Andreas Nebelung/Angelika Poferl/Irmgard Schultz (Hg.):
Geschlechterverhältnisse – Naturverhältnisse.
Auseinandersetzungen und Perspektiven der Umweltsoziologie.
Opladen: Leske+Budrich 2001.
321 Seiten, ISBN 3–8100–3064–3, € 24,90
Abstract: Mit dem vorliegenden Sammelband Geschlechterverhältnisse- Naturverhältnisse wird nach dem innovativen Beitrag der feministischen Debatte für umweltsoziologisches Denken gefragt und nach Überschneidungen, Grenzen und Zwischenräumen zwischen „Geschlecht“ und „Natur“ gesucht. In ihm wird der lobenswerte Versuch unternommen, einen Zusammenhang zwischen Geschlechter- und Naturverhältnissen herzustellen „die in der Umweltsoziologie bislang stark vernachlässigte feministische Diskussion und Geschlechterforschung einzubeziehen und als genderbezogene Perspektive zu etablieren“. (S. 9) Das Buch enthält Beiträge von 15 Autorinnen, die unterschiedliche Natur- und Geschlechtsverhältnisse facettenreich, überwiegend kreativ und theoretisch anspruchsvoll betrachten. Das Buch enthält Zugänge aus der allgemeinen Soziologie, den Sprach- und Kulturwissenschaften, aus politik- und naturwissenschaftlichen Zusammenhängen. Den ausdrücklich formulierten Anspruch, von multi – zu einer inter-disziplinären Durchdringung zu gelangen, erfüllt es nur in Ansätzen (besonders mit der Einleitung und den theoretischen Problemexplikationen). Das zustande gekommene „Nach-, Zusammen- und Querdenken“ über Begriffe, Theorien und neuere Forschungsansätze (von Foucault über Butler bis zu Donna Haraway) belegt die Notwendigkeit, die naturwissenschaftlichen Annahmen „immanent zu dekonstruieren“. Sehr aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Beiträge von Irmgard Schultz, Elvira Scheich, aber auch von Mary Mellor und besonders von Paula-Irene Villa, die interessante und kreative Gedanken zur Klärung des Verhältnisses von Natur, Kultur und Geschlecht anbieten. Deutlich wurde, dass weiterhin ein kontroverses Ringen um angemessene konzeptionelle Fassungen von Geschlechts- und Naturverhältnissen und die Integration von Gender als zentraler analytischer Querschnitts-Kategorie nötig sind. Insgesamt ist dem Buch ist eine schnelle Verbreitung und tiefe theoretische Resonanz nicht nur in der Umweltsoziologie zu wünschen.
Der Sammelband, herausgegeben von Andreas Nebelung , Angelika Poferl und Irmgard Schultz, geht auf eine Tagung der Sektion „Ökologie und Gesellschaft“ in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie zurück, die am 16. und 17. April 1999 in Bielefeld stattfand. Die 13 Autorinnen und zwei Autoren des Buches verschränken Gechlechter- und Naturverhältnisse miteinander und reflektieren wichtige Facetten und unterschiedliche Stränge des feministischen Diskurses in vier Buchkapiteln. Neben deutschen Autorinnen suchen Wissenschaftlerinnen aus Großbritannien, Spanien und den USA nach Überschneidungen und Zwischenräumen zwischen Natur- und Geschlechtverhältnissen.
Ziel der vorliegenden Publikation ist es, „die in der Umweltsoziologie bislang noch stark vernachlässigte feministische Diskussion und Geschlechterforschung einzubeziehen und als genderbezogene Perspektive zu etablieren“ (S. 9)
Im ersten Kapitel „Natur- Kultur- (Post)Gender“ ( S. 23–117) werden theoretische Probleme der Umwelt- und Geschlechterforschung dargestellt, Geschlecht, Natur und Umwelt als gesellschaftstheoretische Grundbegriffe eingeführt und durchaus kontrovers diskutiert (z.B. Elvira Scheich versus Jost Halfmann ).
