Prekarität und Gleichstellung intersektional denken

Rezension von Heike Mauer

Mike Laufenberg, Martina Erlemann, Maria Norkus, Grit Petschick (Hg.):

Prekäre Gleichstellung.

Geschlechtergerechtigkeit, soziale Ungleichheit und unsichere Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft.

Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2018.

307 Seiten, ISBN 978-3-658-11630-9, € 24,99

Abstract: Umfassend werden hier das Verhältnis von prekären Arbeitsverhältnissen und Diskriminierungs- und Ungleichheitsstrukturen in der Wissenschaft sowie Gleichstellungspolitiken in den Blick genommen. Die Autor_innen plädieren dafür, die Ökonomisierung von Bildung, die Herausbildung der unternehmerischen Hochschule sowie die damit einhergehende Ausbreitung unsicherer Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft mit Prozessen der Gleichstellungsgovernance sowie der Transformation von Geschlechterverhältnissen und insbesondere von Rassismus an der Hochschule zusammenzudenken. In 12 Beiträgen werden diesbezügliche Ambivalenzen thematisiert und Interventionsmöglichkeiten, um Geschlechtergerechtigkeit, eine nicht-rassistische Hochschule und sichere Beschäftigungsverhältnisse zu verwirklichen, diskutiert.

DOI: https://doi.org/10.14766/1268

Im von Mike Laufenberg, Martina Erlemann, Maria Norkus und Grit Petschick herausgegebenen Sammelband Prekäre Gleichstellung. Geschlechtergerechtigkeit, soziale Ungleichheit und unsichere Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft geht es um die Frage, wie Gleichstellungsprozesse in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse mit anderen Dimensionen von sozialer Ungleichheit, insbesondere mit sozialer Herkunft und Rassismus, sowie mit Prekarisierungsprozessen an den Hochschulen zusammenhängen. Wenngleich die Frage nach der Verknüpfung zwischen der Gleichstellungsgovernance der Geschlechter und der Herausbildung der unternehmerischen Hochschule nicht ganz neu ist und jüngst wieder verstärkt Beachtung findet (Binner et al. 2013, Hark/Hofbauer 2018, Weber 2017), so unterstreicht der vorliegende Band nicht nur, dass sie an Aktualität nichts eingebüßt hat, es wird vielmehr deutlich, wie produktiv es ist, eine intersektional erweiterte Analyse von Geschlechterverhältnissen im Hochschulkontext vorzunehmen.

Der in zwei Teilen aufgebaute Band enthält in der ersten Sektion zunächst Beiträge, die aus unterschiedlichen Perspektiven von „Gleichstellung und Diskriminierungen“ handeln, während der zweite Teil „Prekarisierung und Ungleichheitslagen“ in den Blick nimmt: eine Unterteilung, die sich nicht immer als trennscharf erweist und der die folgende – thematisch gruppierte – Darstellung nicht folgt.

Im Mittelpunkt des Bandes steht die Zusammenführung von drei hochschulpolitischen Entwicklungen, die sich den Herausgeber_innen zufolge tiefgreifend auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Wissenschaftler_innen auswirken: „die fortschreitende Ökonomisierung von Hochschulen […] sowie damit einhergehende Verschiebungen in der Governance von Wissenschaft“, die zugleich mit einer „Prekarisierung wissenschaftlicher Arbeitsverhältnisse und Laufbahnen“ sowie einer „verstärkte[n] Institutionalisierung von Gleichstellungspolitiken“ verbunden sind (S. 1). Indem dezidiert „unsichere Arbeitsverhältnisse“ und Prekarität in den Fokus gerückt werden, werden zudem strukturelle Dimensionen des Wandels der Hochschulen beleuchtet, denen die bisherige Forschung zu Hochschulgovernance und Gleichstellung bislang wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat. Ebenso hervorzuheben ist, dass der Band den Blick auch explizit auf die Notwendigkeit von Rassismuskritik an den Hochschulen sowie auf intersektionale Ungleichheiten lenkt, die zu besonderen Formen der Prekarisierung führen.

