Feministische Materialismen (im Widerstreit)

Rezension von Naomie Gramlich

Christine Löw, Katharina Volk, Imke Leicht, Nadja Meisterhans (Hg.):

Material turn.

Feministische Perspektiven auf Materialität und Materialismus.

Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich 2017.

205 Seiten, ISBN 978-3-8474-0576-4, € 29,90

Abstract: Der Sammelband beinhaltet sozialwissenschaftliche Beiträge, die auf kritische Weise die Theorieströmungen des Neuen Materialismus zum Thema haben, indem diese mit marxistisch-materialistischen Feminismen gegengelesen werden. Dabei zeichnet sich die Forderung ab, die neomaterialistischen Theorien stärker genealogisch in die feministische Theorie des Ökofeminismus und der kritischen Wissenschaftstheorie einzubetten. Anhand der heterogenen Annäherung an Materie und Materialität werden grundsätzliche Fragen nach der feministischen Praxis und Theorie adressiert und damit indirekt der Umgang mit innerfeministischen Differenzen angesprochen.

DOI: https://doi.org/10.14766/1242

Nach einer Vielzahl englischsprachiger Publikationen zum sogenannten new materialism (NM) ist der Sammelband Material turn: Feministische Perspektiven auf Materialität und Materialismus eine der ersten deutschsprachigen Veröffentlichungen, mit der kritisch und multidisziplinär auf diese Theorieströmung reagiert wird (S. 14, 18). Seit ca. Anfang 2000 werden unter der Bezeichnung NM die für feministische Theorien wichtigen Fragen nach Materialität über eine ontologische Rekonzeptualisierung von Materie verhandelt. Im Unterschied zu einer passiven Setzung schlagen z. B. Karen Barad, Jane Bennett, Stacy Alaimo oder Myra J. Hird vor, Materie als aktiv, wirkmächtig, affektiv und wesentlich realitätsbildend zu verstehen. Ihre Ausgangspunkte sind dabei heterogen, sie argumentieren beispielsweise mit der Quantenmechanik von Niels Bohr (Barad), Gilles Deleuzes’ Konzept der Assemblage (Bennett) sowie Donna Haraways Begriff naturecultures.

Der besprochene Band nimmt eine primär sozialwissenschaftliche Lesart dieser theoretisch-philosophischen Materialitätskonzepte vor. Die prekären Lebensverhältnisse von Frauen*, die sich im Neoliberalismus zunehmend verschärfen, sollen verstärkt in die Diskussion von Materialität miteinbezogen werden. Besonders postkoloniale und/oder marxistische sowie ökofeministische Perspektiven werden dabei berücksichtigt. Wie Christine Löw, Katharina Volk, Imke Leicht und Nadja Meisterhans in der Einleitung formulieren, soll es darum gehen, „wie die Begriffe Materialität, Materie, materialistischer Feminismus und New Materialism bestimmt und konkret angewendet werden können“ (S. 13). Damit stellen die Herausgeberinnen sich der Herausforderung, die Strömungen des NM mit älteren Konzepten von Materialität in Beziehung zu setzen, um nach dem ‚Neuen‘ im Neuen Materialismus zu fragen.

Das Buch bietet eine größtenteils differenzierte Einführung in Eckpfeiler der verzweigten und komplexen Theorien des NM. Auf die Annäherung an das für feministische Theorien basale Thema der Materialität auf konzeptueller Ebene (erster Teil) folgen sozialwissenschaftliche Analysen und gesellschaftliche Perspektiven auf Materialität (zweiter bzw. dritter Teil). Damit wird sich einem nicht einfachen Unterfangen gestellt, methodisch, disziplinär und auch generationell heterogene bis divergente Schulen der Theorien um Materialität – und damit letztendlich des Feminismus selbst – zu kontrastieren und in Beziehung zu setzen. Auf diesen Anspruch reagieren die Autor_innen der Beiträge mit unterschiedlicher, stellenweise eher intuitiv denn analytisch begründeter Parteinahme.

Aus Platzgründen kann ich nicht alle Beiträge in der Rezension berücksichtigen. Die Besprechung versucht, die Reihenfolge der Beiträge im Buch beizubehalten, doch gibt es aufgrund der von mir vorgenommenen Einteilung in zwei Themenschwerpunkte Abweichungen. Meinem persönlichen Wissens- und Interessensfeld entsprechend fanden besonders jene Auseinandersetzungen Berücksichtigung, welche einen Bezug zu Ansätzen des NM aufweisen.

