deutlichen Schwerpunkt der Beiträge auf dem 19. und 20. Jahrhundert. Trotz der vorsorglichen Vorwegnahme der Herausgeberinnen bleibt diese Problematik dem Band eingeschrieben.

Von Albina bis Princess Hjab

Der Einleitung folgen drei Sektionen, die insgesamt zehn sowohl chronologisch als auch systematisch angeordnete Beiträge umfassen. Die literaturwissenschaftlich orientierte Sektion “Narrative Foundations” wird von Phil Robinson-Selfs Beitrag zum mittelalterlichen Albina-Mythos eröffnet. Er demonstriert eindrücklich, wie weiblich kodierte Ätiologien und Genealogien von frühneuzeitlichen Historiographen größtenteils abgelehnt und umgedeutet wurden. Anna McHugh zeigt in ihrem Beitrag zur viktorianischen Literatur anhand zweier Romane, dass “the evil male is rendered impotent by physical restraint (in jail, by drugs, by death); the evil female, by being understood” (S. 43). Ebenfalls mit der Literatur des 19. Jahrhunderts beschäftigt sich Elizabeth Schreiber-Byer, die insbesondere auf die ‚Krise der Männlichkeit‘ abhebt, in deren Kontext die sexuell aktive und dominante Frau eine existentielle Bedrohung für ‚den Mann‘ darstellt.

In der Sektion “True Crime” werden faktuale Fälle weiblicher Normenüberschreitung in unterschiedlichen historischen Kontexten analysiert, wobei vorranging auf deren mediale Repräsentation in populären Printmedien abgehoben wird. Von der viktorianischen Mörderin Maria Manning (Nicole Anae) über die mörderischen Schwestern Raya und Sakina aus Alexandria (Stephanie Boyle) zur glühenden Nationalsozialistin Schwester Pia (Lynne Fallwell) werden Einzelanalysen zur medialen Repräsentation historischer Akteurinnen geboten. Die von Hannah Friedmann und Karen Taylor vorgelegte Fallstudie zur römischen Villa Yewden in Südengland, in welcher 97 Säuglingsskelette gefunden wurden, ist als metawissenschaftliche Kritik zu verstehen, die auf die Gefahr der Rückprojektion essentialistisch missverstandener anthropologischer Konstanten auf die Vergangenheit hinweist.

Der dritte Teil, “Women, Evil, and the Arts”, ist schließlich der Rolle der Musik und des Theaters gewidmet sowie deren Einfluss auf die gesellschaftliche Perzeption der ‚bösen Frau‘. Sowohl die nordamerikanische Rezeption der Carmen von Bizet (Kristen M. Turner), verschiedene theatralische Verarbeitungen der Lebensgeschichte der ehemaligen US-Soldatin Linndie England, berühmt-berüchtigt für ihr skandalöses Verhalten als Gefängniswärterin in Abu Ghraib, (Lindsay Thistle) als auch die kontroverse Kunst der “artistic terrorists” (S. 192) Princess Hjab und der britischen Sängerin M.I.A. (Tara Atluri) werden auf ihre sozialen Implikationen hin analysiert.

Methodisch changieren die insgesamt kohärenten und gut lesbaren Beiträge zwischen philologisch fundierter historiographischer Studie (vgl. den Beitrag von Phil-Robert Self), metawissenschaftlicher Invektive (wie sie der Beitrag von Hannah Friedman und Karen Taylor darstellt) und feministischer Kapitalismuskritik (insbesondere der Beitrag von Tara Atluri).

