Biblisch-koranische Figuren – feminin: Jesus, Joseph and Job

Rezension von Barbara Winckler

Michelle Hartman:

Jesus, Joseph and Job.

Reading Rescriptions of Religious Figures in Lebanese Women’s Fiction.

Wiesbaden: Reichert 2002.

188 Seiten, ISBN 3–89500–298–4, € 39,00

Abstract: Jesus, Joseph and Job stellt drei Texte aus der Feder zeitgenössischer libanesischer Autorinnen vor, die auf unterschiedliche Weise die Geschichten religiöser Figuren neu schreiben, und diskutiert sie im Hinblick auf ihr subversives Potential für gesellschaftlichen Wandel. Dazu werden in der Analyse neben der Intertextualität Konzepte genderorientierter und postkolonialer Ansätze wie métissage und borderlands herangezogen.

Die Reihe „Literaturen im Kontext“ verfolgt ein doppeltes, komplementäres Ziel: Durch die Publikation „methodisch an der modernen Literaturwissenschaft geschulte[r] Arbeiten“[1] zu nahöstlichen Literaturen möchte sie einem Mangel der Orientalistik abhelfen, die lange von der aktuellen Theorie- und Methodendiskussion weitgehend unberührt geblieben war. Diese Arbeiten sollen jedoch nicht nur Spezialisten ansprechen, sondern auch Komparatisten den Zugang zu Literaturen des Nahen Ostens ermöglichen. Die Herausgeberinnen gehen davon aus, dass die nahöstlichen Literaturen selbstverständlich Teil der Weltliteratur und – wie Literatur generell – „in vielfacher Weise ‚intertextuell‘ geprägt sind“, „in einem weit über die jeweilige Nationalsprache hinausgehenden Spannungsfeld stehen.“ So weise die moderne Literatur dieser Region verschiedene Referentialitäten auf, sowohl zur eigenen Literaturtradition als auch zur westlichen und zur Weltliteratur allgemein.

Religiöse Figuren im neuen (inter-)textuellen Gewand

In diesem Sinne stellt Michelle Hartman in Jesus, Joseph and Job Texte dreier zeitgenössischer libanesischer Autorinnen französischer und arabischer Sprache vor, die auf intertextuellen Bezügen zu den Geschichten religiöser Figuren – Jesus, Joseph und Hiob – basieren, und diskutiert sie im Rahmen unterschiedlicher Kontexte. Der Schwerpunkt der Analyse liegt dabei auf dem gender-Aspekt. Intertextualität – ebenso wie ihr hier im Blickfeld stehender Sonderfall, die Interfiguralität – lebt davon, dass die Prätexte bekannt sind und als solche erkannt werden, da nur so die intertextuellen Bezüge verstanden und dechiffriert werden können. Dass die hier untersuchten Werke Elemente heiliger Texte und Traditionen verwenden, die den meisten Menschen mit all ihren Symbolen und Konnotationen vertraut sind, macht diese Form der Interfiguralität zu einer besonders starken textuellen Strategie.

Der eigentlichen Analyse der drei Texte stellt Hartman in drei einleitenden Kapiteln theoretische und methodologische Überlegungen voran. Hier reflektiert sie zunächst die Problematik der Betrachtung „libanesischer“ Literatur, insbesondere der von Frauen, und ihre eigene (westliche) Forscherperspektive. Es folgt die Diskussion der Konzepte Intertextualität, métissage und borderlands sowie ein Kapitel zu Neu-Schreibungen religiöser Erzählungen.