Kritische Annährungen an die Neuen Materialismen

Von einer Vielzahl an Konzepten im Umkreis des NM ist im letzten Jahrzehnt sicherlich Karen Barads sogenannter agentieller Realismus am kontroversesten diskutiert worden. Besonders vielversprechend aufgenommen wurde der Ansatz auch für die Frage einer Vorstellung von aktiver, relationaler und eben keiner passiven und nur diskursiv gefassten Materie. Katharina Hoppe und Caroline Braunmühl beschäftigen sich in ihren beiden Beiträgen mit diesem zentralen Grundstein, indem sie ihn mittels der Instrumentare der Dichotomisierung (Braunmühl) bzw. der Essentialisierung (Hoppe) hin befragen.

Katharina Hoppe stellt Barads Konzept der intraaktiven Materie Jane Bennetts Ökologie der neovitalistischen Ding-Macht gegenüber. Die Autorin zeichnet Bennetts relationale Ontologie der vibrant matter nach und arbeitet heraus, dass sie in dieser Konzeption auf einem allem vorgängigen Vitalismus besteht. Dabei, so Hoppe, wird eine der zentralen Kriterien der feministischen Theorie, nämlich die Ablehnung einer vorgängigen unabdingbaren Bestimmung, in Bennetts Entwurf durch eine statische, d. h. fundamentalistische Ontologie wiederum stabilisiert. Im Unterschied dazu setzt sie Barads Ansatz der nicht vorgängigen, intraaktiven Materie. Statt der Interaktion, die von einem Zusammenspiel zweier getrennter Entitäten ausgeht, wird in dem von Barad eingeführten Neologismus ‚Intraaktion‘ die vorgängige Unabhängigkeit dieser beiden Pole hinterfragt und dem eine Relationalität entgegengesetzt, aus der beide erst als Pole emergieren. Hoppe verknüpft Barads Ansatz mit dem von Oliver Marchart geliehenen Begriff des Post-Fundamentalismus. Damit wird jegliche Form von Letztbegründung verabschiedet zugunsten der Vorstellung einer „fluide[n], kontingente[n] Basis, die beständig (re-)konfiguriert wird und prinzipiell umstritten ist“ (S. 43).

Zuletzt stellt sich Hoppe die Frage, wie Barads nicht absolute Ontologie epistemologisch gesetzt werden kann. Mit ihrem Konzept verschiebe sich der Fragekatalog hin zu den Entstehungsprozessen von Grenzziehungen und Entitäten und weg von der Auffassung einer ahistorischen und naturalisierten Materie. Beispielhaft verweist sie auf die ethnologische Untersuchung von Nete Schwennesen und Lene Koch, die sich mittels Intraaktivität und Prozessualität der Pränataldiagnostik nähert. In ihrer differenzierten Zusammenschau von Bennetts und Barads Theorien leistet Hoppe einen lesenswerten Beitrag zu diesen theoretisch anspruchsvollen Ansätzen. Hilfreich für die Heterogenität der Ansätze des NM ist die von ihr vorgeschlagene Formulierung „Neue Materialismen“ (S. 36).

Auch Caroline Braunmühls Auseinandersetzung mit Karen Barads Materiekonzept nutzt mit der Frage nach dem Dualismus von Aktivität und Passivität eine klassische Analysekategorie der feministischen Theorie. Dass die Autor_innen des NM einstimmig Materie als aktiv setzen, verknüpft Braunmühl mit dem historisch gewachsenen vergeschlechtlichten Gegensatz von passiver Frau/zu formender Materie und aktivem Mann/formendem Schöpfer. Sie stellt die Frage, inwieweit sich in dieser Setzung einer materiellen Aktivität im NM ein maskulinistisches Bias reproduziert und sich ebenso die Tendenz der neoliberalen Gouvernementalität abzeichnet. Mit der Frage nach Passivität, die Braunmühl in Dialog setzt mit schwulen Top-und-Bottom-Praktiken und den Stigmatisierungen von Hartz-IV-Empfänger_innen und Geflüchteten, rührt die Autorin an ein Verständnis von Passivität, das diese aufwertet, statt sie als untätig zu negieren. Mag damit der Finger auf einen blinden Fleck in Barads Theorie gelegt sein, bleibt eine genaue Verhandlung von ihrem Aktivitätsbegriff nur angeschnitten. Zu vermuten wäre, dass sich hier kein aktives, weder männliches noch souveränes Subjekt finden lässt.