Prekarisierung

Mike Laufenberg untersucht in seinem Beitrag „‚Feminisierung‘ der Wissenschaft? Affektive Arbeit, Geschlecht und Prekarität in wissenschaftlichen Arbeitsgruppen“ am Beispiel einer Physik-Arbeitsgruppe, inwiefern es auch an den Hochschulen zu einer ‚Feminisierung‘ von Arbeit kommt – verstanden als eine Zunahme weiblicher Beschäftigung bei gleichzeitiger Prekarisierung aller Beschäftigungsverhältnisse sowie einer verstärkten Inwertsetzung von affektiven Tätigkeiten. Obwohl die Wissenschaft ein sozial exklusiver Raum und kein Spiegelbild der Gesellschaft ist, kann auch in der Physik eine Erhöhung des Frauenanteils unter den Wissenschaftler_innen ebenso beobachtet werden wie die verstärkte Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen, die jedoch nicht alle Beschäftigten unterhalb einer entfristeten Professur gleichermaßen trifft, sondern u.a. durch Geschlechter- und Klassenverhältnisse sowie rassistische Strukturen bestimmte Personengruppen besonders vulnerabel positioniert. Zugleich konstatiert Laufenberg für die von ihm untersuchten Physikarbeitsgruppen einen Bedeutungszuwachs affektiver, als ‚weiblich‘ konnotierter Arbeit, die sich u.a. durch eine Präferenz für geschlechterheterogen zusammengesetzte Arbeitsgruppen ausdrückt, indem unterstellt wird, dass die Beteiligung von Frauen* zu einem kooperativeren und produktiveren Zusammenarbeiten sowie zu einer konstruktiveren Kommunikation innerhalb der Gruppe führt. Hierbei werde allerdings der ‚Arbeitscharakter‘ solcher affektiven Tätigkeiten unsichtbar gemacht, indem er „zu einem Persönlichkeitsmerkmal von Frauen erklärt wird“ (S. 294). Für diesen Bedeutungszuwachs affektiver Arbeit in der Physik sei einerseits die hohe Komplexität und arbeitsteilige Vorgehensweise in immer größer werdenden Forschungsverbünden verantwortlich, andererseits eine zunehmende Entgrenzung von Arbeitszeit und -raum, die die Grenzen zwischen ‚Arbeiten‘ und ‚Privatleben‘ zunehmend brüchig werden lässt. Beide Prozesse sind zugleich durch Widersprüche gekennzeichnet: Denn während Teamarbeit, Kooperationsfähigkeit und Solidarität von den Arbeitsgruppenmitgliedern gerade geschätzt werden, so sind es letztlich aber „[i]ndividuelle Karriereorientierung, Wettbewerbsverhalten und Konkurrenzdenken […], die durch die unternehmerische Hochschule im Rahmen individualisierter Karriereverläufe belohnt werden“ (S. 304).

Im Beitrag „Mit der Geduld am Ende? Die Prekarisierung der academic workforce in der unternehmerischen Universität“ von Klaus Dörre und Hans Rackwitz wird die Transformation der Hochschulen aus der Sicht der Beschäftigten beleuchtet – ohne dass allerdings besonders auf die Geschlechterverhältnisse oder andere soziale Ungleichheiten fokussiert würde. Hierbei erfährt neben dem ‚akademischen Mittelbau‘, der mit einer immensen Zunahme von Befristungen und oftmals auch Teilzeitstellen zu kämpfen hat, auch die Gruppe der ‚studentischen Mitarbeiter_innen‘ Aufmerksamkeit, deren Arbeitsverhältnisse sich einerseits durch hohe Flexibilitätsanforderungen und kurze Befristungen auszeichnen, sich jedoch andererseits einer großen Beliebtheit erfreuen und eher selten zu Unzufriedenheit bei den Beschäftigten führen. Interessanterweise konstatieren Dörre und Rackwitz, dass gewerkschaftlicher Organisierung und partizipatorischer Mitbestimmung vor allem die ‚traditionellen‘ Prinzipien der akademischen Selbstverwaltung und Kollegialität entgegenstehen, die derzeit auch durch neue Formen der Selbstorganisation für gute Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft herausgefordert werden.

