Gay Wachman:
Lesbian Empire.
Radical Crosswriting in the Twenties.
New Brunswick/ New Jersey/ London: Rutgers University Press 2001.
237 Seiten, ISBN 0–8135–2942–5, $ 24.00
Abstract: In Lesbian Empire vergleicht Gay Wachman die Werke Sylvia Townsend Warners mit ausgewählten Texten anderer lesbischer Autorinnen, die nach Ende des Ersten Weltkrieges erschienen und in denen deviante Sexualitäten dargestellt wurden. Das Ziel ihrer Analyse ist es, die Einflüsse imperialistischer Ideologie auf diese literarischen Texte aufzuzeigen. Es handelt sich dabei um Repräsentationen, die eine zentrale Rolle im Prozess der Ausbildung lesbischer Identität(en) am Beginn des 20. Jahrhunderts spielten.
Angestoßen durch Pionierarbeiten wie Edward Saids Orientalism (1978) haben in den vergangenen Jahren eine wachsende Anzahl von Forscher/-innen die Beziehung zwischen der britischen Alltagskultur und dem Empire untersucht. Bislang blieb dabei die Analyse des Einflusses imperialistischer Ideologie auf das literarische Werk lesbischer Autorinnen des beginnenden 20. Jahrhunderts unberücksichtigt. Dieser Aufgabe hat sich die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Gay Wachman angenommen, sie untersucht „lesbian modernist writing and lives within and against […] imperialism“ (S. 6). Die literarischen Texte Sylvia Townsend Warners mit denen anderer lesbischer Autorinnen vergleichend, identifiziert Wachman die unterschiedlichen Formen, in denen die zeitgenössische imperialistische Ideologie die Repräsentationen von Lesbierinnen und lesbischem Begehren beeinflusst hat. Die von der Autorin untersuchten Texte wurden von ihr nicht nach Kriterien wie Popularität oder literarische Bedeutung ausgewählt. Sondern nach zwei anderen Aspekten: zum einen führten fast alle Autorinnen mindestens einmal in ihrem Leben eine gleichgeschlechtliche Beziehung (Wachman gibt eine Ausnahme zu dieser Regel an). Zum anderen nutzten alle „crosswriting“ als eine literarische Strategie, die „otherwise unrepresentable lives of invisible or silenced or simply closeted lesbians into narratives of gay men“ (S. 1) übertrug und somit darstellbar machte.
Als eine Form des „literary transgenderism“ (S. 39) ermöglichte „crosswriting“ den lesbischen Autorinnen darüber hinaus, sich mit schwulen Männern zu identifizieren, die in den 1920er Jahren bereits Mittel und Wege entwickelt hatten, ihre sexuelle Identität in der Öffentlichkeit zu leben. Wachmann untersucht eine repräsentative Auswahl lesbischer Literatur, die auch jene Texte enthält, die bis in die 1950er und 1960er Jahre hinein eine zentrale Rolle in der Ausbildung lesbischer Identität(en) in Großbritannien und den Vereinigten Staaten spielten, wie beispielsweise The Well of Loneliness von Radclyffe Hall.
Wachman beginnt ihre Arbeit mit einer Einführung in den politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext der behandelten Schriftstellerinnen. Sie beschreibt das Konzept der Inversion, das zur Erklärung von Homosexualität von Krafft-Ebing, Ulrich und Ellis entwickelt wurde, und diskutiert seine Bedeutung in der Ausbildung einer homosexuellen Identität. Sie zeigt außerdem die Interdependenz zwischen Eugenik, Degenerationstheorie und Homophobie sowie den Einfluss des Mutterschaftskults auf die fehlende Akzeptanz nicht-(re)produktiver Beziehungen zwischen Frauen durch die britische Gesellschaft der 1920er Jahre. All diese Elemente identifiziert die Autorin als Teil der „ideology of empire […] that justified both worldwide economic exploitation and the slaughter of a generation of young men in World War I“ (S. 103f.). Darüber hinaus beschreibt sie die Wege, auf denen dieses zunächst rein akademische Wissen über Lesbianismus der Öffentlichkeit zugänglich wurde.
Von zentraler Bedeutung, so Wachman, waren in diesem Vorgang die Verleumdungsprozesse, die von den bekannten Künstlerinnen Maud Allen und Radclyffe Hall gegen einflussreiche konservative Politiker 1918 und 1920 geführt wurden. Über beide Prozesse wurde in der Presse ausführlich berichtet, und in ihnen wurde sexologisches Expertenwissen sowohl von der Anklage als auch von der Verteidigung genutzt, um die eigene Position zu untermauern. Allen und Hall versuchten, mit seiner Hilfe den gegen sie – bzw. in Halls Fall gegen ihre Lebensgefährtin Mabel Batten – erhobenen Vorwurf des Lesbianismus zu entkräften. Die Konservativen Noel Pemberton-Billing und St. George Lane Fox-Pitt nutzen dasselbe Expertenwissen, um die von ihnen unterstellten degenerierten und „perversen“ sexuellen Neigungen zu beweisen. Die Auseinandersetzung zwischen Hall und Pemberton-Billing hatte darüber hinaus auch eine politische Dimension: Allen verlor den Prozess, und Pemberton-Billing gelang es, Staatsfeindlichkeit und Verrat mit Homosexualität in Verbindung zu bringen.