Hiobs Frau spricht – ein androgyner Jesus – Joseph und Zulaykha gleichgeschlechtlich

Andrée Chedids Erzählung La femme de Job (1993; dt. Die Frau des Ijob, 1995) lässt bereits im Titel Interfiguralität in Verbindung mit einer weiblichen Perspektive erkennen. Hier wird die Geschichte von Hiob aus der Sicht seiner Frau erzählt, die im Ursprungstext, der Bibel, nur mit einer kurzen Aussage auftritt. Chedid bedient sich damit der „klassischen“ feministischen Strategie, Frauen, von denen Geschichtsschreibung und religiöse Überlieferung schweigen, (wieder) in die Geschichte und damit ins kollektive Gedächtnis einzuschreiben und misogyne Darstellungen umzukehren.

Der Roman Hayât wa-âlâm Hamad ibn Sîlâna (1995, Leben und Leiden des Hamad, Sohn der Silana) von Najwâ Barakât basiert auf einer Entlehnung der Figuren Jesus und Maria. Geschildert wird das Leben Hamads, der sich als Grenzgänger zwischen den Geschlechteridentitäten wie auch zwischen himmlischer und irdischer Zugehörigkeit bewegt. Die Ausgestaltung der Intertextualität ist hier um einiges vielschichtiger. Zudem handelt es sich bei Jesus um eine Figur, die ungleich komplexer ist und in der arabischen Literatur bereits mit unterschiedlichsten Konnotationen – etwa aus christlicher, muslimischer, existenzialistischer, marxistischer oder palästinensisch-nationalistischer Perspektive – belegt wurde.

Im Unterschied zu den beiden anderen Texten stellt in Hudâ Barakâts Roman Hajar ad-dahik (1990, Der Stein des Lachens) der intertextuelle Bezug nicht die Basis des gesamten Romans dar, sondern ist lediglich eine Episode, ein Teil der Charakterisierung des Protagonisten. Im Zentrum des Romans, der im Beirut der späten Bürgerkriegsjahre situiert ist, steht Khalil, ein androgyner junger Mann mit homosexuellen Neigungen. Im Kontext seiner unerwiderten Liebe zu seinem Cousin Yûsuf identifiziert er sich mit Zulaykha, die den biblisch-koranischen Joseph (arabisch Yûsuf) vergeblich zu verführen versuchte.

Intertextualität – Hybridität – Gesellschaftskritik

Hartman nähert sich den Texten, indem sie die Analyse der Intertextualität mit einer sowohl genderorientierten als auch postkolonialen Ansätzen verpflichteten Herangehensweise verbindet. In ihrer Diskussion des Intertextualitätsbegriffs, in der sie sich sowohl auf westliche Konzepte (Kristeva, Genette, Culler) als auch auf die der klassischen wie modernen arabischen Literaturkritik (al-Qazwînî, al-Banîs, al-Muftâh, Somekh, Malti-Douglas) stützt, unterstreicht sie die Bedeutung des subversiven Potentials, das Infragestellen der konventionellen sozialen Ordnung und die politische Relevanz der intertextuellen Bezüge. Als Analyse-Konzepte wählt sie neben der Intertextualität die der métissage (Françoise Lionnet) und der borderlands (Gloria Anzaldúa). Beide Konzepte haben das Ziel, Vielfalt und Differenz, die Existenz vielfältiger und hybrider Identitäten gegenüber Dichotomien und der Glorifizierung einheitlicher Ursprünge – ethnischer, sexueller oder geographischer Art – zu privilegieren.