Hochschulgovernance und Gleichstellung

Der Beitrag „Prekäre Gleichstellungspolitiken in der unternehmerischen Universität im europäischen Vergleich“ von Kristina Binner und Lena Weber schließt unmittelbar an die Debatte um eine gewandelte Hochschulgovernance an. Hierzu ziehen die Autorinnen Fallbeispiele aus Großbritannien, Schweden, Deutschland und Österreich heran und kommen zu dem Ergebnis, dass „Ökonomisierungstendenzen in der Wissenschaft Chancen und Risiken für die Gleichstellungspolitik bereithalten“, die maßgeblich durch die „politisch-kulturelle Gesamtkonstellation“ und insbesondere durch das wohlfahrtsstaatliche Regime beeinflusst sind (S. 44).

Martina Erlemann nimmt in ihrem Beitrag „Frauenförderung versus ‚Gerechtigkeit‘? Verhandlungen von Gleichstellungspolitik in außeruniversitären Forschungseinrichtungen“ eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung in den Blick und problematisiert am Beispiel einer naturwissenschaftlichen Disziplin (Physik), wie in Arbeitsgruppen die Implementierung von Gleichstellungspraktiken verhandelt werden. Als problematisch für die Legitimität von Gleichstellungsmaßnahmen erweise es sich insbesondere, wenn das Ziel einer stärkeren Beteiligung von Wissenschaftlerinnen primär ökonomisch begründet sei und normative Argumente der Geschlechtergerechtigkeit fehlten. An dieser Stelle setzt der Beitrag „Prekäre Partizipation“ von Maria Norkus an, die die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse an der Hochschule in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext stellt. Mit Bezug auf die Hochschule argumentiert sie, dass gerade über die partielle Öffnung der Hochschule, insbesondere für Frauen, aber auch allgemein für Menschen, die dort bislang kaum repräsentiert waren, die prekären Bedingungen, unter denen sich diese Öffnung vollzieht, verdeckt werden: Zwar seien an den Universitäten tatsächlich mehr Qualifizierungsstellen entstanden, allerdings unter problematischen Voraussetzungen. Norkus konstatiert eine Verschärfung „klassenbasierte[r] Ungleichheiten“, mit der „auch geschlechtsspezifische Ungleichheiten wieder zunehmen“ können. Derzeit sei unklar, ob etwa Frauen an den Hochschulen tatsächlich „strukturelle Barrieren überwinden“ könnten oder ihre Integration in das Wissenschaftssystem weiterhin prekär bleibe (S. 234).

Diese Frage ist auch Inhalt zweier weiterer Beiträge, in denen es um die Thematik der Exzellenz in der Wissenschaft geht: Sandra Beaufaÿs untersucht in „Professorinnen in der Exzellenzinitiative – Ungleichheit auf hohem Niveau?“ die Beteiligung von Professorinnen auf der Führungsebene in Exzellenzeinrichtungen und arbeitet anhand qualitativer Interviews die Geschlechterdifferenzen heraus, die auf dieser Führungsebene produktiv gemacht werden. Exzellenten Wissenschaftlerinnen werde ihr zufolge weiterhin ein prekärer Status mit weniger symbolischem Kapital zugewiesen. Dies zeige sich unter anderem daran, dass Professorinnen in den Exzellenzclustern eine spezifische Funktion wie beispielsweise Nachwuchsförderung erfüllen sollen, die jedoch mit wenig akademischem Prestige ausgestattet sei. Die Argumentation, die Birgit Riegraf in ihrem Beitrag „Zwischen Exzellenz und Prekarität. Über den Wettbewerb und die bedingte Öffnung der Universitäten für Wissenschaftlerinnen“ zum Verhältnis von Exzellenz und Prekarität entwickelt, steht diesem eher ernüchternden Befund in Bezug auf den Status von Wissenschaftlerinnen in einer Spitzenposition tendenziell entgegen. Die Autorin argumentiert, dass es im Zuge der Ökonomisierung der Hochschulen zu einer bedingten Öffnung der Hochschulen für Frauen gekommen sei, die zu einer Ausdifferenzierung der Chancenverteilung geführt habe, von der gerade „hoch qualifizierte[] und bereits mit Reputation ausgestattete[] Professorinnen vor allem in den Natur-, Technik- und Ingenieurwissenschaften“ profitieren könnten (S. 252), während sich die Erfolgschancen von Wissenschaftlerinnen auf dem Weg zur Professur – nicht zuletzt durch vergeschlechtlichte Auswirkungen der zunehmenden Prekarisierung des Mittelbaus – verschlechterten.

