Marion Strunk (Hrsg.):
Gender Game.
Tübingen: Konkursbuch39 2002.
260 Seiten, ISBN 3–88769–239–X, € 15,50
Abstract: Gender Game vereint künstlerische und wissenschaftliche Zugänge zu postmodernen Geschlechterkonstruktionen. Vor dem Hintergrund von Judith Butlers Konzept des „doing Gender“ fragen die Beiträge des vorliegenden Bandes danach, welche Rolle Blicke und Visualität für Geschlechterkonstruktionen spielen und welche Möglichkeiten die visuellen Medien (Film, Fotografie und Internet) für eine performative Überschreitung der Geschlechtergrenzen bieten.
Der vorliegende Band macht den Versuch, vier unterschiedliche Projekte zusammenzubringen: (1) die Start-Up-Tagung der Gender Studies an der HGK Zürich, die unter dem Titel „Medien Körper Blicke“ im Oktober 2001 stattfand; (2); das GenderGame_Online, ein Forschungsprojekt der HGK Zürich, (3) eine Vortragsreihe zu Männlichkeiten, konzipiert für die Volkshochschule/Uni Zürich und (4) die Foto-Ausstellung „go drag! „, die im Juni/Juli 2002 im Tacheles (Berlin) zu sehen war. In ihrer Einleitung betont die Herausgeberin das Anliegen, die Entwicklung des Gender-Begriffs in Korrespondenz mit der Entwicklung der Medien zu behandeln. Allerdings ist die Perspektive des Bandes nicht durchgängig transhistorisch, sondern überwiegend auf die Gegenwart beschränkt. Das in der gegenwärtigen postmodernen Situation konstatierte Spiel der Identitäten und Subjektpositionen sowie die Sichtbarmachung von Gender in unterschiedlichen medialen Bereichen zielt dabei letztlich auf die Frage: ändert sich mit den neuen Medien (Fotografie, Film und Internet) auch das Gender?
Die Autor/-innen des ersten Teils situieren sich insgesamt zwischen Essentialismus und Konstruktivismus, wenn sie Kunst und künstlerische Strategien als Medium der Aneignung, Auswahl und Verwandlung von (Geschlechter-)Identitäten propagieren. So argumentiert Christina von Braun im ersten Beitrag, der Blick sei einerseits immer geschlechtlich kodiert, andererseits aber einem rasanten Wandel unterworfen (und zwar gerade durch technische, mediale und künstlerische Interventionen); hierin liege folglich der Grund für den historischen Wandel der Geschlechterrollen. (S. 11–25) Insbesondere für den Bereich der künstlerischen Praxis, der durch Entwurf und Aufmachung des Bandes unterstrichen wird, können die Beiträge des ersten Teils erhellend wirken. So wird im vorliegenden Band im Anschluss an Lacans Konzept des „gaze“ nicht nur eEin-Subjekt-Sein, sondern auch Ein-Gechlecht-haben über das Feld des Visuellen bestimmt (vgl. die Beiträge von Marie-Luise Angerer, Gertrud Koch und Georg Christoph Tholen). Dabei konzeptualisieren die Autor/-innen den „Blick“ jedoch nicht als körperlos oder „rein“, sondern betonen gerade die irrationalen, körperlichen und affektiven Aspekte der Wahrnehmung als eines Vorgangs der „Ver-Körper-ung“. (So Marie-Luise Angerer, S. 65)
Der originellste Teil des Bandes ist zweifellos das GenderGame_Online (S. 70–90). Das Spiel ist seit Oktober 2001 online; leider konnte die Rezensentin es nicht spielen, weil es ihren Rechner mehrfach zum Abstürzen brachte. Wenn Geschlecht das Ergebnis performativer Akte ist, wie Judith Butler meint, sind Männlichkeiten und Weiblichkeiten dann nur noch ein Gender Game, eine virtuelle Inszenierung? Doch die durch das Genderspezifische Online-Game aufgeworfenen Fragen sind nicht nur grundsätzlicher, sondern auch politischer Natur: es geht nämlich um die Möglichkeit, mit Hilfe der neuen Medien die Repräsentation von „Geschlecht“ so zu verändern, dass auch die sozialen Realitäten davon beeinträchtigt werden. In ihrer Erläuterung zum GenderGame betont die Herausgeberin Marion Strunk das Anliegen, Theorie innerhalb von künstlerischen Prozessen zu situieren (S. 70). Dabei weist sie dem Cyberspace einen Modellcharakter für die Überwindung der sozialen Geschlechtergrenzen zu. Das Spielen des fünfteiligen GenderGame würde demnach ein performatives Probehandeln darstellen; zugleich soll das GenderGame_Online „Plattform für ein thematisches Netzwerk sein, und neben dem Spiel eine über Texte (Zitatraum, Links) vermittelte Debatte eröffnen, die sich in einer Community herstellen möge“. (S. 73) Leider liefert der Band keine Aufschlüsse über bisherige Erfahrungen mit dem Spielverhalten und dessen Auswirkungen, so dass die programmatischen Ankündigungen der Verfasser/-innen sich nicht überprüfen lassen.
