Karin Flaake:
Körper, Sexualität und Geschlecht.
Studien zur Adoleszenz junger Frauen.
Gießen: Psychosozial Verlag 2001.
276 Seiten, ISBN 3–89806–093–4, € 29,90
Abstract: Karin Flaake geht in ihrer psychoanalytischen Interpretation innerfamilialer Konstellationen der Frage nach, wie das Zur-Frau-Werden von jungen Frauen erlebt wird. Dabei kommt den körperliche Wandlungsprozessen der Pubertät und den darin eingelagerten expliziten sowie verborgenen Deutungen des Weiblichen – vor allem des weiblichen Körpers – durch die Eltern eine prominente Rolle zu.
Die Adoleszenz junger Frauen ist – dies ist der Ausgangspunkt der Studie von Karin Flaake – ein komplexer und lebensgeschichtlich besonders prägender Prozess. Dies deshalb, weil in der „Pubertät“ (verstanden als „körperliche Wandlungsprozesse“, S. 8) körperliche, sexuelle, inner- und außerfamiliale sowie gesellschaftliche Dimensionen ineinander greifen. Das Buch von Karin Flaake konzentriert sich auf die psychoanalytische Interpretation von „familialen Interaktionen“ (S. 10), die in Interviews mit jungen Frauen, ihren Müttern und Vätern bzw. Stiefvätern sichtbar werden. Ergänzt werden Flaakes Ausführungen durch den Einbezug anregender psychoanalytischer Interpretationen literarischer Bearbeitungen adoleszenter Dynamiken wie z.B. Marmorhaut von Slavenka Drakulic, Anne Franks Tagebuch, Audre Lordes Zami oder Alissa Walsers Erzählung Geschenkt.
Das Buch von Flaake ist in thematische Kapitel gegliedert, in denen es um die spezifisch adoleszenten Erfahrungen der ersten Menstruation, des Wachses der Brüste und den damit zusammenhängenden Wandlungsprozessen sowie der Sexualität geht. Es ist ein kaum zu überschätzender Verdienst von Flaake, in Bezug auf Sexualität immer auch homosexuelle/homoerotische Dimensionen zu thematisieren.
Körperliche Veränderungen sind nach Flaake das Hauptkennzeichen der Adoleszenz: „Die wesentliche psychische Arbeit der Adoleszenz besteht darin, den eigenen Körper herauszulösen aus inneren Bindungen, aus Besetzungen durch andere, durch die Mutter und den Vater“ (S. 98). Es geht in dieser Studie demnach um die körperlichen Veränderungen, die zur Adoleszenz gehören, und die mit diesen verbundenen Psychodynamiken im Dreieck Mutter-Vater-Tochter. Soziologische Überlegungen werden in die Analyse einbezogen – wenn auch mit einem deutlich forschungspragmatischen Tenor, der wenig Raum bietet für die Brüche, Widersprüche und Fragilität unterschiedlicher Weiblichkeitsbilder. Flaake geht grundsätzlich aus von einer herrschenden „Idealisierung des Männlichen und einer Abwertung des Weiblichen“ (S. 228). Dies ist sicher nicht falsch, aber auch nicht die ganze ausdifferenzierte Wahrheit.
Liest man die Interpretationen der Autorin, gewinnt man ein Gefühl dafür, dass die Gründe für das beharrliche Fortleben tradierter Weiblichkeitsvorstellungen und insbesondere tradierter Körper- bzw. Leiberleben des Weiblichen verankert ist. Es sind vor allem die Mütter, die ihren Töchtern offene und verdeckte Botschaften mitgeben, was es bedeutet, eine (erwachsene) Frau zu sein. Gerade auf die „verborgenen Rituale zwischen Müttern und Töchtern“ (S. 100) kommt es Flaake an. Allerdings ist genau diese psychoanalytische Lesart nicht durchgängig plausibel, zumindest nicht, wenn man – wie die Rezensentin – keine geschulte Psychoanalytikerin ist. Wenn Flaake ihr empirisches Material interpretiert, scheinen manche Lesarten diesem übergestülpt (z. B. S. 17f.); allerdings deuten Formulierungen wie „möglicherweise“, „womöglich“, „eventuell“, „vielleicht“, „scheint“ bei vielen Interpretationen des Materials darauf hin, dass die Autorin verantwortlich mit der, im übrigen immer vorhandenen, Spannung zwischen Modell bzw. Theorie einerseits und Empirie andererseits umgeht. Auch, aber nicht nur deshalb sind auch die „weiten Interpretationen“ anregend.
