Cheryl McEwan:
Gender, Geography and Empire.
Victorian Women Travellers in West Africa.
Aldershot, Burlington, Singapore, Sydney: Ashgate 2000.
250 Seiten, ISBN 1–84014–252–9, £ 45.00
Abstract: Gründung und Ausbau eines Kolonialreiches wurden bisher ebenso wie die damit einhergehende Ausweitung des geographischen Wissens als Bereiche untersucht, die fast ohne Ausnahme von Männern geprägt waren. Cheryl McEwan zieht diese geschlechtsspezifische Konstruktion der Geschichte des Britischen Empire und der britischen Geographie in Zweifel. Sie setzt ihre Analyse von Berichten dagegen, in denen sieben Frauen ihre zwischen 1840 und 1915 unternommenen Reisen in die westafrikanische Region einer interessierten Öffentlichkeit daheim schilderten. Die Auswertung dessen, was die Frauen über die westafrikanische Landschaft, die Menschen dort und ihre Kultur zu sagen hatten, vermittelt einen Eindruck von dem Anteil, den Frauen tatsächlich an der Wissensproduktion, der Verbreitung von Bildern von den überseeischen Territorien und letztlich auch an der Art hatten, wie die Expansion des Empire in einzelnen Regionen verlief.
Die Expansion des Britischen Empire und die Erweiterung geographischen Wissens als Voraussetzung und Begleiterscheinung dieser Expansion wurden sehr lange als Bereiche betrachtet, in denen sich ausschließlich Männer betätigten. Auch heute gibt es noch immer vergleichsweise wenige Arbeiten, die den Beitrag von Frauen zur Geographie als Wissenschaft, zum britischen Kolonialismus und zur Ausformung einer imperialistischen Kultur in den Mittelpunkt stellen. Dabei produzierten Frauen, die Gebiete in Übersee bereisten und ihre Erfahrungen publizierten, ebenso wie männliche Reisende Wissen über das, was sie der daheim gebliebenen Leserschaft als facettenreiches Asien oder dunklen afrikanischen Kontinent präsentierten. Das allein würde schon eine nähere Untersuchung der Reiseliteratur von Frauen rechtfertigen. Cheryl McEwan vermag darüber hinaus in ihrer Analyse von Berichten über Westafrika aus den Jahren zwischen 1840 und 1915 auf faszinierende Weise zu zeigen, welche Einblicke eine nähere Beschäftigung mit dem von den reisenden Frauen produzierten Wissen eröffnen kann. Ideen über Weiblichkeit, Rasse, Frauen in den autochthonen Gesellschaften, Landschaft, Afrika, das Kolonialreich generell: sie nahmen in den Berichten breiten Raum ein und wirkten als Leitmotive einer populären Literatur in Großbritannien auf die Vorstellungen von der beschriebenen Region wie vom britischen Kolonialismus allgemein ein.
Diese Studie leistet allerdings mehr als die Betonung und Herausarbeitung des weiblichen Beitrags zur Geschichtsschreibung des britischen Imperialismus und der geographischen Forschung. Durch eine kritische und differenzierte Lektüre der Texte gelingt es ihr, die in der Forschungsliteratur vorhandenen einfachen Dichotomien von männlich – weiblich, Eigenem – Fremdem zu durchbrechen und die komplexen Hintergründe, Vorstellungen, Einschätzungen und Schilderungen der untersuchten Reisenden in ihrer Komplexität hervortreten zu lassen. Immer wieder werden einzelne Ideen, Bilder, Wertungen eingebettet in den Hintergrund der jeweils betrachteten Person, die mit ihrer individuellen Situation wie mit ihrer Herkunft aus einem konkreten sozialen, politischen, kulturellen und mentalitätsgeschichtlichen Umfeld in einer bestimmten Phase des 19. Jahrhunderts hervortritt. Diese Einbettung hebt die Analyse weit über den engeren Bereich der Geschlechterforschung hinaus, zeigt sie doch die Verbindungslinien, die in diesem Feld zur Wissenschaftsgeschichte, Mentalitäts- und Kulturgeschichte und zur Geschichte des Imperialismus bestehen.
