Man trägt jetzt Gesundheit

Rezension von Anne Fleig

Gesa Kessemeier:

Sportlich, sachlich, männlich.

Das Bild ‚Neuen Frau‘ in den Zwanziger Jahren. Zur Konstruktion geschlechtsspezifischer Körperbilder in der Mode der Jahre 1920 bis 1929.

Dortmund: edition ebersbach 2000.

352 Seiten, ISBN 3–934703–04–6, € 26,50

Abstract: Die Dissertation untersucht die Wechselwirkungen von emanzipatorischen Einstellungen und modischem Erscheinungsbild der „Neuen Frau“ in der Weimarer Republik. Sie zeigt, inwiefern die Bilder dieses neuen Frauentyps dem historischen Konzept einer „Neuen Frau“ zum Durchbruch verhelfen. Deutlich wird aber auch, dass die rasche Popularität dieses Frauenbildes seinen ursprünglich auf gesellschaftliche Veränderung zielenden Gehalt veräußerlicht.

Den Wechselwirkungen zwischen emanzipatorischen Einstellungen und modischem Erscheinungsbild der jungen, „neuen“ Frauen in der Weimarer Republik geht die geschlechter- und modegeschichtliche Untersuchung von Gesa Kessemeier nach. Sie fragt zum einen, inwiefern die veränderte Mode emanzipatorische Gedanken ausdrückt, und zum anderen, inwiefern es tatsächlich zu einem Bruch in den weiblichen Kleidernormen gekommen ist. In diesem Zusammenhang versucht sie außerdem, den Vorwurf der „Vermännlichung“ der Frauen einzuordnen (vgl. S. 2). Beiträge aus Frauen- und Modezeitschriften verschiedener Verlagshäuser zu den Themen „Neue Frau“, Geschlechterverhältnis, Körperbild, Mode und Vermännlichung sowie Modebilder und Portraitaufnahmen bilden die wesentlichen Quellen dieser Studie, die in diesem Umfang erstmals systematisch ausgewertet wurden. Da in diesem Feld weitere Untersuchungen noch ausstehen, rundet ein Anhang mit einer Übersicht über alle verwendeten Zeitschriften und Zeitschriftenartikel die Arbeit sinnvoll ab. Erstaunlich unbegründet bleibt angesichts der Genauigkeit der Verfasserin allerdings die Eingrenzung des Untersuchungszeitraums. Nur in zwei Fußnoten erfährt die Leserin, dass das Phänomen der „Neuen Frau“ nach 1929 vom „Konzept einer neuen, femininen Weiblichkeit“ (S. 16, Anm. 52) abgelöst worden sei, ein „Formwechsel“ (S. 84, Anm. 2) mithin, der bereits auf die Dreißiger Jahre verweise. Dass das Jahr des Börsenkrachs in vielfacher Hinsicht als Schwellenjahr gelten muss – als Summe der Zwanziger Jahre ebenso wie als letztes Jahr der Weimarer Republik, wird nirgends reflektiert.

Klischee oder Utopie?Dass die Rede von der „Neuen Frau“ keineswegs erst in den Zwanziger Jahren aufkommt, macht Kessemeier anhand der Begriffsgeschichte überzeugend deutlich. Im 19. Jahrhundert stand der Ausdruck für einen utopischen Emanzipationsentwurf, der an Vorstellungen von ökonomischer und sozialer Selbständigkeit der Frauen durch Berufstätigkeit, gleichberechtigten Bildungszugang sowie politische Gleichberechtigung gebunden war. Diese Forderungen hätten aber kein vergleichbar radikales Pendant in einer äußerlich veränderten Erscheinung der Frauen gefunden (vgl. S. 25). Erst im Lauf der Zwanziger Jahre habe sich eine Gleichsetzung von Einstellung und Erscheinung entwickelt. Nach dem Ersten Weltkrieg seien vor allem junge Frauen auch als „Neue Frauen“ bezeichnet worden. Eine Verbindung von modischem Äußeren und emanzipatorischer Idee deute sich etwa ab 1924 an: während bis dahin unter einer „Neuen Frau“ vor allem gebildete, politisch oder wissenschaftlich tätige Frauen verstanden worden seien, sei der Begriff danach auf äußerliche Merkmale wie Kleidungsstil, Jugendlichkeit, Sportlichkeit oder Motorisierung reduziert worden (vgl. S. 28). Zum ikonographisch festgefügten Erscheinungsbild gehörten der Bubikopf, der enge Topfhut, der kurze Rock und die seidenbestrumpften Beine, seltener auch Accessoires wie Monokel oder Krawatte.

