Susan Buckingham, Virginie Le Masson (Hg.):
Understanding Climate Change through Gender Relations.
London, New York: Routledge 2017.
280 Seiten, ISBN 9781138957671, £ 105
Abstract: Im vorliegenden Sammelband werden aus einer intersektionalen und postkolonial-feministischen Perspektive globale Diskurse, Politiken und Praktiken zu Klimawandel kritisch dahingehend beleuchtet, inwiefern sie Geschlechterverhältnisse als Macht- und Herrschaftsverhältnisse sowie vergeschlechtlichte Attributionen, Risiken und Verletzlichkeiten als relevante Determinanten sozialer Realität berücksichtigen. Die Beiträge bieten nicht nur einen profunden Überblick über aktuelle Debatten der gendersensiblen Klimawandelforschung, sondern erhellen aus verschiedenen disziplinären und theoretischen Perspektiven auch die (ungenutzten) Potentiale der Geschlechterperspektive bei der Entwicklung von gesellschaftlichen Lösungen zur Verringerung des Emissionsausstoßes und zur Anpassung an die Klimaerwärmung.
Wenn Amitav Ghosh (2016) den Klimawandel zu einem Phänomen des ‚Undenkbaren‘ erklärt, so trifft er damit den Punkt einer auffallenden diskursiven Vernachlässigung der sich vollziehenden Klimaerwärmung, die in einem paradoxen Zusammenhang zu ihrem ungeheuren globalen Ausmaß steht. Seine Feststellung, dass der Klimawandel auf die Landschaft der Literatur sogar noch einen kleineren Schatten wirft als auf die öffentliche Diskussion (vgl. Gosh 2016, S. 7), illustriert den Tatbestand, dass der Klimawandel im kultur-symbolischen Bereich vor allem in Form eines technischen (und damit begrenzten) Problems erscheint, dessen humane Seite als vereinzelte Kollateralschäden eines zwar unumkehrbaren, aber kontrollierbaren Prozesses gerahmt wird.
Der intersektional und postkolonial-feministisch informierte Sammelband Understanding Climate Change through Gender Relations stellt einen erfrischenden und kämpferischen Einsatz für die Realisierung der humanen Seite des Klimawandels dar. Bereits in der Einleitung wird auf die Macht- und Herrschaftsverhältnisse zwischen den Ländern des globalen Nordens als Verursacher des Klimawandels und den Ländern des globalen Südens als hauptsächlich Betroffene der klimatischen Veränderungen hingewiesen. Nur wenige Länder, die das Kyoto-Protokoll von 1997 unterschrieben hatten, haben die von ihnen gesetzten Ziele, so Susann Buckingham und Virginie Le Masson, auch tatsächlich erreicht. Zudem seien die Resultate in den europäischen Ländern sehr unterschiedlich, wobei diese insgesamt betrachtet den Emissionsausstoß von 1997 bis 2017 nur um 0,89 Prozent senken konnten. Die Herausgeber*innen konstatieren eine verbreitete Unfähigkeit, die Treibhausgas-Produktion so zu reduzieren, dass soziale und wirtschaftliche Systeme geschützt würden.
Sie äußern sich außerdem kritisch dazu, auf welche Weise Politiken, Diskurse und Praktiken des Klimawandels in einen Bezug zu Geschlechterverhältnissen gestellt werden. Sie sprechen von einer beharrlichen Auslassung dahingehend, Geschlecht in seiner Komplexität und Ausdifferenziertheit zu berücksichtigen. Obwohl auf zwei großen UN-Konferenzen (1992 und 1995) herausgestellt wurde, dass es wesentlich ist, den Klimawandel in den Kontext ungleicher sozialer Positionierung von Frauen und Männern zu stellen, kristallisiere sich deutlich heraus, dass Geschlechterverhältnisse kaum eine Rolle bei der Ausarbeitung von Klima-Agenden spielen. Buckingham und Le Masson schließen, dass es somit den Frauen zugefallen sei, sich dafür einzusetzen, dass in Entscheidungen, die den Umgang mit den Folgen des Klimawandels betreffen, auch die Kategorie Geschlecht eine Rolle spielt (vgl. S. 2). Erst seit 2011 und auch erst auf Druck von Frauen-Lobbyverbänden fänden Geschlechterbeziehungen auf internationaler Ebene im Kontext des Klimawandels Berücksichtigung. Allerdings zeige sich hierbei eine gewisse Feigenblattmentalität, die in der additionalen Betrachtung von Geschlecht zum Ausdruck komme (vgl. S. 2).
