Who Cares? Geschlechterverhältnisse in der gentrifizierten Stadt

Rezension von Sebastian Grieser

Winifred Curran:

Gender and Gentrification.

London, New York: Routledge 2017.

122 Seiten, ISBN 978-1-138-19584-4, £105.00

Abstract: Winifred Curran untersucht mit einer feministischen und intersektionalen Perspektive das Phänomen Gentrifizierung und zeigt, dass Gründe und Folgen von Gentrifizierungsprozessen hochgradig vergeschlechtlicht sind und dass Gentrifizierung bestehende Ungleichheiten reproduziert wie verstärkt. Ein besonderes Augenmerk legt die Autorin auf Reproduktionsarbeit, die in der gentrifizierten Stadt nicht nur isolierter, sondern auch arbeitsaufwendiger und prekärer wird. Das Buch profitiert von Currans langjähriger aktivistischer und empirischer Beschäftigung mit dem Thema. Dank dessen einführendem Charakter, den vielfältigen empirischen Beispielen und der Aktualität der Thematik finden auch Einsteiger_innen einen guten Zugang.

DOI: https://doi.org/10.14766/1254

Winifred Curran, US-amerikanische Stadtgeographin, versucht mit ihrem Buch Gender and Gentrification die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Gentrifizierung und der sozialen Konstruktion von Gender aufzudecken (vgl. S. 2). Dieses Vorhaben verknüpft sie mit dem Anspruch, „a feminist consciousness and critique“ (S. 3) für das Thema zu steigern. Der Autorin geht es um eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema, sie verfolgt damit jedoch auch explizit eine politische Zielsetzung: „Gender analysis is essential as an […] tool to contest the vision of the city that gentrification has wrought“ (S. 97). Mit Gender als zentraler Analysekategorie des Buches gelingt es ihr, zu verdeutlichen, dass die Auswirkungen von Gentrifizierung deutlich weitreichender sind als bisher angenommen (vgl. S. 4). Kritik übt Curran zunächst an dem androzentrischen Bias der bisherigen Gentrifizierungsdebatte und an der Ignoranz gegenüber feministischen Perspektiven auf das Thema. Gleichzeitig verortet sie sich aber auch konträr zu feministischen Autor_innen wie Ann Markusen (1981), Jon Caulfield (1989) und Damaris Rose (1984), die in den 1980er Jahren die These vertraten, Gentrifizierung resultiere in mehr Geschlechtergerechtigkeit. Curran schließt dagegen an aktuellere feministische Positionen, wie die der Geographinnen Liz Bondi (1999) und Linda McDowell (2014) an und widmet ihre Aufmerksamkeit im Besonderen denen, die gentrifiziert werden.

Unter Gentrifizierung versteht sie dabei die Verdrängung aus innerstädtischen Nachbarschaften. Sie kann aufzeigen, dass städtische Verdrängungsprozesse hochgradig vergeschlechtlicht sind. Frauen als „the most disadvantaged members of already disadvantaged communities“ (S. 5) seien in besonderer Weise betroffen. Die Autorin argumentiert dabei für eine intersektionale Perspektive. Eine Perspektive auf die, die durch Gentrifizierung verdrängt werden, mache es nötig, das Zusammenspiel von Gender mit anderen Kategorien wie „race, class, sexuality, immigration status, age and disability“ (S. 5) in den Blick zu nehmen. Aufschlussreich ist dabei Currans mit dem intersektionalen Ansatz verknüpfte politische Zielsetzung. Denn die intersektionale Perspektive hinterfrage das „us vs. them narrative“ (S. 11), mit dem verschiedene benachteiligte Gruppen in Gentrifizierungsprozessen gegeneinander ausgespielt würden. Argumentativ stützt sich die Autorin auf eine Vielzahl aktueller qualitativ angelegter Fallstudien und ihre eigenen, ebenfalls qualitativen, empirischen Arbeiten. So wird in den verschiedenen Kapiteln des Buches, „Housing“, „Labour“, „Social Reproduction“, „Safety“ und „Queer Spaces“, sichtbar, wie Gentrifizierung bestehende Ungleichheiten in unterschiedlichen Dimensionen menschlichen Zusammenlebens reproduziert und verstärkt. Folgt man ihrer Argumentation, zeigt sich Gentrifizierung als vergeschlechtlichte Praxis, die die gewaltvolle Zerstörung von Heterogenität und die Zerstörung lebendiger Nachbarschaften zur Folge hat.