Populäre Bilder

Besonders überzeugend zeigt Kessemeier, dass es Visualisierungsstrategien sind, die den Mode- und Lebensstil-Attributen gegenüber den politischen Konzeptionen aus dem 19. Jahrhundert schließlich zum Durchbruch verhelfen und sie zu einem Sinnbild der Zwanziger Jahre machen. Erst die breit gestreuten Abbildungen modisch gekleideter, junger Frauen in den Medien hätten die Ansprüche der „neuen Frau“ im emanzipatorischen Sinn überhaupt ins allgemeine Bewusstsein gehoben. Gleichzeitig sei der utopische Gehalt des Konzepts zu einem verbildlichten Klischee (vgl. S. 27) geronnen. Mit der neuen Mode setzte sich nicht automatisch weibliche Unabhängigkeit durch. Ambivalent ist denn auch das Ergebnis von Kessemeiers vergleichender Analyse der Artikel in den Frauenzeitschriften: Zwar gebe es Ansätze zu einer eigenständigen bildlichen Inszenierung der „Neuen Frau“, gerade aber die textliche Darstellung vermittele traditionelle Vorstellungen über die Ehe, während Beschreibungen erfolgreicher weiblicher Berufstätigkeit kaum vorkämen (vgl. S. 82). Damit kann Kessemeier der bisherigen Einschätzung, das medial vermitteltete Frauenbild der Zwanziger Jahre sei vor allem durch Souveränität und Selbständigkeit gekennzeichnet (vgl. S. 4), einen erheblich differenzierteren Befund entgegensetzen. Was aber das hier konstatierte Auseinanderfallen von Bild- und Textdarstellung für die Analyse von Frauenbildern bedeutet und wie es sich zum Visualisierungsschub der Weimarer Republik verhält, verfolgt die Verfasserin leider nicht.

„Knabenhaft schlank“

Von den Frauenzeitschriften unterschieden sich die Modezeitschriften, so Kessemeier, vor allem durch eine ausgiebige Diskussion der Bestimmungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Eine zunächst als „männlich“ klassifizierte Kleiderlinie sei gegen Ende der Zwanziger Jahre zu einer eindeutig „weiblichen“ Silhouette umgedeutet worden. Damit einher sei eine offenkundige Internalisierung von Körpernormen gegangen: während die weibliche Körperform bis ins frühe 20. Jahrhundert vornehmlich eine äußere Angelegenheit gewesen sei, die durch Mieder und Korsagen buchstäblich in den Griff zu bekommen war, so habe Mitte der Zwanziger Jahre eine deutliche Verlagerung dieses Problems nach innen eingesetzt: Selbstkontrolle durch Gymnastik und eine kalorienbewusste Ernährung hätten – propagiert durch eine Vielzahl von Artikeln – auf der Agenda der „modernen Sportdame“ (S. 120) obenan gestanden. Auch galt es nun nicht mehr nur, eine schlanke Taille zu haben, der Zusammenhang von Sportlichkeit und Schönheit habe sich auf die Erscheinung des ganzen Körpers (vgl. S. 121) bezogen. Dieses neue körperliche Idealbild sei vor allem durch die Zuschreibung von „Natürlichkeit“ legitimiert worden (vgl. S.123). So begann beispielsweise die Gleichsetzung von Sonnenbräune und Sportlichkeit mit Gesundheit (vgl. S. 125). Der Prozess der Naturalisierung machte aus dem zu Beginn des Untersuchungszeitraums völlig neuen Weiblichkeitskonzept ab Mitte der Zwanziger Jahre ein für alle Frauen geltendes „Normalbild“ von Weiblichkeit (vgl. S. 164). Der offenkundige Zusammenhang etwa mit der Sportbegeisterung der Zeit oder der Freikörperkultur wird in der Studie leider allenfalls gestreift. Dabei zeigt sich an dieser Entwicklung ein bis heute kennzeichnender Widerspruch im Umgang mit dem Körper: Natürlichkeit ist die Verhüllung der Arbeit am Körper, die uns die Schönheitsnormen abverlangen.

Anschlüsse

Die von Kessemeier sorgfältig ausgewerteten Zeitschriftenartikel werfen eine Vielzahl hochinteressanter Fragen auf, die die Verfasserin selbst aber gar nicht immer zu bemerken scheint. Die große Stärke der Arbeit – nämlich ihre Nähe zum Material – erweist sich daher an einigen Stellen auch als ihre Schwäche. Die separate Darstellung der ausgewerteten Frauen- und Modezeitschriften führt hin und wieder zu Wiederholungen, was redundant wird, wo etwa die einzelnen Analysekriterien noch einmal mit der sozialen Realität der Frauen abgeglichen werden (Kap. 5). Auch machen sich in der Gegenüberstellung von Medien und Wirklichkeit theoretische Defizite bemerkbar, die weder den Medienwandel der Weimarer Republik noch die Wechselwirkung von Medialisierung und Wirklichkeitskonstruktion hinreichend reflektieren. Inwiefern aber die erfolgreiche Verbreitung von Bilddarstellungen eine Popularisierung von Ideen oder Programmen nach sich zieht, wäre gerade für die Geschlechterforschung eine wichtige Frage. Inwiefern bringen die neuen Medien die neue Frau hervor? Ist dieser Frauentyp am Ende ein reines Medienprodukt? Und in welchem Verhältnis stehen hier Bild und Schrift? Die von Kessemeier gewählte Formulierung der „bildlichen Festschreibung“ (S. 32) der „Neuen Frau“ ist dabei gut getroffen, denn sie zeigt ja gerade, dass tatsächlich erst Bilder das Schreiben über den neuen Frauentyp forcieren, wie es sich nicht nur in den Journalen, sondern beispielsweise auch in vielen Romanen der Weimarer Republik manifestiert. Ein Seitenblick auf andere Quellenarten oder eine stärkere Theoretisierung hätten die Aussagekraft ihrer Thesen daher vermutlich noch bekräftigt.

URN urn:nbn:de:0114-qn032191

Anne Fleig

Universität Hannover, Seminar für deutsche Literatur und Sprache

E-Mail: fleig@fbls.uni-hannover.de

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