Demgegenüber machen die Herausgeber*innen in der Einleitung deutlich, dass ihnen die bislang erfolgten Schritte zur Integration von Geschlechterverhältnissen in den Diskurs zum Klimawandel nicht weit genug gehen. Ihrer Ansicht nach bedarf es einer paradigmatischen Wende in der Weise, wie wir leben, wirtschaften und planen. Klimawandel müsse endlich als eine ernste Gefahr für die gegenwärtige Weltbevölkerung wie für zukünftige Populationen wahrgenommen werden. Die sozialen Strukturen und Prozesse müssten zugleich bedingungslos auf die Chancengleichheit der Geschlechter ausgerichtet werden. Ein Blick auf den Forschungsstand mache sichtbar, dass hauptsächlich Frauen zum Verhältnis zwischen Klimawandel und Geschlecht forschen. Weitgehend zeige sich ein bloß quantitatives Verständnis bei der Implementierung von Geschlechterbalance, das oft genug intersektionale Komponenten der Unterdrückung nicht berücksichtige. Auch sei es ein dringendes Problem, dass häufig davon ausgegangen wird – trotz sich anders darstellender Realitäten –, dass Frauen bereits gleichberechtigt seien und es daher keiner geschlechtersensiblen Programme und Maßnahmen bedürfe.
Der Sammelband gliedert sich in zwei Teile, welche durch eine vorangestellte Einleitung der Herausgeber*innen ergänzt wird. Im ersten Teil finden sich sechs Aufsätze, in denen theoretische Positionen, methodologische Herausforderungen, politische Widerstände und Forschungslücken der Forschung zu Geschlechterverhältnissen und Klimawandel dargelegt werden. Im zweiten Teil sind insgesamt elf Fallstudien versammelt, die weltweit Politiken, Diskurse und Praktiken, die mit dem Klimawandel in einem Zusammenhang stehen, hinsichtlich der Implementierung der Geschlechterperspektive zum Thema haben.
Sherilyn MacGregor kontextualisiert in ihrem Beitrag die Thematik des Klimawandels mit Fragen nach neuen Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Ausgehend von dem als Problem deklarierten Sachverhalt, dass Frauen im Klimawandeldiskurs häufig in der Figur des Opfers erscheinen, ist es Ziel des Aufsatzes, den Argumentationshorizont im Themengebiet zu erweitern. Auf Grundlage vergangener und aktueller Forschungsliteratur arbeitet MacGregor drei unterschiedliche Argumentationsstränge dafür heraus, warum Geschlecht als Analyseperspektive eine Rolle in der Forschung zum Klimawandel spielen muss: Erstens macht sie deutlich, dass der Diskurs zum Klimawandel vergeschlechtlicht ist. Das Nachdenken über Lösungen zum Problem des Klimawandels stütze sich auf heteronormative Tropen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Als einen zweiten Argumentationsstrang benennt MacGregor die Forschungen, die darauf hinweisen, dass Geschlechtergleichheit und die Politiken des Umweltschutzes miteinander korrelieren. Sie macht hier etwa im Zusammenhang mit der Studie von McCright and Dunlap (2011) darauf aufmerksam, dass die Ausprägung von (Hyper-)Maskulinität mit der Einstellung zusammengebracht werden kann, bei dem Klimawandel handele es sich lediglich um eine Fiktion. Im dritten Argumentationsstrang versammelt MacGregor Studien, die deutlich werden lassen, dass es unumgänglich ist, in die Strategien zum Übergang zu einer klimaneutralen Welt Strategien zur Implementierung von Geschlechtergerechtigkeit einzubeziehen. Der Beitrag stellt einen gelungenen Auftakt für alle im Sammelband angerissenen Fragen und Problematiken dar. Fokussieren doch alle Beiträge darauf, dass neue Formen des Miteinanderlebens gefunden werden müssen, die es auch ermöglichen, Fragen nach einer gerechteren Verteilung von Reproduktions- und Care-Arbeiten zu lösen, damit dem Klimawandel nachhaltig begegnet werden kann.