Wie ein roter Faden zieht sich dabei das Thema Reproduktion durch das Buch. Die vergeschlechtlichte Trennung in Produktions- und Reproduktionsarbeit und die damit verknüpfte Abwertung von Sorgearbeit ist, so Curran, auf komplexe Weise mit aktuellen Gentrifizierungsprozessen verknüpft – ein Befund, der auch für die deutschsprachige Diskussion zu Reproduktionsarbeit interessant erscheint. Verschiedene Autor_innen (Aulenbacher/Dammayr 2014; Aulenbacher/Riegraf/Theobald 2014) stellen derzeit eine Transformation von Reproduktionsarbeit fest, jedoch ohne diese Transformationsprozesse dezidiert unter räumlichen Aspekten zu diskutieren (vgl. Höhne/Schuster 2017). Hier liegt der besondere Verdienst von Curran, denn mit ihrem Buch erweitert sie die Diskussion zu Reproduktionsarbeit in der nachfordistischen Phase um eine explizit räumliche Perspektive. Das möchte ich zum Anlass nehmen, um drei von Curran genannte Dimensionen (Arbeiten, Leben und Erziehung) des Zusammenhangs von Reproduktion, Gender und Gentrifizierung herauszugreifen. Anhand dieser Dimensionen zeigt sich der Mehrwert einer Gentrifizierungsperspektive für die Betrachtung von Reproduktion.

Arbeiten in der gentrifizierten Stadt

Ein in der bisherigen Literatur zu Gender und Gentrifizierung immer wieder konstatierter Befund sind die sich verändernde Rolle von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und deren räumliche Folgen. Die gestiegene Partizipation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt wird dabei als zentraler Auslöser für derzeitige Gentrifizierungsphänomene gesehen. Curran denkt diesen Zusammenhang anders: Den Umzug von Frauen in Innenstadtbezirke versteht sie als Versuch, den zugenommenen Druck zur Erwerbstätigkeit mit der gleichgebliebenen Hauptverantwortung für Haus- und Sorgearbeit zu vereinbaren. Die Suche nach Wohnungen nahe den Arbeitsorten war und ist demnach eine Notwendigkeit, um Wegeketten zu verkürzen und damit eine Lösung für die Doppelbelastung als erwerbstätige Frau zu finden (vgl. S. 44). Die Autorin richtet den Blick auf bestehende Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt und auf die Persistenz in der Verteilung von Haus- und Sorgearbeit: Der Wandel der Industriestadt hin zur gentrifizierten Stadt habe wenig zu einer Auflösung traditioneller Geschlechterverhältnisse beigetragen (vgl. S. 43). Dem gegenüber steht die einstige feministische Hoffnung auf Gentrifizierung als Strategie zur Veränderung patriarchaler Strukturen. Dieses Argument aus den 1980er Jahren weist Curran deutlich zurück. Besonders deutlich wird ihre Kritik an den feministischen Hoffnungen in ihrem Blick auf die nur vermeintlich egalitären Partnerschaften der gentrifizierenden neuen Mittelklasse. Die Lösung der Gentrifiziererinnen aus der Falle der doppelten Verantwortung für Reproduktions- und Erwerbsarbeit stelle oftmals nur die Auslagerung von Reproduktionsarbeit dar – meist an schlechtbezahlte, unsicher beschäftigte Migrant_innen. Curran stellt klar: Die Erwerbstätigkeit und Emanzipation der Gentrifiziererinnen, wie generell die gesamte Flexiblität und Kreativität der postindustriellen Wirtschaft in der gentrifizierten Stadt, wird erst über schlecht bezahlte und unsichtbar gemachte Care-Arbeit ermöglicht (vgl. S. 47). Auch in der deutschsprachigen Diskussion zu Care spielt der Befund einer Auslagerung von Reproduktionsarbeit an Migrant_innen eine zentrale Rolle. Die Autorin deckt mit ihrer Perspektive auf Raum jedoch bisher wenig beachtete Aspekte der Thematik auf. Für viele Migrant_innen, die die Work-Life-Balance der Gentrifizierer_innen erst ermöglichen, folge mit der Gentrifizierung die Verdrängung in Wohnquartiere an den Stadtrand. Dies bedeute für die Migrant_innen wiederum längere Arbeitswege (vgl. S. 10). Sichtbar wird bei Curran auch, welche räumlichen Konsequenzen moderne Arbeitsplatzkonzepte, wie z.B. das Home Office, haben können. Durch die flexiblen Arbeitsplätze der „creative class“ (S. 47) würden sich auch die Arbeitspraktiken von migrantischen Nannies drastisch verändern. Um die Eltern bei deren Arbeit zu Hause nicht zu stören, müssten sie räumlich anpassungsfähig werden, auf einen eigenen Arbeitsort verzichten und mit den zu betreuenden Kindern öffentliche Räume aufsuchen: „This leaves nannies traveling between parks, libraries, children’s and other public space in all kind of weather“ (S. 47).

