Christine Wimbauer, Mona Motakef:
Das Paarinterview.
Methodologie – Methode – Methodenpraxis.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2017.
132 Seiten, ISBN 978-3-658-17976-2, € 18,99
Abstract: Mit dem vorliegenden Buch wird erstmals eine systematische methodologische Einführung des Paarinterviews als eigenständige Interviewform innerhalb der empirischen Sozialforschung vorgelegt. Die Autorinnen arbeiten gründlich heraus, worin der zusätzliche Erkenntnisgewinn von Paarinterviews liegt. Durch die Konzeption als Lehrbuch werden zudem die konkreten Arbeitsschritte für die Durchführung solcher Interviews vorgestellt. Damit liefert das Buch insgesamt einen sehr fundierten sowie verständlichen und anwendungsorientierten Zugang zu dieser Methode.
Die beiden Autorinnen Christine Wimbauer und Mona Motekaf haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Paarbeziehung bzw. die sozialwissenschaftliche Erforschung von Paaren stärker in den Mittelpunkt der interpretativen Sozialforschung zu rücken. Es ist ihr ausgewiesenes Anliegen, dem „im deutschsprachigen Raum existierende[n] Mangel an ausführlichen und systematischen methodologischen und methodischen Ausführungen“ (S. 4) ihr Buch entgegenzusetzen. Paarinterviews wurden in der empirischen Sozialforschung bislang weit weniger angewendet als Einzel- oder Gruppeninterviews (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014). Demzufolge existieren auch nur wenige methodische Überlegungen dazu. Als Ursache führen die Autorinnen die Fokussierung der Familiensoziologie auf die Familie als ‚intergenerationale Einheit‘ (vgl. S. 1) an. Dem heterosexuellen Ehe- oder Elternpaar, geschweige denn homosexuellen Elternpaar wurde kaum Beachtung geschenkt. Erst seit den 1990er Jahren etabliert sich allmählich eine „Soziologie der Paarbeziehungen“, in der das Paar als eine „eigenständige Analyseeinheit“ (S. 2, Hervorhebung i. O.) verstanden wird. Dass sich die derzeitige Paarforschung vorwiegend mit Eltern- und Liebespaaren beschäftigt, obwohl sich mit dem Paarbeziehungsbegriff auch andere dyadische Beziehungen wie beispielsweise Vorgesetzter*r-Mitarbeiter*in oder Arzt/Ärzt*in-Patient*in (vgl. S. 19) in den Blick nehmen ließen, liegt an der Unerforschtheit des Feldes.
Mit ihrer als Lehrbuch konzipierten methodologischen und methodischen Ausarbeitung möchten die Autorinnen nicht nur eine stärkere Berücksichtigung dieser Interviewform sowohl in der Forschung als auch in der Fachliteratur erreichen, sondern insgesamt die Diskussion über Paarinterviews als Methode anregen. Hierfür ist es aus ihrer Perspektive unerlässlich, das Paarinterview als eine eigenständige Interviewform (vgl. S. 22 f.) zu verstehen, die mehr ist als ein Hybrid aus autobiographisch-narrativem Interview und Gruppendiskussionsverfahren. Denn will man „Paare als Paare“ (S. 25) – also nicht nur einzelne Individuen, sondern „Individuen-in-Beziehungen“ (S. 2) – untersuchen, dann ist hierfür ein gemeinsames Interview, eben ein Paarinterview, die angemessenste Methode. Als Leser*in folgt man den auf langjähriger Erfahrung beruhenden Überlegungen der Autorinnen gerne und lässt sich durch deren fundierte Ausführungen von der Begeisterung für diese Interviewform anstecken.
Im Anschluss an einen kurzen Rekurs über den historisch-gesellschaftlichen Entstehungsraum der wissenschaftlichen Perspektive auf Paarbeziehungen in der deutschsprachigen Soziologie legen die Autorinnen dar, welche Erkenntnismöglichkeiten sich durch die Anwendung von Paarinterviews überhaupt ergeben. Der Vorteil des Verfahrens liegt eindeutig darin, dass die Interviewteilnehmenden nicht nur über sich selbst bzw. ihren Partner/ihre Partnerin sprechen, sondern gleichzeitig auch miteinander als Paar interagieren. Dadurch lässt sich nicht nur etwas über gemeinsam geteilte oder nicht geteilte Sinnwelten erfahren, sondern auch über die Kommunikation und Interaktion des Paares (doing couple). Mittels der Analyse der Paarperformance im Interview wird es möglich, die performative Praxis der Hervorbringung des Paares selbst zu rekonstruieren. Hierbei lassen sich, so die Autorinnen, insbesondere (Macht-)Ungleichheitsverhältnisse im Paar aufdecken, aber auch Differenzen bzw. deren Glättungsversuche nachvollziehen. Demzufolge kann mittels Paarinterviews auch der Umgang mit Geschlechter(ungleich)verhältnissen besonders gut untersucht werden.
