Manuela Marín, Randi Deguilhem (Hg.):
Writing the Feminine.
Women in Arabic Sources.
London, New York: I. B. Tauris 2002.
289 Seiten, ISBN 1–86064–697–2, £ 42,00
Abstract: Writing the Feminine versammelt 13 Beiträge zur Frauengeschichte der arabischen Welt, insbesondere Andalusiens und des Maghreb der klassischen Zeit. Eine Vielzahl von Primärquellen werden daraufhin analysiert, welche Aussagen zu Handlungsspielräumen von Frauen – und ihren Grenzen – sich aus ihnen herauslesen lassen. Die unterschiedlichen Textsorten erhellen sich zum Teil auf überraschende Weise. Mag der Ertrag auch zunächst gering und die weiblichen Spuren flüchtig erscheinen, so stellt der Band doch einen wichtigen ersten Schritt dar, dem weitere folgen sollten.
Writing the Feminine präsentiert als Eröffnungsband der Reihe „The Islamic Mediterranean“ – zusammen mit den Folgebänden – Ergebnisse des Forschungsprojekts „Individual and Society in the Mediterranean Muslim World“ (1996–2001). Der Band versammelt Beiträge von Forscher/-innen aus sieben Ländern von beiden Seiten des Mittelmeers, die zum Teil bereits 1996 bzw. 1997 auf Konferenzen in Madrid und Mulhouse vorgestellt wurden.
Das Interesse an der Frauen- und Geschlechtergeschichte der arabischen Welt hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Die meisten Arbeiten stammen aus den letzten beiden Jahrzehnten und konzentrieren sich – u. a. aufgrund der Quellenlage – auf die Gegenwart oder jüngere Vergangenheit. Die Aufsätze des vorliegenden Bandes leisten einen Beitrag dazu, eine Forschungslücke zu schließen, indem sie sich zum weitaus größten Teil der klassischen Zeit widmen. Die Wahl des westlichen Teils der arabischen Welt – Andalusien und Maghreb – als regionalem Schwerpunkt wird damit begründet, dass diese Region gewöhnlich zugunsten des Nahen Ostens vernachlässigt werde und dass eine Vielzahl schriftlicher wie mündlicher Quellen aus diesem Gebiet vorhanden sei. Wie der Untertitel des Buches – Women in Arab Sources – bereits ausdrückt, liegt das Konzept des Bandes darin, eng an den dokumentarischen Quellen zu bleiben, um die Originalstimmen sprechen zu lassen und eine Innenperspektive zu ermöglichen. Damit verbindet er den feministischen Ansatz mit einem postkolonialen.
Wie die Herausgeberinnen Manuela Marín (Madrid) und Randi Deguilhem (Aix-en-Provence) in ihrer Einleitung formulieren, stellt der Band ein altes – wenn auch nicht mehr gänzlich unangefochtenes – Klischee infrage: das von der passiven muslimischen Frau, die der Tyrannei und Misogynie sowohl ihrer männlichen Verwandten als auch ihrer Religion vollkommen unterworfen ist. Im Gegensatz zu diesem Bild, so Marín und Deguilhem, lassen die hier präsentierten Studien die Sichtbarkeit und das Bewusstsein von weiblichem Handeln – und seine Grenzen – in den islamischen Gesellschaften des Mittelmeerraums erkennen und zeigen, dass diese Frauen in bestimmten Bereichen ein gewisses Maß an ökonomischer, rechtlicher und intellektueller Freiheit nutzten. Es werde deutlich, dass Frauen nicht nur, wie allgemein angenommen, in der privaten – d. h. weiblich konnotierten – Sphäre, sondern auch in der Öffentlichkeit (inter-)agierten. In Abgrenzung zu Autoren mit der Tendenz, alle gesellschaftlichen Phänomene auf „den Islam“ zurückführen, unterstreichen Marín und Deguilhem, dass dem Islam als Religion zwar eine bedeutende Rolle in der Gesellschaft zukomme. Sie sehen ihn jedoch lediglich als einen von vielen Faktoren, die die Situation der Frau bestimmen. So sei die intellektuelle und physische Bewegungsfreiheit etwa wesentlich durch den sozioökonomischen Status und die Lebenssituation der einzelnen Frau bedingt. Um dies zu belegen, läge – gerade bezüglich Andalusiens – ein Vergleich mit der Situation christlicher und jüdischer Frauen nahe, doch werden hier fast ausschließlich muslimische Frauen betrachtet.
Writing the Feminine deckt ein sehr breites Spektrum von Quellen ab. Neben religiösen und historiographischen Quellen sowie juristischen Texten und Gerichtsakten, die in letzter Zeit verstärkt als Quelle für Frauengeschichte entdeckt wurden, wählen die Autor/-innen auch seltener untersuchte Quellen wie etwa epische Dichtung, Sprichwörter und Malerei. Damit weiten sie die Grenzen der Geschichtswissenschaft zur Anthropologie, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte hin aus.
