Hausfrauisierung der Bäuerinnen am Beispiel Westfalen-Lippes zwischen 1920–1960

Rezension von Elisabeth Meyer-Renschhausen

Helene Albers:

Zwischen Hof, Haushalt und Familie.

Bäuerinnen in Westfalen-Lippe (1920–1960).

Paderborn, München, Wien, Zürich: Ferdinand Schöningh 2001.

505 Seiten, ISBN 3–506–7912–7, € 46,40

Abstract: Helene Albers Studie über Bäuerinnen in Westfalen im früheren 20. Jahrhundert basiert auf Interviews, der Auswertung von zeitgenössischem Quellenmaterial und einer Vielzahl vergessener zeitgenössischer Forschung. Darüber hinaus hat die Verfasserin eine unglaubliche Menge an Literatur der neueren Historie samt mentalitätshistorischen Ablegern bis hin zu soziologischen und agrarsoziologischen Studien durchgearbeitet. Ergebnis dieser immensen Arbeit ist, dass die Bäuerinnen die besonderen Opfer der Umstrukturierung der Landwirtschaft sind.

Bäuerinnen wurden mit Beginn der modernen Landwirtschaft systematisch marginalisiert und Schritt für Schritt um ihre Selbständigkeit auf dem Bauernhof als einem Betrieb mit mehreren Unterabteilungen gebracht. In der vorindustriellen Landwirtschaft betrieb die Bäuerin bestimmte Arbeitsbereiche selbständig und bezog daraus ein eigenes (Bar-)Einkommen. Diese Selbständigkeit verloren die Bäuerinnen in Westfalen-Lippe mit seiner sehr kleinteilig strukturierten Landwirtschaft erst im Untersuchungszeitraum der hier vorliegenden Studie. Da die Studie leider 1960 abbricht (bedingt durch das regionalhistorische Forschungsprojekt „Gesellschaft in Westfalen, Kontinuität und Wandel 1930–1960“, in dessen Rahmen sie unternommen wurde), kann die Rezensentin hier schärfer formulieren, als die Verfasserin als Historikerin es tat.

Aber auch die Autorin der Studie, Helene Albers, wird deutlich, wenn sie zu bedenken gibt, dass wir uns vergegenwärtigen müssen, dass bis heute der Beruf eines Bauern wie einer Bäuerin ein „Geschäft „ ist, das – zumal zu seiner eigenen Versorgung – jeder und jede ausüben darf. Und zwar, ohne eine vorherige Zulassungsprüfung oder Ausbildung ablegen zu müssen. Ganz so, möchte die Rezensentin erläuternd hinzufügen, wie bis heute jede Frau Hausfrau werden, Kinder bekommen oder Kochen darf, ohne dafür vorher einen entsprechenden „Führerschein“ machen zu müssen. Darin unterscheidet sich der Bauer nicht von der Bäuerin. Aber die Besitzverhältnisse auf dem Lande, die spätestens seit Einführung des bürgerlichen Rechts (im Verlauf des 19. Jahrhunderts) Eindeutigkeit bevorzugten, machten aus dem Bauern den Hofbesitzer. Daraus folgt, dass aus der Bäuerin im Wortlaut der amtlichen Statistik – und das auch erst seit 1907 – eine „mithelfende Familienangehörige“ wurde. Übersetzen wir diesen Begriff der staatlichen Erfassung von Steuerzahlern in den Terminus „Bäuerin“, stellen wir erstaunt fest, dass eben dies derjenige Beruf war, der zwischen 1925 und 1950 die meisten Frauen beschäftigte. Verheiratete Frauen, die als „erwerbstätig“ erfasst wurden, waren sogar zu zwei Dritteln Bäuerinnen. Helene Albers zitiert Carloyn Sachs, die bereits 1983 in ihrer Studie zu den „invisible farmers“ feststellte, dass diese Mehrheit im Verlauf des Wandels der landwirtschaftlichen Produktionsweise enteignet wurde. (vgl. S.10) Die unsichtbare Arbeit dieser schweigenden Mehrheit versuchten bereits Frauenforscherinnen des frühen 20. Jahrhunderts wie Marie Bidlingmaier in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken.