Mit Barbara Holland-Cunzs Beitrag wird die theoretische Verortung des material turns als Nachfolge des cultural turns und des linguistic turns eingeholt. Dabei werden Mary Daly, Judith Butler und Karen Barad anekdotisch als feministische Kultfiguren dieser jeweiligen Wendepunkte eingeführt. Holland-Cunz will die Turns als wissenschaftliche Hegemonien sowie die sich darin verbundenen Marginalisierungen aufzeigen und setzt bei der euphorischen Reaktion auf den NM an, die von ihr eher intuitiv denn mit Belegen konstatiert wird. Das Unbehagen am NM, welches die Argumentation des Beitrags kennzeichnet, resultiert gar in der Frage der Wissenschaftlichkeit. Beispielsweise schreibt die Autorin mit Bezug zu den Theorien des NM: „Eine über viele Jahre stillgestellte, fraglose Bewunderung hat mit Wissenschaft jedoch nicht mehr viel zu tun.“ (S. 118) Barads Theorie wird als „unkritische, undurchdachte Integration von Materialismus und bislang dominante[m] Diskurs-Diskurs“ (S. 130) sowie als „theoretischer Irrweg“ (S. 130) verstanden. Holland-Cunzs Beitrag liefert eine persönlich-affektive Auseinandersetzung mit dem NM. Die berechtigte Ausgangsfrage nach der Dominanz einzelner Theorieströme wird nicht mit der Pluralität von Feminismen beantwortet, sondern mit einem Generalverdacht, dass „der Feminismus“ in den letzten zwanzig Jahren auf „Abwege“ gekommen ist (S. 128).

Die Frage nach dem Sozialen: materialistische und materielle feministische Theorien

Nach dem ersten Teil des Bandes, in dem eine kritische Lesart von Theorien des NM und insbesondere von Barads Theorie vorgenommen wird, suchen die Autorinnen in den beiden anderen Kapiteln den Anschluss an die Sozialwissenschaft und schlagen eine breitere Auffassung von Materie vor.

Christine Löw und Katharina Volk fordern ein dezidiert politisiertes Konzept von Materialität, das in der Lage ist, soziale Verhältnisse unter Berücksichtigung von Gender, race und class in den Blick zu nehmen. Das gegenwärtig starke feministische Interesse an Körper, Natur und Materie verzeichnen die Autorinnen außer in dem NM gerade in den Debatten um die Prekarisierungen von Körpern und Ressourcen in neokapitalistischen Verhältnissen. Indem Löw und Volk vorschlagen, den NM in den Genealogien feministischer Theorien zu verorten und ihn im Hinblick auf gesellschaftliche Naturverhältnisse zu lesen, erhoffen sie sich eine politischere Situierung des NM. So wird zum Beispiel vorgeschlagen, das globalisierungs- und kapitalismuskritische Modell des buen vivir, in dem Natur als Rechtssubjekt und lebendige Mitwelt verstanden wird, mit Ansätzen des NM in einen Dialog zu bringen. Die Autorinnen betonen, dass dieser bei seinen gegenwärtigen Auslassungen von Rassifizierung, Migration, Indigenität und Imperialismus Gefahr läuft, eine weiße und nur für den Globalen Norden gültige Perspektive zu zeichnen. Damit wird eine zentrale Kritik am NM geäußert, auf die Barad in ihren jüngeren Texten zumindest verwiesen hat (vgl. Barad 2012, S. 153).

Mit Beatriz Junqueira Lage Carbones Fallstudie wird der Forderung nach einem situierten Materialitätsbegriff Rechnung getragen. In ihrem Artikel „The Everlasting Whiteness. Discursive Materiality in the Bolsa Familia Program Debate“ zeichnet die Autorin die enge Verknüpfung von staatlichen Einkommenstransfer-Programmen in Brasilien mit der implizierten Forderung nach dem Weißwerden von schwarzen Müttern und ihren Kindern nach. Diese Verschleierung von Armut in deren intersektionalen Verschränkungen mit vergeschlechtlichten und rassifizierenden Diskursen wird, so Carbone, materiell-diskursiv stabilisiert. Damit wird ein zentrales Schlagwort von Donna Haraway, das wesentlich für den NM ist, in den Fokus der Untersuchung gerückt.