Die Beiträge des dritten und vierten Kapitels sind insbesondere denen zu empfehlen, die der Frage von Reproduktion und (Eigen-)Versorgungsstrategien nachgehen, sich mit der Entstehung neuer Formen der Verwurzelung und sozialer Vernetzung (Christa Müller) befassen oder sich für Verkehrs- und Mobilitätsformen als gesellschaftliche Raum- Zeit-Verhältnisse interessieren ( Meike Spitzner; Barbara Adam). Das vierte Kapitel zeigt die enge Verflechtung der feministischen Umweltdebatte mit der entwicklungspolitischen Nord-Süd-Debatte und gibt Einblicke in verschiedene Frauen-Natur-Diskurse im Rahmen der immer noch nicht nachhaltigen Entwicklungspolitik. Aus ökofeministischer Sicht werden Probleme entwicklungspolitischer Projekte sowie die Relevanz einer geschlechtsspezifischen Betrachtung lokalen Wissens verdeutlicht.(Gudrun Lachenmann, Ines Weller) Selbstorganisationsprozesse internationaler Frauen- Umwelt-Bewegungen werden in Verbindung mit lokaler Selbstorganisation und internationaler Politik und im Hinblick auf die Bedeutung intermediärer Strukturen der Frauen-Umwelt-Politik betrachtet ( Birte Rodenberg). Einen Überblick über die spanischsprachige Nachhaltigkeitsdebatte gibt der letzte Beitrag von Josepa Bru‘ i Bistuer.
Irmgard Schultz beleuchtet in ihrem Beitrag die deutsche Umweltsoziologie und Geschlechterforschung als „differenzierte Wissensgemeinschaften“, deren Wissen wechselseitig noch ‘übersetzt‘ werden müsse. (S.25) Sie begründet, warum sie die konstruktivistische Naturwissenschafts- und Technikkritik von Donna Haraway für eine Entwicklung grundlagenorientierter Forschungs-perspektiven in der Umweltsoziologie für „äußerst produktiv“ hält. „Haraways Ansatz eines situierten Wissens könnte die Grammatik dafür liefern, die bisher nicht wechselseitig übersetzten Wissensbestände der Umweltsoziologie und der feministischen Geschlechterforschung – zumindest teilweise – zu übersetzen.“(S. 27) Schultz zeigt, wie die moderne Politisierung der Geschlechterforschung durch den Wissenstransfer von den Natur- in die Sozialwissenschaften ermöglicht wurde, der in der Umweltsoziologie bis heute nicht adäquat reflektiert wird.
Sie fragt nach dem Stellenwert der Umweltsoziologie innerhalb der Umweltforschung, die bis heute immer noch vorwiegend naturwissenschaftlich-technisch verfasst ist und in umweltpolitischer Richtung zumeist nur eine Symptombekämpfung aktueller Mißstände favorisiert. In einem solchen Umweltforschungsspektrum mutiert dann Umweltsoziologie zu einem bedeutungslosen Feld der Bestandsaufnahme von Umwelteinstellungen und deren adäquaten Messmethoden.
Den Beitrag der Geschlechterforschung für die Umweltsoziologie sieht Schultz vor allem darin, „dass zentrale Erkenntnisperspektiven und Theoreme der feministischen Reflexion der Geschlechterdifferenz für die Entwicklung von grundlagenorientierten umweltsoziologischen Fragestellungen erkenntnisleitend sein können“(S. 26). Wenn Umweltsoziologie den Anspruch auf eine (selbst-) reflexive Wissenschaftsdisziplin erhebt, kommt sie nicht umhin, aus und an der Reflexion über Geschlechterverhältnisse als Machtverhältnisse zu lernen, wie mit den theoretischen Tücken der Verknüpfung von Kritikerperspektive, Dekonstruktion und Identitätspolitik in reflexiver Weise umgegangen werden kann. Nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in Politik und Gesellschaftsentwicklung Europas hat der Feminismus immer noch nicht den Stellenwert, der ihm zukommen sollte. Feminismus wird in Deutschland häufig auf ‘Frauenpolitik‘ reduziert, die wiederum identitätsbildend verstanden wird. „Damit wird der inhärente Zusammenhang von Geschlechterpolitik und Geschlechterforschung als einer wissenschafts- und identitätskritischen Erkenntnisperspektive unterschlagen.