Frauen im Netz weltweit – ausgegrenzt und mittendrin

Rezension von Sigrid Peuker und Dorothea Lüdke

Heinrich-Böll-Stiftung und Feministisches Institut (Hg.):

Feminist_spaces – Frauen im Netz.

Diskurse – Communities – Visionen.

Berlin: Ulrike Helmer 2002.

178 Seiten, ISBN 3–89741–114–8, € 15,00

Abstract: Mit dem Global Center for Women’s Studies and Politics (GLOW) ist das Feministische Institut der Heinrich-Böll-Stiftung 1998 online gegangen. Mit diesem Schritt wurden Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen sowie nach den Gestaltungsräumen virtueller Kommunikation für Frauen zentral. Mit feminist_spaces. Frauen im Netz. Diskurse – Communities – Visionen legt die Heinrich-Böll-Stiftung zusammen mit dem Feministischen Institut Antworten aus internationaler Perspektive vor. Das Buch geht auf die gleichnamige zweitätige Konferenz in Berlin im November 2001 zurück.

For men it’s a toy, for women it’s a tool

Patricia Keeding und Gitti Hentschel bringen die Debatte über die Geschlechterfrage im Netz plakativ mit dem bekannten Zitat auf den Punkt: „For men it’s a toy, for women it’s a tool“ (S. 7). Das Netz galt bis Mitte der 90er Jahre als Männerdomäne, und Frauen im Web waren kein öffentliches und wissenschaftliches Thema, so die Autorinnen. Mittlerweile nutzen immer mehr Frauen das Internet aktiv, wenn auch nicht in allen Teilen der Welt: Während in den USA Frauen die Männer im Netz überholt haben, sind sie in Afrika weitgehend ausgegrenzt. Eine digitale Kluft, die Keeding und Hentschel ökonomisch begründet sehen.

Erkenntnisse wie diese machen schlagartig deutlich: Fragen nach feminist_spaces, nach Frauen im (internationalen) Netz sind nicht pauschal zu beantworten. Das Resümee des internationalen Abschlusspodiums spiegelt dieses Dilemma wider und setzt auf die (politische) Kraft des Gedankenaustauschs: „Über das grenzenlose Medium können und müssen grenzenlose Debatten geführt werden. Insbesondere für die frauenpolitische Community …, im Interesse weiblichen ‚Empowerments‘ und der Entwicklung der politischen Artikulations- als auch Handlungsmöglichkeiten von Frauen weltweit“ (S. 10).

Von Grenzen und Chance

Das Buch beleuchtet und diskutiert Fragen rund um die Chancen und Risiken virtueller Kommunikation – insbesondere für Frauen – aus nationalen und internationalen Perspektiven heraus: Wie sehen Feminist Spaces aus, die im Internet entstehen? Verschwimmen im Cyberspace die Geschlechtergrenzen? Welche Gefahren und Probleme, aber auch Chancen für Frauen und einen (globalen) feministischen Diskurs zeigen sich? Wie kann das Problem der digitalen Spaltung beseitigt werden? Fallbeispiele und geschilderte Erfahrungen eröffnen die Spiel- und Handlungsräume für Frauen im Netz in einzelnen Ländern, aber auch weltweit sehr anschaulich und konkret. Eingebettet sind diese Beiträge in theoretische Reflexionen. Diese erweitern die Perspektive und bieten eine Interpretationsfolie für Alltag und konkrete Praxis. Die Gesamtschau aller Aufsätze macht die mit diesem Medium für Frauen und für die Frage nach Feminist Spaces verbundenen Ambivalenzen deutlich. Gerade der mit einem Blick über den Tellerrand verbundene implizite Vergleich illustriert die Tatsache, dass mögliche Chancen und Grenzen des Netzes nicht dem Medium inhärent sind. Das Internet ist in die Strukturen der Gesellschaft und damit der Geschlechterverhältnisse eingebunden. Erst im Kontext sozialer Interaktionen erhält es seine Funktion und Relevanz.

Feminist Spaces als Räume sozialer Transformationen

Gillian Youngs Thema ist „Globalisierung und neue Kommunikationstechnologien: Geschlechtspezifische Perspektiven“. Umfassend und differenziert untersucht sie die „Wechselwirkungen zwischen technologischen und gesellschaftlichen Prozessen“ aus geschlechtspezifischer, historischer und soziologischer Sicht. Welche Bedeutung die Feminist Spaces haben, sei noch nicht in Gänze erforscht. Wichtig sei es, diese Räume wirklich zu bewohnen und aktiv zu gestalten. Damit tragen die Nutzerinnen dazu bei, wie das Netz interpretiert und verstanden wird. Sie könnten das Web als neuen Raum für feministische Reflexionen und zur Realisierung sozialer Transformationen gestalten.

