Ulrike Allroggen, Tanja Berger, Birgit Erbe (Hg.):
Was bringt Europa den Frauen?.
Feministische Beiträge zu Chancen und Defiziten der Europäischen Union.
Hamburg: Argument 2002.
184 Seiten, ISBN 3–88619–289–X, € 17,90
Abstract: In von neun Autorinnen verfassten Beiträgen gibt der Band Einblicke in zentrale Felder der EU-Politik: die europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU), die Strukturpolitik, die Gleichstellungspolitik und das Gender Mainstreaming, die Osterweiterung sowie die Ausarbeitung einer europäischen Verfassung. Damit werden wesentliche Teile des Maastricht-Vertrags (1992), des Amsterdamer Vertrags (1997) und des Nizza-Vertrags (2000) behandelt. Hierdurch bildet dieser Band eine wichtige Grundlage für die Diskussion über die Frauenpolitik der EU
Mehrere Beiträge prognostizieren aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Konkurrenz im europäischen Binnenraum eine höhere Sockelarbeitslosigkeit und das „working poor“, die Einkommensarmut trotz Vollzeitarbeit. Es zeichne sich eine neue Unterschicht der Gesellschaften entlang von z. T. kulminierenden Merkmalen wie unzureichende (Aus-)Bildung, soziale und ethnische Herkunft, Zuwanderung und weibliche Geschlechtszugehörigkeit ab. Zurückgeführt werden diese Entwicklungen auf die von der EU zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaften (u. a. durch die Währungsunion) eingeleiteten Prozesse der Deregulierung sowie der Privatisierung staatlicher Leistungen und sozialstaatlicher Verpflichtungen.
Susanne Schunter-Kleemann zeigt in ihrem Beitrag auf, dass die damit verbundenen strikten Budgetkriterien für die Mitgliedsstaaten deren arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Handlungsmöglichkeiten schmälern. Sie schlägt vor, den Vorrang der Stabilitätspolitik vor der Beschäftigungspolitik zu widerrufen, um dadurch auch der Frauenerwerbstätigkeit stärkere Impulse zu geben. Von der Explosion schlecht entlohnter und tariflich ungeregelter Arbeit sind in der EU vor allem Arbeitnehmerinnen betroffen. 1999 waren 52,6% der Frauen und 71,6% der Männer in Europa erwerbstätig, davon 33% der Frauen und 6% der Männer in Teilzeitbeschäftigung. Eine Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sollte deshalb eine eigenständige Sicherung von Frauen an die Stelle der abgeleiteten Sicherung setzen und einer Aushöhlung des Prinzips der Familiensubsidiarität gerade entgegenwirkten. Ein Anwendungsfall für diese Vorschläge könnten die Hauptarbeitsbranchen von Frauen, d. h. dienstleistungs- und personenbezogene Arbeiten, sein. Anstatt sie noch stärker marktförmig zu gestalten, wird der skandinavische Weg empfohlen, d.h. sie (wohlfahrts-)staatlich zu organisieren. Damit soll sowohl eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen als auch eine gleichverteiltere Partizipation an diesen Leistungen erreicht werden.
Henriette Meseke zeigt auf, dass die europäischen Strukturfonds weitgehend ein Hemmschuh für die Förderung der Frauenerwerbsarbeit sind. Sie merkt zudem kritisch an, dass die Nutzung der Strukturfonds den einzelnen Staaten unterliegt und sie insofern nur ein indirekt von der EU gesteuertes Mittel sind, die Chancengleichheit von Frauen voranzutreiben. Für deren frauenfördernden Einsatz komme es maßgeblich auf Lobbying durch nationale Frauenorganisationen an.
Seit 1997 ist die Gleichstellung von Frauen und Männern Gemeinschaftsziel und steht gleichberechtigt neben der Errichtung eines gemeinsamen Marktes. Das seitdem auch verankerte Gender Mainstreaming alle Aktivitäten der EU sollen die Chancengleichheit berücksichtigen steht im Hinblick auf seine Umsetzung noch am Anfang. Ein erster Schritt dazu ist das 5. Aktionsprogramm 2001–2005, das Birgit Erbe erläutert. Zu dessen Zielen gehört u. a., dass in allen Ausschüssen der EU-Kommission 40% Frauen vertreten sein müssen und dass dieses Beispiel in den Entscheidungsgremien der Mitgliedsländer Schule macht.
Ab 2004 werden der EU die Länder Mittel- und Osteuropas beitreten. Dort ist wie von Elisabeth Schroedter gezeigt wird die Frauenarmut in den letzten zehn Jahren stark angestiegen. Arbeitsplätze sind in drastischem Ausmaß verloren gegangen. Der Anteil von Frauen in öffentlichen Funktionen ist von 30% auf bis zu 3% geschrumpft. Dem Erweiterungsprozess fehle es jedoch an Strategien, diesen Prozess der Verdrängung und Verarmung von Frauen aufzuhalten. Vermutlich werden die von der EU vorgegebenen Gleichstellungsregeln keine Substanz haben.
Um dem entgegenzuwirken, plädiert der Beitrag von Tanja Berger und Maria Beyer-Gasse für die Vernetzung von Frauen-NGOs – vor allem auch zwischen Ost und West. Die Autorinnen beschreiben die Arbeit von Lobby-Organisationen, d. h. dem Ost-West-Europäischen-Frauennetzwerk (OWEN) und der European Women’s Lobby (EWL).
Dass in der im Jahr 2000 proklamierten europäischen Verfassung spezifische Frauenrechte (z.B. Verurteilung häuslicher Gewalt) ebenso fehlen wie die Anerkennung struktureller Benachteiligungen von Frauen, arbeitet Birgit Erbe heraus. Sie fordert mehrere Nachbesserungen, so u. a. die paritätische Beteiligung von Frauen am Verfassungsprozess selbst, die Verankerung von Rechten, die Frauen wirtschaftliche Selbständigkeit gewähren, und den Schutz individueller Freiheitsrechte auch im privaten Bereich.
Der Band weist auf zum Teil gravierende Defizite der europäischen Gleichstellungspolitik hin. Trotz des verankerten Anspruchs der Chancengleichheit zeichnen sich faktisch Verschlechterungen der Lebensbedingungen von Frauen ab. Es werden zahlreiche Vorschläge ausgearbeitet, das Gemeinschaftsrecht und seine Instrumente zugunsten der Gleichstellung von Frauen zu verbessern.
URN urn:nbn:de:0114-qn041212
Ingrid Biermann
Interdisziplinäres Frauenforschungs-Zentrum (IFF)
E-Mail: ingrid.biermann@uni-bielefeld.de
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