Leben in der gentrifizierten Stadt

Curran verdeutlicht anschaulich die vergeschlechtlichten und androzentristischen Vorstellungen der durch und durch männlich dominierten Stadtplanung und Immobilienwirtschaft, die zu konkreten physischen Veränderungen im Stadtbild und auf dem Wohnungsmarkt führen. Mit der Gentrifizierung gehe eine Priorisierung kleiner Zwei- bis Dreizimmerwohnungen gegenüber dem Bau von größeren, familienfreundlichen Wohnungen einher (vgl. S. 14). Die Autorin sieht darin eine Folge des gesellschaftlichen Bildes von Gentrifizier_innen als kinderlosen „Young Professionals“ (S. 14). Zusammen mit der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen führe das zu einer Veränderung gebauter Infrastruktur, von der vor allem Frauen mit Kindern und multigenerationale Lebensgemeinschaften betroffen seien (vgl. S. 18). Sobald sie sich für Kinder entschieden, fänden selbst Gentrifizier_innen auf dem Wohnungsmarkt kaum noch passende Wohnungen. Curran zeigt, dass sich hinter der Narration kinderloser Gentrifizierer_innen traditionelle Geschlechterstereotypen verbergen. Einerseits würden gerade Eigentumswohnungen als Investition für junge, beruflich erfolgreiche Frauen beworben. Andererseits werde gleichzeitig angenommen, dass es sich bei dem Kauf dieser Wohnungen nur um einen vorläufigen Schritt auf dem Weg zu Ehe und Familie handele. Das Wohnen in der eigenen Innenstadtwohnung erscheint als temporär, denn die Rückkehr in die Suburbs wird vorausgesetzt (vgl. S. 17). Diese vergeschlechtlichte Annahme führe dazu, dass Familien, alleinerziehende Eltern und Senior_innen in den Planungsprozessen nicht berücksichtigt würden. Die Notwendigkeit einer Sorge-freundlichen Infrastruktur in gentrifizierten Räumen werde nicht gesehen. Damit erzeuge die Stadtplanung schließlich genau die Form der Bevölkerung, für die sie baue (vgl. S. 18).

Gleichzeitig könne Gentrifizierung jedoch auch bedeuten, der Stadt oberflächig ein feminineres und tolerantes Gesicht zu geben. Denn mit Gentrifizierung verändert sich auch der öffentliche Raum der Innenstadtbezirke, beispielsweise sichtbar an Baby- und Spielwarenläden oder Cafés, in denen sich Mütter treffen können. Eine solche Feminisierung von Raum sei jedoch eher eine Kommodifizierung von Elternschaft als eine emanzipatorische Veränderung von Geschlechterverhältnissen (vgl. S. 52). Da die Aneignung gentrifizierter Räume zudem an Konsumpraktiken gebunden sei, würden alle, denen es an symbolischem wie materiellem Kapitel fehlt, von räumlicher Partizipation ausgeschlossen. Denkt man Curran weiter, wird Reproduktionsarbeit im öffentlichen Raum der gentrifizierten Stadt zwar möglich, jedoch nur, wenn sie in den kapitalistischen Warenkreislauf eingebunden werden kann.