“(S. 29) In den USA sind nunmehr seit 20 Jahren „Women’s Studies“ fest in Forschung und Lehre institutionalisiert und sie werden als wissenschaftliche Erkenntnisperspektive verstanden. (S.29) Schultz verweist auf einen neuen wichtigen Strang feministischer Theorie in der Umweltsoziologie (S. 38), deren Vertreterinnen sich thematisch mit ‘der Arbeit in Produktion und Reproduktion‘ auseinandersetzen. Mit Begriffen wie Eigen-, Subsistenz- und Gemeinwesenarbeit wurde nicht nur eine definitorische Erweiterung des Arbeitsbegriffes vorgenommen, sondern auch eine Innovation feministischer Analysen und Debatten in Gang gesetzt, die allerdings auch kritisch reflektiert wird. Die Frage nach dem Stellenwert des Weiblichen in Natur und Kultur provozierte schon immer kontroverse Reaktionen unter Feministinnen, was auch mit dem breiten und sehr heterogenen Spektrum des Feminismus selbst zu tun hat. Dabei treten nicht selten Irritationen auf und fällt der Abschied vom Mythos des bipolaren Denkens offensichtlich auch in diesem Buch nicht leicht, was der Beitrag von Jost Halfmann bezeugt. Halfmann behauptet, dekonstruktivistisch verstehende Feministinnen betonten die Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Natur, nämlich zwischen „männlich“ und „weiblich“ und der „gender-Begriff“ meine die „Abbildung der Natur/Gesellschafts-Differenz auf idealtypisches soziales Handeln (weibliche vs männlichen Handlungstypus )“.(S. 56 passim). Ihm dürfte nicht unbekannt geblieben sein, dass das „natürliche Feld“ zwischen den binären Markierungen „weiblich“ und „männlich“ weitaus vielfältiger als die kulturelle Stereotype ist. Geschlecht hat sich als soziales Ordnungskriterium erwiesen, weil zugeschriebene Geschlechtermerkmale vorrangig auf biologische Voraussetzungen zurückgeführt werden und als „natürlich“ erscheinen. Aus soziologischer Sicht sind für Halfmann „ Benachteiligung von Frauen daher nicht das Resultat des Patriarchats, sondern kontingenter selektiver Mechanismen, die empirisch auf der Ebene von Organisationen (z.B. des moderner Wohlfahrtstaates) zu lokalisieren sind“. (S. 65). Seiner Ansicht nach sei der Feminismus zur Frauenforschung geworden und müsse nunmehr den Anschluss an wissenschaftliche Gesellschaftstheorien suchen. (vgl. S. 70) Eine solche Bewertung fordert wissenschaftlichen Widerspruch heraus. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn Elvira Scheich in ihrem Beitrag „Frauen und Männer in der TechnoScience“ gegen die Auffassungen von Halfmann deutlich polemisiert (vgl. S. 76). Im Gegensatz zu Halfmann sieht Elvira Scheich in dem Satz von Simone de Beauvoirs „Wir werden nicht als Frauen geboren, wir werden zu Frauen gemacht“ nach wie vor das gemeinsame Leitmotiv des Feminismus. Ein Leitmotiv, „das den höchst verschiedenen Verfahren der De-Naturalisierung, die von der Körpergeschichte bis zu den Theorien der Cyborg Temporalities, von Sex-Unterscheidung bis zur radikal-konstruktivistischen Abweisung jeglicher Bezugnahme auf biologische Körper reichen, gemeinsam ist.“ Natur, neues Leben, das bei der menschlichen Fortpflanzung und allem Geschehen drumherum entsteht, – sind „Formen von Gesellschaftlichkeit“, „vorwiegend weibliche gesellschaftliche Praxis, die sich nicht irgendwo am Rande ereignet, sondern einen verdeckten Kern des Sozialen bildet, dessen Beziehungen aus dem Verständnis von Gesellschaft vielfach ausgeblendet sind“ (S. 76). Elvira Scheich macht deutlich, dass die Strategien von body politics, Aufbrechen und Überschreitung, Irritation und Ironie im wissenschaftlichen wie im politischen Kontext darauf abzielen, genau das sichtbar zu machen.