Solche ‚Differenzen zwischen Wissenschaftlerinnen‘ macht auch der Beitrag „Prekäre Wissenschaftskarrieren und die Illusion der Chancengleichheit“ sichtbar, in dem Christina Möller sich mit der sozialen Herkunft der auf Professuren berufenen Wissenschaftler_innen auseinandersetzt. Hier sei im Zuge der Ökonomisierung der Hochschulen eine zunehmende soziale Schließung zu beobachten, die bei Professorinnen – und insbesondere bei den Juniorprofessorinnen und im Gegensatz zu ihren männlichen Pendants – sehr stark ausgeprägt sei. In der Konsequenz führe dies zu einer deutlichen Benachteiligung von Wissenschaftlerinnen aus nichtakademischen Elternhäusern. Ebenso zeige sich, dass Professor_innen mit ausländischem Geburtsort ebenfalls überdurchschnittlich oft einer höheren sozialen Schicht angehören und ein sozialer Aufstieg – unabhängig vom Geschlecht – besonders selten gelingt. Weiteren Forschungsbedarf sieht Möller bei der Frage nach möglichen Zusammenhängen zwischen diesen Prozessen der sozialen Schließung und der veränderten Hochschulgovernance.

Rassismuskritik

Vanessa Eileen Thompson und Alexander Vorbrugg diskutieren im Beitrag „Rassismuskritik an der Hochschule: Mit oder trotz Diversity-Policies?“ den Nutzen von Diversity-Policies an den Hochschulen angesichts des auch dort weit verbreiteten strukturellen Rassismus. Hierzu skizzieren sie zunächst einen internationalen Kontext antirassistischer Kritik und Forderungen nach einer umfassenden Dekolonialisierung der Hochschulen, die sich etwa in Großbritannien unter den Slogans „Why isn’t my Professor Black?“ und „Why is my curriculum white?“ formierte, während sich in Südafrika die Kampagne #Rhodesmustfall am Fortbestehen kolonialer Symboliken aus der Zeit der Apartheid entzündete und sich dort wie auch in den Niederlanden zu einer Kritik an rassistischen Ausschlüssen ebenso wie an der zunehmenden Ökonomisierung von Bildung fortentwickelte und teilweise auch weitere intersektionale Ungleichheitskategorien einbezog. Auch in Deutschland lasse sich seit den 2000er Jahren eine zunehmende studentische Selbstorganisation und eine Thematisierung von Rassismus im Hochschulkontext auf Tagungen beobachten. Zugleich stelle sich die Frage, „in welchem Verhältnis institutioneller Rassismus“ und die „zunehmende Implementierung und Institutionalisierung von Diversitätspolitiken an Hochschulen zueinander stehen“ (S. 83). Die Autor_innen begreifen Diversitätspolitiken dabei als widersprüchliche und ambivalente Arrangements, durch die Vielfalt als ökonomische Ressource gesehen wird und zugleich aus Differenzen resultierende Ungleichheiten im Sinne eines ‚Gleichheits‘- und Gerechtigkeitsdiskurses bearbeitet werden sollen. Hierbei drohe eine Unsichtbarmachung struktureller Ungleichheiten gegenüber der Stärkung eines individualisierten Verständnisses von (Anti-)Diskriminierung – zumal sich viele Diversitätspolicies als ‚nicht-performativ‘ erwiesen. Einer rhetorischen Modernisierung gleich entpuppten sie sich im konkreten Diskriminierungsfall als zahnlose Tiger. Um diesen negativen Tendenzen zu begegnen, schlagen die Autor_innen in Anlehnung an Spivak eine „affirmative Sabotage“ (S. 93) vor, die sich sowohl gegen die Inwertsetzung bestimmter Differenzen ausspricht als auch eine konsequente Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik einfordert, die auch die Strukturen und institutionellen Arrangements der Hochschule einbezieht.