Karen Morrow macht indes anschaulich deutlich, wie schwierig sich die politische Implementierung von Gender in globale Klimawandel-Agenden darstellt(e). Sie zeichnet in ihrer genau recherchierten Studie nach, dass Geschlecht im Vergleich zu anderen global diskutierten Problemen erst spät in Bezug zu Klimawandel gesetzt wurde, obwohl bereits zu Beginn der internationalen Verhandlungsprozesse deutlich war, dass es ein wichtiger Faktor für die Bearbeitung des Klimawandels ist. Erst durch vehemente und kontinuierliche Lobbyarbeit seitens der Wissenschaft in Gestalt von Ecofeminism und der Politik in Form von ‚Graswurzelgruppen‘ sowie durch das Vorrücken von Frauen auf Entscheidungspositionen innerhalb der UN und auf Ebene der Nationalstaaten konnte durchgesetzt werden, dass der Genderfrage größere Aufmerksamkeit zuteilwird. Einschränkend fügt Morrow hinzu, dass abzuwarten bleibt, welche Ergebnisse von dieser Aufmerksamkeit zu erwarten sind. Morrows sorgfältige Dokumentation bietet einen aufschlussreichen historischen Überblick über die Widerstände, welche es bei der Herausarbeitung des „United Nation Framework Convention on Climate Change (UNFCCC)“ gegenüber Positionen gab, die sich außerhalb technischer, kommerziell-industrieller und – in geringerem Umfang – ökologischer Perspektiven bewegten (vgl. S. 33).
Einen Einblick in den climate-justice-Ansatz liefert Patricia E. Perkins. Die drei Grundprinzipien dieses Konzepts – intersektionale globale Analysen, lokale Aktivitäten zum Aufbau von Frauen-Netzwerken, zum Austausch und zur Ausweitung des örtlich vorhandenen Wissens zu Belangen des Klimawandels sowie insgesamt Beiträge zum Aufbau einer polyzentrischen Governance-Struktur – werden kurz theoretisch vorgestellt und dann anhand von drei Beispielen aus der Praxis erläutert. Der Beitrag gewährt sowohl eine informative Einführung in Grundprinzipien des climate-justice-Konzepts als auch einen profunden Einblick in die Potentiale und Möglichkeiten einer feministisch orientierten Zusammenarbeit von Aktivist*innen, lokalen Initiativen und Universitäten aus dem globalen Norden und Süden zum Umgang mit den Folgen des Klimawandels.
Gotelind Alber, Kate Cahoon und Ulrike Röhr machen deutlich, dass die städtische Klimapolitik ein zentraler Ansatzpunkt für Interventionen aus Genderperspektive sein kann. Als einen wesentlichen Punkt sehen sie dabei, dass in Städten ein höherer Level an Ungleichheit existiert. Zudem leben benachteiligte Personen häufiger in Gebieten/Gebäuden, die anfälliger für die Folgen des Klimawandels sind (beispielsweise in den unteren Etagen, in Slums, mit langen Wegen zur Arbeit). Die Autor*innen fordern eine Erneuerung der Ethik des gesellschaftlichen Zusammenlebens in Richtung einer Kultur der Sorge. Der informative Beitrag zeichnet sich zudem dadurch aus, dass er konkrete Handlungsempfehlungen zur Implementierung von klima- und gendersensiblen Agenden und Programmen auf politischer Ebene enthält.
Einen Einblick in den Zusammenhang zwischen vergeschlechtlichten Identitäten und Klimawandel bietet Martin Hultman. Er stellt drei maskuline Idealtypen vor, die unterschiedlich auf das Verhältnis von Identität und natürlicher Umwelt bezogen sind: Die industrielle Maskulinität nimmt Natur und Umwelt als unbelebte Objekte wahr, die zweckdienlich für den Menschen eingesetzt werden können, die ökologische Maskulinität zeigt sich in einer lebendigen Beziehung zu Natur und Umwelt und gipfelt idealerweise in einer transitionalen Agentenschaft, durch welche innovative Wege realisiert werden, eine nachhaltige Gesellschaft zu schaffen. Der dritte Typus, die ökomoderne Maskulinität, stellt eine Mischform dar. Hultmann unterfüttert in seinem lesenswerten Beitrag seine empirischen Befunde mit Theorien zu Männlichkeit und zeigt so auf, dass sich Identität und Geschlecht im Zusammenhang mit ökologischen Diskursen herausbilden.