Für Fragen wie beispielsweise, wie Geschlecht Beziehungen strukturiert bzw. wie innerhalb von Beziehungen Geschlecht konstruiert wird und welche Strategien Paare entwickeln, um Ungleichheiten zwischen sich zu verschleiern, sollte die Methode qualitativer Paarinterviews zukünftig unbedingt in Betracht gezogen werden.
Dem Vorwurf, in Paarinterviews würde aufgrund der wechselseitigen Beobachtung der Interviewpartner*innen ein Ausblenden konflikthafter Themen stattfinden, begegnen die Autorinnen mit Beispielen aus ihrer eigenen Forschungserfahrung. An diesen führen sie vor, wie die Konstruktion als Paar-Einheit, bei der die Befragten eine „gewisse Präsentationsfassade“ (S. 36) errichten, im Paarinterview durchaus eine Herausforderung darstellt. Dieser kann jedoch begegnet werden, indem Forschende sich im Auswertungsprozess reflexiv damit auseinandersetzen. Nicht zuletzt besteht die Möglichkeit, im Anschluss an ein Paarinterview zusätzliche Einzelinterviews zu führen, um in diesen die individuelle Sichtweise auf möglicherweise für das Paar konflikthafte Themen einzufangen.
Wer nach einer klar strukturierten Argumentation für die Vorteile von Paarinterviews sucht, wird hier fündig. Die Autorinnen geben sich große Mühe, alle wesentlichen besonderen Erkenntnismöglichkeiten sowie die mit der Methode verbundenen Schwierigkeiten darzulegen. Hierbei merkt man dem Aufbau der Kapitel die Erfahrungen der Autorinnen an, eine stringente Begründung für die gewählte Methode (z. B. in Drittmittelanträgen) zu erbringen. Die Frage ‚Wozu ist die Methode gut?‘ versuchen sie so ausführlich wie möglich zu beantworten.
Bevor die Autorinnen die Durchführung von Paarinterviews behandeln, stellen sie überblicksartig Studien aus dem deutschsprachigen Raum vor, in denen Paarinterviews zur Anwendung gekommen sind. Die exemplarisch ausgewählten Projekte vermitteln einen guten Eindruck der inhaltlichen Spannweite, bei der Paarinterviews eingesetzt werden können. Zudem wird deutlich, dass viele speziell in der Familiensoziologie untersuchten Phänomene nicht einfach nur Herausforderungen einzelner Personen sind, sondern relational zu den (Paar-, aber auch Familien-)Beziehungen zu verstehen sind, in denen die Menschen leben. Insofern erstaunt es, dass insbesondere Fragen zu „verhinderte[n] berufliche[n] Karrieren von Frauen*, Schwangerschaften oder auch Familiengründungen“ (S. 51) nicht viel häufiger mittels Paarinterviews untersucht wurden respektive werden.
Wer sich die Kapitel eins bis drei durchgelesen hat und nun überlegt, selbst Paarinterviews durchzuführen, der/die bekommt mit Kapitel vier eine konkrete Anleitung dafür. Die Unterteilung in kurze Kapitel zu den Themen Sampling (inklusive zeitlicher und organisatorischer Aspekte), Ablauf eines Paarinterviews (inklusive Eröffnungsfrage, weiterer erzählgenerierender Fragen bzw. Nachfrageteil, Zusammensetzung des Interviewenden-Teams) sowie Schwierigkeiten im Interview sind allesamt sehr hilfreich für die praktische Planung. Für dieses kleinschrittige Vorgehen dürften insbesondere unerfahrene Empiriker*innen bzw. Einsteiger*innen in die Methode dankbar sein. Die Unterlegung mit kurzen Materialauszügen aus den Forschungsprojekten der Autor*innen verdeutlichen nicht nur die einzelnen Forschungsschritte, sondern liefern zudem anschauliche Belege für die im ersten Teil des Buches erfolgten theoretischen Ausführungen.
Nicht nur in diesem, sondern auch in anderen Teilen des Buches streifen die Autorinnen die generellen Regeln der Interviewführung wie insgesamt der qualitativen Sozialforschung nur. Für das Nachlesen derselben verweisen sie auf die einschlägigen Fachbücher von Kolleg*innen. Damit passen sie ihr Buch – ähnlich dem Hinzufügen eines weiteren Puzzleteils – nicht nur geschickt in den vorhandenen Kanon ein, sondern es bleibt dadurch auch schlank und fokussiert.