Der Ausgangspunkt des Beitrags „Institutioneller Rassismus und Migrationskontrolle in der neoliberalen Universität am Beispiel der Frauen- und Geschlechterforschung“ von Encarnación Gutiérrez Rodríguez bildet deren prekäre Institutionalisierung innerhalb der unternehmerischen Hochschule: Mit einer Ökonomisierung von Wissenschaft gehe u.a. eine Fokussierung auf marktbasierte Lernformate sowie eine an internationalen Hochschulrankings orientierte Forschungsförderung einher. Die Gender Studies befinden sich demnach in einer ambivalenten Position: Einerseits können sie im Zuge der Institutionalisierung von Gleichstellungs- und Diversityprogrammen eine Aufwertung und institutionelle Verankerung erfahren. Andererseits sind auf Grund ihrer Interdisziplinarität die Zugänge zu entfristeten Stellen und gesicherten Strukturen beschränkt. Deshalb handele es sich bei ihrem Personal hauptsächlich um „feminisierte, rassifizierte, einheimische und internationale befristete Lehrende und Forschende auf der untersten Einkommensstufe“ (S. 105). Studien über Großbritannien und Deutschland zeigen zudem, dass trotz solcher Programme ein systematischer Zusammenhang zwischen Bildungsbenachteiligung und Rassismus kaum hergestellt wird und dass insbesondere Angehöriger sogenannter ‚Black and Minority Ethnic Groups‘ in Großbritannien an den Hochschulen unterrepräsentiert sind. Trotz einer schwierigen Datenlage und eines „moderaten Anstieg[s] von cis-Frauen auf Professuren“ ergebe sich für Deutschland ein ähnlicher Befund, wenn etwa das Kriterium ‚Migrationshintergrund‘ oder ‚Staatsbürgerschaft‘ herangezogen werde (S. 108). Insbesondere mehrfachdiskriminierte cis-Frauen (etwa wegen einer migrantischen Arbeiterklassenbiographie oder aufgrund von Rassismus gegen Schwarze Frauen) seien auf der Ebene der Professur unterrepräsentiert. In Bezug auf die Internationalisierung der Hochschulen wirken hierbei Staatsbürgerschaft und restriktive Migrations- und Grenzkontrollregime, die Studierenden aus bestimmten Ländern eine Einreise erschweren und etwa finanzielle Sicherheiten als Voraussetzung für die Visaerteilung festsetzen. Von ähnlichen Schwierigkeiten, ihre Anstellung oder Weiterbeschäftigung im wissenschaftlichen Mittelbau abzusichern, berichteten befragte Absolvent_innen. Insbesondere die Befristungen und die Abhängigkeit zwischen Arbeitsverhältnis und Aufenthaltsstatus führten dazu, die „Position als Akademikerinnen ins Wanken“ zu bringen (S. 116). Damit einher gehe eine rassistische Alltagspraxis, die befragte Forscher_innen etwa in Bezug auf eine unterstellte mangelnde Sprachkompetenz erleben, die an einem Akzent festgemacht wird und von der betroffenen Forscherin als ausschließend erlebt wird. Der Beitrag schließt mit Überlegungen für einen antirassistischen Umbau der Hochschule, der u.a. auf einer konkreten Förderung von Schwarzen/POC- und post-/migrantischen Akademiker_innen beruht und internationale Studierende und Wissenschaftler_innen bezüglich ihrer rechtlichen Situation unterstützt, aber ebenso auf einer Institutionalisierung transkulturellen Lernens sowie einer Stärkung und rekonfigurierten Einbeziehung der Frauen- und Geschlechterforschung bei der Implementation von Gleichstellungs- und Diversitätsprogrammen fußt.