Cheryl McEwan hat die Berichte von sieben Frauen analysiert, die sich über einen Zeitraum von wenigen Wochen bis hin zu fast vierzig Jahren in Afrika aufhielten. Sie bereisten ein Gebiet, das sich vom heutigen Sierra Leone bis Nigeria erstreckt. Angehörige der adligen Oberschicht waren in dieser Gruppe ebenso vertreten wie die der Mittel- und Arbeiterschichten. Die Motive für die Reise umspannten ein breites Spektrum, das von der Reiselust und forscherischen Neugier einer Mary Kingsley (1892–1895) über die eigene missionarische Tätigkeit einer Mary Slessor (1876–1915) bis zur Begleitung des als Missionar oder Kolonialbeamten tätigen Ehemanns reichte, Elizabeth Melville (1840–1846), Anna Hinderer (1852–1869), Mrs. Henry Grant Foote (1861), Zélie Colvile (1889) und Constance Larymore (1901–1907). Herkunft, Motiv, Zeitpunkt und Dauer der Reise legten schon weitgehend fest, wie sich der Aufenthalt gestalten und welche Eindrücke er vermitteln würde. Wer sich, nicht zuletzt aufgrund des Klimas und der Krankheiten, kaum aus seinem Wohnhaus herauswagte, kam zwangsläufig zu anderen Schilderungen als eine Missionarsgattin, die engeren Kontakt mit der westafrikanischen Bevölkerung hatte. Die besten Voraussetzungen, der Gefahr zu entgehen, nur das zu sehen, was man schon kannte, nur in gewohnten Kategorien und Bildern zu denken, brachten Mary Kingsley und Mary Slessor mit. Die eine sah mit den Augen der Forscherin, die andere mit denen der Missionarin, beide darum bemüht, gängige Klischees vom „dunklen Kontinent“, von seinen vermeintlich barbarischen Völkern zu durchbrechen und mit verlässlichen Erfahrungen aus erster Hand zu korrigieren. Wie weit sie dabei mitunter zu gehen bereit waren, ist aus ihrer Interpretation der religiösen Sitten und einiger Gebräuche zu ersehen, deren Existenzrecht sie immer wieder betonten, und dies trotz des europäisch-christlichen Überlegenheitsanspruchs und trotz der Formen von Gewalt, die gemeinhin als Beweis afrikanischer Barbarei und primitiver Entwicklungsstufe angeführt wurden. Mary Kingsley beruhigte ihre Leserschaft beim Sensationsthema Kannibalismus in einer unnachahmlichen Art: Er komme zwar vor, werde aber nur zum Zweck der Nahrungsbeschaffung – und nicht aus der sonst vielfach zitierten Blutrünstigkeit – betrieben. Weiße blieben ohnehin verschont.
Trotz der z. T. gravierenden Unterschiede zwischen den einzelnen Frauen und Reisen fügen sich die Texte dennoch zu einer recht geschlossenen Materialauswahl zusammen. Sie erlauben es, der Frage nachzugehen, ob oder besser inwiefern die Reise und das Schreiben über die Erlebnisse für eine breitere Öffentlichkeit eine Befreiung, eine Stärkung der Frauen und ihrer gesellschaftlichen Position darstellten. Schon in diesem ersten Themenfeld beweist McEwan, wie gut sie ihre Ergebnisse in die Forschungsliteratur einzuordnen versteht und wie differenziert sie die Frage zu beantworten weiß. Statt eines unkritischen Lobliedes auf feministische Heldinnen und streitbare Kämpferinnen für die Frauenemanzipation erwartet die Leserschaft auch in den folgenden Abschnitten ein Bild von Individuen, die ihre ganz persönliche Erfahrung der Fremde vor einem komplexen Hintergrund aus Status, Bildung, Motivation und zeitgenössischen Vorstellungen beurteilten. Landschaft, Rasse, Sitten und Gebräuche und die afrikanischen Frauen als „kolonisiertes Gegenstück“ fanden so in den Berichten die größte Aufmerksamkeit.
Einige Ergebnisse der Untersuchung seien hier kurz angesprochen. So lässt sich etwa aus den Landschaftsbeschreibungen viel über die jeweilige Betrachterin herauslesen. Als Gruppe betrachtet, entwarfen die Frauen von der westafrikanischen Landschaft eher als Männer ein Bild der Ordnung. Sie bemühten sich, bei der Leserschaft daheim den Mythos vom afrikanischen Pandämonium zu zerstreuen, um den Weg zu einer realistischeren, in ihren Augen angemessenen Wahrnehmung der Region zu ebnen. Trotz stilistischer Unterschiede, trotz des Verzichts auf das bei Autoren übliche Motiv der Eroberung und Durchdringung gab es jedoch ebenso Gemeinsamkeiten zwischen Texten von Autorinnen und Autoren. Eine davon lag in der Funktion der Landschaftsbilder, die für Frauen und Männer gleichermaßen ein Mittel zur Aneignung der Welt darstellten.
Das Bestreben um Beseitigung der üblichen Klischees liegt auch den Aussagen über die Frauen Westafrikas zugrunde. Die Britinnen gingen gegen das Bild von der unterdrückten afrikanischen Frau an, äußerten sich mitunter sogar dahingehend, afrikanische Frauen besäßen größere Freiheit als sie selbst. Im Blick auf das „kolonisierte Gegenstück“ rangierte für die Europäerinnen die trennende ethnische Identität im allgemeinen jedoch vor der verbindenden Geschlechtszugehörigkeit. Letztlich konnten die „weißen Frauen“ als Angehörige der Kolonialmacht, auch wenn die Afrikaner bei ihnen nicht nur in der Objektrolle erschienen, aus der Darstellung der autochthonen Bevölkerung eine klare Statusaufwertung gewinnen.
Die Britinnen in Westafrika leisteten mit ihren Schriften einen Beitrag zur populären Literatur und Kultur des Imperialismus im viktorianischen Großbritannien. Mag die Geographiegeschichte weiterhin darauf verzichten, Reiseliteratur der hier analysierten Art in ihrem Kanon zu berücksichtigen, so dürfte dank dieser Studie überzeugend dargelegt sein, wie sehr die Geschichte des Britischen Empire, der Kultur des Imperialismus, die Geschichte des Reisens und die Geschlechterforschung davon profitieren, diese bislang marginalisierten Identitäten und Wissensbereiche zu integrieren.
URN urn:nbn:de:0114-qn032173
PD Dr. Angela Schwarz
Gerhard-Mercator-Universität Duisburg, Fakultät 2, Institut für Kulturwissenschaften
E-Mail: dr.a.schwarz@uni-duisburg.de
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