Der dritte Teil erweitert noch einmal die Perspektive, indem nun spezifisch nach „Männlichkeiten“ und deren Veränderbarkeit gefragt wird. Besonders aufschlussreich für die Konzeption von Männlichkeit ist der Beitrag von Isabelle Werenfels über die „‚Mikrophysik‘ arabisch-muslimischer Männlichkeiten“.
(S. 120–151) Werenfels verweist auf die Variabilität der Vorstellungen davon, „was ‚den Mann zum Mann macht‘“. (S. 120) Nicht nur in der westlichen Welt herrsche heute ein plurales Verständnis von Männlichkeit, auch im arabischen Raum sei Männlichkeit immer relational bestimmt. Eine wichtige Rolle spielen dabei Rituale, die Männlichkeit performativ herstellen oder vernichten und die Werenfels anhand ethnologischer Studien beschreibt.
Auch Edgar J. Forster argumentiert in seinem Beitrag, dass männlich und weiblich relationale und performative Kategorien sind, und bestätigt somit im Wesentlichen die bereits hinlänglich bekannten Thesen Judith Butlers. (S. 152–166)
Differenzierter ist die Position von Siegfried Kaltenecker (S. 168–179). Kaltenecker lehnt „doing Gender“ als theoretische Kategorie ab, weil damit den individuell spezifischen Formen von Männlichkeit nicht Rechnung getragen werden könne. Stattdessen schlägt er ein dialogisches Modell vor, das auf einem prästabilierten Verhältnis von kollektivem Geschlechterhabitus und dessen individuellen Existenzweisen, „die sich stets in historisch-spezifischer Form niederschlagen“, basiert (S. 173). Die dabei im Hintergrund stehende Frage – können Männer Feministen sein? – wird von Verena Kuni weiter behandelt. (S. 180–201) Kuni fragt danach, ob Geschlechteridentitäten tatsächlich überschritten werden können. Dabei behauptet sie (im Anschluss an Donna Haraway), dass die neuen Kulturtechniken der Bildgenerations- und Visualisierungsverfahren eine solche Überschreitung zumindest im virtuellen Raum ermöglichen. (S. 184 f.) Eine zweite Möglichkeit zur Überschreitung der Geschlechtergrenzen sieht Kuni im fiktionalen Raum des Kinofilms gegeben. Diese aus der Filmtheorie bekannte Hypothese vertritt auch Marion Strunk in ihrem Beitrag über Gabriel Baurs Film Venus Boyz. (S. 202–214)
Insgesamt stellt der vorliegende Band eine ausgewogene Mischung aus bekannten Hypothesen und teilweise recht originellen Analysen dar. Die Stärke liegt dabei eindeutig in der starken Konzentration auf die künstlerische Praxis und in der entsprechenden, visuell anregenden Ausstattung des Bandes. Leider ist der frappierendste Ansatz – das GenderGame_Online – hinsichtlich des Rezeptionsverhaltens offenbar noch nicht hinlänglich aufbereitet, so dass die Frage, ob sich die polaren Geschlechteridentitäten im virtuellen Raum performativ überwinden lassen, offen bleiben muss.
URN urn:nbn:de:0114-qn041082
Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.