Den ersten Teil abschließend bietet Annica Kronsells Beitrag wertvolle Einsichten hinsichtlich der Frage, was feministische Perspektiven zur Betrachtung und gouvernementalen Bearbeitung des Klimawandels leisten können. Darüber hinaus klärt sie, worin sich die einzelnen Richtungen materialist feminist perspectives, liberal feminist perspectives sowie constructivist feminist perspectives in Bezug auf ihre Analysepotentiale mit Blick auf den Klimawandel unterscheiden (lassen). Der aufschlussreiche Beitrag lässt deutlich werden, dass Ansätze, die auf ‚Frauen‘ als ‚Opfer‘ oder ‚Heldinnen‘ des Klimawandels blicken, sowie Perspektiven, die sich auf gender-balancierte Entscheidungsprozesse bei der Bearbeitung klimatechnischer Fragen richten, von feministischen Richtungen profitieren können, die darüber hinaus Geschlechterverhältnisse als Machtverhältnisse in den Blick nehmen.
Alle im zweiten Teil des Bandes versammelten Fallstudien teilen die Perspektive, die im Kontext des Klimawandels eingesetzten Politiken und Praktiken hinsichtlich der Frage zu betrachten und zu bewerten, inwiefern sie zu einer (emanzipativen) Transformation von Gemeinschaften und Gesellschaften beitragen. Die Studie von Javier Mazorra, Julio Lumbreras, Luz Fernandez und Candela de la Sota, in welcher die Rolle verdeutlicht wird, die der Zugang zur Energieversorgung für die Verringerung des CO2-Ausstoßes und die Verbesserung der Situation von Frauen in Ländern des globalen Südens spielt, sowie der Beitrag von Alex Haynes fokussieren jeweils Praktiken des alltäglichen Lebens als Ausgangspunkt für die Reduzierung von Emissionen und Steigerung der Chancengleichheit. Haynes arbeitet mit Bezug auf eine unter ihrer Beteiligung durchgeführte Feldstudie in drei ländlichen Gebieten Bangladeschs, die von Klimakatastrophen betroffen sind, anschaulich die Verflechtungen heraus, die zwischen Klimawandel und Geschlechterverhältnissen bestehen. Sie zeigt, inwieweit die Prozesse des Klimawandels nicht allein für Veränderungen und Katastrophen in ökologischer Hinsicht sorgen, sondern auch Auswirkungen auf die sozialen Strukturen haben. So deutlich wie in keinem der vorhergehenden Texte wird es in diesem Beitrag, dass mit dem Klimawandel die Transformation von Gemeinschaften und Gesellschaften eng verknüpft ist, was die zentrale Rolle, die (geschlechter-)soziologische Fragestellungen bei der Betrachtung der klimatischen Veränderungen spielen sollten, in den Blick der Leser*innen rückt.
Ein weiterer Schwerpunkt der Fallstudien ist die kritische Durchleuchtung der Klima- und Katastrophenschutzmaßnahmen im Hinblick auf die Frage, inwiefern in ihnen Geschlechterverhältnisse und eine ungleich verteilte Vulnerabilität Berücksichtigung finden. In ihrem informativen Beitrag arbeitet Angela Moriggi ein Desiderat der geschlechter-sensitiven Klimawandelforschung für China heraus, der Schwerpunkt der Forschung liege auf Ländern des globalen Südens in Afrika, Südamerika und Südasien. Es sei aber dringlich, diese Forschungslücke zu schließen, da Frauen aufgrund von Diskriminierungen und einer Feminisierung der Landwirtschaft im Zuge des ökonomischen Wachstums des Landes stärker von den Folgen der Klimaerwärmung betroffen seien.