Wie schon Löw und Volk greift auch Brigitte Bargetz in ihrem Text „Writing out ‚the Social‘?“ die Kritik an dem „quasi politisch neutrale[n] Nullpunkt“ (S. 143) in Barads Theorie auf. Ihr Ausgangspunkt ist die Analyse des Spannungsverhältnisses zwischen Sozialem (Sprache, Kultur, Diskurs) und Natürlichem (Materie, Trans- und Posthumanes) in materialistischen bzw. materiellen Feminismen. Dabei übernimmt Bargetz Stacy Alaimos und Susan Hekmans Unterscheidung von materiellem Feminismus – also Autor_innen des NM – und marxistisch-materialistischem Feminismus. Sie fragt, wie diese Ansätze jeweils das Soziale verhandeln, ob sie es heraus- oder hineinschreiben, wie sie es nennt. Auffällig an den Theorien des NM sei, dass in diesen in Bezug auf gesellschaftliche Zusammenhänge mit Quantenmechanik (Barad) und nichtmenschlicher Queerness (Hird) argumentiert werde. In diesem methodischen Vorgehen zeichnet sich für Bargetz das Übertragen von Naturwissenschaft auf Gesellschaft- und Geisteswissenschaft ab, es neige somit zu einer „Renaturalisierung des Sozialen“ (S. 142). In diesen Herangehensweisen, die die Autorin „Sozialphysik“ (S. 140) und „methodologischen Biologismus“ (S. 142) nennt, zeichnet sich eine biologische Legitimierung von Gesellschaft ab, worin sie das Problem einer naturalistischen Letztbegründung sowie die Gefahr der Entpolitisierung erkennt. Wenn sie Hird einen „kulturalistischen Fehlschluss“ (S. 142) unterstellt, weil sie Konzepte von Diversität und Queerness als kulturell/menschlich versteht, lässt sich allerdings im Umkehrschluss fragen, ob das hier implizierte Bild nicht den zentralen Haraway’schen Begriff naturecultures außer Acht lässt, in dem Natur und Kultur eben nicht mehr sauber zu trennen sind.

Fazit

Die Herausgeberinnen nehmen sich mit diesem Band eines breiten und verzahnten Feldes an: Materialität und Materie sind erstens zentrales und grundlegendes Aushandlungsfeld von feministischen Theorien. Zweitens findet gerade heute eine globale Verschärfung von Herrschaftsverhältnissen auf Ebene der materiellen Ressourcen und der Biopolitik statt. Drittens sind in den letzten Jahren die Theorien des NM virulent debattiert worden. Dabei ist es ein wichtiges Anliegen des Bandes, eben diese neue Strömung genealogisch und historisch zu verorten. So heben Uta von Winterfeld, Barbara Holland-Cunz, Christine Löw und Katharina Volk, Frederike Habermann sowie Rosemary Hennessy in ihren Beiträgen ökofeministische und sozial-ökologische Autorinnen (Vandana Shiva, Carolyn Merchants) sowie Vertreterinnen der feministischen Science und Technology Studies (Sandra Harding, Evelyn Fox Keller, Barbara Duden) in ihrer Vorreiterinnen-Rolle für den NM hervor. Die Forderung nach der Historisierung muss als Reaktion auf die Irritationen verstanden werden, die neomaterialistische Ansätze in ihrer scharfen Rhetorik der Behauptung, ‚neu‘ zu sein, ausgelöst haben. Rosemary Hennessy erinnert: „Feminist re-thinking of materialism cannot neglect feminism’s own long history as a valuable resource and teacher.“ (S. 112) Statt ökofeministische Positionen in ihrer ab den 1990er Jahren vollzogenen Stigmatisierung als das spiritistische, ja reaktionäre Außerhalb der feministischen Wissenschaft zu belassen (vgl. S. 121), sollen Kontinuitäten zwischen den alten und neuen Denkpositionen hervorgehoben werden, so ein wichtiges Anliegen der Autorinnen.

