Geschlecht im Krieg

Rezension von Ulf Heidel

Karen Hagemann, Stefanie Schüler-Springorum (Hg.):

Heimat – Front.

Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege.

Frankfurt am Main, New York: Campus 2002.

399 Seiten, ISBN 3–593–36837–4, € 45,00

Abstract: Der Sammelband präsentiert ein breites Spektrum historischer Analysen zur Problematik von Geschlecht, Militär und Gewalt vom Ersten Weltkrieg bis in die deutsch-deutsche Nachkriegszeit. Die facettenreichen und methodisch von der Oral History bis zur Diskursanalyse reichenden Beiträge belegen die Relevanz und Omnipräsenz von Geschlecht in den beharrlichsten Domänen der Männlichkeit.

Heimat – Front steht als Titel gewissermaßen programmatisch für die geschlechtergeschichtliche Erforschung der deutschen Gesellschaft(en) „im Zeitalter der Weltkriege“. Der im Ersten Weltkrieg erfundene Begriff der Heimatfront verweist zunächst auf die dichotome Ordnung der Geschlechter und auf ihre spezifische Ausformung in den „totalen Kriegen“. Als funktionale wie räumliche Ordnungsprinzipien lösten Heimat und Front zwar die zivilen Modi der Geschlechterdichotomie – wie Öffentlichkeit und Privatheit – nicht ab, aber sie modifizierten und überformten sie. Zugleich ist die vermeintliche Eindeutigkeit der binären Ordnung im Begriff der Heimatfront bereits in Frage gestellt, indem er die Überschreitung ihrer Grenzen impliziert. Baute das Militär – insbesondere durch das zentrale Element der „allgemeinen“ Wehrpflicht – seit dem 19. Jahrhundert auf dem strikten Ausschluss von Frauen aus seinen Institutionen auf, wurde dieser mit der Mobilisierung der zivilen Gesellschaft für den Krieg undicht. Die Heimat war kein Ort jenseits des Krieges, und ein wichtiges Verdienst des Bandes besteht darin, die aus der Unhaltbarkeit dieses vermeintlich klaren Strukturmoments resultierenden, vielfach krisenhaften Dynamiken der Geschlechterordnung facettenreich darzulegen.

Der Band, der auf eine 1999 abgehaltene Konferenz zurückgeht, beginnt mit einer instruktiven Einführung in die Thematik durch Karen Hagemann und einem Aufsatz der Soziologin Ruth Seifert, der die ebenso beharrliche wie prekäre Konstruktionsleistung des Militärs für die Geschlechterpolitiken westlicher Gesellschaften analysiert. Die 15 folgenden Beiträge sind auf vier chronologisch gegliederte Rubriken – Erster Weltkrieg, Zwischenkriegszeit, Zweiter Weltkrieg und Nachkriegszeit – verteilt und geben aus verschiedenen Perspektiven Aufschluss über den Zusammenhang von Geschlecht und Krieg. So erfahren die Leser/-innen von der Vielgestaltigkeit des wilhelminischen Offiziersideals (Marcus Funck) und von sexistischen und rassistischen Bildern des „Anderen“ in den Diskussionen um die französischen Kolonialsoldaten (Christian Koller); von den literarischen Verhandlungen des Fliegerhelden, der vom individualistischen Abenteurer zum Kameraden und Führer umgearbeitet wurde (Stefanie Schüler-Springorum); vom unterschiedlichen Umgang der militärischen Führung mit Vergewaltigungen durch deutsche Soldaten an West- und Ostfront im Zweiten Weltkrieg (Birgit Beck) sowie von Frauen, die im besetzten Polen an der Germanisierungspolitik mitwirkten (Elizabeth Harvey); zuletzt von friedenspolitisch aktiven Frauen im geteilten Nachkriegsdeutschland (Irene Stoehr) und von der Bedeutung der Kriegsheimkehrer, die im Westen zu antikommunistischen Familienvätern und im Osten zu antifaschistischen Kämpfern aufgebaut werden sollten (Frank Biess).

Kameradschaft und weibliche Vorteilnahme

Obwohl die Beiträge in den vier Rubriken teilweise recht beziehungslos nebeneinander stehen, lassen sich über ihre Grenzen hinweg doch interessante Korrespondenzen ausmachen. So standen Birthe Kundrus zufolge linke und bürgerliche Modelle der „Geschlechterkameradschaft“ als Alternativen neben der antifeministischen Abwehr der „neuen Frau“ der Weimarer Zeit, womit Kundrus ähnlich wie Thomas Kühne undifferenzierte Vorstellungen einer vorherrschenden aggressiv-martialischen Männlichkeit korrigiert. Nach Kühne bezeichnete auch die nur von Männern gebildete Kameradschaft einen weiblich codierten Raum, in dem die Einzelnen emotionale Nähe und Schutz vor der binnenmilitärischen wie kriegerischen Gewalt suchten und selbst die am deutschen Projekt des Holocaust aktiv beteiligten Männer sich ihrer „Menschlichkeit“ vergewissern konnten.