Auf diese Fragen werden im zweiten Kapitel recht unterschiedliche Antworten gegeben. Die „Geschlechternatur“ ist Wandlungen unterlegen und abhängig von wissenschaftlichen Diskursen. Unter diesen Vorzeichen verkehrt und radikalisiert sich Geschlecht zum steten Zweifel an dessen (nur scheinbar) klaren Konturen. Das kann auch nicht anders sein, weil die Frage, ob der Geschlechtskörper eher als der naturale Teil der objektiven Natur oder als eine phänomenale Schnittstelle zwischen Natur und Kultur fungiert, nicht mehr eindeutig zu beantworten ist. Die Amerikanistin Randi Gunzenhäuser stellt deshalb „die diskurstheoretische Störung der Naturverhältnisse“ fest. Sie gibt einen Einblick in die Entstehung der Butler- Debatte, verweist auf deren diskurstheoretische Grundlagen bei Foucault und geht von „einem offenen prozessualen Identitätsbegriff“ aus, wie ihn die angloamerikanische Kulturwissenschaft in den letzten Jahren entwickelt hat. (S. 141) Das prozessuale Identitätskonzept stellt die Tatsache in Frage, Frauen außerhalb gesellschaftlicher Macht und damit auf der Seite der Natur zu verorten. Das Individuum verortet sich demnach in einem Feld von netzartig und uneinheitlich strukturierten kulturellen Beziehungen. Poststrukturalistische Identitäten gibt es nicht mehr. Das weibliche Subjekt hätte ausgedient und wäre – wie der Körper – ein dezentrierter, kommunikativer Machteffekt, der allerdings zur Subversion fähig bliebe, da er immer wieder sein Spiel flexibel neu inszenieren könne. „Widersprüchlich werden aus diesem Blickwinkel auch die Positionen der Women’s oder Queer Studies, basieren sie doch auf Differenzen, die sich zugleich zu de(kon) struieren bemüht sind.“ (S. 142) Subjektivierungsprozesse müssen nach Gunzenhäuser demnach immer in ihren Auswirkungen auf Mikroebenen überprüft und hinterfragt werden – eine Forderung, die nicht nur die Kultur-, sondern auch die Sozialwissenschaften vermehrt stellen. Kritikerinnen halten dem radikal- feministischen Ansatz von Judith Butler entgegen, dass nicht nur jede (sexuelle) Identitätskonzeption unterlaufen, sondern gender als soziale Analyse- und Identitätskategorie überflüssig werde. Damit würden auch den anglo-amerikanischen Gender Studies die Grundlagen entzogen. „Deren methodologische Aufspaltung der Körperkonzepte in die Analysekategorien sex (Körpergeschlecht, ‘eigentliches‘, biologisches Geschlecht) und gender (kulturelles Geschlecht, das sich über das natürliche Geschlecht legt) wird unter diskurstheoretischen Voraussetzungen obsolet.“ (S. 142) Somit stünden aber auch alle politischen Widerstandskonzepte in Frage, die sich auf einen authentischen weiblichen Körper berufen. Demzufolge geht es um mehr als um einen einfachen Generationskonflikt im Feminismus. Bei diesem „doppelten Traditionsbruch“ geht es um weitreichende theoretisch-methodologische Probleme und um die politische Perspektive des Feminismus und seiner Spielarten. Die Politikwissenschaftlerin Mary Mellor sieht beispielsweise die Aufgabe des Ökofeminismus darin, „embeddednes und embodiedness of humanity“ nicht nur zu verstehen, sondern auch zu erstreiten. Der männlich dominierten Entkoppelung von Mensch und Natur in der „Me- World“ müsse sich eine subsistenzorientierte Wiederverkoppelung entgegenstellen.