Aber wer gilt als Bauer? Was macht eine Bäuerin aus? Die durchschnittliche Hofgröße umfasste in Westdeutschland Anfang der fünfziger Jahre zwischen 7,5 und 15 ha. Diejenigen, die zwischen 30 und 100 ha bewirtschafteten, galten als Großbauern und bäuerliche Gutsbesitzer. Alle anderen waren Bauern, soweit sie einen nennenswerten Landbesitz ihr eigen nennen konnten. Noch 1960 hatten in Westfalen 50 % der Höfe weniger als 5 ha. Außerdem gab es in den von Helene Albers untersuchten beiden Gemeinden, dem katholischen Schöppingen und dem evangelischen Lienen (am Nordrand des Teutoburger Waldes), eine große Schicht von Kleinbauern mit unter 0,5 ha und sogenannten Heuerlingen, Landarbeitern, die nebenbei ihre eigene Kleinstlandwirtschaft betrieben. Auch auf den Kleinbauernhöfen gingen die Männer bereits einem zusätzlichen außerlandwirtschaftlichen Erwerb in der Textilfabrikation oder in der Kalkindustrie nach, während die Frauen die Landwirtschaft übernahmen. (vgl. S.18–20) Entgegen damaligem Brauch fasst Helene Albers auch diese Selbstversorgerinnen unter den Begriff „Bäuerin“, obwohl diese Landarbeiterfrauen sich damals, in einer Zeit eines durch Besitz geprägten Standesdenkens, selbst nicht so genannt hätten. Jedoch erscheint aus heutiger Sicht entscheidend, dass sich die Art ihrer Arbeiten trotz verschiedener Hofgrößen wenig unterschied: Überall hatte die Bäuerin neben dem Haushalt die Arbeiten im Garten, in der Geflügelhaltung, im Stall, bei der Viehaufzucht oder auf dem Feld zu verrichten, die als Frauenarbeiten galten. (vgl. S.4–5)

Die Enteignung der Bäuerinnen geschah über den Prozess der Professionalisierung der Landwirtschaft. Auch wenn die meisten Bauern des europäischen Festlands Mitte des 20. Jahrhunderts vom Bauern zum Landwirt wurden, setzte der Wandel bereits um 1800 ein: Damals hatte die ökonomische und ökologische Krise der Höfe ganz besonders der Mittelgebirge zur Einführung eines bäuerlichen Ausbildungssystems geführt. Seit 1820 war es den Söhnen größerer Bauern möglich, Landwirtschaft an eigens dafür eingerichteten Hochschulen zu studieren. Die Burschen kleiner Höfe gingen zu einem anderen Bauern in die Lehre, die der Staat durch die Einführung einer begleitenden Berufsschule zu lenken versuchte. Im 19. Jahrhundert profitierten von dieser Professionalisierung des Bauern zum Landwirt jedoch ausschließlich Männer. Erst seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, mit denen die vorliegende Untersuchung einsetzt, wurde dank der ersten Frauenbewegung allmählich auch für Bäuerinnen ihre Arbeit zu einer Art Ausbildungsberuf. Dennoch liegt es in der Sache selbst, dass es bis heute fraglich ist, ob „Bäuerin“ zu sein ein Beruf oder eher eine Art „Status“ ist. Wie die Hausfrau geht die klassische Bäuerin einer außerordentlich vielseitigen Tätigkeit nach, deren einziges Manko ist, dass sie nicht bezahlt wird.

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg begannen sich Landfrauen, genauer gesagt zunächst ausschließlich Gutsbesitzerfrauen, gegen die Verleugnung der weiblichen Arbeiten zu wehren, indem sie 1898 unter der Leitung Elisabet Böhms einen ersten „Landwirtschaftlichen Hausfrauenverein“ gründeten und sich 1916 überregional im „Reichsverband Landwirtschaftlicher Hausfrauenvereine“ zusammenschlossen. (S. 245 f.) Damit knüpften sie an den positiv konnotierten Begriff von „Hausfrau“ aus dem 18. oder 17. Jahrhundert an, der unter einer „Hausfrau“ eine „Hausherrin“ mit erheblichen „innerbetrieblichen“ Befugnissen verstand und zugleich den Begriff Hausfrau nahezu identisch mit dem einer Gutsbesitzerfrau nahm. Der Landfrauenverband von 1916 bemühte sich ähnlich wie die anderen Vereine der deutschen Frauenbewegung des Bund deutscher Frauenvereine (BDF) um die gesellschaftliche Anerkennung der weiblichen Tätigkeiten einschließlich der Hausarbeit. Die Frauenrechtlerinnen forderten, den jungen Frauen eine systematische Ausbildung für ihre späteren häuslichen Arbeiten zukommen zu lassen, in der Hoffnung, dass dies eine generelle gesellschaftliche Aufwertung der Hausarbeit bewirken würde.

