Frauendiskurse um 1900

Rezension von Gregor Hufenreuter

Christl Grießhaber-Weninger:

Rasse und Geschlecht.

Hybride Frauenfiguren in der Literatur um 1900.

Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2000.

294 Seiten, ISBN 3–412–15099–1, € 34,50

Abstract: Christl Grießhaber-Weninger untersucht die Verschränkung (halb-)wissenschaftlicher Geschlechter- und Rassekonstrukte mit literarischen Strömungen vom Beginn bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Unter Einbeziehung zeitgenössischer Erziehungsmodelle für bürgerliche Frauen, soziologischer Konzepte der Fremdheit und medizinischer Schönheitsvorstellungen, illustriert sie anhand ausgewählter literarischer Texte die gängigen Diskussionsformen und zeigt, wo sich die Literatur dieser Diskurse bediente oder verschloss.

Christl Grießhaber-Weninger untersucht in ihrer literaturwissenschaftlichen Arbeit das Verhältnis und Zusammenspiel zwischen literarischen Texten und ausgewählten, gesellschaftlich einflussreichen Diskursen des 19. Jahrhunderts. Insbesondere konzentriert sich die Autorin auf Erziehungswissenschaft, Soziologie und Medizin, die allesamt Konzepte und Konstrukte der „Rasse“ instrumentalisierten.

Dabei hinterfragt sie, in welcher Weise und in welchem Umfang diese Gedanken in die literarischen Werke der Zeit Eingang fanden, welche kulturellen Implikationen in der Literatur entstanden und welche ideologischen Auswirkungen möglich waren.
Der Schwerpunkt der Arbeit stellt die Verknüpfung des Rassendiskurses mit der damaligen Geschlechterdebatte dar. Die Autorin weist hierbei nach, dass sowohl im Diskurs als auch in der Literatur ein (nach einer bestimmten Hierarchie geordnetes) soziales und kulturelles Konstrukt von Rasse und Geschlecht konzipiert wurde.

Umfangreich wird zu Beginn die Entwicklung von Rasseideologien seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert dargelegt und besonders auf die beiden einflussreichen Theoretiker Joseph-Arthur Comte de Gobineau und Housten Steward Chamberlain eingegangen, deren verschiedene Konzepte die Autorin stringent herauszuarbeiten versteht. Bemerkenswert ist, dass sie dabei auch auf das ambivalente Verhältnis zwischen der sogenannten „seriösen“ Wissenschaft und den „Halbwissenschaften“ eingeht. Diese beeinflussten sich gegenseitig, was für den rassistischen Niederschlag im Verhalten, Denken und der Sprache der zumeist wissenschaftsgläubigen Rezipientenschaft von immanenter Bedeutung war und somit auch an der Literatur dieser Zeit nicht vorbeiging.

Als Untersuchungsgrundlage nutzt Grießhaber-Weninger vier literarische Texte, in denen eine „fremdrassige“ Frau als Protagonistin auftritt, welche in „rassischer“ und/oder sozialer Hinsicht eine hybride Existenz führt.

So unterzieht sie Gottfried Kellers Sinngedicht einer rassenthematischen Interpretation und untersucht das Spannungsverhältnis zwischen angestrebter Assimilation und der dem Ideal gleichgesetzten ethnischen Identität. Danach wendet sie sich der Frage der Erziehung bürgerlicher Frauen im 19. Jahrhundert zu, die als dezidiert geschlechtsspezifische Erziehung erkannt, vor dem Hintergrund von Gabriele Reuters Novelle Aphrodite und ihr Dichter herausgearbeitet wird und im Besonderen die Kopplung von Geschlecht und Rasse behandelt. Kulturelle und „rassische“ Hybridität bestimmen auch die Untersuchung von Georg Simmels Essays Weibliche Kultur und Exkurs über die Fremde und Heinrich Manns Roman Zwischen den Rassen. Im letzten Teil widmet sich Grießhaber-Weninger der Debatte um weibliche „Rassenschönheit“, die sie anhand von Max Dauthendeys Novellenzyklus Die acht Gesichter am Biwasee nachzeichnet.

Christl Grießhaber-Weninger hat eine bemerkenswert dichte und detailreiche Arbeit vorgelegt, die sehr gut lesbar ist, wobei jedoch das oft umfangreiche Zitieren der zumeist englischen Sekundärliteratur den Lesefluss bisweilen stört. Trotz aller Komplexität lässt die Autorin die grundlegenden Fragen des Themas nie aus dem Blick, dabei gelingt es ihr auch, eine Reihe von weiterführenden Gedanken essentiell und kompetent zu behandeln. Wohl akzentuiert erarbeitet sie aus dem Bild sozialer, kultureller oder „rassisch“ hybrider Frauen in einer europäischen Männergesellschaft den rasse- und geschlechtsspezifischen Subtext in der Literatur der Jahrhundertwende. Die Freiräume, die sich die Literatur bewahrte, aber auch die Einfallstore, die sie den Rassen- und Geschlechterdiskursen mit den entsprechenden Ideologien bot und mitunter bewusst öffnete, kann sie dabei aufzeigen.

URN urn:nbn:de:0114-qn033086

Gregor Hufenreuter

FU Berlin

E-Mail: Hufenreuter@aol.com

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