Links ist cool – Rechts ist schwul?

Rezension von Henrik Bispinck

Gary Schmidt:

Koeppen – Andersch – Böll.

Homosexualität und Faschismus in der deutschen Nachkriegsliteratur.

Hamburg: MännerschwarmSkript 2001.

167 Seiten, ISBN 3–928983–88–1, € 16,00

Abstract: Sind alle Faschisten latente Homosexuelle? Gary Schmidts Studie über die Thematisierung von Homosexualität in der deutschen Nachkriegsliteratur untersucht Vorurteile gegenüber schwulen Männern in der Gesellschaft der frühen Bundesrepublik. Schmidt sucht nach homosexuellen Stereotypen in ausgewählten Werken von Wolfgang Koeppen, Alfred Andersch und Heinrich Böll. In den meisten der von ihm behandelten Romane findet Schmidt die Denktradition bestätigt, nach der ein Zusammenhang zwischen männlicher Homosexualität und Faschismus besteht. Im Gegensatz zu vielen anderen Arbeiten, die sich mit Gender-Thematik und Homosexualität befassen, ist Schmidts Studie wenig theorielastig. Das Buch ist gut und verständlich geschrieben und sei allen empfohlen, die sich für das Thema interessieren.

Ausgangspunkt von Gary Schmidts Untersuchung ist seine Beobachtung, dass Faschismus und Homosexualität bis heute häufig in einen Zusammenhang gebracht werden. Gemeint ist insbesondere das Klischee, allen faschistischen und faschistoiden Bewegungen liege ein homoerotischer Männerbund zugrunde, welches unter anderem noch Anfang 2000 von der österreichischen Schriftstellerin Elfriede Jelinek zur Deutung der rechtsnationalistischen FPÖ und ihres damaligen Parteivorsitzenden Jörg Haider bemüht wurde. Nach Auffassung des amerikanischen Literaturwissenschaftlers sind die Thesen Jelineks „nicht originell, sondern setzen eine lange deutsche Tradition fort, die seit den dreißiger Jahren immer wieder versuchte, im öffentlichen Bewusstsein eine Verbindung zwischen Homosexualität und Faschismus herzustellen.“ (S. 11) Dieser Tradition, soweit sie sich in der Literatur manifestiert hat, will Schmidt in dem aus seiner Dissertation hervorgegangenem Buch anhand dreier Schriftsteller nachgehen: Wolfgang Koeppen, Alfred Andersch und Heinrich Böll. Alle drei zählen zu den „klassischen“ westdeutschen Nachkriegsautoren und ihre Werke – wenn auch nicht in erster Linie die hier untersuchten – sind in den Lektürekanon von Schule (Andersch, Böll) und Universität (Koeppen) eingegangen.

Heinrich Böll: Homosexualität als Machtbeziehung

Besonders überzeugend ist Schmidts Analyse der Darstellung männlicher Homosexualität bei Heinrich Böll. Zu Recht stellt er die Frage, warum gerade Böll „als Fürsprecher der Außenseiter in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft“ (S. 20) für die Homosexuellen, die sowohl Opfer der nationalsozialistischen Ideologie waren als auch unter der reaktionären Sexualmoral der 50-iger Jahre zu leiden hatten, keine Sympathien aufbringt. Durch das Werk Bölls zieht sich eine homosexuellenfeindliche Einstellung – angefangen von den abfälligen Bemerkungen des Protagonisten Hans Schnier im Roman Ansichten eines Clowns bis hin zu der explizit negativen Darstellung von Homosexualität in den von Schmidt näher untersuchten Werken Der Zug war pünktlich und Billard um halbzehn. Hier sind homosexuelle Beziehungen immer Machtbeziehungen zwischen älteren Männern (als Verführer) und Jugendlichen bzw. jungen Männern (als Verführte), wobei letztere erst durch die Verführung selbst zu Homosexuellen (und damit zu potentiellen Verführern) werden. Bölls Darstellung homosexueller Beziehungen zwischen älteren und jüngeren Männern diene somit als Gleichnis für die Täter-Opfer-Beziehung im Faschismus, denn: „In der faschistischen Männerwelt müssen die Schwachen sich den Stärkeren unterwerfen. „ (S. 28) Die Grundlage für die ablehnende Haltung Bölls Schwulen gegenüber liegt nach Schmidt darin, dass er männliche Homosexualität als Frauenfeindlichkeit deutet, Frauen aber bei Böll den einzigen Ort, „an dem die Männer menschlich werden können“ (S. 36), besetzen. Wie Schmidt anhand zahlreicher Textbeispiele eindrucksvoll belegt, verherrlicht Böll die Welt der Frau als utopischen Raum und die heterosexuelle Liebe als Idealbild menschlicher Beziehungen.

Wolfgang Koeppen: Homosexualität als Ausdruck des Widerstands?

