Christian Klein:
Schreiben im Schatten. Homoerotische Literatur im Nationalsozialismus.
Hamburg: MännerschwarmSkript 2000.
192 Seiten, ISBN 3–928983–91–1, € 16,00
Abstract: Christian Kleins Untersuchung über homoerotische Literatur in der NS-Zeit zeigt, dass eine Reihe von Texten erscheinen konnte, deren homoerotischer Gehalt für den aufmerksamen Leser durch ein System von Andeutungen, Verlagerung des Geschehens in die Antike oder ins Soldatenmilieu recht eindeutig zu entschlüsseln war. Da es eine systematische Indizierung nicht gab, konnten im Schatten des Literaturbetriebes homoerotische Texte entstehen, die bislang von der Forschung nicht wahrgenommen wurden.
Mit homoerotischer Literatur, die während der Jahre 1933 bis 1945 in NS-Deutschland veröffentlicht wurde, hat sich Christian Klein literarischer Texte angenommen, die in mehrfacher Weise im Schatten standen. Entstanden in einer Zeit, die vom unbedingten Verfolgungswillen des Staates gegenüber homosexuellen Männern geprägt war, war es ebenso unmöglich, unverstellt homosexuelles Begehren in der Literatur darzustellen wie eine politisch oppositionelle Meinung öffentlich zu vertreten. Auch die Foren, in der solche Publikationen hätten veröffentlicht werden können, existierten nicht mehr. Bereits im Frühjahr 1933 wurden Homosexuellenlokale geschlossen, Zeitschriften durften nicht mehr erscheinen. Im Mai des Jahres wurde das Berliner Institut für Sexualwissenschaft zerstört. Mit der Ermordung Ernst Röhms im Sommer 1934 und der Verschärfung des § 175 im darauffolgenden Sommer machte die NS-Regierung deutlich, dass homosexuelle Männer zu ihren ausgemachten Feinden gehörten. Bekannte Verleger, wie der Herausgeber der Zeitschrift Der Eigene Adolf Brand, wurden von den Nationalsozialisten in den finanziellen Ruin getrieben. Homoerotische Literatur konnte vor diesem Hintergrund zweifellos allenfalls im Graubereich, im Halbdunkel, in der Camouflage oder in raunenden Andeutungen zwischen den Zeilen existieren.
Das Thema Homoerotik in der Literatur der NS-Zeit blieb aber wohl auch deshalb im Schatten, weil man sich hier als Forscher auf ein heikles Gebiet begab. Wird der nazistischen Kultur nicht bis heute immer wieder eine für das männerbündlerische Milieu typische und verräterische schwüle Homoerotik nachgesagt? Die Konstruktion des homosexuellen Nazis und die These, geprägt in den antifaschistische Kampagnen des Exils zu Beginn der dreißiger Jahre, (latente) Homosexualität sei einer der wesentlichen Triebkräfte des Nationalsozialismus, besaßen auch in den Nachkriegsjahren eine erstaunliche Langlebigkeit vor allem im linken Diskurs. Zu Recht sagt Gert Mattenklott deshalb in seiner Einleitung, es habe einige Zeit gebraucht, bis sich die Einsicht durchgesetzt habe, dass Homosexualität kein Motiv gewesen sei, um sich den Nazis anzuschließen, auch wenn es homosexuelle Nazis gegeben habe. Es habe offenbar wiederum geraume Zeit verstreichen müssen, bis Arbeiten wie die Christian Kleins entstehen konnten, die zeigen, dass die Nazis homosexuelles Leben nicht mit der gleichen Ausnahmslosigkeit zu vernichten entschlossen waren wie vor allem jüdisches. (S. 7)
Christian Klein kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass homoerotische Literatur zweifellos zur „schädlichen und unerwünschten Literatur“ gezählt wurde, insofern als sich entsprechende Werke auf den Verbotslisten befunden haben. Er habe jedoch keine Hinweise gefunden, bei denen die Thematisierung von Homoerotik explizit als Verbotsgrund angegeben worden sei. Ein zweifellos erstaunlicher Befund Kleins ist es, dass Autoren wie Frank Thiess, Erich Ebermeyer oder Hanns Heinz Ewers, deren Texte vor 1933 als homoerotisch galten, die entweder in einschlägigen Publikationen wie Der Eigene veröffentlicht wurden oder dort zumindest positiv besprochen worden waren, nicht per se mit Vorbehalten von Seiten der politischen Instanzen rechnen mussten. Manche Erzählungen, wie zum Beispiel „Die Pfeiferstube“ von Paul Alverdes, die in der Homosexuellen-Presse in der Weimarer Republik hoch gelobt worden waren, wurden vielmehr nach 1933 erneut aufgelegt und durchaus positiv besprochen.