Erziehung in der gentrifizierten Stadt

Einen besonderen Fokus richtet Curran auf neoliberale Ideale von Mutterschaft. Mutterschaft unter diesen Vorzeichen bedeute ein intensives finanzielles, aber auch emotionales Investment. Dieses Investment sei gerade für die neue Mittelklasse notwendig, um symbolisches Kapitel zu akquirieren. In einem Zitat einer Mutter aus einer gentrifizierten Nachbarschaft in Brooklyn (USA) wird dieser Zusammenhang deutlich: „If you love your child enough to pay for lessons, other neighborhood residents consider you a ‚good mother‘“ (S. 52). Auf der Suche nach Möglichkeiten, die Lebenschancen der eigenen Kinder zu verbessern, wird sich dazu entschieden, das Kind in eine Privatschule zu schicken, eine Option, die sich jedoch nicht alle leisten können. Curran zeigt, dass über die Schulwahl Gentrifizierer_innen ihren sozialen Status reproduzieren und gleichzeitig ihre soziale Identität als Teil der Mittelklasse herstellen (vgl. S. 54). Mit der Schulwahl verschränken sich Gentrifizierung und neoliberale Mutterschaftsideale, da Schulen, so Curran, oftmals die letzte Grenze für die vollständige Gentrifizierung einer Nachbarschaft darstellen. Die Privatisierung oder Reformierung von Schulen komme meist als letzter Schritt, nach Veränderungen im Wohnungsmarkt, neuen Cafés, stärkerer Polizeipräsenz und angezogenen Mietpreisen. Mit der Gentrifizierung von Schulen würden bestimmte Eltern im Viertel gehalten und andere verdrängt, ein Prozess, der sich auch darin zeige, dass die Kosten für ein Haus in einem Viertel mit einer gentrifizierten Schule um 15 bis 19 Prozent steigen (vgl. S. 54). Durch das Abmelden der weißen Mittelschichtskinder unter Druck gesetzt, leiden die öffentlichen Schulen schließlich auch daran, dass die Kinder, deren Eltern auf Grund gestiegener Mietpreise schon aus der Nachbarschaft verdrängt wurden, fehlen. So bleibe ihnen oft nur die Wahl zwischen Privatisierung, Reformierung durch verschärfte Zulassungsbedingungen oder Schließung. Damit gehen den Nachbarschaften, und das kritisiert Curran scharf, auch noch die letzten öffentlichen „open enrollment schools“ (S. 59) verloren. Es fehle also an Schulen, die alle Schüler_innen aus der unmittelbaren Nachbarschaft, unabhängig von Einkommen der Eltern oder Ethnizität, zulassen (vgl. S. 58).

Die Autorin nimmt in ihrer Diskussion rund um „Parental Choice“ (S. 55) eine stark US-amerikanische Betrachtungsweise ein. Ihre Ausführungen lassen sich jedoch als Hinweis verstehen, den Zusammenhang von Erziehung, Doing Class und Gentrifizierung generell genauer in den Blick zu nehmen. Geprüft werden muss empirisch, ob sich Currans Interpretation auch zur Erklärung von Gentrifizierungsphänomenen im deutschsprachigen Raum eignet. Die Entwicklungen um die Mitte der 2000er medial und politisch stark problematisierte Berliner Rütli Schule lassen das vermuten. Ihre jetzige Reformierung zum Campus Rütli wurde schon in der Planungsphase mit einer gewünschten Quartiersaufwertung verknüpft (vgl. Heinrich 2018). Gegenwärtig kommt es in Neukölln tatsächlich zu einer verschärften Gentrifizierung.