In Bezug auf den nicaraguanischen Diskurs über Klimawandel stellt Noémi Gonda die Ergebnisse ihrer hochspannenden Analyse vor, die den Fokus auf patriarchale Deutungsmuster lenkt. Sie macht deutlich, dass die programmatischen Dokumente und Maßnahmen des Klimaschutzes in Nicaragua dringend einer feministischen Untersuchung bedürfen, um die Integration von Geschlecht und von Marginalisierten in die Maßnahmen voranzubringen. Für den Umgang des Landes mit den veränderten Umweltbedingungen zeige sich, dass die führende Rolle, die Frauen bei der Anpassung an den Klimawandel zugedacht wird, keineswegs zu einem Aufbrechen traditioneller Geschlechterverhältnisse beiträgt. Vielmehr würden diese durch die eingesetzten Politiken stabilisiert. Aus intersektionaler Perspektive lässt sich weiterhin feststellen, so die Autorin, dass der positive Bezug auf Frauen aus ländlichen Gebieten als Agentinnen des Klimaschutzes die Verursacher des Klimawandels demarkiert. Anschaulich wird vor Augen geführt, wie die inferiore gesellschaftliche Position der Frauen in Nicaragua zusätzlich durch die Klimapolitiken sedimentiert wird.
Eine ähnliche Stoßrichtung verfolgt Beth A. Bee. Sie zeichnet für Mexiko nach, inwiefern das Programm zur Reduzierung von Emissionen und Waldzerstörung in Entwicklungsländern (REDD+) in Bezug auf das Ziel, die Positionen von Frauen durch umweltpolitische Maßnahmen zu stärken, als gescheitert angesehen werden muss. Ihr erhellender Beitrag zeigt, dass es der neoliberale Zuschnitt des Programms ist, der nachhaltige Veränderungen im Geschlechterverhältnis verhindert, weil die Maßnahmen nicht kontextsensitiv sind und keine Frauen aus den benachteiligten Schichten in die Planung integriert worden sind.
Die Governance sowie Entscheidungs- und Planungsprozesse des Klima- und Katastrophenschutzes stehen im dritten Abschnitt der Fallstudien im Vordergrund. Virginie Le Masson verdeutlicht in ihrem Beitrag, in welcher Weise die Vorstellung, Frauen und Männer seien gleichgestellt, in Projekten der Entwicklungshilfe und des Klimawandels virulent ist und sich auf die Konzeption von Maßnahmen auswirkt. Anhand einer qualitativen Fallstudie in Ladakh (Indien) zeigt sie auf, dass erhebliche Diskontinuitäten in Bezug auf die Berücksichtigung von Geschlechterunterschieden auf den Ebenen Politiken, Diskurse und Praktiken bestehen. Mit ihrer scharfsinnigen Analyse wirft sie die Frage auf, ob nicht etwa die Hauptstrategie, die in Entwicklungs- und Klimawandelprojekten seitens der NGOs verfolgt wird – das Bemühen, Frauen zu einem ökonomischen Einkommen zu verhelfen – eventuell ein falscher Ansatzpunkt sein könnte, um die Emanzipation von Frauen voranzubringen.
Ob vielleicht das Leben in Wohnprojekten eine vielversprechende Alternative zu hegemonialen Wohnformen darstellt, fragt Lidewij Tummers und kommt zu dem Schluss, dass jene das Potential für neue Formen des Wirtschaftens und Teilens bieten. Auf Grundlage ihrer innovativen Studie wird deutlich, dass Wohnprojekte klimafreundliches Wohnen unterstützen und dazu beitragen, mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung der unbezahlten Haus- und Sorgearbeiten zu implementieren.
Anhand der Ergebnisse einer unter ihrer Beteiligung in Schweden durchgeführten Studie zu kommunalen Planungsprozessen gehen Christian Dymén und Richard Langlais der Frage nach, inwiefern es bestehende Modelle der Planung ermöglichen, vergeschlechtlichte Perspektiven und Werte in die Planungsprozesse zu integrieren. In ihrem aufschlussreichen Beitrag zeigen sie, dass unter Einbeziehung weiblicher Perspektiven und Werte die Ergebnisse kommunaler Planung klimafreundlicher ausfallen. Die Berücksichtigung ‚weiblicher‘ Werte passe sowohl mit kollaborativ organisierten Planungsprozessen als auch mit ‚rational‘ und damit eher ‚männlich‘ strukturierten Planungsabläufen zusammen.
