Spiel als paradoxes rauschendes Netzwerk

Rezension von Leena Petersen

Natascha Adamowsky:

Spielfiguren in virtuellen Welten.

Frankfurt am Main: Campus Verlag 2000.

272 Seiten, ISBN 3–593–36601–0, € 34,90

Abstract: Natascha Adamowskys Arbeit basiert auf gegenwärtigen Medientheorien. Der Begriff des Spiels wird auf die in den letzten Jahren neuentstandenen „medialen Festbühnen“ – Performance, Techno, elektronische Massenmedien – angewendet, um so neue virtuelle und digitale Medien erklären zu können. Neben der Analyse von Festen, dem Vergnügungspark und Computerspielen werden auch Phänomene wie die Loveparade und Cyberspace in ihre Überlegungen einbezogen. Die Arbeit wurde mit dem Sonderpreis der Löwenclub-Stiftung für die beste Forschungsarbeit zum Thema Freizeit und Spiel ausgezeichnet.

Identitätssuche in virtuellen Welten

Nach einer theoretischen Einführung befasst sich Adamowsky am Beispiel eines Vergnügungsparks mit einem Bereich, in dem Spiel als expressives Erleben definieren wird, geht dann vom Spiel als Performance – wobei sie Computerhacking als Anschauungsmaterial verwendet – zum gegenwärtigen Ritus des Festes über. Exemplarisch werden die sogenannten unsichtbaren Städte am Attersee beschrieben, der österreichische Attersee wurde anlässlich des Festivals der Regionen in einen Theaterraum verwandelt, der für die Zuschauer auf Booten erfahrbar war. Sie kommt dann zu ihrem eigentlichen Hauptteil, in dem sie die spieltheoretischen Ansätze auf die Schauplätze von Techno und Rave sowie Cyberspace bezieht.

Eine wichtige Figur bei all ihren Beschreibungen ist diejenige des Intermediären, der phantastische Qualitäten in Form von Erscheinungen beigemessen werden. Basierend auf dem intermediären Raum nach Winnicott wird eine schöpferische Erfahrung beschrieben, die sich in einem Kontinuum von Raum und Zeit entfaltet. Signifikant für diesen Raum sind Übergangsphänomene und -objekte. Dieses „Dazwischensein“ ist laut Adamowsky als Erscheinung im gesamten kulturellen Spektrum zu finden und bietet Raum für „in-between-identities“. Nachdem die fließenden Übergänge zwischen Ich, Nicht-Ich und Nicht-Nicht-Ich ausführlich besprochen werden, wendet sich die Arbeit ihrem zentralen Aspekt zu. Im Mittelpunkt steht das „Spiel als paradoxes rauschendes Netzwerk“, wobei das Rauschen für den Ort des „Dazwischen“ steht. Spielfiguren übernehmen nach Adamowsky hier die Rolle von „Schwellenhütern und Vermittlungsfiguren“.

Adamowsky kennzeichnet ihr Vorgehen selbst folgendermaßen: „Mit dem Begriff der Spielfigur beschreibe ich die Art und Weise, wie diese Orte im Spiel gestaltet werden. Spielfiguren sind unter vielfältigen Blickwinkeln zu beschreiben: als alternative Rollen-, Identitäts- und Lebensentwürfe, imaginäre Doppelgänger, expressive Wünsche, dramatisierte Skripts und Phantasiemotive oder als Protagonisten einer Geschichte, die sich die Spielenden über sich selbst erzählen“.

Durch diese Definition können jegliche Formen virtueller Ausschreitungen unter dem harmlosen Mantel des Spiels dargestellt werden – Plädoyers für ein Verständnis von gewaltverherrlichenden Computerspielen und der Love-Parade als kulturellen Spielplätzen einer neuen Generation finden sich zuhauf. Auffällig erscheint die Aussparung von jeglichen geschlechtsspezifischen Aspekten in Adamowskys Arbeit – wahrscheinlich sind derartige Unterschiede im virtuellen Raum als irrelevant zu betrachten.

Der Computer wird als „Herzstück“ der Handlungsfelder neuer Medien beschrieben, als ein „Tor zu neuen Begegnungen“. Im Computer vereinigen sich laut Adamowksy alle zuvor beschriebenen ludischen Elemente zu einem Erlebnisraum, der allerdings vorerst nur als ein Übergangsobjekt zu betrachten sei. Im virtuellen Raum finden sich „archaische Spielfiguren [wie] Monster und Magier, Verführer und Gespenster“. Der Computer ermögliche seinen Benutzern perspektivische Pluralisierungen der Wirklichkeit. Es handele sich dabei jedoch nur um Spiegelungen oder Oppositionen zur Wirklichkeit und um keine neuen Konstruktionen, da die Basis immer das in der Realität Vorhandene sei, das zu virtuellen Zwecken „errechnet“ werde. Die digitale Schnittstelle sei nicht als „eine Tür zum Totalen“ anzusehen, da die körperliche Selbstproduktion und Inanspruchnahme nur außerhalb des Cyberspace zu finden sei.

Die Autorin verwendet eine blumige Sprache, die zur Beschreibung einführender Beispiele benutzt wird. Da es sich um eine wissenschaftliche Arbeit handelt, erscheint der Gebrauch solcher Formulierungen nicht unproblematisch. Erklärt wird dies schließlich jedoch im letzten Kapitel, in dem zur Erläuterung von Cyberspace-Phänomenen Texte aus virtuellen Rollenspielen zitiert werden – es handelt sich um ebensolche Sprachmodelle, die zwischen Kitsch, Ironie und unfreiwilligem Humor schwanken.

Bisher gilt das Spiel als ein Bereich, in dem noch keine gültige Theorie ausformuliert wurde – auch das Buch von Adamowsky bietet hier keine Lösung, ist jedoch interessant für diejenigen, die sich mit gegenwärtigen postmodernen Spiel- und Medientheorieansätzen auseinandersetzen wollen. Der reiche Zitatenschatz liefert ebenso wie die große Auswahl an verwendeter Literatur einen Überblick über derzeitige Versuche zu diesem Thema. Interessant ist außerdem die Anhäufung teils außergewöhnlicher und teils gegenwärtiger Phänomene, die hier zu Recht unter dem Begriff Spiel bzw. Fest zusammengefasst werden.

URN urn:nbn:de:0114-qn041101

Leena Petersen

Berlin/Humboldt-Universität/Studentin der Kulturwissenschaft und Philosophie

E-Mail: leena.petersen@web.de

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