Die (im weiteren Sinne) literarischen Quellen des ersten Teils umfassen Volksepen, die – obwohl auch schriftlich fixiert – üblicherweise von Geschichtenerzählern einem männlichen Publikum vorgetragen wurden, ebenso wie klassische Dichtung, Sprichwortsammlungen aus Andalusien (13.-15. Jahrhundert) und schließlich palästinensische Autobiographien des 20. Jahrhunderts. Remke Kruk präsentiert die Volksepen als Spiegel gesellschaftlicher Trends – vergleichbar heutigen Soap-Operas –, in denen Erfahrungen meist polygamer Beziehungen durchgespielt und Weiblichkeitsideale propagiert werden. Teresa Garulo sieht in der klassischen Dichtung eher die Beschreibung idealer Frauen als reale Portraits. Dies erklärt sie damit, dass es immer mehr zum Skandal wird, freie Frauen – als Individuen – in der Dichtung „sichtbar“ zu machen und sie damit der Öffentlichkeit preiszugeben. Nadia Lachiri unterstreicht die Bedeutung von Sprichwörtern für die Frauengeschichte, da sie zwar stereotype Bilder von Frauen unterschiedlichen Status (Sklavinnen und freie Frauen, unverheiratete, verheiratete und alte Frauen, Prostituierte) transportierten, aber doch einen Eindruck von deren Alltagsleben und -problemen vermittelten. Als jüngste der Quellen lassen die Autobiographien, die das Corpus von Susanne Enderwitz‘ Beitrag bilden, schließlich individuelle Frauen (und Männer) zu Wort kommen, die über ihre persönlichen Erfahrungen und Eindrücke von der Situation der Frauen in Familie und Gesellschaft berichten.
Teil II widmet sich juristischen Quellen – theoretischen Abhandlungen ebenso wie Dokumenten der Rechtspraxis. Den Anfang macht Camilla Adangs Analyse eines Werkes von Ibn Hazm al-Andalusi (11. Jahrhundert), in dem er Ansichten vertritt, die im Gegensatz zu den strikten Auslegungen der normativen Quellen (Koran und Prophetentradition) durch die in Andalusien vorherrschende malikitische Rechtsschule stehen. Adang räumt jedoch ein, das Werk lasse aufgrund seines theoretischen Charakters und seiner fehlenden Anwendung kaum Rückschlüsse auf die Lebenswirklichkeit von Frauen zu. Cristina de la Puente untersucht Grundlagentexte der malikitischen Rechtsschule (8.-10. Jahrhundert) hinsichtlich des Bewegungsspielraums von Frauen und stößt dabei auf Widersprüche: So wird das Recht der Frau, Geschäfte zu tätigen, in der Praxis durchkreuzt durch das Recht des Ehemanns, ihr das Verlassen des Hauses zu verbieten. Amalia Zomeños Analyse von watha‘iq-Werken aus dem Andalusien des 10.-12. Jahrhunderts zeigt am Beispiel der Scheidungsmöglichkeiten von Frauen, die von ihren Männern verlassen wurden, wie allgemeine Rechtsprinzipien praktisch umgesetzt wurden.
Die Quellen des dritten Teils bilden Anthologien, Chroniken und Biographische Lexika. Nadia Maria El-Cheikh liest aus zwei adab-Sammlungen al-Tanukhis soziale Praktiken im Bagdad des 10. Jahrhunderts heraus: familiäre und eheliche Beziehungen, Frauenbildung und ihre Partizipation am politischen und wirtschaftlichen Leben. Dabei stellt sie eine Diskrepanz zwischen den offiziellen Moralstandards und der gelebten Realität fest, die individuelle Freiräume ermöglichte. Biographische Lexika aus Andalusien (11.-13. Jahrhundert), so das Ergebnis der Studie von María Luisa Ávila, enthalten Frauenbiographien, die nicht nur in der Zahl, sondern auch in der Qualität der Einträge deutlich hinter denen von Männern zurückstehen, zumal sie oft nur als Ehefrauen oder Sklavinnen berühmter Männer aufgenommen sind. Als zulässige Aktivitäten außerhalb des Familienkreises sind kaum mehr als Studieren und Unterrichten nachweisbar. Ein ähnliches Bild ergibt sich aus der Analyse andalusischer und nordafrikanischer Chroniken durch María Jesús Viguera Molíns: Frauen werden selten erwähnt und dann meist nur in ihrem Verhältnis zu Männern. Nahmen Frauen aus Herrscherfamilien doch einmal eine politische Rolle ein, so wurde dies als Zeichen männlicher Schwäche und als Gefahr für die etablierte Ordnung verurteilt.