Wolfgang Koeppens Romane – bei zeitgenössischer Kritik und beim Publikum wenig erfolgreich – werden heute zu den wichtigsten Beiträgen der Nachkriegsliteratur gezählt. Schmidt konzentriert sich bei seiner Untersuchung von Tauben im Gras und Der Tod in Rom auf zwei Aspekte: die Revision bisheriger – Schmidt zufolge homosexuellenfeindlicher – Interpretationen von Koeppens Werk und die intertextuellen Bezüge zu Thomas Manns Novelle Der Tod in Venedig. Verschiedene Interpreten haben die Darstellung der Homosexualität bei Koeppen als radikale Absage an die ästhetisierende Sicht Thomas Manns gedeutet, der die Schattenseiten der homoerotischen Leidenschaft konsequent ausgeblendet habe. Koeppen habe in Der Tod in Rom im Gegensatz zu Mann, so etwa noch 1998 Oliver Herwig, die „hässliche Realität des Straßenstrichs“ gezeigt und die Homosexualität „als leidvolles Stigma, das der Perversion einer Gesellschaft entspringt“ (S. 95) dargestellt. Für Schmidt sind solche Interpretationen „Versuche, Tod in Rom für eine heterosexuelle Normalität zu vereinnahmen“ (S. 78). Sie ignorierten die Tatsache, dass der bei Koeppen angeblich als „pervers“ dargestellten Homosexualität anders als bei Böll kein unproblematisches heterosexuelles Liebes- und Familienideal gegenübergestellt wird. Im Gegenteil, heterosexuelle Beziehungen werden in Der Tod in Rom fast ausnahmslos als elend, gewalttätig, pervers oder zumindest unfruchtbar dargestellt. Dagegen sei die homosexuelle Hauptfigur des Romans, der Komponist Siegfried Pfaffrath, zwar als Außenseiter gezeichnet, aber doch als positive Figur, deren Homosexualität „als eine Art Widerstand gegen die faschistischen Werte seiner Familie“ (S. 87) zu deuten sei.

Alfred Andersch: Der Homosexuelle als „Opfer-Täter“

Als einziger der drei behandelten Autoren erwähnt Alfred Andersch in seinem 1977 erschienenen Roman Winterspelt die Verfolgung von Homosexuellen in der NS-Zeit – lange bevor dieses Thema Gegenstand der öffentlichen Diskussion in der Bundesrepublik wurde. Als eine der Hauptfiguren tritt allerdings nicht etwa ein homosexueller Häftling eines Konzentrationslager auf, sondern der schwule Soldat Reidel, der seine Homosexualität unterdrückt und verleugnet. Indem er seine Identität aufgibt und sich dem nationalsozialistischen Staat vollkommen anpasst und unterwirft, weicht Reidel dem Schicksal der homosexuellen Opfer aus: er wird zum Täter, zum Scharfschützen, der Menschen erschießt. Auf diese Weise, so Schmidts durchaus einleuchtende Schlussfolgerung, afirmiert Andersch die Darstellung von Homosexuellen in der deutschen Nachkriegsliteratur, in der Schwule „immer wieder nur als Konformisten und Opportunisten des Nazi-Staats“ (S. 146) vorkamen. Ähnliches gilt für den Homosexuellen Patrick aus Anderschs Roman Die Rote. Auch er kann keinen echten Widerstand leisten. Als britischer Spion in die Hände der Nazis geraten, verrät er einen Mitarbeiter und ist somit Opfer und Täter zugleich. Auch die späte Rache an seinem früheren Peiniger Kramer, den er mit Gift umbringt, kann ihn von seiner Schuld nicht befreien. Indem sie als identitätslos, falsch und feige dargestellt werden, bleiben die Homosexuellen in den Romanen Anderschs traditionellen Klischees verhaftet und „funktionieren auf eine ähnliche Weise wie in Bölls Romanen als negatives Gegenbild zu den ‚guten Figuren‘.“ (S. 106)

Gary Schmidt hat mit seiner Studie einen interessanten und bisher zumeist nur am Rande beachteten Aspekt der deutschen Nachkriegsliteratur aufgegriffen. Nicht alles ist neu, doch gelingt es Schmidt meist überzeugend darzulegen, auf welche Weise in den untersuchten Romanen eine Verbindung zwischen Nationalsozialismus und männlicher Homosexualität hergestellt wird. Dabei berücksichtigt er intertextuelle Bezüge ebenso wie geistesgeschichtliche Strömungen und das kulturelle Klima zur Entstehungszeit der Romane. Eindrucksvoll belegt er, wie verbreitet das Stereotyp vom „homosexuellen Nazi“ in bis heute populären Werken bundesrepublikanischer, als „links“ geltender Autoren ist, macht aber am Beispiel Koeppen deutlich, dass es auch Ausnahmen gibt. Störend wirkt Schmidts bisweilen anmaßend ideologiekritische Argumentationsweise, die sich u.a. in dem penetrant wiederholten Vorwurf manifestiert, die Schriftsteller hätten sich nicht mit homosexuellen „antifaschistischen Widerstandskämpfern“ und den „wirklichen Problemen von Homosexuellen“ im Nationalsozialismus beschäftigt. (S. 12f., 121f., 126) Zu kritisieren sind auch der unreflektierte Gebrauch von Begriffen wie „Faschismus“ und „antifaschistisch“ sowie manche Allgemeinplätze („Dieser Studie liegt die Überzeugung zugrunde, Literatur nicht getrennt vom Kontext ihrer Entstehung untersuchen zu können.“ [S. 13]; „Die Frage der richtigen Deutung von Koeppens Darstellung der Homosexualität hängt eng damit zusammen, wie man seine Romane grundsätzlich interpretieren soll. „ [S. 55]). Hinzuweisen ist noch auf einen sachlichen Fehler: Hans Schnier verbringt in Ansichten eines Clowns nicht eine Liebesnacht mit Henriette (das ist seine Schwester!), sondern mit Marie (S. 34). Diese Monita können jedoch den insgesamt positiven Eindruck über dieses flüssig geschriebene Buch, das erfreulicherweise auf ausschweifende postmoderne Theoriegebäude ebenso verzichtet wie auf einen überbordenden wissenschaftlichen Apparat, nur wenig schmälern.

URN urn:nbn:de:0114-qn033056

Henrik Bispinck, M.A.

Institut für Zeitgeschichte München, Außenstelle Berlin

E-Mail: bispinck@ifz-muenchen.de

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