‚Die Böse Frau‘ zwischen Banalität und Komplexität

Die ‚Banalität des Bösen‘ ist mit Hannah Arendt sprichwörtlich geworden. Diese scheint für männliche Aggressoren jedoch nachvollziehbarer zu sein als für deren weibliche Pendants. In allen Beiträgen des Bandes wird deutlich, dass ‚die böse Frau‘ in ihrem ‚bösen Handeln‘ sozusagen eine ‚doppelte Normüberschreitung‘ vornimmt: zum einen in eine ‚Sphäre des Bösen‘ und zum anderen in eine ‚entweiblichte‘ Sphäre. Hierbei schadet die einseitige Ausrichtung des Forschungsinteresses an Phänomenen des europäischen 19. und 20. Jahrhunderts dem Band jedoch. Mag für den gewählten Zeitraum ein weitgehend essentialistisches Frauenbild, das Frauen dem ‚Bösen‘ abgewandte anthropologische Konstanten zuschreibt, existieren (Differenzierungen wären jedoch auch hier angebracht), ist dies für frühere Epochen in diesem Maße nicht gegeben. Nicht nur in der antiken, sondern auch in der christlich-mittelalterlichen Topik herrscht eine misogyne Traditionslinie vor, nach welcher ‚die Frau‘ keineswegs als genuin ‚gut‘, sondern vielmehr als rachsüchtig und somit ‚böse‘ dargestellt wird. Dass in dem Band vorrangig auf neuere Beispiele rekurriert wird, suggeriert verzerrend – und dies ist sicher nicht intendiert – ein diachron weitgehend statisches Frauenbild, das so revidiert werden müsste. Beiträge zur Figur des ‚Hosenteufels‘ oder zur ausufernden Hexenliteratur hätten diesem Eindruck Abhilfe schaffen können. Auch die für gesellschaftliche Machtstrukturen aufschlussreiche Figur der Kindsmörderin wird weitgehend ausgeklammert. Darüber hinaus scheint die Sektion “True crime” zu implizieren, dass das ‚Böse‘ hier faktisch gegeben ist. Wenn das ‚Böse‘ allerdings als Konstrukt aufgefasst werden soll, wären ja gerade jene Fälle für den diachronen Vergleich lohnend gewesen, in denen erst die Kategorie ‚Gender‘ zur Voraussetzung der Erfüllung der Kategorie des ‚Bösen‘ wird, wo mithin die Konstruktion der ‚bösen Frau‘ selbst zur Sprache gebracht wird.

Nichtsdestotrotz zeichnet sich der Sammelband durch eine thematische Vielfalt aus und demonstriert eindrücklich, dass sowohl die mediale (Re-)Präsentation als auch die gesellschaftliche Perzeption des ‚Bösen‘ geschlechtsspezifisch kodiert sind. Die ‚böse Frau‘ erhält so, als doppelte Normentransgressorin, eine zweifache Marginalisierung, die ihr nicht nur die Zuschreibung des ‚Guten‘ nimmt, sondern ihr darüber hinaus die Zuschreibung als ‚Frau‘ zumindest streitig macht. Gleichzeitig verdeutlicht der Band, dass es einfache Antworten zur Geschlechtsspezifik des Bösen nicht geben kann. Das Fazit, das Lynne Fallwell aus dem Beispiel der kontrovers diskutierten Rolle Schwester Pias im Dachauer Konzentrationslager zieht, kann paradigmatisch für den gesamten Band gelten: “In the end, the value in Sister Pia’s story is not in providing definitive answers regarding the gendered nature of evil, but rather in demonstrating the very human complexities shading every perception” (S. 112). So ist der Sammelband vor allem als Einladung zu sehen, den vielversprechenden Themenkomplex ‚Gender and Evil‘ auch weiterhin forschend zu erhellen.

Literatur

Brietzmann, Franz. (1912). Die böse Frau in der deutschen Litteratur des Mittelalters. Berlin: Mayer & Müller.

Dijkstra, Bram. (1986). Idols of Perversity. Fantasies of Feminine Evil in Fin-de-Siècle Culture. New York/Oxford: Oxford UP.

Dijkstra, Bram. (1999). Das Böse ist eine Frau. Männliche Gewaltphantasien und die Angst vor der weiblichen Sexualität. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Gaebel, Ulrike (Hg.). (2001). Böse Frauen – gute Frauen. Darstellungskonventionen in Texten und Bildern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Trier: WVT.

Kuhlmann, Helga/Schäfer-Bossert, Stefanie (Hg.). (2006). Hat das Böse ein Geschlecht? Theologische und religionswissenschaftliche Verhältnisbestimmungen. Stuttgart: Kohlhammer.

Opitz-Belakhal, Claudia. (2010). Geschlechtergeschichte. Frankfurt/New York: Campus.

Roßbach, Nikola. (2009). Der böse Frau. Wissenspoetik und Geschlecht in der Frühen Neuzeit. Sulzbach/Taunus: Helmer.

Emma Louise Maier

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Akademische Mitarbeiterin und Doktorandin am Deutschen Seminar

Homepage: https://portal.uni-freiburg.de/ndl/personen/achimaurnhammer/maier

E-Mail: emma.louise.maier@germanistik.uni-freiburg.de

(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)

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