Eine andere Korrespondenz ergibt sich zwischen Bianca Schönbergers Hinweis auf das Verschwinden der Etappenhelferinnen des Ersten Weltkriegs aus der Nachkriegserinnerung und Susanne zur Niedens Untersuchung zum Mythos der „Amiliebchen“. Während die durch ihre Arbeit im Militärapparat gut verdienenden und damit kein „wahres Opfer“ erbringenden Etappenhelferinnen offenbar keine erinnerungswürdige Funktion besaßen, stellte die Figur des „Amiliebchens“ eine negative Bezugsgröße nach 1945 dar. Käuflich schon ab dem Preis einer Zigarette symbolisierte das „gefallene Mädchen“ die verkehrte Welt der Deutschen nach der Niederlage, in der die Unmoral siegte und „Sklaven“ herrschten, und überdeckte so die moralische Verstrickung in nationalsozialistisches Unrecht. Den tapferen Soldaten werden hier Frauen jeweils als Vorteilnehmerinnen selbst noch des verlorenen Krieges gegenüber gestellt.

Erfahrungen und Diskurse

Konzeptuell bewegt sich die Mehrzahl der Beiträge im kulturhistorischen Spektrum zwischen Alltags- oder Erfahrungsgeschichte und historischer Diskursanalyse. Dabei fällt auf, dass Arbeiten, die sich auf nur ein Moment historischer Realität – wie ein individuelles Schicksal oder die mediale Produktion von Stereotypen – konzentrieren, analytisch in seichtes Fahrwasser zu geraten drohen. So vermögen schemenhafte Differenzierungen nach idealisierten Selbstbildern intakter Männlichkeit und Fremd- und Feindbildern defizitärer Männlichkeit oder weiblicher Inferiorität dort nicht zu überzeugen, wo diese „Bilder“ – einem vulgären Ideologiebegriff entsprechend – merkwürdig freischwebend bleiben. Solche theoretischen Mängel finden sich z.B. in Robert L. Nelsons Untersuchung der Darstellungen von Freund und Feind in deutschen Soldatenzeitungen. Ähnlich unterkomplex bleibt Margarete Stoehrs auf einem Erinnerungsinterview basierende Darstellung eines Hausfrauenalltags im Zweiten Weltkrieg, da hier die Konstruktionsleistung des Erinnerns und der Zusammenhang zu kollektiven Narrationen der politischen Gemeinschaft zu wenig reflektiert werden.

Als ergiebiger erweisen sich Ansätze, die Alltagspraktiken, Erfahrungen, gesellschaftliche Institutionen, Diskurse etc. in ihren Wechselverhältnissen berücksichtigen wie etwa Belinda J. Davis’ Analyse der maßgeblich von Frauen getragenen Ernährungsproteste im Ersten Weltkrieg. Davis entfaltet dabei die Interdependenzen zwischen Strategien und Zielen der Protestierenden und der Behördenpolitik, die gegen die Frauen der Heimatfront keineswegs die einschlägigen repressiven Mittel einzusetzen wagte, und betont deren Effekte auf die politische Kultur. Hervorzuheben ist auch der einzige dezidiert körpergeschichtliche Beitrag, in dem Sabine Kienitz die Körper von Kriegsinvaliden in der Weimarer Republik als „Ort der kollektiven Erinnerung an die im europäischen Kontext als neu erfahrene Zerstörungskraft des Krieges“ untersucht (S. 189). Anhand des Diskurses über den Einsatz von Prothesen macht sie dabei eine Dialektik von Ermächtigung und Entmächtigung des männlichen Körpers durch den technischen Fortschritt fassbar.

Feministische Militärgeschichte?

Der Sammelband trägt somit zur Erweiterung der Militärgeschichte um die Kategorie Geschlecht bei, das Verhältnis eines feministischen Anliegens gegenüber der selbst männlich dominierten Militärgeschichte bleibt jedoch unklar. Reicht „ein produktives Neben- und Miteinander“, das der einzige vertretene „genuine“ Militärhistoriker Wilhelm Deist in seinem kurzen Vorwort anvisiert (S. 10), aus? Müsste die Militärgeschichtsschreibung nicht vielmehr auch Schaden nehmen an einer feministischen Kritik? Dazu fehlt es in dem vorliegenden Band an einer Konfrontation mit den „klassischen“ Erzählungen über den Krieg als Mittel der Politik und darüber hinaus am Interesse an der kritischen Intervention in das gegenwärtige Verhältnis von Krieg und Geschlecht. Ruth Seifert fragte kürzlich auf einer Konferenz zur Friedensforschung, inwieweit nicht allein Kriege die Geschlechterordnung krisenhaft verändern, sondern Geschlechterverhältnisse und -konstruktionen ihrerseits Gewalt befördern oder mildern. Aus dieser Perspektive ließen sich neue Fragestellungen entwickeln, die die Maßgabe des politischen Gegenwartsbezugs feministischer Geschichtsforschung wieder verstärkt in den Vordergrund rücken könnten.

URN urn:nbn:de:0114-qn042126

Ulf Heidel

Universität Hamburg, Fachbereich Geschichte

E-Mail: ulf-heidel@gmx.de

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