Der menschliche Körper verankert Sozialität in der Natur. Die fruchtbarsten Denkansätze dazu liefert Paula-Irene Villa. In kritischer Auseinandersetzung mit Judith Butler zeigt sie, dass Geschlechtskörper nicht nur in den Medien verrückt spielen, sondern wie im realen Leben Grenzen „ver-rückt“ werden. Der anatomische Körper und sein Geschlecht sind problematisierbar geworden. Im Alltag dient der menschliche Geschlechtskörper vor allem in Film und soap-Serien des Fernsehens, in Teilen der Presse und der Literaturszene „als unterhaltsamer Gegenstand“ (S. 161) Villa belegt vielfach empirisch und theoretisch sehr anregend, dass der Geschlechtskörper selbst zum Ort der Subversion geworden ist, weil queere (transsexuelle, subversive, performative) Körperpraktiken existieren. Queer meint die bewusste, performative Überschreitung von Identitätsgrenzen bei gleichzeitig mehr oder minder scharfem Bewusstsein darüber, dass diese Grenzüberschreitung die eigene anatomische Existenz infragestellt und das körperliche, natürliche Geschlecht verschiebt. Zugleich wird deutlich, dass eine Grenze zwischen Natur und Kultur nicht aufgelöst oder dauerhaft in einen vordiskursiven Raum abgeschoben werden kann. Darin sieht Villa eine Lücke in der theoretischen Argumentation von Butler und belegt diese mit der empirischen Erfahrung, darüber , „dass das, was tief und unmittelbar gespürt wird“ … „die Natur des Geschlechts“ ist. „Wenn Frauen wie Männer fühlen können, wenn sie von anderen als Männer wahrgenommen werden – sind sie dann nicht auch Männer? Was fehlt ihnen, um ein wahrer, natürlicher Mann zu sein? Villas Antwort lautet: „Doch eigentlich nichts.“ ( S. 175f.).Sie schlussfolgert also: Die sozialkonstruktivistischen Ansätze wie auch die empirisch-praktischen Erfahrungen belegen „wie sehr Natur ein kulturelles Produkt ist“ (S. 177). Villa fasst Natur nicht als „Natur an sich“, sondern als einen analytischen Begriff auf. So kann ihrer Meinung nach die analytische Trennung von Natur und Kultur verschiedener sozialkonstruktivistischer Zugänge in einem produktiven Sinne beibehalten werden. Soziologisch ist es von geringer Relevanz , „was Natur ist“. Viel wichtiger ist die Frage, was zur Natur wird und wie das geschieht. Natur ist nach Villa „nicht (mehr) das Nicht- Soziale, das Universelle, das „Objektive‘ „, sondern vielmehr ein „besonders hartnäckiges, besonders schwer zu hinterfragendes und besonders schwer zu änderndes alltagsweltliches Konstrukt“ (S. 177). .“Natur ist das Ergebnis von komplexen (sozialen) Naturalisierungsstrategien. Es handelt sich bei Natur aus soziologischer Sicht um das Ergebnis sozialer Konstruktionen qua Diskurs, Interaktion, Affekten usw., dessen soziale Herkunft in den prä-reflexiven Routinen des Alltags nicht (mehr) wahrgenommen wird. Das heißt nicht, das es Natur soziologisch nicht gibt. Vielmehr ist sie im Kontext moderner Wissenschaften, Institutionen und spezifischer Wahrnehmungsweisen ein besonders schwer zu deplausibilisierendes Konstrukt, das sich überdies eng mit den Emotionen der Menschen verhakt. Natur ist erkenntnistheoretisch nicht von Kultur bzw. dem Sozialen zu trennen, epistemologisch gibt es kein sicheres Kriterium für die Definition einer reinen Natur.“ (S. 178) Diese Position kann, muss aber nicht in jeder Argumentationslinie geteilt werden, denn der Begriff Natur ist zwar ein soziales Konstrukt, doch bezieht er sich auf etwas, was weder in Diskursivität aufgeht, noch in diese ganz einbezogen werden kann.
Es ist ein Verdienst des Sammelbandes, Gender- und Naturverhältnisse als erkenntnisleitende und kritikmögliche Grenzbegriffe für die Umweltsoziologie plausibel gemacht und mit kritischen feministischen Debatten verknüpft zu haben. Auf anregende Weise hat der vorliegende Sammelband dazu beigetragen, das verbreitete Unbehagen an gegenwärtigen Naturverhältnissen und ihrer wissenschaftlichen Reflexion zu lindern. Dem Buch ist eine breite Resonanz nicht nur in der Umweltsoziologie zu wünschen.
URN urn:nbn:de:0114-qn032227
Dr. Helga Purgand
Humboldt-Universität zu Berlin Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät, Institut für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaus, Fachgebiet Agrarsoziologie
E-Mail: helga.purgand@agrar.hu-berlin.de
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