Den Abschluss bildet eine von Britta Fuchs und anderen in St. Lorenzen (Österreich) durchgeführte Fallstudie. Der informative Beitrag lässt die Desiderate im Klima- und Katastrophenschutz deutlich werden, die hinsichtlich der Integration der Geschlechterperspektive sowie der Einbindung von Frauen in Planungs- und Entscheidungsprozesse bestehen. Bislang würden in Österreich kaum weibliche Perspektiven in die kommunale Raumplanungsprozesse eingebunden, und es seien auch keine Bemühungen dahingehend festzustellen, diese Situation zu verändern.
Die bisherigen – auf globaler Ebene anberaumten – Politiken, Diskurse und Praktiken zur Reduzierung der Emissionen und zur Beschränkung der weiteren Klimaerwärmung sind bislang nahezu folgenlos geblieben. Der Sammelband zeigt, dass es weiterhin kritischer Stimmen bedarf, die sich vor Ort, aber auch international für den Klimaschutz einsetzen. Dass Geschlecht dabei eine wichtige und bislang völlig unterbeleuchtete Rolle zukommt, wird eindrücklich vor Augen geführt. Die vorliegenden Beiträge stellen dabei eine facettenreiche Auswahl der geschlechter- und kontextsensiblen Forschung zum Klimawandel dar. So bietet Understanding Climate Change through Gender Relations für Wissenschaftler*innen, Studierende und Interessierte aus verschiedensten Disziplinen wertvolle Einblicke in die komplexen Verflechtungen zwischen Geschlecht und der Veränderung der klimatischen Bedingungen auf dem Planeten. In den Artikeln werden hochaktuelle Aspekte der Klimafolgenforschung, der Politik- und Verwaltungswissenschaften, der Planungswissenschaften sowie der Geschlechterforschung erhellt. Es wird auf theoretische Prämissen der Rahmung des Klimawandels ebenso eingegangen wie den konkreten Konsequenzen gegenwärtiger Klimapolitik anhand anschaulicher Fallbeispiele nachgegangen. Dabei wird durchweg eine intersektionale und postkolonial-feministische Perspektive eingenommen, was im Kontext des untersuchten Feldes – das technisch gerahmt ist – insbesondere zu würdigen ist.
Kritik zu üben fällt vor diesem Hintergrund nicht leicht, hält der Band doch konsequent die in der Einleitung in Form von Zielen gegebenen Versprechen, erstens darzulegen, warum die Geschlechterverhältnisse eine so geringe Rolle für die Klimapolitik spielen, und zweitens zu verdeutlichen, welches Potential darin steckt, wenn Klimawandel unter der Geschlechterperspektive betrachtet wird. Einzig wäre anzumerken, dass in allen Beiträgen zwar auf eine paradigmatische Änderung der Sicht auf Klimawandel gedrängt, in keinem jedoch thematisiert wird, in welcher Weise diese Veränderung herbeigeführt werden könnte. Eine Fokussierung auf die Haltungen und Einstellungen politischer Stakeholder oder die Einschreibung des Klimawandels in den Bereich literarischer Fiktion hätte interessante Ausblicke geben können. Allerdings macht der Sammelband mehr als deutlich, dass die geschlechtersensible Klimawandelforschung noch im Entstehen begriffen ist, was die Konzentration auf theoretische Positionen, methodologische Herausforderungen sowie Fallstudien im Kontext der politischen Transformation von Gemeinschaften und Gesellschaften mehr als rechtfertigt.
Insgesamt liefert der Sammelband eine überzeugende Vielfalt an theoretischen und empirischen Beiträgen und ist über die Grenzen der Forschung zum Klimawandel hinaus aufschlussreich. Souverän werden die Geschlechterperspektive und ein intersektionaler, postkolonial-feministischer Anspruch in allen Texten durchgehalten und auf diese Weise die humane Dimension der Veränderungen des Klimas herrschafts- und machtkritisch beleuchtet.
Ghosh, Amitav. (2016). The great Derangement: Climate Change and the Unthinkable. Chicago: University of Chicago Press.
McCright, Aaron M./Dunlap, Riley E. (2011). Cool dudes: The denial of climate change among conservative white males in the United States. (pp. 1163–1172). Global Environment Change 21 (4).
Sahra Dornick
TU Berlin
M.A. Soziologie/Germanistik, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIFG)
E-Mail: sahra.dornick@tu-berlin.de
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