Während die an Reformen im Bereich der Sozialpolitik interessierten Kommunen diesen Forderungen teilweise aufgeschlossen gegenüber standen und versuchten, mit wenig Mitteln Schulen auch für Landmädchen einzurichten und ein zusätzliches Pflichtschuljahr für Mädchen als Chance einer systematischen Hausarbeitsschulung diskutierten, wurde das entsprechende Gesetz auf unteren Ebenen kaum praktisch umgesetzt. Helene Albers berichtet, dass das 1924 auf Reichsebene beschlossene Berufsschulpflichtgesetz für Landmädchen in Westfalen sich bis in den Krieg hinein nicht durchsetzen ließ. Im Zweiten Weltkrieg wurde es gleich wieder ausgesetzt, weil die größeren wie die kleinen Landwirte nicht bereit waren, ihren Mägden auch nur einen Tag pro Woche frei zu geben. Um in diesem Bereich etwas zu tun, gründeten die Landfrauen private Schulen für die weibliche Landjugend. Da aber diese Schulen keinerlei staatliche Unterstützung erhielten, standen sie de facto nur den Töchtern reicher Landwirte offen.

Die Berufsschule, wie sie schließlich für weibliche Lehrlinge der Landwirtschaft dennoch zustande kam, bot – seit der Nazizeit unter männlicher Federführung, nach 1945 unter der Leitung des Deutschen Bauernverbandes, dem nun auch der Landfrauenverband zugeordnet war – die Ausbildung zu einer Hausfrau auf einem ländlichen Anwesen. Die Bauernverbände wollten die Bäuerinnen zu städtischen Hausfrauen ausbilden lassen. Das entsprach einem männlichen Statusdenken, welches um 1900 bis tief in die Arbeiterschaft reichte. Ganz in der Tradition der Gutsbesitzerfrau würde die Bauersfrau dann zwar ihren Hof lenken, ohne jedoch noch selbst in den Stall gehen zu müssen. Damit hätte die Bäuerin jedoch gegenüber dem Bauern auf ihr Mitspracherecht in der Betriebsführung verzichtet.

Bis zum Ersten Weltkrieg hatten die Landwirtinnen in Westfalen die Milchwirtschaft und die Hühnerhaltung unter sich. Das Milch- oder Buttergeld, das Eiergeld waren ihr Einkommen. Mit der Einführung des Genossenschaftswesens im Molkereibereich verloren die Bäuerinnen ihre selbständigen Einkommen und Arbeitsbereiche. (vgl. 96 f.) Vor allem das Verbieten der Direktvermarktung von Milch und Eiern seitens der Nazis entzog den Bäuerinnen ihr eigenes, bares Einkommen. Jetzt landete das Geld auf dem Konto des „Haushaltvorstands“. Diese indirekte Enteignung der Bäuerinnen unter der totalitären Herrschaft wurde nach dem Krieg weder im Westen noch im Osten revidiert. Das Verbot der Direktvermarktung wurde ebenfalls bereits während der NS-Zeit durch eine Abgabepflicht ergänzt, die den Handlungsspielraum besonders der Bäuerinnen zusätzlich einengte. So erfolgte der Wandel von einer bäuerlichen zur industriellen Landwirtschaft vor allem auf Kosten der Bäuerinnen, die zu ländlichen Hausfrauen wurden – ein Prozess der international ähnlich vonstatten ging und noch geht und im vorliegenden Band am regionalen Beispiel plausibel nachvollziehbar ist.

Insgesamt handelt sich um eine sehr gründlich gearbeitete Studie, vielleicht etwas langatmig und wenig deutlich in manchen Schlussfolgerungen. Als sorgfältig gearbeitetes und materialreiches Buch muss es allen denjenigen zur Lektüre empfohlen werden, die sich mit der Mehrheit der berufstätigen Frauen, den Bäuerinnen, in Geschichte wie Gegenwart genauer befassen wollen. Als ein Werk mit nahezu lexikalischer Genauigkeit gehört es als Nachschlagewerk zumindest in jede Universitäts-, Stadt- und Landesbibliothek.

URN urn:nbn:de:0114-qn041207

Dr. Elisabeth Meyer-Renschhausen

Privatdozentin im Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin; Arbeitsschwerpunkte: Kultursoziologie, Kulturanthropologie, Agrarsoziologie, Genderforschung

E-Mail: elmeyerr@zedat.fu-berlin.de

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