Im Abschnitt zur Auswertung von Paarinterviews, für die grundsätzlich dieselben Methoden zur Verfügung stehen wie für Einzelinterviews, erfrischen vor allem die Ausführungen der Autorinnen zu Methodenkombinationen. Oftmals wird eine starke Abgrenzung innerhalb der Vielzahl von Analyseansätzen vertreten, die forschungspraktisch jedoch als einschränkend gegenüber einem dynamischen und reflexiven Erkenntnisprozess erfahren werden kann. Insofern ist man als Empirikerin den Autorinnen für ihre Offenheit gegenüber integrativen Ansätzen dankbar (vgl. Kruse 2015). Ebenso lesen sich die Erläuterungen der Autorinnen zur Kombination von Paarinterviews mit anderen Erhebungsverfahren – wie z. B. die Kombination von Paar- und Einzelinterviews oder Datentriangulation – als angenehm undogmatischer Umgang mit der eigenen Methode (für eine gelungene Kombination aus Paar- und Einzelinterviews siehe z. B. Peukert 2015 oder Koppetsch/Speck 2015).
Paarinterviews, so ist einem nach der Lektüre dieses Buches klar, stellen zwar eine anspruchsvolle, weil komplexe, aber auch eine sehr erkenntnisreiche Methode innerhalb der empirischen Sozialforschung dar. Warum sie bisher nur wenig berücksichtigt wurde, lässt sich kaum nachvollziehen. Umso begrüßenswerter ist das Anliegen der beiden Autorinnen, dem Paarinterview zu mehr Bekanntheit zu verhelfen. Somit füllt ihr Buch in der Tat die von ihnen ausfindig gemachte Lücke in der derzeit existierenden Methodenliteratur.
Nicht nur das anwendungsbasierte Vorstellen der Methode, sondern auch die geschlechteroffene Perspektive der Autorinnen auf das Potential, aber auch die Grenzen des von ihnen bevorzugten Vorgehens eröffnen auf angenehme Art den Einstieg in die „Diskussion zum Paarinterview“ (S. 118). Es wird deutlich, dass sich theoretische wie zeitdiagnostische Fragen der Paar- sowie der Geschlechterforschung durch die Anwendung des Paarinterviews als Forschungsmethode materialgesättigt bearbeiten lassen. Damit ließe sich nicht nur das empirische Wissen über paargemeinschaftliche Lebensformen erweitern, sondern die sozialwissenschaftliche Forschung insgesamt nachhaltig stimulieren. In diesem Sinne wünscht man ihnen (und sich selbst) „vielfältige Forschungen“ zu den „unerforschten Fragen“ und „inhaltlichen Leerstellen“ (S. 118) von Paarbeziehungen.
Zum Schluss zwei kleinere Kritikpunkte, die sich vor allem auf formaler Ebene bewegen. So fallen, wenn das Buch am Stück gelesen wird, die Wiederholungen bestimmter Satzphrasen und Formulierungen auf. Möglicherweise ist dies von den Autorinnen so gewollt. Die Rezensentin hätte sich an manchen Stellen Umformulierungen oder zumindest Verweise auf schon Erwähntes gewünscht. Unschön ist auch die Unterteilung bis in die vierte Gliederungsebene. Obwohl die Kopfzeilen eine Orientierung dafür bieten, in welchem Kapitel man sich gerade befindet, stiften die vielen kleinen Unternummerierungen eher Verwirrung. Hier hätte ein weniger zahlenlastiges Layout gutgetan. Diese Schönheitsfehler ändern jedoch nichts am fundierten Inhalt des Buches.
Koppetsch, Cornelia/Speck, Sarah. (2015). Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist − Geschlechterkonflikte in Krisenzeiten. Berlin: Suhrkamp Verlag.
Kruse, Jan. (2015): Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz. (2. Aufl.). Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Peukert, Almut. (2015). Aushandlungen von Paaren zur Elternzeit. Arbeitsteilung unter neuen Vorzeichen. Wiesbaden: Springer VS.
Przyborski, Aglaia/Wohlrab-Sahr, Monika. (2014). Qualitative Sozialforschung: ein Arbeitsbuch. (3. Aufl.). München: Oldenbourg.
Dr. Diana Baumgarten
TU Dortmund
Projektkoordinatorin „Neujustierungen von Männlichkeiten“, Institut für Soziologie
E-Mail: diana.baumgarten@tu-dortmund.de
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