Neue Studie über Paarbeziehungen

Rezension von Johanna Bossinade

Annegret Heitmann, Sigrid Nieberle, Barbara Schaff, Sabine Schülting (Hg.):

Bi-Textualität.Inszenierungen des Paares.

Ein Buch für Ina Schabert.

Berlin: Erich Schmidt 2001.

418 Seiten, ISBN 3–503–04991–6, € 39,80

Abstract: Die Aufsatzsammlung handelt von realen oder fiktiven Partnerschaften. Sie spannt den Bogen von der späten Antike bis zu der Kunst- und Wissensproduktion der Gegenwart. Untersucht werden Beziehungsweisen und Ansätze zu ihrer Kontinuierung oder Umgestaltung.

Ein erweitertes Forschungsfeld

Es passt zu dem strukturellen Doppelgesicht dieses Bandes, dass er nicht nur eine, sondern zwei Einleitungen aufweist. Die Herausgeberinnen führen zunächst in die Frage der literarischen Paarbildung ein, für die Bram Stokers Dracula-Roman das erste Exempel gibt: Das gemeinsame Schreibprojekt von Mina und Jonathan soll über Draculas ausbeuterischen Vampirismus triumphieren. Danach stellt Hadumod Bußmann das Buch als Dank- und Ehrengabe, als „Femmage“ (S. 21) für die Münchener Anglistik-Professorin Ina Schabert vor. Deren Werk Englische Literaturgeschichte aus der Sicht der Geschlechterforschung (1997) ist das Motiv des „schreibenden Paars“ entliehen.

Bei einem so komplexen und dabei ausschnittweise behandelten Motiv kann es kaum anders sein: Eine verbindliche oder auch nur schärfer umgrenzte literatur- oder geschlechtertheoretische Perspektive fehlt. An dem Punkt werden Spezialstudien Abhilfe schaffen müssen. Dass solche Studien kommen werden, scheint gewiss, denn nach der langjährigen Konzentration auf die Geschlechterpositionen je für sich zeichnet sich mit der Figur des Paares ein erweitertes Forschungsfeld ab.[1] Mit Bezug darauf kann die vorliegende Textsammlung zwar nicht neue Befunde, wohl aber Teileinsichten, Anregungen und Fragen vermitteln. Grundsätzlich hat das erweiterte Feld den Vorteil, dass der erhoffte kritische Gewinn aus den vorhergehenden Betrachtungen konkreter geprüft werden kann. Hält das Bild des Paares den Autonomieansprüchen der beteiligten Partner stand? Wie sind etwaige Kompromisse legitimiert? Zeigt sich ein Wandel der Ästhetik? Wie verhalten sich die inszenierten Bilder zu Theorien der Psychosexualität, denen nachgesagt werden kann, dass die Figur des Paars darin fehlt, weil sich die frühkindliche Verkennung der Geschlechterdifferenz auf der Beschreibungsebene fortsetzt?[2] Fragen dieser Art können die Lektüre der Paardarstellungen begleiten.

„Bi-Textualität“

Ob dem Titelwort der Textsammlung, „Bi-Textualität“, ein Kunstwort mit gewollten Anklängen zu „Bisexualität“ und „Intertextualität“, ein langes Leben beschieden sein wird, bleibt abzuwarten. Den Herausgeberinnen geht es jedenfalls um das künstlerisch-intellektuelle Paar, womit ausdrücklich nicht nur das empirische Paar gemeint ist, dem freilich die Mehrzahl der Beiträge gewidmet ist. Der Topos der doppelten Autorschaft klingt mit an, in dem das in den 1990er Jahren neu erwachte[3] und seither auch beherzter auf Autorinnen ausgedehnte[4] Interesse für die Frage der Autorschaft zum Ausdruck kommt.