Der letzte Teil präsentiert religiöse, soziale und künstlerische Frauenbilder: Die von Maribel Fierro untersuchten Werke der Koranexegese (tafsir) reflektieren eine hitzige Debatte um die Existenz von Prophetinnen im Islam, die im 10. Jahrhundert begann. Der auf ethnologischer Feldforschung basierende Beitrag von Mariëtte van Beek schließt eine historiographische Lücke: die Analyse der mündlichen Überlieferung über Heilige (insbesondere Frauen), von denen die schriftlichen Quellen schweigen. Vorgenommen wird zudem eine Analyse des mystischen Symbolismus in den Geschichten und Ritualen, die sich um eine konkrete Heilige aus Marrakesch ranken. Eine ganz andere Art von Quellen beschließt den Band: Silvia Naefs Untersuchung zeitgenössischer Kunst zeigt, dass die Darstellung von Frauen hier – anders als in der Literatur – weniger die konkrete Lebenssituation von Frauen oder ihre Wünsche abbildet als dass sie erkennen lässt, welche Frauenrollen sich die Gesellschaft wünscht.
Die Herausgeberinnen wecken in der Einleitung hohe Erwartungen, die meines Erachtens nicht ganz erfüllt werden können. So sind weibliche Stimmen deutlich in der Minderheit und Frauen als Akteure kaum sichtbar. Meist geht es darum, mühsam verschüttete oder verwischte weibliche Spuren aufzuspüren.
Die einzelnen Beiträge leisten wichtige Pionierarbeit, wenn die Quellen, die ja meist aus männlicher Feder stammen, zum ersten Mal auf die in ihnen enthaltenen Spuren von Frauenleben bzw. auf die in ihnen vertretenen Standpunkte hin – ‚gegen den Strich‘ – gelesen werden. So stellt jeder Aufsatz ein eigenes Universum vor, das in der Kürze nicht umfassend behandelt werden kann. Interessierte finden hier auf jeden Fall einen hilfreichen Einstieg, zumal in der Regel weiterführende Literatur angegeben wird.
Es ist hinreichend bekannt, dass die Orientalistik als Regionalwissenschaft den ‚systematischen‘ Fächern in der Anwendung von theoretischen und methodischen Ansätzen mit erheblichem Abstand hinterherhinkt. So mag es nicht verwundern, dass Reflexionen theoretischer Ansätze und Konzepte der Frauen- und Geschlechterforschung fast gänzlich fehlen. Doch eigentlich waren Forscherinnen wie Fedwa Malti-Douglas oder Leila Ahmed bereits in den neunziger Jahren mit gutem – theoretischen – Beispiel vorangegangen.
Auch stellt sich die Frage, ob der Erkenntnisgewinn, den die interdisziplinäre Herangehensweise erhoffen lässt, erreicht wird. So beleuchten sich viele Aufsätze zu verschiedenen Quellensorten aus der gleichen Zeit und Region auf wunderbare Weise. Die aus dem zeitlichen und geographischen Schwerpunkt herausfallenden – und für sich genommen sehr interessanten – Studien bergen dagegen eher die Gefahr, das zu tun, was doch gerade bekämpft werden sollte: die Lebensbedingungen von muslimischen Frauen doch wieder in einen Topf zu werfen, statt sie als je nach Zeit, Region und sozioökonomischer Situation der einzelnen Frau differenziert anzunehmen. Gerade das Hinzuziehen der Aufsätze zur zeitgenössischen Autobiographie und Bildenden Kunst, die sicher insbesondere zur Aufnahme verführen, weil hier Frauen Subjekte des Ausdrucks sind, riskiert, Gleichheit nicht zu postulieren, aber doch zu suggerieren.
Die Autor/-innen der Beiträge werden in einem kurzen Überblick über Wirkungsort, Forschungsschwerpunkte und wichtigste Publikationen vorgestellt. Zusätzlich zu den bibliographischen Angaben in den Einzelbeiträgen finden die Leser am Ende des Bandes eine allgemeine Bibliographie. Hilfreich ist neben dem Glossar arabischer Begriffe – nicht nur für Nicht-Orientalisten – zudem ein Personen-, Orts- und Sachindex, nicht nur wegen der unterschiedlichen Themen, sondern gerade wegen der Überschneidungen von Themen und Personen in den unterschiedlichen Quellen. Dies ist schließlich auch die Stärke dieses Bandes: die Präsentation einer enormen Vielfalt an Quellenmaterial, die zu weiteren und weiterführenden Studien anregt.
URN urn:nbn:de:0114-qn033149
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