Auswege aus dem Natur-Technik-Dualismus: Eine konstitutionslogische Perspektive

Rezension von Bettina Bock v. Wülfingen

Angelika Saupe:

Verlebendigung der Technik.

Perspektiven im feministischen Technikdiskurs.

Bielefeld: Kleine Verlag 2002.

360 Seiten, ISBN 3–89370–364–0, € 24,50

Abstract: Angelika Saupe ist eine ebenso aktive feministische Naturwissenschaftskritikerin wie profunde Kennerin der metatheoretischen Materie. Ihre Arbeit zeigt: Feministische Technikforschung übersieht die „Produktion von Natur“. Diese jedoch zu erkennen, decke weitreichende feministische Gestaltungsmöglichkeiten auf.

Materie, Politik und Theorie

Die diplomierte Landschaftsplanerin Angelika Saupe würdigt in ihrer in der Soziologie angesiedelten Dissertation kritisch 30 Jahre feministische Technikforschung: In einer umfangreichen Materialanalyse diskutiert sie differenziert die wesentlichen Ansätze feministischer Technikforschung und -kritik und bietet Lösungvorschläge zu sonst oft umschifften epistemologischen Schlüsselproblemen.

Theoretisch dem Materialismus verpflichtet und dabei dem Dekonstruktivismus zugeneigt, bemüht sich Angelika Saupe um eine Synthese der Ansätze der Koryphäen Elvira Scheich und Donna Haraway. Von den theoretischen Auseinandersetzungen, mit denen sie die Leser/-innen konfrontiert und zugleich aus dem Dilemma der (viel beklagten) vermeintlichen Entmaterialisierung herausführt, dürfte die künftige feministische Techniktheorie maßgeblich profitieren. Auch zur Diskussion der Lebensbegriffe im Zusammenhang mit Gen-, Repro- und Körpertechnologien bietet dieses Werk hilfreiche Hintergründe.

Die Kehrseite der Medaille theoretisch integrieren

Angelika Saupe geht von einer Verlebendigung der Technik aus, welche die feministische Technikkritik in der Analyse der Technisierung der Natur übersehen würde. Diese These legt sie konsequent und gut strukturiert dar. Bereits im ersten Kapitel spürt sie Lücken und Widersprüche in den feministisch-technikkritischen Ansätzen auf, mit denen sie sich nicht zufrieden geben will. Nachvollziehbar beschreibt sie Befunde und Mängel der feministischen Technikkritikansätze und bearbeitet die heikelsten Fragen, die diesen Kritiken zu Grunde liegen: Was überhaupt kann als Technik gelten? Wie stellen sich die Bedingungen des sich verändernden Verhältnisses zwischen Technik und Geschlecht dar?

Den deutschen Ansätzen des Ökofeminismus, der „Gestaltungsdebatte“ in der Informatik und den Gen- und Reproduktionstechnologie-Kritikerinnen hält sie vor, die Opposition von Leben und Technik aufrechtzuerhalten. Dabei wird eben (und dies ist Saupes roter Faden) „Leben“ spätestens heute schon nicht mehr nur technisch simuliert, sondern auch produziert.

Es ist diese besondere Verschiebung hin zur Produktion von „neuer Natur“, mit der sie meint, auch entfremdungstheoretische Technikkritiker/-innen und technikeuphorische Feministinnen miteinander ins Gespräch bringen zu können. Sie selbst sucht einen Ansatz, nach dem Natur einerseits nicht als Unterworfene den scheinbar unverbundenen Gegensatz zu androzentrischen ausbeuterischen Technologien bietet, der aber andererseits auch keiner unkritischen Fortschrittslogik folgt, sondern eine dynamische gesellschaftstheoretische Kritik und Theorie der technologischen Selbstrepräsentation ermöglicht.

Der Geschichte solcher Selbstrepräsentationen bzw. den wesentlichen Mythen, die in ihnen enthalten sind, widmet sie dann auch ihr zweites Kapitel. An erster Stelle steht der Überwindungsgestus: der Mythos von der Transzendierung der menschlichen Begrenztheit in (qua Sterblichkeit) und ihrer Überrundung durch den männlichen Schöpfungsakt oder durch Schaffung ewiger (Gen-)Moleküle und Apparate. In diesen Mythen sieht sie allerdings nicht nur historische Kontinuitäten, sondern auch zukunftsweisende Pfade, denen folgend sich diese geschlechtshierarchischen Strukturen umformen lassen.

Besondere Fähigkeit zu solcher Transformation spricht sie im dritten Kapitel Donna Haraways Umdeutungen alter Technikmythen zu. Die Ausrichtung der erwünschten Umdeutungen wird mit dem letzten großen Kapitel deutlicher: Auch Elvira Scheich tappe laut Saupe in die Falle, Natur und Technik, als Kehrseiten des Produktions-Reproduktions-Verhältnisses, in Opposition zu setzen.

Saupe folgt in ihrer Analyse Alfred Sohn Rethels theoretischen Ansätzen, die sie für ihre originäre Theorie fruchtbar macht. Die von ihr diagnostizierte „Produktion von Leben“, ebenso wie Natur, Leben und Technik werden durch „das Kapital“ als gesellschaftliches Organisationsationsprinzip bzw. durch das „Wertverhältnis“ strukturiert – wenn nicht überhaupt geschaffen.

Ihr abschließender Ausblick motiviert, die differenzierte Analyse der beschriebenen Verlebendigungsprozesse zu nutzen, um sich an der „Um-Schreibung der ‚großen Erzählungen der Moderne‘“ gestalterisch zu beteiligen.

URN urn:nbn:de:0114-qn041156

Bettina Bock von Wülfingen

Universität Bremen, Zentrum für Feministische Studien, Zentrum für Public Health,

E-Mail: wuelfing@uni-bremen.de

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