In vier Kapiteln werden die Beziehungsformen Korrespondenz, Konkurrenz, Mehrfachbeziehung und Intratextualität, d.h. werkimmante Figuren, vorgestellt. Im ganzen sind es 26 selbständige Beiträge, von denen einige auf englisch verfasst und einige weitere durch Abbildungen unterlegt sind. Das thematische Spektrum umfasst epische und lyrische Werke aus der russischen, französischen, englischen, amerikanischen und deutschen Literatur, daneben gibt es jeweils einen Aufsatz zu griechisch-römischer antiker Briefliteratur, zum Minnesang und zum Übersetzen, zwei Arbeiten berühren den Film, und außer den mann-weiblichen Beziehungen werden weib-weib- und mann-männliche Paarmuster verhandelt. Die Abwesenheit des Genres ‚Bühnendrama‘ mag zufällig sein, könnte jedoch auch gattungs- und gesellschaftsgeschichtliche Gründe haben. Neben den im strengeren Sinn wissenschaftlichen Aufsätzen stehen relativ anspruchslose Beiträge wie eine Darstellung der Rezeption Hölderlins in Film und Literatur oder eine Skizze des ehelichen Arrangements zwischen Vita Sackville-West und Harold Nicolson. Eine Reihe persönlich getönter Essays verleiht dem Buch den Charakter und zuweilen auch den Charme der Freundes- und Kollegengabe. Das Autorenpaar Peter Roos und Friederike Hassauer zum Beispiel legt per Rollenspiel in 14 Teilabschnitten das „Mirakel des Zusammen-Schreibens“ (S. 104) dar.

Wodurch ist „Bi-Textualität“ im einzelnen ausgewiesen? Vielfältig soll sie sein und reflektiert, was natürlich nie falsch ist, außerdem soll sie eine Veränderung der Machtverhältnisse bezeugen, insofern der Dominanzanspruch des männlichen Autors prekär geworden sei; und endlich eröffnet sie den Zugang zu spezifischen Paarkonfigurationen wie Symbiose oder Dreiecksbeziehung. Das Phänomen der Intertextualität wird unter kommunikativem Aspekt gedacht, und die „Instabilität der Geschlechtsidentität“ (S.17) soll die Betrachtung leiten. In einem radikalen Sinn „instabil“ mutet freilich längst nicht jedes der behandelten Werke an. Andererseits ist es auch nicht so, dass der weibliche Teil des Paars wie im Dracula-Roman immer die Aufzeichnungen anderer abtippen und sich das Blut aussaugen lassen müsste (vgl. S.14). Extrem leidenschaftliche Beziehungen sind so weit ich sehe nicht vertreten. Eine direktere weibliche Sexualsymbolik kommt nur in dem Beitrag „Männliche Stimme – weibliche Stimme in Neidharts Sommerliedern“ von Jan-Dirk Müller vor, und es wäre zu wünschen, dass diese Linie weiter verfolgt wird. Sie stellt eine besondere Herausforderung an den Wahrnehmungscode der Untersuchenden dar. Im Bildsystem der ‚kulturellen Neuzeit‘ wird die weibliche Sexualität anscheinend mit starken Negativierungen belegt, weil sie einen zentralen Aspekt der Sexualität überhaupt symbolisiert, nämlich ihr ungreifbar insistentes Beharren. Der semantische Zusammenhang von „Paar“ und „Paarung“ beschwört generell Phantasien über Zeugung, Geburt und Kreativität herauf, die im Zentrum moderner Kunstauffassungen stehen.

Veränderte Rollenmuster. Zwei Beispiele.