Unter Berücksichtigung der so erzeugten feindlichen Atmosphäre, stellt Wachman fest: „It‘s a wonder that the writers I consider managed to represent lesbianism at all. „ (S. 22) Vor diesem Hintergrund untersucht Wachman ausgewählte Romane oder Kurzgeschichten von Sylvia Townsend Warner und anderen Autorinnen. Sie überprüft, wie die verschiedenen Elemente der imperialistischen Ideologie zur Repräsentation von Lesbianismus oder Lesbierinnen (oder anderen devianten Sexualitäten) genutzt wurden.
Im zweiten Kapitel beschreibt sie den Einfluss des eugenischen Konzepts von Degeneration und des rassistischen Mutterschaftskults auf die Darstellungen von Lesbierinnen und deviantem Begehren. In ihrer exemplarischen Analyse von Clemence Danes Regiment of Women (1917) zeigt Wachman die (identitäts-)politische Bedeutung dieses Romans: die Erfindung des „prototypical lesbian vampire or demon lover in women‘s writing“ (S. 54) und der – eugenisch gesprochen – korrekten „Lösung“ der Bedrohung durch lesbisches Begehren, dem „victory of imperialist marriage over barren inversion“ (ebd.). Wachman kontrastiert Danes Darstellung der zum Unglücklichsein verdammten Lesbierin mit der Beschreibung einer erfüllten Liebe zwischen einem Dienstmädchen und einem geistig behinderten Adligen in Warners The True Heart (1929), die gegen alle eugenischen Vorstellungen einer „rassisch“ wertvollen Verbindung heiraten. Kapitel drei ist der Untersuchung des modernistischen Primitivismus und seiner Rolle im „crosswriting“ der Autorinnen gewidmet. Unter Bezug auf Marianna Torgovnicks Modell des primitivistischen Diskurses als gleichzeitiger Idealisierung und Abwertung des „Primitiven“, analysiert Wachmann die Konstruktionen des klassenspezifischen oder „rassischen“ Anderen. Hierbei konzentriert sie sich vor allem auf Warners Lolly Willowes (1926) und Mr. Fortune‘s Maggot (1927). Sie gelangt zu dem kritischen Fazit: „ [the] desire of middle-class lesbians […] to escape the stifling middle-class silence about sexuality can lead such writers to idealize class or racial Others, reversing rather than calling into question the prevalent stereotypes of primitivism and degeneration theory. „ (S. 39)
Im folgenden Kapitel beleuchtet sie die Wirkung von Misogynie, Homophobie und rassistischer Kriegsbegeisterung der Eliten auf die literarischen Repräsentationen männlicher und weiblicher Homosexualität während oder kurz nach dem Ersten Weltkrieg am Beispiel von Rose Allatinis Despised and Rejected (1918), Virginia Woolfs Mrs. Dalloway (1925) und Rebecca Wests The Return of the Soldier (1918), die alle das Thema der mit Kriegsneurose zurückkehrenden Soldaten behandeln, sowie anhand von Warners My Shirt is in Mexico (1943) und ihrem Between two Wars (1964).
Im letzten Kapitel nimmt Wachman die wohl wirkungsmächtigste literarische Darstellung von Lesbianismus der 1920er Jahre, Radclyffe Halls The Well of Loneliness (1928), in den Blick. Überzeugend legt sie dar, dass Halls persönliche Identifikation mit der sozialen und politischen Elite Großbritanniens und ihrer imperialistischen Ideologie die Darstellung ihrer Protagonistin Stephen Gordon maßgeblich beeinflusste. Die Figur wird von Hall mit dem „rassisch“ Anderen identifiziert und abgewertet. Daher endet Halls Versuch, Lesbianismus bürgerlich respektabel zu machen, in der Abwertung der „masculine femininity“ (S. 153) nach den Kategorien der imperialistischen Ideologie und in der Überhöhung des gesellschaftlichen Konzepts der „whiteness“. Sie stellt Halls imperialistischer Darstellung von Stephen Gordon Warners Beschreibung lesbischen Begehrens in Summer Will Show (1936) gegenüber. Wachman demonstriert, dass alternative Repräsentationen von Lesbierinnen und Lesbianismus möglich waren, allerdings nur – und dies ist die conditio sine qua non –, wenn die Autorin die imperialistische Ideologie und ihre politischen Implikationen kritisch hinterfragte.
Wachman weist eindruckvoll die Interdependenz zwischen modernistischem „crosswriting“ und imperialistischer Ideologie in den Werken lesbischer Autorinnen der 1920er Jahre nach. Ihre Studie ist detailliert, fundiert und demonstriert eine genaue Kenntnis der untersuchten literarischen Texte. Mit beeindruckender Genauigkeit verknüpft sie in ihrer Argumentation die Analyse der literarischen Werke mit dem Blick auf die Biographien und die persönliche Involviertheit der Autorinnen. In der Tradition der britischen Cultural Studies ist sich Wachman dabei stets der politischen Implikation ihrer literaturwissenschaftlichen Untersuchung bewusst.
Sie resümiert: „homosexuals and lesbians do not fight for justice in a vacuum“ (S. 161).
URN urn:nbn:de:0114-qn033073
Eva Bischoff, M.A.
Universität zu Köln, Abteilung für Anglo-Amerikanische Geschichte des Historischen Seminars. Assoziiertes Mitglied des Graduiertenkollegs Postcolonial Studies der Ludwig-Maximilians-Universität München
E-Mail: eva_bischoff@hotmail.com
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