Im Kapitel zur Menarche macht Flaake überzeugend deutlich, wie notwendig der komplexe Blick auf innerfamiliale Konstellationen ist. Denn nur im Mutter-Tochter und -Vater Geflecht wird sichtbar, wie sehr die „erste Regelblutung wie keine andere körperliche Veränderung in der Pubertät eine Art ‚Eintritt’ in die Weiblichkeit (markiert)“ (S. 97) und wie sehr der konkrete „Eintritt“ von den Eltern geprägt wird. Dieser Eintritt bedeutet nicht nur für die jungen Frauen einen bisweilen dramatischen Schritt, den sie mit allerlei Phantasien verknüpfen und den sie mit verschiedenen „Stützen“ (Freundinnen, Mütter von Freundinnen, Literatur usw.) gehen, sondern auch für die Mütter bedeutet er „eine Wiederbelebung der eigenen Gefühle, Wünsche, Hoffnungen, Ängste und Kränkungen dieser Zeit sowie die damit verbundene innere Aktualisierung der Beziehung zur Mutter“ (S. 101). Und genau deshalb, so Flaake, fällt es den meisten Müttern – trotz oftmals bester Absichten – so schwer, ihren Töchtern ein positives Bild von Menstruation als „Lust und Potenz“ (S. 100) zu vermitteln. Eigene Erfahrungen sowie die in diesen eingelassenen gesellschaftlichen Deutungen der Menstruation als Schmutz, tabuisierter genitaler Sexualität, Krankheit und Schmerz führen vielmehr dazu, dass eine Art „leibliche Verbundenheit im Leiden“ (S. 103) entsteht. Diese diene überdies dazu, die potenzielle Rivalität der Tochter hinsichtlich der erotischen Beziehung zu erwachsenen Männern und vor allem zum Vater zu vermeiden, die aufgrund der mit der ersten Periode einsetzenden sexuellen Reife möglich wird („Vati, ich bin jetzt auch eine Frau“, S. 62). Schmerzen und Unlust, die die Menstruation nach wie vor als leibliches Erleben kennzeichnen, „signalisieren symbolisch den Verzicht auf eine eigene Lust und [so] bleiben [Mutter und Tochter] damit aneinander gebunden“ (ebd.). Die Einstellungen und häufig verdeckten Botschaften der Mutter an die Tochter sind deshalb so ausschlaggebend für die Tradierung von Weiblichkeit, weil mit der Menstruation und weiterer körperlicher Veränderungen während der Pubertät eine komplexe Beziehungsdynamik zwischen Mutter und Tochter in Gang kommt: Die Tochter erfährt die eindeutige Zuweisung zu „einem und nur einem Geschlecht, dem weiblichen“ (S. 105) und damit zu dem der Mutter. Solange die Mutter die Weiblichkeit repräsentiert, muss sich die Tochter in gewisser Weise mit der Mutter identifizieren – gleichzeitig ist aber die Adoleszenz ein Prozess der schwierigen und oft schmerzhaften Trennung von ihr. „Mit der ersten Menstruation spitzt sich in der Mutter-Tochter-Beziehung das emotionale Geschehen um die Themen Abgrenzung, Neid und Rivalität in besonderer Weise zu (…)“ (S. 62). Wie Mütter und Töchter mit diesem Paradox umgehen, liest sich spannend und anregend.
Auch wenn man also nicht alle psychoanalytischen Details teilt bzw. sich an manchen Stellen mehr Rückbindung an das empirische Material wünschen würde, so lässt sich mit dem Buch von Flaake verstehen bzw. darüber nachdenken, wie stark Vergeschlechtlichungsprozesse – und nichts anderes scheint die Pubertät zu sein – mit Körpererfahrungen, unbewussten Affekten und Phantasien zusammenhängen. Diese werden im Kontext der engen Bindungen innerhalb der Familie tradiert, bisweilen – allerdings ernüchternd selten, wie die Empirie von Flaake nahe legt – aber auch kreativ verarbeitet. Junge Frauen, so die Botschaft des Buches, werden zu solchen durch das, was Mütter (und Väter) ihnen nicht nur rhetorisch mitgeben oder pragmatisch zeigen, sondern auch und vielleicht vor allem dadurch, dass im engen Familienkreis gemeinsam er-lebt wird. In diesem leiblichen Erleben sind, dies macht die Autorin immer wieder deutlich, gesellschaftliche Deutungen immanent eingelassen: Die Medikalisierung des weiblichen Körpers („der erste Gang zum Gynäkologen“), die generelle Abwertung des Weiblichen, die Deutung von Menstruationsblut als zu versteckendem Schmutz, das passive Ausgeliefertsein an den leidenden Körper, die Verdrängung eigener Lust – all dies spielt eine wesentliche Rolle dabei, wie sich junge Frauen mit und in ihrem Körper fühlen, der – so scheint es – mit der Pubertät das eindeutige Zur-Frau-Werden markiert. Das intensive gemeinsame Er-Leben auch für allein erziehende Mütter und Väter, für gleichgeschlechtliche Paare mit Töchtern oder für Geschwister auszuleuchten, bleibt ein Forschungsdesiderat für die Zukunft.
URN urn:nbn:de:0114-qn042013
Dr. Paula-Irene Villa
Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität Hannover
E-Mail: p.villa@ish.uni-hannover.de
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