Ich hebe aus der Fülle des Angebots zwei Beiträge heraus, denen sich eine bedingte Veränderung überkommener Rollenmuster entnehmen lässt. Das betrifft zuerst den Aufsatz „Differenz der Geschlechter oder der Poetik? Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking“ von Renate von Heydebrand. Droste-Hülshoff ist eine Autorin, die trotz ihres kühnen Werks und ihres kanonischen Rangs lange Zeit im Dunkel des wissenschaftlichen Interesses verblieb, aus dem sie seit ein, zwei Jahrzehnten dank neuer Interpretationen wieder hervorzutreten beginnt.[5] Von Heydebrand wählt einen lebens- und poetikgeschichtlichen Zugang und belichtet Drostes Beziehung zu dem Schriftsteller, Kritiker und langjährigen Freund Levin Schücking. Das historische Klischee der Geschlechtscharaktere ist hier, so die Verfasserin, in das reale Verhältnis von männlicher Muse und weiblichem Dichter verkehrt, und zwar zum Nutzen beider, insbesondere aber des weiblichen Teils. Die materialreiche Studie akzentuiert das Bild der Droste als eines einsamen und isolierten Fräuleins in das einer intensiv arbeitenden, durch Freundschaften gestützten und sich ihres künstlerischen Werts klar bewussten Dichterin um.

Das zweite Beispiel ist eine Werklektüre: „Gendering Curiosity. The Double Games of Siri Hustvedt, Paul Auster and Sophie Calle“ von Elisabeth Bronfen. In den Werken des us-amerikanischen Autorenpaars Hustvedt und Auster und der französischen Konzeptkünstlerin Calle zeichnet sich eine Figur ab, die Bronfen anhand des „Pandora“-Mythos deutet, den sie seinerseits mit Hilfe der Filmtheoretikern Laura Mulvey erschließt. Ihre Analyse läuft auf den Befund hinaus, dass Calle den fetischistischen Blick, als die Weigerung, die geschlechtliche Differenz der Frau zu sehen, durch eine selbstbezügliche Haltung konterkariere. Calle stelle sich der Angst vor den Unwägbarkeiten des Daseins, indem sie gleichsam aus dem Innern der Pandora-Figur heraus auf deren verunsichernde Wirkung blicke. Damit ist ein Abstand zu destruktiven und selbstdestruktiven Bindungen gewonnen, der die Lesenden dieser Studie und der Textsammlung im ganzen zu weiteren Fragen anregen kann. Denn vielleicht müsste ja die Frau, um in ihrem Selbstbezug nicht zu erstarren, den Blick nun auch einmal nach außen, auf die geschlechtliche Differenz des Mannes richten. Die Droste, um abschließend noch einmal sie zu nennen, hat in ihren Gedichten immerhin bereits auf ein Spiegel-Ich, auf befreundete Frauen und auf ein männliches Gegenüber zu blicken gewagt.

Anmerkungen

[1]: Siehe als Beispiel: Gerda Marko: Schreibende Paare. Liebe, Freundschaft, Konkurrenz. Zürich/Düsseldorf 1995.

[2]: Siehe die Analyse von Elke Roevekamp: Das Paar existiert nicht – Konstruktionen des Geschlechterverhältnisses bei Freud. Berlin 1994. (Forum ‚Berliner Wissenschaftlerinnen stellen sich vor‘; 29)

[3]: Vgl. etwa die Sammlung: Texte zur Theorie der Autorschaft. Herausgegeben und kommentiert von Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko. Stuttgart 2000.

[4]: Ich nenne als Beispiel Elke Brüns: Außenstehend, ungelenk, kopfüber, weiblich. Psychosexuelle Autorpositionen bei Marlen Haushofer, Marieluise Fleißer und Ingeborg Bachmann. Stuttgart/Weimar 1998.

[5]: Eine neuere Interpretation legt etwa Peter von Matt vor: Das doppelte Gesicht der Annette von Droste-Hülshoff. Über das Gedicht ‚Die Schwester‘. In: Ders.: Die verdächtige Pracht. Über Dichter und Gedichte. München/Wien 1998, S.213–245.

URN urn:nbn:de:0114-qn032023

Prof.Dr.Johanna Bossinade

Freie Universität Berlin

E-Mail: bossinade@germanistik.fu-berlin.de

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