„Glokalitäten“ – neue virtuelle Orte auf einer feministischen Landkarte

Wendy Harcourt führt den Gedanken einer feministischen Transformation fort in „Politische Frauenorganisationen: Neue Kulturen im Cyberspace schaffen“. Sie geht der Frage nach, welche Möglichkeiten und ‚Räume‘ das Netz für Frauen, feministisches Wissen, feministische Kommunikation und Diskussion eröffnet. Um es gleich vorweg zu nehmen: für Wendy Harcourt hat das Netz frauenpolitisches Potenzial. Konkrete Beispiele zeigen, wie effektiv Frauen das Internet für soziale Veränderungsprozesse nutzen können. Die hinter den Illustrationen liegenden Aspekte interpretiert die Autorin im Sinne neuer feministischer Kulturräume im Web. Diese „Glokalitäten“ führen sowohl lokale als auch globale politische und persönliche Aktivitäten zu einem neuartigen – nationale, regionale und internationale Grenzen außer Kraft setzenden – Netzwerk für mehr Chancengleichheit zusammen.

Digitale Kluft und virtuelle Communities ganz praktisch

Warum ist der typische Internet-Nutzer jung, männlich, mit guter Schulbildung und überdurchschnittlichem Einkommen, Englisch sprechend und lebt in den USA? Maren Landschulze erläutert im ersten Teil ihres Beitrags „Netzwerke für die Entwicklung und Gleichberechtigung der Geschlechter: Praktische Lösungen für virtuelle Communities“, wie die geschlechtspezifische digitale Kluft entsteht und warum nur Frauen in bestimmten Ländern dieser Welt Zugang zum Netz haben und es nutzen können und andere nicht. Im zweiten Teil nennt sie praktische Lösungen und mögliche Maßnahmen. Die konkrete Beschreibung eines Konzepts für ein technisch einfaches virtuelles Netzwerk zum Thema „Gender und Entwicklung“ rundet den Beitrag ab.

Gender und die digitale Kluft in Afrika

Mehr als die Hälfte der Menschen in Afrika können Computer und Internet kaum oder gar nicht nutzen – und Frauen sind ausgegrenzt. Mercy Wambui beschreibt und erklärt insbesondere aus geschlechtsspezifischer Sicht Gründe für „Gender und die digitale Kluft“ in Afrika. Sie zeigt auf, wie wichtig die Informations- und Kommunikationstechnologien zur Lösung von Entwicklungsfragen sind und welche Rolle diese Medien für die Gleichberechtigung der Geschlechter spielen: „Afrikas komplexe Bedürfnisse erfordern komplexe Lösungen“ (S. 75). Wie diese Lösungen aussehen können, veranschaulicht die Autorin durch klare Hinweise und konkrete Beispiele.

Die Zukunft ist weiblich

In „Neue Medien und Lernen im Netz – Frauen und der Lernraum Virtuelle Universität“ geht Christine von Prümmer der Frage nach, „wie der Lernraum ‚Virtuelle Universität‘ auch ein Platz für Frauen sein kann, den sie ungehindert betreten und in dem sie sich akzeptiert und wohl fühlen können – und den sie nicht zuletzt ihren Kommunikationsbedürfnissen und Lernstilen entsprechend mitgestalten können“ (S. 77). Die Autorin beschreibt und analysiert die Geschlechterdifferenzen am Beispiel der Fernuniversität Hagen, insbesondere im Fach Informatik. Frauen müssen sich in der virtuellen Universität einrichten und sich inhaltlich und strukturell „feminist spaces entsprechend ihren Bedürfnissen und Interessen“ einrichten, damit der Appell der Frauenbewegung „Die Zukunft ist weiblich“ auch für das virtuelle Netz gültig wird.