Gender in der gentrifizierten Stadt

Curran hat mit Gender and Gentrification ein Buch geschrieben, das den Zusammenhang von Gender und Gentrifizierung kompakt und einführend behandelt, wobei sie einen Schwerpunkt auf das Themenfeld Reproduktion setzt. Zum Zusammenhang von Raum und Reproduktion trägt sie eine ganze Reihe aussagekräftiger und aktueller empirischer Beispiele zusammen. Deutlich wird, dass die Trennung von Produktions- und Reproduktionsarbeit tief in räumliche Strukturen der gentrifizierten Stadt eingeschrieben ist. Die Autorin zeigt auf, wie Gentrifizierungsprozesse die Sphärentrennung nicht nur reproduzieren, sondern die Bedingungen für Reproduktionsarbeit noch verschärfen. Diese werde nicht nur isolierter, sondern auch arbeitsaufwendiger und prekärer (vgl. S. 64). Neben Reproduktion berührt Curran mit ihrer Geschlechterperspektive auf den Gegenstand Gentrifizierung auch eine Vielzahl weiterer Themen, im Besonderen sind hier Gewaltverhältnisse und Sexualitäten zu nennen. Sie arbeitet heraus, dass Frauen keinesfalls für Gentrifizierung verantwortlich gemacht werden dürfen und auch, wie noch zu Beginn der Gentrifizierungsdebatte gehofft, keineswegs zu den Gewinnerinnen von Gentrifizierung zählen. Ganz im Gegenteil: Gender werde z.B. in der Instrumentalisierung von Angstraum-Diskussionen oder dem Bild eines vermeintlich feminisierten öffentlichen Raums genutzt, um Räume für Gentrifizierungsprozesse in Besitz zu nehmen und Verdrängung zu legitimieren. Gleichzeitig verstärken Gentrifizierungsprozesse und deren Effekte die alltäglichen Herausforderungen für Frauen und alle, die sich jenseits der heteronormativen Matrix verorten.

Fazit

Mit ihren Ausführungen löst Curran in meinen Augen das Ziel ihres Buchs ein: „to daylight the […] effects of gentrification on the social construction of gender“ (S. 2). Es ist ein geeignetes Buch für Stadt- und Humangeograph_innen, denen eine feministisch-intersektionale Perspektive auf Gentrifizierung bisher unbekannt ist. Geeignet ist es zudem für Forscher_innen außerhalb der Geographie, die sich in ihrer Arbeit mit Gender und seiner Verschränkung mit Race und Class beschäftigen und sich durch die stadtgeographische Perspektive inspirieren lassen wollen.

Das Buch besticht durch den klaren Schreibstil der Autorin. Dieser erleichtert die Lektüre auch für Nichtmuttersprachler_innen. Hervorzuheben ist auch der logische Aufbau des Buches. Die Leser_innen werden von Kapitel zu Kapitel tiefer in die Thematik geführt. Hilfreich ist dabei, dass Curran jedes Kapitel mit einer Conclusion abschließt und dort die wichtigsten Thesen des Kapitels diskutiert. Dank des Stils, des einführenden inhaltlichen Charakters und der empirischen Beispiele finden auch Einsteiger_innen und Aktivist_innen einen Zugang in das Themenfeld. Für Aktivist_innen lohnt sich die Lektüre im Besonderen wegen der vielfältigen Beispiele erfolgreicher Proteste gegenüber Gentrifizierungsprozessen und wegen Currans Überlegungen zu queeren und intersektionalen Allianzen und Bündnispolitiken (vgl. S. 91).

Zu kritisieren ist, dass der einführende Charakter des Buches mit verkürzten Darstellungen theoretischer Diskussionen einhergeht. Das wird beispielsweise in der Verwendung des Begriffs Reproduction sichtbar. ‚Reproduktion‘ stellt bei Curran zwar eine zentrale Kategorie zum Verständnis der Folgen von Gentrifizierung dar, den Begriff kontextualisiert sie jedoch nicht weiter theoretisch. Das führt dazu, dass die Frage nach dem räumlichen Ordnungsmoment Öffentlichkeit/Privatheit, das für die Trennung von Produktions- und Reproduktionsarbeit zentral ist, nur kurz angerissen, ansonsten aber von der Interpretation ausgespart wird. Auch ihre Überlegungen zu möglichen Widerstandspraxen gegen Gentrifizierungsprozesse leiden an der fehlenden theoretischen Anbindung. Als Bedingung für funktionierende Widerstandspraxen diskutiert sie politische Handlungsräume jenseits fester Identitätskategorien (vgl. S. 91) und auf Grundlage einer veränderten Vision von gegenseitiger Sorgeverantwortung (vgl. S. 97). Diese Überlegungen, die Curran zum Ende ihres Buches aufwirft, erscheinen stark kursorisch. So deuten sich zwar innovative Gedanken zu Widerstandspraxen an, werden jedoch nicht vertieft.