In ihrem Beitrag „Nationalität und Geschlecht“ zeichnet Grit Petschick nach, welche Bedeutung Nationalität, Staatsbürgerschaft, Sprache und Geschlecht in von ihr beforschten Physik- und Chemiearbeitsgruppen haben. Ausgangspunkt für ihre Überlegungen ist die für den Verbleib in der Wissenschaft zunehmend für notwendig erachtete Mobilität (und Internationalität) in den Qualifizierungsphasen von Doktorat und Post-Doktorat, die auch bei den beforschten Wissenschaftler_innen als unerlässlich erachtet wird. Hierbei zeigt die Autorin auf, dass der Zugang zu Mobilität über die Kategorie Staatsbürgerschaft nicht nur international ungleich verteilt ist, sondern die Wissenschaftler_innen auch selbst anhand Herkunft und Geschlecht Hierarchisierungen zwischen den Gruppenmitgliedern herstellen. Ein wichtiges Kriterium von Abwertung stellt hierbei Sprachkompetenz dar.

Fazit

Ungleichheiten an der Hochschule basieren nicht allein auf den Geschlechter- und Klassenverhältnissen, sondern auch auf weiteren strukturellen Barrieren, die bislang in der geschlechterbezogenen Hochschulforschung nur eine marginale Beachtung gefunden haben. Insbesondere die Frage, wie Ungleichheitsverhältnisse in ihrer Intersektionalität bearbeitet werden können, ist im deutschsprachigen Kontext noch kaum thematisiert worden. Der vorliegende Sammelband leistet insofern Pionierarbeit, als er ein intersektionales Panorama auf Prekarität an der Hochschule entwirft und hier zugleich Makro- und Mikroperspektiven miteinander ins Gespräch bringt. Da die Frage nach Ungleichheit und Prekarität an der Hochschule ihre Aktualität so schnell nicht verlieren wird, weckt der Band Neugier darauf, solche intersektionalen Perspektiven weiterzuentwickeln: Insbesondere könnte in zukünftiger Forschung die Frage nach den Verwobenheiten der verschiedenen Formen von Ungleichheit – aber auch der verschiedenen Gleichstellungsfelder – vertieft werden, die in diesem Band keine Beachtung gefunden haben: etwa die Frage nach der Bedeutung der unterschiedlichen rechtlichen Verankerungsweisen von Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspraxen (z.B. im Hochschulrecht, im Antidiskriminierungsrecht, im Arbeitsrecht), aber auch die Frage nach weiteren Dimensionen von Ungleichheit, die im Hochschulkontext wirken und in Gleichstellungsarbeit intersektional einbezogen werden sollten – etwa Queerness und die Vervielfältigungen von Geschlecht (vgl. Mense/Sera/Vader 2019) oder die Inklusion von Menschen mit Behinderungen (vgl. Wroblewski 2017).

Literatur

Binner, Kristina/Kubicek, Bettina/Rozwandowicz, Anja/Weber, Lena. (2013). Die unternehmerische Hochschule aus der Perspektive der Geschlechterforschung: Zwischen Aufbruch und Beharrung. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Hark, Sabine/Hofbauer, Johanna. (2018). Vermessene Räume, gespannte Beziehungen: Unternehmerische Universitäten und Geschlechterdynamiken. Berlin: Suhrkamp Verlag.

Mense, Lisa/Sera, Stephanie/Vader, Sarah. (2019). Queering and Diversifying Gender in Equality Work at European Higher Education Institutions. (S. 78–91). GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 11 (1).

Weber, Lena. (2017). Die unternehmerische Universität: Chancen und Risiken für Gleichstellungspolitiken in Deutschland, Großbritannien und Schweden. Weinheim: Beltz Juventa.

Wroblewski, Angela. (2017). Von Geschlechtergleichstellung zu Diversity an österreichischen Universitäten – Weiterentwicklung etablierter Politiken oder Entwicklung neuer Politiken? In Andrea Löther/Birgit Riegraf (Hg.). Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung: Veränderte Governance und Geschlechterarrangements in der Wissenschaft. (S. 179–193). Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich.

Heike Mauer

Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW

Homepage: http://cives-school.academia.edu/HeikeMauer

E-Mail: heike.mauer@uni-due.de

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