Interaktive Lernexperimente konkret

Die Autorinnen der nächsten zwei Beiträge schildern konkrete Erfahrungen mit interaktiven (Lern-)Experimenten aus Sicht von Studierenden und Lehrenden. In „Macht Distance Learning einsam“ zeigt Helga Braun, wie die E-Learning-Plattform GLOW des Feministischen Instituts der Heinrich-Böll-Stiftung im Rahmen eines transnationalen Kooperationsseminars neue Lehr- und Lernformen ermöglichte. Es entstand eine learning community, in der die Teilnehmenden gemeinsam – virtuell und interaktiv – Wissen teilen und erwerben konnten. Der Beitrag erläutert das didaktische Konzept und die direkte Umsetzung des virtuellen Seminars. Wer darüber hinaus Fragen rund um virtuelle Lehr- und Lernformen hat, der oder die kann in Women’s Campus ein Netzwerk mit dem Ziel finden, „ein Forum für ein internationales und interkulturelles Networking von Lehrenden im Bereich von Women’s and Gender Studies zu schaffen“ (S. 110, kursiv im Original).

Mechthild Hauf berichtet in „Lehren und Lernen mit neuen Medien – Dozentinnen und Studentinnen sammeln Erfahrungen“ über eine virtuelle Lehrveranstaltung an der Universität Innsbruck. Ziel war es, Erfahrungen im Umgang mit dem Internet als Lehr- und Lernform zu sammeln. Auch in diesem Beitrag steht die detaillierte Beschreibung der Konzeption und Durchführung im Vordergrund. Schriftliche Erfahrungsberichte von Studierenden runden das Bild ab. Hauff fokussiert ihr Fazit vor allem auf die geänderten Anforderungen an Lehrende und Studierende: „Ohne die Ausbildung der spezifischen Medienkompetenz wird es Dozentinnen und Studentinnen nur schwer möglich sein, die Chancen, die das Internet bietet, für ihre Bedürfnisse in Wert zu setzen! „ (S. 121).

GLOW- feminist spaces im Cyberspace

Stefanie Rinke und Johanna Bussemer stellen in „GLOW – ein feministisches Netz im Cyberspace“ das Internetprojekt selber – von der Idee bis zur konkreten Realisierung – vor. GLOW ist: „in der Praxis, was auf der Konferenz ‚feminist_spaces‘ […] diskutiert und gefordert wurde: den Aufbau einer frauenpolitischen Netz-Community, die auf weltweiten feministischen Diskurs, auf transnationalen Austausch, interkultureller Kommunikation und Information setzt“ (S. 123). Campus, Conference, Network, Ressources und About us sind die fünf Bereiche der Community-Plattform. Allerdings ist GLOW als virtuelle feministische Community noch im Entstehen begriffen. Zukünftig sollen internationale Aktivitäten und Kooperationen quer über den Globus, aber insbesondere mit Frauen aus südlichen Ländern und Osteuropa über GLOW realisiert werden können.

Wie bleiben feministische Communities lebendig?

Die Frage von Gabriele Hoffacker „Wie organisiert man eine lebendige feministische Community?“ knüpft hier an und nennt konkret und praktisch die notwendigen Schritte. In „Virtuelle feministische Communities“ finden sich darüber hinaus Frauennetzwerke, feministische Sites und Communities kurz präsentiert.

Fragen an den Feminismus

Manuel Castells möchte in seinem Buchbeitrag „Frauen in der Netzwerkgesellschaft: Fragen an den Feminismus“ den Nutzen des Internets für die feministischen Interessen und Kooperationen hinterfragen. Kommunikation via Internet versteht er – genauso wie das Internet selbst – als kulturelles Produkt. Seine Fragen an den Feminismus gehen von der Ist-Situation aus und versuchen, die Konsequenzen auch vor dem Hintergrund von Wandlungsprozessen auszuloten. Castells liefert keine Antworten, aber seine Fragen haben auf der Tagung – möglicherweise weil er nicht aus der Frauen- und Geschlechterforschung kommt – die Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen des Internets für Feminist Spaces kräftig angeregt.

Von Grenzen und Chancen

Welche Chancen und Grenzen bietet das Web – insbesondere für Frauen? Der Sammelband liefert Antworten aus unterschiedlichen Perspektiven und zeigt so eine Palette von – teilweise auch disparaten – Erfahrungen und Argumentationslinien auf. So weit so gut, denn damit spiegelt das Buch die Vielfalt und Komplexität des Themas wider. Was fehlt, ist ein Beitrag, der pointiert die hier geschilderten Möglichkeiten und Nachteile für Frauen im Netz resümiert und reflektiert.

URN urn:nbn:de:0114-qn041050

Sigrid Peuker

FU Berlin/Publizistik- und Kommunikationswissenschaft/Politik- und Sozialwissenschaften

E-Mail: peukers@zedat.fu-berlin.de

Dorothea Lüdke

FU Berlin/Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung

E-Mail: luedke@zedat.fu-berlin.de

Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.