Der aufmerksame Blick des jungen Germanisten fördert auch Erzählungen, Romane und Gedichte zu Tage, die in den Jahren 1933 bis 1945 erstmalig publiziert wurden, denen man als Leser/-in wohl häufig die literarische Qualität, aber nur selten das Prädikat „homoerotisch“ ganz absprechen will. Kenntnisreich zeigt Klein, wie durch ein System von Andeutungen und Verweisen, so z. B. auf Texte wie Thomas Manns Tod in Venedig, die in den Jahren der Weimarer Republik zu den „Homo-Klassikern“ gehörten, der verdeckt homoerotische Gehalt für den einschlägig interessierten Leser recht eindeutig zu erkennen war. Der Ort des Geschehens (Italien) die Verlagerung der Handlung – gerne in die Antike, in die Kindheit, ins Soldaten- oder Künstlermilieu – gaben den Autoren Raum, gefühlige und körperbezogene, aber letztlich doch entsexualisierte Jungen- oder Männerfreundschaften zu gestalten, ohne mit der Zensur in Konflikt zu geraten.
Eine systematische und forciert vorangetriebene Indizierung homoerotischer Schriften, so das wohl wichtigste Ergebnis dieser Studie, gab es in den Jahren 1933 bis 1945 nicht. Die staatlichen oder parteiamtlichen Stellen, die mit den Beurteilungen von Autoren und Texten befasst waren, gingen vielmehr erstaunlich unsystematisch und widersprüchlich vor, schienen in der Regel nicht zu wissen, ob ein Autor vor 1933 einschlägige Texte z. B. in Publikationen der Homosexuellenbewegung veröffentlicht hatte. Auch Autoren, die sich in der Weimarer Republik engagiert für die Belange Homosexueller eingesetzt und z.B. für die Abschaffung des § 175 gekämpft hatten, wurde in der NS-Zeit oft attestiert, es sei politisch nichts Nachteiliges über sie bekannt. Zuweilen führte erst eine Verurteilung nach § 175 dazu, dass ein Autor fortan nicht mehr publizieren durfte. Selbst wenn Bücher wie die von Erich Ebermayer teilweise indiziert wurden, konnte der Verfasser, so lange er nicht durch politisch nonkonformes Verhalten auffiel, weiterhin unbehelligt in Verlagen, Zeitschriften oder in der Filmindustrie arbeiten. Im Ergebnis konnten, wie Gert Mattenklott im Vorwort betont, Autoren, deren Haltung zum Nationalsozialismus „von kaum bemäntelte[m] Opportunismus und verdrücktem Mitläufertum bis zu camouflierte[m] Widerstand reichte, „Männerliebe (ohne offen praktizierte Sexualität)“ dann zum Thema machen, „wenn sie quasi verpuppt vorkam, zwischen Knaben und antikisierend sowie im Milieu von Soldaten, naturnahen Vaganten oder Künstlern“. (S. 7f)
Leider fehlt der Untersuchung von Christian Klein ein abschließendes Kapitel, in dem er seine Befunde noch einmal interpretiert. So bleibt es am Ende offen, wodurch das Schreiben im Schatten möglich wurde. War es eine Folge der Uninformiertheit und Unaufmerksamkeit der Behörden, der Konzessionsbereitschaft oder der für den NS-Staat typischen Zuständigkeitsanarchie? Da es zweifellos aber ebenso ausgeschlossen war, offen über gleichgeschlechtliche Freundschaft, Liebe und Sexualität zu schreiben, ist für das Gros der in den Jahren 1933 bis 1945 erschienenen homoerotischen Literatur eine wie Mattenklott schreibt, irgendwie „verschwiemelte Atmosphäre“ bezeichnend (S. 8).
URN urn:nbn:de:0114-qn032079
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