Die theoretischen Schwächen des Buches werden durch die vielfältigen Fallbespiele ausgeglichen, mit denen Curran ihre Argumentation überzeugend illustriert. Hervorzuheben ist die Rezeption internationaler Fallstudien beispielsweise zu Gentrifizierungsprozessen in Seoul, Rotterdam, Dublin und Toronto, durch die die Globalität vieler Gentrifizierungsphänomene deutlich wird. Mit den Beispielen kann die Autorin jedoch auch aufzeigen, dass sich Gentrifzierung, ihre Effekte und auch Möglichkeiten des Widerstands lokal unterscheiden können: „Place matters, and local policy matters enormously“(S. 7). Die internationalen Beispiele ergänzen den ansonsten deutlichen US-amerikanischen Fokus des Buches. Die US-amerikanischen Beispiele, beispielsweise zu Schulprivatisierung, zu kontextualisieren und mit lokalen Entwicklungen zu vergleichen, bleibt den Leser_innen selbst überlassen. Dies ist jedoch nur ein kleines Manko des Buchs. Denn gerade Currans eigene empirischen Beobachtungen aus Chicago und New York, den Orten, an denen sie sich selbst als Geographin, Aktivistin und Mutter verortet, haben eine besondere Qualität. Ihre Verwurzelung mit den Orten und Räumen, über die sie schreibt, ist spürbar – in der Tiefe der Analyse, dem Einbezug vielfältiger Perspektiven und dem Nachdruck, mit dem sie auf lokale Ungerechtigkeit hinweist.

Literatur

Aulenbacher, Brigitte/Dammayr, Maria (Hg.). (2014). Für sich und andere sorgen. Krise und Zukunft von Care in der modernen Gesellschaft. Weinheim, Basel: Beltz Juventa.

Aulenbacher, Brigitte/Riegraf, Birgit/Theobald, Hildegard (Hg.). (2014). Sorge: Arbeit, Verhältnisse, Regime – Care: Work, Relations, Regimes. Baden-Baden: Nomos.

Bondi, Liz. (1999). Gender, Class and Gentrification: Enriching the Debate. (S. 261–282). Environment and Planning D: Society and Space, 17 (3).

Caulfield, Jon. (1989). ‚Gentrification‘ and Desire. (S. 617–632). Canadian Review of Sociology, 26 (4).

Heinrich, Anna Juliane. (2018). Die sozialräumliche Bildungslandschaft Campus Rütli in Berlin-Neukölln. Begründungen und Bedeutungen aus der Perspektive gestaltender Akteure. Wiesbaden: Springer VS.

Höhne, Stefan/Schuster, Nina. (2017). Stadt der Reproduktion. Einführung in den Themenschwerpunkt. (S. 9–22). Sub/urban. Zeitschrift für Kritische Stadtforschung, 5 (3).

Markusen, Ann. (1981). City Spatial Structure, Women’s Household Work, and National Urban Policy. In Catherine Stimpson/Elsa Dixler/Martha J. Nelson/Kathryn B. Yatrakis (Hg.). Women and the American City. (S. 20–41). Chicago: University of Chicago Press.

McDowell, Linda. (2014). The Lives of Others: Body Work, the Production of Difference, and Labor Geographies. (S. 1–23). Economic Geography, 91 (1).

Rose, Damaris. (1984). Rethinking Gentrification: Beyond the Uneven Development of Marxist Urban Theory. (S. 47–74). Environment and Planning D: Society and Space, 2 (1).

Sebastian Grieser

Universität Bielefeld

Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Soziologie, Arbeitsbereich Geschlechtersoziologie

Homepage: http://ekvv.uni-bielefeld.de/pers_publ/publ/PersonDetail.jsp?personId=62873702

E-Mail: sebastian.grieser@uni-bielefeld.de

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