Um deutlich zu machen, wie verschieden intertextuelle Bezüge auf religiöse Texte und Traditionen ausfallen können, stellt Hartman die hier analysierten Texte in den Kontext unterschiedlichster religiöser Neu-Schreibungen: von Korankommentaren über Prophetenlegenden bis hin zu modernen, oft als häretisch verurteilten literarischen Texten etwa von Salman Rushdie und Nagib Machfus oder von feministischen Autorinnen wie Assia Djebar und Nawal El Saadawi. Bei den drei im Zentrum der Analyse stehenden Texten handelt es sich um säkulare literarische Werke, denen es nicht darum geht, die Religion oder religiöse Strukturen direkt infrage zu stellen. Vielmehr nutzen sie die Intertextualität und die durch sie erzeugten Spannungsfelder dazu, aktuelle gesellschaftliche Fragen aufzuwerfen. Hartman formuliert als eines der Ziele ihrer Analyse, die Spannungs- und Konfliktmomente innerhalb der Texte zu lokalisieren und damit ihr Potential für radikale gesellschaftliche Transformationen aufzuzeigen. Als wichtigste, allen drei Texten gemeinsame Themen identifiziert sie die religiös-konfessionelle Identität und Pluralismus, die Gleichheit zwischen den Geschlechtern, Geschlechtsrollen und Geschlechteridentitäten sowie das Infragestellen gesellschaftlicher Konventionen, Normen und Hierarchien.

Steht nach Hartmans Deutung bei Andrée Chedid die Ebenbürtigkeit der Geschlechter, die die (biblische) patriarchale Ordnung infrage stellt, sowie ein den sozio-kulturellen Gegebenheiten angepasster, genuin arabischer Feminismusbegriff im Mittelpunkt, gehen die Schwestern Barakât einen Schritt weiter und weisen dabei eine erstaunliche Parallele auf. Die Protagonisten beider Romane sind Grenzgänger, die u. a. durch gender-Ambiguität gekennzeichnet sind, was – so Hartman – eindeutig positiv konnotiert ist. Und beide nehmen am Ende durch – negativ konnotierte – Akte (Vergewaltigung und Waffenhandel bzw. Brudermord) eine den vorherrschenden Männlichkeitskonzeptionen entsprechende Rolle an. Das Ideal des Androgynen, das nach Hartmans Analyse nicht nur für eine hybride gender-Identität steht, sondern sich – gerade im libanesischen Kontext – auf die nationale und konfessionelle Identität übertragen lässt, dient der Subversion statischer sozialer Rollen, gesellschaftlicher Normen und Konventionen. Hier erweist sich die Verbindung der Konzepte Intertextualität, métissage und borderlands als fruchtbar.

Schließlich bleibt anzumerken, dass die Argumentation insgesamt stringenter sein könnte; an einigen Stellen kommt es zu Redundanzen. Zudem hätten die Begriffe métissage und borderlands präziser definiert werden sollen. Zu begrüßen wäre auch eine umfangreichere Präsentation der Autorinnen, ihres Umfelds und Werks – gerade angesichts des Anspruchs der Verfasserin, die Texte in ihren verschiedenen Kontexten zu situieren. Insbesondere bei einer so geringen Zahl von analysierten Texten sollte die Auswahl explizit begründet werden. Angesichts der heute vorhandenen technischen Möglichkeiten sollten die arabischen Originalzitate meines Erachtens in arabischer Schrift abgedruckt werden, zumal das Lesen zusätzlich dadurch erschwert wird, dass die Transkription fehlerhaft ist. Sachdienlich ist dagegen die englische Übersetzung der arabischen und französischen Zitate, v. a. im Hinblick auf eine über Orientalistenkreise hinausgehende Leserschaft. Insgesamt stellt Hartmans geschlechtsspezifische Analyse religiöser Neu-Schreibungen als Gesellschaftskritik einen interessanten Ansatz dar, der auf einer breiteren Textgrundlage weiter verfolgt werden sollte.

Anmerkungen

[1]: So Angelika Neuwirth, eine der Herausgeberinnen der Reihe „Literaturen im Kontext“, in ihrem „Vorwort zu dieser Reihe“, publiziert im ersten Band Understanding Near Eastern Literatures. A Spectrum of Interdisciplinary Approaches, hg. v. Verena Klemm/ Beatrice Gruendler, Wiesbaden: Reichert 2000, S. V.

URN urn:nbn:de:0114-qn042178

Barbara Winckler, M. A.

FU Berlin, Seminar für Semitistik und Arabistik

E-Mail: bwinckler@web.de

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