Darüber hinaus bündeln einzelne Beiträge zentrale Kritik am NM, wie die mangelnde Internationalisierung (Löw und Volk), die Frage nach dem Stellenwert von naturwissenschaftlichen Konzepten (Bargetz), dem Dualismus passiv/aktiv (Braunmühl), die bedenkliche Rolle der Ontologie (Hoppe) sowie die Frage nach der Ent-Politisierung (Bargetz, Löw und Volk). Dabei sind Begriffsvorschläge wie Neue Materialismen (Hoppe) und die Verweise auf Begriffsschärfungen zwischen materiellem Feminismus und marxistisch-materialistischem Feminismus (Bargetz in Anlehnung an Alaimo und Hekman) hilfreich, um sich im verzweigten Feld der Konzepte von Materialität der Heterogenität bewusst zu werden und um eine Orientierung zu finden.

Wird nach dem Vorhaben, das in der Einleitung formuliert ist, nämlich der konstruktiven Synergie von materiellen und materialistischen Ansätzen gefragt, fällt nach der Lektüre die Tendenz einer Verhärtung der ‚Fronten‘ auf. Die Möglichkeit der vielversprechenden Bezugnahme auf feministische Ansätze sowie ihrer genealogischen Verfestigung wird durch Analysen, die affektiv-metaphorisch „Fallstricke“ (S. 29) und „Fallen“ (S. 141) legen wollen, konterkariert. Die Vermutung liegt nahe, dass die sich hier abzeichnende ‚Frontenverhärtung‘ zum einen als generationelle Kluft zu verstehen ist und zum anderen aus dem Gefälle zwischen einer genuin als politisch verstandenen Praxis und einer für feministische Anliegen als zu abstrakt empfundenen Theorie resultiert.

Dass bei dem breiten Themenkomplex nicht alle Felder bespielt werden können, ist sicherlich unumgänglich. Auffällig ist allerding, dass die für den NM zentralen Themenfelder des (kritischen) Posthumanismus und der Forderung nach der Dezentralisierung des Menschen gar nicht zur Sprache kommen. Wo der Vorwurf naturalistisch, biologistisch bzw. essentialistisch lautet, verweist Barad auf die posthumanistische Ausrichtung ihrer Konzeption von Materie, welche entgegen dem Naturalismus nicht weiter am Dualismus von Natur und Kultur festhält (vgl. Barad 2007, S. 463). Bei der Kritik an der mangelnden politischen Ausrichtung des NM, die im Zentrum des zweiten Teils des Sammelbandes steht, wird schließlich die Forderung nach dem handelnden Subjekt auffallend hartnäckig erhoben, wird doch nur diesem ein Bezug zum Politischen und damit zur Verantwortlichkeit zugesprochen (vgl. S. 61, 139). Mit Susan Oyama lässt sich im Umkehrschluss fragen, ob nicht die Kritik am Essenzialismus und an der Re-Ontologisierung, die mit einem Rundumschlag die Theorien des NM entlarven möchte, dem Versuch gleichkommt, auf einem autonomen Subjekt zu beharren, das eben von nichts determiniert ist (vgl. Oyama 2000, S. 154). Mit der Frage nach dem Humanen – und damit letztendlich nach dem Sozialen und Diskursiven – scheint ein wunder Punkt in der Hoffnung auf Gemeinsamkeit von feministischen Theorien adressiert. Um einen wirklich innerfeministischen Dialog zu ermöglichen, wäre die Hinterfragung der eigenen Annahmen eine mögliche Annäherung – und das auf allen Seiten.

Literatur

Barad, Karen. (2007). Meeting the Universe Halfway. Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning. Durham/London: Duke University Press.

Barad, Karen. (2012). On Touching. The inhuman that therefore I am. In Susanne Witzgall/Kerstin Stakemeier (Hg.): Power of material/politics of materiality. (S. 153–164). Berlin/Zürich: Diaphanes.

Oyama, Susan. (2000). Evolution’s eye. A system’s view of the biology-culture divide. Durham/London: Duke University Press.

Naomie Gramlich

Universität Potsdam, Institut für Künste und Medien

E-Mail: naomie.gramlich@uni-potsdam.de

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